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Im Restaurant von Bellmann abends um elf Uhr. Also zu der Zeit, wo es am schlimmsten zugeht. Um jeden Tisch sitzen zehn Mann und lärmen durcheinander, und die Kellner bringen immer neue Portionen herbei.
Gustav, der Oberkellner, setzt ein großes Tablett mit sechzehn vollen Tellern auf den Serviertisch nieder. »Hol es der Henker«, sagt er. Und dabei läuft ihm der Schweiß von der Stirn herunter und fällt Tropfen nach Tropfen in jene Portion Hammelnieren, die sogleich von der Frau Gerichtsrat Beyer mit großem Behagen und mit einer gewissen Kennermiene verspeist werden wird.
Da betritt der große Theaterkritiker Ernst Mancke das Lokal und geht zu dem Stammtisch, der gebührenderweise leer geblieben ist. Er zieht den Paletot aus und sagt zu dem Kellner: »Vorläufig bestelle ich noch nichts; mein Bote wartet am Büfett; ich schreibe ihm noch ein paar Worte.«
Der Kritiker Mancke hat soeben im Theater ein neues Stück von Maeterlinck gesehen und gedenkt jetzt hier im Restaurant einen kurzen Vorbericht für seine Zeitung zu verfassen. So setzt er sich an den Stammtisch und schreibt folgendes: »Gestern im Deutschen Theater ›Pelleas und Melisande‹. Was soll man sagen? Was soll man sagen, Freunde und Gefährten? Nichts soll man sagen nach solchem künstlerischen Erlebnis. Stumm und erschaudernd soll man hinausgehen, über Blütenwiesen wandeln und den feinen Duft der Tulpen einatmen. Und soll Gott aus vollem Herzen danken, daß uns diese Gnade und Gloria wurde und diese schimmernde Magie. Morgen schreibe ich noch etwas mehr. Jetzt drängt es mich hinaus in die Nacht unter des Sternenhimmels hehren Dom. Jetzt weiß ich nur einen Rat: Schluchzen, schluchzen, schluchzen.«
Der Theaterkritiker tut diesen Bericht in ein Kuvert und schickt ihn seinem Boten hinaus. Dann winkt er den Kellner herbei und sagt ihm: »So, Oberkellner, jetzt bringen Sie mir einmal Pökelkamm mit Sauerkraut.«