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Die ausdruckvollste Allegorie, die wir kennen, ist der Mensch. Kräfte, Neigungen, Gedanken und Leidenschaften der Seele deutet sein Aeußeres, der Körper, nicht etwa nur an, sondern stellt sie dem Verständigen dar. Bleibend trägt der Mensch den sichtbaren Ausdruck dessen, was er im Innern ist oder sein möchte, d. i. seinen Charakter, mit sich; in jedem, zumal leidenschaftlichen und unerwarteten Moment offenbart er aber auch vorübergehend, was in ihm wirkt. Er ist ein wandelndes Gemälde seiner selbst, ein Spiegel, in dem unwillkürlich seine geistige Gestalt erscheint.
Da Empfindungen, Triebe und Affecten der wirksamere Theil unsrer Natur sind, die von Gedanken nur stille begleitet oder regiert werden, und eben jene sich durch Geberden am Stärksten ausdrücken, indeß die Sprache eigentlich nur Gedanken bezeichnet und die Empfindung kaum commentirt: so verschmäht gleichsam, zumal in Fällen der Leidenschaft, die Geberde das Wort als fremd und ihr unbrauchbar; ein Ausruf, eine Interjection ist ihr lieber als Worte. Nichts verschwemmt die Empfindung mehr als ein Gerede darüber; bei Simulanten und Dissimulanten, d. i. bei Sich-Anstellern und ‑Verstellern, sagt das Wort oft gerade das Gegentheil von dem, was der Blick sagt; oder wenn auch dieser heuchelt, verräth sich das ganze Herz oft – durch eine Geberde.
Traue man ja dem Naturspiegel, den die ewige Wahrheit selbst uns aufgestellt hat! er kann nicht lügen. Nur schaue man mit reinem Verstande und unvorgefaßtem Herzen in ihn, nicht flüchtig, sondern aufmerkend.
Wie mächtig ist eine Geberde! Ueberzeugend, aufregend, bleibend. Wenn wir an einen Abwesenden gedenken, stellt sich uns zuerst eine Geberde von ihm dar, oder vielmehr er selbst charakteristisch in seinen Geberden. So verewigen sich in uns Momente des Zutrauens und der Liebe wie des Widerwillens und Abscheus. Denke an einen Menschen: wie Dir sein Bild in der Geberdung zuerst einfällt, so ist er in Dein Herz geschrieben.
In zarten sowol als feurigen Empfindungen hangt Alles an der Geberde; oft entweichen wir selbst dem Wort der Lippe, als ob es jenen innern Ausdruck schwächte oder entweihte. »O sprich nicht,« sagen wir; »gieb mir Deinen Blick, Deinen Wink, die Seele selbst ist ja unaussprechlich.« Im seelenvollsten Ausdruck des Schauspiels hangen wir an einer Geberde und überhören gerne das Wort. »Wozu«, sagen wir, »ist's nöthig, da jene Alles sagt?«
Wenn aber die Geberde der Empfindung Worte verschmäht, wird sie in der Natur nicht eine andre Freundin haben, die sie begleite? Es ist die Musik; Töne unterstützen die Geberde natürlich. Nicht nur daß in beiden auf dem Zeitmaß, auf Modulation so viel beruht; denn auch in Geberden, im Gange, im Auge, in Miene und Handlung spricht Bewegung, Maß der Bewegung das Meiste. Nichts z. B. stört uns mehr als ein ungleicher Gang, eine stockende falsche Stimme u. s. w., sie bringen uns gleichsam ganz aus dem Tact unsrer Seele.
Aber nicht Bewegung allein, die Töne sind eben das, was einem andern Sinn die Geberden sind, Ausdruck der beweglichen Natur, elastische Schwingungen, eine unmittelbare Herzenssprache.
Gleiches zu Gleichem gesellt sich also, ja Eins ruft das Andre auf und führt es mit sich. Mit der wiederkommenden Geberde des Abwesenden kommt uns gern, auch ohne Worte, der Ton seiner Stimme wieder. Bei einer uns entzückenden Stellung wünschen wir, daß sie Ton würde. Wenn auf dem sprechenden Theater edle oder sanfte Empfindungen zur größten, d. i. einfachsten Höhe steigen, heben sie sich entweder selbst zum Ton, oder wir vermissen und entbehren schmerzhaft die ihnen analogen Töne, mit denen sie unserm Gefühl nach die Natur selbst verknüpfte.
Bei allen Völkern der Erde gesellten sich also Töne und Geberden. Die Tänze der sogenannten Wilden sind mimisch, sie seien Kriegs- oder Friedens-, Freuden-, Spott- oder Liebestänze. Freude und Liebe, die süßesten Empfindungen des menschlichen Herzens, sind indeß die Seele des Tanzes; Haß und Spott selbst müssen in ihm (z. B. in den Kriegs- und Spotttänzen der Wilden), wenn sie tanzfähig werden sollen, zur Freude werden.
Und wie ergreift der Tanz alle Naturmenschen! wie zeigt sich in ihm die innere und äußere Elasticität, der Charakter! Daher die wundergroße Verschiedenheit der Nationaltänze, die alle doch auf einen Zweck hinausgehn und eine Menschengestalt zeigen. Unter günstigen Himmelsstrichen leben und weben wohlorganisirte Nationen in diesen Vergnügungen, in denen Seele und Körper, zusammen sich erfreuend, Eins werden. Der Sclave vergißt Bürden und Geißel, wenn er am Festtage hüpft. Das künftige Leben ist diesen Naturmenschen eine immer wechselnde Kette von Tänzen der Lieb' und Freude.
Sahet Ihr je die menschliche Natur lebendiger als im seelenvollen Tanz? Wirkt eine der sogenannt schönen Künste lebhafter, oft gefährlich lebhafter als diese auf das Herz der Jugend? Anmuth ist in der Sprache, Zauberei in Tönen und Geberden.
Fehlen konnte es also nicht, daß nicht jede zu Freud' und Liebe gebildete Nation das geistige Band zwischen Tönen und Geberden zu einer Art von schöner Kunst machte, jede auf ihre Weise.S. Cahusac's »Geschichte der Tanzkunst«, in der »Sammlung vermischter Schriften« (Berlin, bei Nicolai) übersetzt, in der sich auch Lucian's Schrift »Vom Tanz«, Vossius' »Vom Rhythmus« u. s. w. finden. – H. [Cahusac's »Traité de la danse ancienne et moderne« erschien zu Paris 1753 in 3 Bden. – D.] Wie viel die Griechen auf Tänze gehalten, ist bekannt; wie weit sie es darin gebracht, was sie in ihm auszudrücken vermocht haben, darüber möge uns Athenäus, Lucian und so manches begeisterte Gedicht der Anthologie belehren.
Nicht Alles aber kann der Tanz, nicht Alles die stumme Geberde, auch von Musik begleitet, ausdrücken; Musik, mit Sprache in Verbindung gebracht und dann von Geberden unterstützt, öffnet ein neues Feld der Dichtkunst. Kann der Tanz dahin eingeführt werden, wohl! Dann aber wirke er durch sich oder angeführt von singenden Chören; Gesang und Tanz in einer Person hindern einander.
So verschieden die Werkzeuge der Sprache und des Gesanges sind, so nachbarlich sind sie einander. Wer liest ein lautgeschriebenes, Blatt, ein hochaccentuirtes Recitativ, ohne daß er's selbst laut oder in der Seele recitire, wol gar mit Geberden begleite? Sobald Modulation die Sprache über ein gemeines Gezisch emporhebt, giebt sie ihr gleichsam den ganzen geistigen und körperlichen Ausdruck. In ihm genießen wir eine Art Fülle, Vollendung.
Die erste der neueren Sprachen, die sich zu diesem musicalischen Ausdruck emporschwang, war die italienische; lange vorher, ehe Opern dawaren, war in ihr der Geist der Oper. Dante, Petrarca, Ariosto, Tasso, Guarini sangen, indem sie schrieben; wer sie liest, singt mit selbsterfundner Melodie, so eintönig diese auch sein möge, ihre Modulationen nach. Aus dem Madrigal, dem Liede, der Stanze entstand die italienische Oper.
Natürlich hielt sie sich an die Gegenstände, die zur Musik die fähigsten waren, an Scenen der Liebe und Freude. Daher die Verzierungen, die man der Oper sogleich in ihrer Geburt beifügte, Scenen der schönen, wol auch romantisch-wilden Natur, Chöre, Tänze. Für alle Sinne wollte man ein Arkadien schaffen, in gemeinschaftlicher Freude sollte Auge und Ohr daran Theil nehmen.
Genuß mit Andern erhebt und begeistert: daher die Chöre. Auf dem Gipfel der Begeisterung ist man trunken: daher die Tänze. Das entzückte Auge will das Schönste jeder Art sehen: daher die Decorationen undSo muß es wohl statt »in« heißen. – D. Kleidungen im Theater; daher die Hirten-, Götter-, Wunder- und Feenwelt, die der Oper einheimisch wurden.
Unnötigerweise hat man sich über dies Wunderbare der Oper gequält, wie Menschen an dergleichen Träumen der Un- oder Uebernatur Geschmack finden können. Sind wir im wirklichen Traum nicht ebensowol in einer Zauberwelt? und wie wahr sind uns die Träume! Darf's also keine Kunst geben, die uns mit den schönsten Träumen aufs Schönste auch wachend vergnüge? Einmal in eine Welt gesetzt, in der Alles singt, Alles tanzt, entspreche auch die Welt ringsum dieser Gemüthsart, sie bezaubre!
Nach leisen, sodann wilden und verworrenen Anfängen in Italien trat die Oper in Frankreich auf. Hier fand sie eine wenig accentuirte, flüchtige, fast unmusicalische Sprache und einen verwöhnten Geschmack. Diesem bequemte sie sich; dagegen aber brachte der rastlos muntre, raisonnirende Geist der Nation in das, was sonst ein Chaos der Töne und Scenen gewesen war, Anstand und Ordnung. Hinter verwirrten, gemeinen Stücken der älteren französischen Operndichter trat der bescheidne Quinault auf, er in seiner Art ein so großer Ordner des lyrischen Theaters, als Corneille und Racine es für die Tragödie sein mochten. Quinault hat so starke und so süße Stellen als jene tragischen Dichter in ihrer Gattung, dazu in einer Sprache, die der Musik mehr widerstand als der tragischen Rede. In Recitativ und Chören hat er das französische Sentiment zur Musik gleichsam organisirt. Klarheit der Exposition, Ordnung, Folge der Scenen, Anstand sind in seinen Stücken wie bei jenen Dichtern. Daß er Sujets dieser Gattung wählte, daß er seine Flöte zur Posaune des Ruhms, seine Lyra zur Galanterie stimmen mußte, hatte er auch mit jenen Dichtern gemein; und war nicht seit ihrer Entstehung in Italien die Oper eine Puppe des Divertissements an Vermählungs- und andern Festen gewesen? Wie anders, als daß, da sie in Frankreich eintrat, sie sich in das Element der französischen Nation und Ludwig's freiwillig tauchte? Um so höher steigt das Verdienst des Dichters, der auch in die flachste Modesprache Gefühl zu bringen wußte.
Jetzt sind Quinault's Opern Schattenrisse, ein Text ohne Noten. Nichts ist vorübergehender als Prachtscenen, Galanteriestücke, Feuerwerke, Illuminationen, nichts vorübergehender als selbst Lieblingsgänge der Musik. Unser Ohr wird anders gestimmt mit den Zeiten; Pracht und Galanterie, die Kinder der Mode, wechseln. Das Wahre allein, Verstand und Empfindung dauern. In ihnen sind Quinault, Addison, Metastasio, jeder künftige Metastasio Diener einer und derselben Engelssprache, der Sprecherin für alle reinen Menschenempfindungen, der Musik.
Wo die Oper jetzt stehe, wissen wir: auf dem Kunstgipfel der Tonkunst und Decoration, fast mit Vernachlässigung des Inhalts und der Fabel. Den Operndichter nennt man jetzt kaum; seine Worte, die man auch selten versteht, und die noch seltner des Verstehens werth sind, geben dem Tonkünstler nur Anlaß zu seinen (wie er's nennt) musicalischen Gedanken, dem Decorateur zu seinen Decorationen. Musicalische Gedanken ohne Worte, Decorationen ohne eine verständige Fabel sind freilich sonderbare Dinge; wir denken aber einmal in der Oper rein-musicalisch. Sie ist der Ort,
Où dans und doux enchantement
Le citoyen chagrin oublie
Et la guerre et le Parlement
Et les impôts et la patrie,
Et dans l'ivresse du moment
Croit voir le bonheur de sa vie.»Wo, wie vor süßen Zaubereien,
Der Bürger seinen Gram verträumet,
Vergisset Krieg und Plackereien,
Und was er selbst an Pflicht versäumet,
Haus, Vaterland und Schurkereien
Des Rechts, Auflagen – ach, er träumet
In einem trunknen Augenblick
Sich seines Lebens – Opernglück!« – H.
Hat der Tonkünstler durch diese Zurücksetzung des poetischen Stoffs gewonnen oder verloren? Für seine Kunst glaubt er gewonnen zu haben; er darf seine Arien drehen und wenden nach Herzenslust; höchstens paßt er sie der Kehle an, die sie herwirbelt. Als Tondichter aber, als Sprecher und Wirker der Empfindung hat er gewiß verloren. Spazieren seine Töne in der Luft, verschlingen sie sich nicht unmittelbar mit Worten und Scenen der Empfindung, so dringen sie nie ans Herz, sie bleiben im Ohre. Bearbeitet er einen unwürdigen, gar schändlichen Stoff, muß seine süßen Töne an Laffereien, an ein Persiflage alles Großen, Guten und Schönen verschwenden: o, wie bedauern wir den Tonschöpfer! Wie bedauern wir, zauberischer Mozart, Dich in Deinen Cosi fan tutte, Figaro, Don Juan u. s. w.! Die Töne setzen uns in den Himmel, der Anblick der Scenen ins Fegefeuer, wo nicht gar tiefer. Läßt der Tonkünstler sich gar hinreißen, seiner musicalischen Drehbank zu Gefallen die Empfindungen zu zerstücken, zu kauen und wiederzukäuen, zu cadenziren – Unmuth erregt er statt Dank und Entzückung in unsrer Seele! Schnürt er endlich seine Kunstmaschine Sängern und Sängerinnen so an die Kehle, daß Held und Heldin darüber zu Spott werden, folgt er dem Trödelkram sogenannt weicher Empfindungen bis zu Scenen ausgelassener Frechheit: wie? hätte er gewonnen? und nicht das Beste, den Zauber seiner Kunst, die höchste Einwirkung aufs menschliche Gemüth, verloren?
Der Fortgang des Jahrhunderts wird uns auf einen Mann führen, der, diesen Trödelkram wortloser Töne verachtend, die Nothwendigkeit einer innigen Verknüpfung rein menschlicher Empfindung und der Fabel selbst mit seinen Tönen einsah. Von jener Herrscherhöhe, auf welcher sich der gemeine Musicus brüstet, daß die Poesie seiner Kunst diene, stieg er hinab und ließ, so weit es der Geschmack der Nation, für die er in Tönen dichtete, zuließ, den Worten der Empfindung, der Handlung selbst seine Töne nur dienen. Er hat Nacheiferer, und vielleicht eifert ihm bald Jemand vor. Daß er nämlich die ganze Bude des zerschnittenen und zerfetzten Opern-Klingklangs umwerfe und ein Odeum aufrichte, ein zusammenhangend lyrisches Gebäude, in welchem Poesie, Musik, Action, Decoration Eins sind.
Bei den Griechen war die ganze Sprache Gesang (μέλος); in die kleinsten Theile und Wortfügungen derselben, in die verschlungensten Gänge der poetischen Erzählung erstreckte sich die ebenso verschlungene Kunst des Rhythmus und der Metrik. Leset Pindar, Aeschylus, ja alle tragischen und komischen Chöre. Wer Eurer getraut sich, verschlungene Erzählungen solcher Art mit Wirkung zu componiren? Die Griechen thaten's, und mit großer Wirkung. Euch müssen die Empfindungen abgerupft und ausgepflückt, in die sanftesten Perioden verfaßt oder gar in einzelnen Worten als Interjectionen aufgetragen werden. Das mio ben, das idolo mio, mia sposa oder die fedeltà, il sà, felici, amici u. s. w. Die Au Au- und Wau Wau-Arien, die Niese- und stummen Hum-Hum-, Dumm-Dumm-Duette, auch die Liedchen:
»Hurre, Rädchen, hurre,
Schnurre, Mädchen, schnurre«,Nach Bürger. – D.
habt Ihr so gern! Vor allen die Liebeszotteleien:
»Reich mir Dein Händchen,
O süßes Pfändchen,
Gieb mir Dein Mündchen,
O süßes Kindchen.« u. s. w.
In wie anmuthsreichen Zeiten leben wir! in züchtig-unzüchtigen, musicalisch-theatralischen Zeiten, da der Tonkünstler seine musicalischen Gedanken und Empfindungen mir nichts Dir nichts jedem Unsinn anpaßt und der decorirte Schauspieler sein:
»Gieb mir ein Schmätzchen,
O Du mein Kätzchen,
Gieb mir ein Mäulchen,
O Du mein Eulchen«,
ohne alles Erröthen singt, indeß Parterre und Galerien in Empfindungen lieblicher Töne zerschmelzen.
Wie wäre es, wenn wir eine Olla Potrida solcher musicalischer Gedanken und Empfindungen unsrer neuesten deutschen Oper zur Probe gäben? Groß kann sie nicht werden; denn in jeder sind fast dieselben Worte, dieselben Reime. Auch mag ja Jeder suppliren. O daß sie gegeben werden kann und werden muß! So entweiht sind Sprache und Töne!
Olla Potrida
musicalischer Gedanken und Empfindungen,
oder
Die neueste deutsche Oper.
Ouvertüre.
Erste Scene.
Duett.
1. 2. 1. 2. 1. 2. 1. 2. 1. 2. 1. 2. 1. 1. 2. |
In lieblichen Flammen Treten wir zusammen. Zusammen, In Flammen, Herzlich, Schmerzlich. O süßer Schmerz! O süßes Herz! Schmachtend, sehnend, Seufzend, thränend. O Liebespein! Muß es so sein? Es muß so sein. So geb' ich mich darein. Darein. |
Zweite Scene.
Terzett.
Dritte Scene.
Duett.
1. 2. 1. . 2. 1. 2. |
Auf Knieen! Verziehen! Wie schlägt mein Herz! Tick, Tack! Es bricht mein Herz! Krick, Krack! Lieschen, wie heißt Du? Hänschen, wie beißt Du! beißt Du! |
(Alle Instrumente drücken den Liebesbiß schmerzlich aus, die Sängerin cadenzt ihn entzückend.) |
|
1. 2. |
Es war nur Scherz. Nur Scherz? |
(Ein schrecklicher Zank erhebt sich auf der Bühne und durch alle Instrumente. Die Nachbarn sammeln sich allmählich.) |
Sextett.
Vierte Scene.
Chor. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 1. 2. |
Doch seht, da kommt von ohngefähr Die liebe Sonne wieder her. O Sonne! O Wonne! Wie die Weste schmeicheln! Wie die Zephyrs heucheln! Und die Blumen sich neigen! Und die Gipfel sich beugen 3. 4. 5. 6. (Sonne, Wonne, Heucheln, Schmeicheln, Beugen, Neigen, Blumen, Gipfel, Weste, Zephyrs, alle in lieblichem Gewirr durch einander.) |
1. 2. 3. 4. 3. 4. 5. 6. Tutti. |
Rohrdommel trommelt dort im Rohr. Sieh, auch der Esel guckt hervor. Die Lerche singt ihr Tireli, Das Küchlein zirpt: Pipi, Das Hähnchen: Kikriki. Das dumme Rindvieh ruft: Muh! Muh! Der schlaue Kuckuk: Kukuku! (Alle diese Töne vermischen sich; Schaf und Ziege treten mit ins Chor, der Kuckuk aber läßt sich den Rang nicht nehmen. Er und Rohrdommel enden in einem angenehm cadenzirten Wettstreit, den Lerche und Küchlein, Hähnchen und Rindvieh, Lämmchen und Ziege auch nicht versäumen, ein Meisterfinale! (Finale d'un Maestro.) |
Fünfte Scene.
Duett.
Abschied.
1. 2. Alle. 1. 2. Alle. |
So enden denn heut unsre Lieder. Und übermorgen kommt Ihr wieder. Wir kommen wieder. Adieu! O weh! |
Der Nachtwächter.
Chor. 1. 2. Nachtwächter. Chor. Nachtwächter. |
Ihr lieben Leute, seid munter und wacht! Mit Tönen in der dunkeln Nacht Hat sich ein Geist verschworen; Er faßt Euch bei den Ohren. (Herausströmende Menge in fröhlichem Taumel.) Ja, Ohren! Liebchen, wie heißt Du? Schätzchen, wie schreist Du! Wie schreist Du! Drum findet glücklich Euer Haus Und schlafet das Getön' hinaus! Seid morgen neugeboren An Herz, Verstand und Ohren! Ja, Ohren! Die Thoren! Zeit verloren! Erfroren. |
»Honigsüße Wortkügelchen! liebliche Mohn- und Bisam-Reime! Wer mit so etwas genährt wird, kann so wenig rein schmecken, als Die wohl riechen können, die in der Küche wohnen. – Jüngling, der Du in diesem öffentlichen Geschmack nicht sprichst und, was etwas sehr Seltnes ist, gesunden Verstand liebst, ich will Dich mit keiner geheimen Kunst betrügen.«Melliti verborum globuli! dicta papavere et sesamo sparsa! Qui inter haec nutriuntur, non magis sapere possunt, quam bene olere, qui in culina habitant . . . Adolescens, quoniam sermonem habes non publici saporis et, quod rarissimum est, amas bonam mentem, non fraudabo te arte secreta. Petron. (1,3. 2,1. 3,1). – H. (Bei Petronius steht: »Sed mellitos verborum globulos et omnia dicta et facta quasi papavere et sesamo sparsa.« – D.)
Die Wachsamkeit der griechischen Gesetzgeber über die Musik ist bekannt. Sie verboten, sie bestraften die Einführung neuer, weicher, üppiger Tonarten, und als diese Wachsamkeit nachließ, wem sind nicht die Klagen der Philosophen und Staatsweisen darüber im Gedächtnis?
Uns dünkt diese Aufsicht über eine sogenannt schöne und freie Kunst lächerlich; ob aber mit Grunde? Sind musicalische Weisen, wie auch ihr Name sagt, Weisen und Wege der Empfindung, werden sie nicht, mit Worten verbunden, wirkliche Denkweisen? Die Gesangweise schleicht sich ins Herz und stimmt es unvermerkt zu Tönen, zu Wünschen, zu Bestrebungen in dieser Tonweise, in diesem Modus.
Bemerket kleine und große Völkerschaften. Hier ein freies Völkchen, das vielleicht in einem armen Thal muntre Lieder des Fleißes und der Fröhlichkeit singt, dort ein gedrücktes Volk, dem Kreuz-, Jammer-, Sterbelieder die liebsten sind, weil es nichts seliger findet, als im Grabe zu modern. Ein drittes, das müssig und entnervt in üppigen Liedern schwärmt, ein viertes, das auch in Tönen nur persiflirt – verfolgt diese Völker in ihre Denk- und Lebensweisen, Ihr werdet Abdruck und Inhalt ihrer Tonarten darin finden. Wem ist nicht bekannt, wie viel der Stifter einer fleißigen, sanften, klugen und bestrebsamen Gemeine in diesem Jahrhundert schon durch Gesänge und Gesangweisen auf sie wirkte?Zinzendorf. – D. Wer weiß nicht, wie mächtig im Kriege oft ein Marsch, ein Gesang war?
Gleichgiltig kann es also nicht sein, wenn gedankenleere, schmachtend-üppige Operngesänge oder componirte Trivialitäten der gemeinsten Art jeden andern Gesang verdrängen. Als Vergnügen selbst werden sie bald ein fades Vergnügen, da sie am Ende kein Wort zulassen, als: »Der große Tonkünstler!« oder: »Herrliche Stimme!« und: »Vortrefflich accompagnirt!« Dergleichen Lobeserhebungen machen Kopf und Herz zum hohlen Resonanzboden, so wie Inhalt und Instrumente das Leben zum Fiedelbogen und zur Fiedel machten. Man streicht und streicht. Da Capo! Ancora! Elender Zweck der zwecklosesten Wirkung! Haben im Reiche Pluton's die Danaiden eine traurigere Uebung?
»Der Künstler«, sagt Petron, wenn wir ihn ferner anwenden dürfen,Minimum in his exercitationibus doctores peccant, qui necesse habent, cum insanientibus furere. Nam ni dixerint, quae adolescentuli probent, ut ait Cicero, soli in scholis relinquentur; sicut ficti adulatores, cum coenas divitum captant, nihil prius meditantur quam id, quod putant gratissimum auditoribus fore; nec enim aliter impetrabunt, quod petunt, nisi quasdam insinidas auribus fecerint. Sic magister eloquentiae, nisi tamquam piscator eam imposuerit hamis escam, quam scierit appetituros esse pisciculos, sine spe praedae moratur in scopulo. Quid ergo est? Parentes objurgatione digni sunt, qui nolunt liberos suos severa lege proficere. Petron. [3, 2–4, 1]. – H. »hat hiebei die geringste Schuld. Sie müssen mit Unsinnigen rasen. Wollen sie nicht, wie Cicero sagt, im Theater allein gelassen werden, so müssen sie es wie die Schmarotzer machen, die, weil ihnen nach den Mahlen der Reichen lüstet, auf nichts so sehr denken, als den Anwesenden das Gefälligste zu sagen. Dies können sie nicht anders, als wenn sie ihren Ohren irgend nachstellen. Hängt nicht auch der Fischer eben das an den Hamen, was den Geschmack der Fische reizt? Thut er's nicht, so sitzt er hoffnungslos am Felsen. Wer ist also zu schelten? Die Eltern, die nicht wollen, daß ihre Kinder unter einem ernsten Gesetz fortschreiten sollen.« Wer für die Oper diese Eltern und Kinder sind, ist nach jedes Ortes Weise leicht zu erörtern.
Klagt das allgelehrige und das allvergessende Publicum nicht an, als ob es nur für üppige Gesänge ein Ohr habe. Welch Stück unter Mozart's Compositionen ist in Deutschland öfter aufgeführt worden als die Zauberflöte? Geschah dies ohne Ursache, ohne die doch nichts geschieht? Nichts minder. So übel geleitet die Fabel, so übel gewählt die Worte sein mögen, dem Unverständigsten schimmert der Inhalt der Fabel vor: »Licht ist im Kampfe mit der Nacht; jenes durch Vernunft und Wohlthätigkeit, diese durch Grausamkeit, durch Betrug und Ränke wirkend!« Auch die zwei Classen höherer und niederer Gesinnung in Bestrebungen und Liebe sind Allen begreiflich. Und welche Gesänge blieben im Contrast dieser Scenen dem Publicum die werthesten? Gerade die immer erfreulichen, die moralischen, die edeln.Z. B. »In diesen heil'gen Hallen«, »Ein zartes Herz kann nicht betrüben«, »Wir wandelten durch Feuer und Fluthen« u. s. w. – H. Wollet also nur, Ihr Eltern, daß »Eure Kinder unter einem ernsten Gesetz Fortschritte thun«. sie werden sie thun. Hängt gute Speise an den Hamen, Ihr Fischer, die Fischchen (pisciculi) werden schon beißen.
Ein einzig ausgestrichenes Wort beim Melodrama verbesserte Alles, das Wort Divertissement. Das kostbarste Schau- und Hörspiel, ein zusammengetragnes Ideal aller Künste, das über die Natur selbst hinausgeht, dies zu einem inhalt- und wesenlosen Divertissement zu machen, ist Verrath gegen die Natur, Kunst und Menschheit. Selbst amüsiren kann es Euch nicht in seiner seel- und herzlosen Weise. »Mein Bruder,« sagte jener zu lauter Amüsements eingeladne König, »mein Bruder, der König, hat mich zu Amüsements eingeladen; wann fangen diese wol an? Bisher habe ich mich nur ennuyirt.« Er sprach's den Tag vor seiner Abreise und – reiste ab, unamüsirt.