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Ein scheidendes und ein neu auftretendes Jahrhundert setzen gleichsam durch sich selbst dem Wandrer einen Grenzstein, auf welchem er, vor- und rückwärts blickend, gerne verweilt. Traurige und fröhliche Bilder ruft aus der Vergangenheit seine Phantasie hervor, die sein Urtheil bindet, woraus er dann eine Zukunft entweder voraussieht oder dichtet. Denn in dem feinen Gewebe der Zeiten ist Alles Zusammenhang, die Unordnung selbst wird einem höhern Blick Ordnung.
Jedermann erkennt das nächstvergangene Jahrhundert als eins der wichtigsten in der menschlichen Geschichte. Beschleunigend hat es eine Reihe von Erscheinungen hervorgebracht, die kaum Jemand vermuthete, die noch jetzt der größere Theil verworren oder schreckhaft anstaunt, in deren trüber Dämmerung aber jeder Wohlgesinnte eine Aurora der Zukunft hofft oder wünscht.
Eine Aurora; denn was nützte ein panisches Schreckengeschrei, das die Sinne verwirrt und den Muth entkräftet? Dem Wandrer in der Nacht ist der erste Strahl der Morgenröthe ein Bote der Hoffnung, ein angenehmer Gefährte. Den Griechen war Eos (die Morgenröthej eine freundliche Himmelstochter; mit Rosenfingern hebt sie den Schleier der Nacht auf und verjagt Schrecken und Träume. Sie verkündigt und giebt Licht, sie erweckt und belebt.
Guercino und Guido, Beide Künstler von großen Eigenschaften, malten das Bild der Aurora, Jeder aber in seinem Geist, mit seinen Farben. So ist auch nicht leicht Jemand, der sich in der Zukunft nicht etwas Eignes denke, etwas Eignes erwarte. Das freie Spiel dieser Vorstellungsarten zu belauschen, den Traum angenehmer Hoffnungen auf sichere Resultate des Verstandes zurückzuführen, zu zeigen, wo wir sind, wohin wir streben, welche Hindernisse, welcher Wahn oder welche Wahrheit uns vorliegen, und uns dabei nur zum Edelsten, zum Besten aufzumuntern: dies ist die Absicht unsrer Aurora.
Freudig tritt sie ihren Weg an; kein angenehm-nützlicher Gegenstand, keine Art gefälliger Einkleidung wird ihrem Geschäft fremde sein, einzig nur die politische Orakel- und Zaubertracht wird davon ausgeschlossen bleiben.
1. Nebst eingestreuten Gedichten von allerlei Art werden Erzählungen verschiedener Gattung, Romane, Novellen, Märchen u. s. w. (deren keines sich doch leicht mit unangenehmer Abbrechung in viele Stücke erstrecken darf) mit leiser Hand den Schleier aufheben, den seinen Neigungen und Wünschen das menschliche Herz gerne vorwebt; denn wie ließe sich die Wahrheit bescheidner sagen als im Traum einer Dichtung, im Märchen einer Erzählung?
2. Aufsätze, die nach und nach den Geist berühmter Schriftsteller aus mehreren Nationen und Zeiten, verglichen mit der nächstvergangenen Zeit, darstellen; Urtheile über bedeutende Menschen aller Zeiten; Miscellaneen der Lectur, interessante Begebenheiten, merkwürdige Eigenheiten der Vorstellungsart und der Charaktere, insonderheit sofern sie auf die Zeiten gewirkt haben, Gedanken großer Genien, deren einer oft eine neue Welt von Ansichten giebt; kleine philosophische Aufsätze endlich, unter der Rubrik: Blicke und Winke, werden wechselnd sich bestreben, den Leser, ohne ihn zu ermüden, zu Gedanken zu wecken und vielleicht hie und da mit einem neuen Gefühl zu beleben.
3. Anzeigen von Schriften, die Epoche machen oder machen sollten (jedoch ohne langweilige Auszüge), mit einem parteilosen Urtheil begleitet. Manchen Nebel des Wahns, falsche Anmaßungen und Blendwerke hoffen wir durch dies Urtheil zu zerstreuen, manch unbekanntes oder unterdrücktes Verdienst in seinen Glanz zu stellen und aufzumuntern. Bei einigen gepriesenen Werken werden wir mit dem ältern St. Pierre nur sagen können: »Ei denn, das ist noch schön, das gilt noch als wahr und groß und rühmlich«, bei andern mit desto freudigerm Bewußtsein: »Das ist durch sich schön, es wird immer groß und rühmlich bleiben!«
4. Sprache und Kunst können also von diesen Anzeigen nicht ausgeschlossen sein, da in ihnen der Geist der Nationen und Zeiten sich vorzüglich offenbart. Nach dem Sprichwort ist Aurora eine Freundin aller Musen, jede ist ihres Preises werth; doch wird sie keinem Werk zu nahe treten, das sich eigenthümlich und ausschließend mit diesen edeln Productionen der menschlichen Seelenkräfte beschäftigt.
5. Beobachtungen endlich über den Fortschritt der Wissenschaften, der sich aufheiternden Vernunft und des wachsenden Verstandes werden unser angenehmstes Augenmerk sein; denn (davon sind die Verfasser dieser Zeitschrift überzeugt) trotz aller künstlich gepflanzten Irrgänge muß die Wissenschaft fortgehn, die Vernunft sich erheitern, der menschliche Verstand wachsen. Glücklich, wenn wir zu diesem Fortschritt selbst beitragen können! Der Titel unsrer Zeitschrift verkündigt nur den Tag; wenn er da ist, verbirgt sich Aurora in den Strahlen der Sonne, in ihnen gerne verschwindend.
Weimar, den 20. Mai 1799.
Die Verfasser der Zeitschrift Aurora.
Entwurf der von Herder in der »Aurora« abzuhandelnden Gegenstände.Ungenauer steht dieser Entwurf in den »Erinnerungen«, III. 164. – D.
Geschichte des Himmels; künftige Geschichte. – Geschichte der Erde, Bildung der Erde; künftige Geschichte. – Geschichte des Lichts, der Elemente, der Organisationen. – Geschichte der Völker des Orients, der Griechen (Vaticanische Manuscripte). – Geschichte des Christenthums (Ähnlichkeit und Unähnlichkeit der Zeiten seiner Entstehung mit den jetzigen). – Geschichte des Mohammedismus. – Geschichte der nordischen Mythologie, ihres Ursprungs, ihrer Verschiedenheit von andern. – Geschichte der Erfindungen.
Philosophie der Welt in Gedichten: Pope u. A. Geschichte der Philosophie im 18. Jahrhundert. Geschichte der Poesie, Geschichte, Theologie, des Rechts, der Medicin, Chemie u. s. w.
Künftige Entdeckungen in Asien, Afrika, Amerika.
Tendenz der allgemeinen Vernunft: in Kriegen, Handel, Negotiationen; in Wissenschaften, Künsten, Sprachen; in Einrichtungen.
Fabeln nach altdeutschen Sprichwörtern in Agricola, Henisch u. A.
Idyllen (Gespräch mit dem Schutzgeist. Jesaia's Aussichten auf unsere Zeit).
Shakespeare's Naturwelt: im Tempest, Macbeth, Midsummernight, Hamlet, Lear, Romeo, Othello, Cymbeline, Wintermärchen.
Von Milton kleine Stücke und Paradise regain'd.
Leone, Gespräch von der Liebe.
Desbillons' Fabeln.
Lucrez für unsre Zeit.
Camoens für unsre Zeit (Die Forsters, Cook u. s. w.).
Roms Pantheon für die Nachwelt.
Leben: Leibniz, Newton, Halley, Mac-Laurin, Linné, Buffon, Haller, Tobias Mayer (Wurf nach Herausgabe seiner Schriften), Ramler.
Kritik: Formenpoesie, griechische Silbenmaße.
Mably, Diderot, Fontenelle, Condillac, Swift.
Aussichten auf die Zukunft u. s. w.