Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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5. Bekehrung der Juden.

Im Jahr 1723 schickte Johann Müller, Prediger zu Gotha, ein zu Bekehrung der Juden geschriebenes Büchelchen, 6¼ Bogen stark,»Das Licht am Abend, zu erleuchten die Augen Israel's, auf daß sie sehen den Trost Zion's, wenn Gott Zion bekehren wird«. Halle 1728. – H. das keinen Verleger gefunden hatte, an den Prof. Callenberg zu Halle. Dieser sammelte eine Collecte, ließ dies Büchelchen, ließ mehrere kleine Bücher Jüdisch-Deutsch drucken und schickte damit zwei arme Studiosen, die Ebräisch gelernt hatten, zu Bekehrung der Juden in alle Welt. Seitdem sind Mehrere gereist; vielleicht reisen sie noch. Man nannte diese fromme Anstalt Callenberg's Institut zu Bekehrung der Juden; es ward privilegirt.Schulz' »Leitungen des Höchsten durch alle vier Welttheile«. Halle 1770 u. s. w., 4 Bde., sind ein Probeleben dieser reisenden Judenbekehrer, voll Erfahrungen in den niedern Ständen. – H.

Keinen frommen Wunsch muß man verunglimpfen, so wenig anfangs Mittel und Zweck einander zu entsprechen scheinen; daß aber durchs Disputiren in Herbergen und Wirthshäusern schwerlich eine große Judenbekehrung bewerkstelligt werden möchte, ist ebenso klar, als es gewiß ist, daß durch solche Disputen der Christen mit den Juden jene sich diesen oft zum Spott gemacht haben.

Im Anfange des jetzigen Jahrhunderts sehen wir die sogenannte Judenbekehrung mit andern Augen an, als man sie im Anfange des vergangenen ansah. Luther's Aussprüche von dieser Nation, die er, seiner Zeit gemäß, oft zu hart aussprach, haben sich während dessen so sehr bestätigt, daß, als am Ende des vorigen Jahrhunderts einige jüdische Hausväter sich einem neugebildeten, aufgeklärten Christentum aus Bedingungen associiren und affiliiren wollten, Niemand darauf merkte.

Woher diese veränderte Ansicht der Dinge, verglichen mit dem Eifer voriger Zeiten? Sie entspringt aus der Natur der Sache selbst, beglaubigt durch eine lange Erfahrung.

Erstens. Was wollen die Christen, wenn sie mit Juden über alte Prophezeiungen disputiren? Auch über die Grundsätze der jüdischen Grammatik und Auslegungskunst, die von der christlichen so verschieden ist, hinweggesehen; hinweggesehen darüber, daß bei einer Sprache, die ehemals ohne Vocalen geschrieben ward, es dem Gegner an Ausflüchten nie fehlen werde: ist es ausgemacht, daß diese Vorhersagungen, als sie gesagt wurden, größtentheils eine zeit- und ortmäßige Veranlassung und Anwendung hatten, durch das vermehrte Licht fortgehender Zeiten aber, zuletzt durch die ganze Sammlung der Schriften selbst einen immer geistigern Sinn erhalten haben. Alles hängt an diesem geistigen Sinn symbolisch ausgesprochener Hoffnungen und Wünsche. Wer an solchem keinen Geschmack hat, sondern die goldnen Becken und Schüsseln am neuen Opferaltar, die siebenmal hellere Sonne, Mond und Sterne in Natur haben und erwarten will, dem kann man nichts sagen, als: »Warte!« Sinnliche Begierden, zumal auf Nationalstolz gegründet, lassen sich selten wegdisputiren; man gönne sie Dem, der sich daran freut. Er warte!

Zweitens. Denn auch die Christen erwarten ja noch ein zukünftiges Reich, kommend in seiner Herrlichkeit, wie ihr Glaubensbekenntniß sagt. Wenn die Juden auf ihre Weise auch darauf warten, so können beide Parteien ja einander gefällig sein und es dem zukünftigen Richter anheimstellen, wie er die Ehre oder die Verachtung, die man seiner ersten Ankunft erzeigt hat, ansehen wolle. Niemand greife ihm vor. Soyez donc Juif, parceque vous l'êtes, sagte Voltaire; wem liegt etwas an Eurem Glauben oder Nichtglauben an den Gekommenen, an Eurer Auslegung und Hoffnung, an Eurem Nicht-Christenthume?

Drittens. Aber die Sache hat andre Seiten. Die Religion der Juden ist, wie sie selbst sagen, ein Erbstück ihres Geschlechts, ihr unveräußerliches Erbtheil. Nur der Gott ihrer Väter, der ihnen diese Gebote auflegte, meinen sie, kann sie ihnen entnehmen, und zwar nicht anders als durch einen so feierlichen Act, als die Gesetzgebung auf Sinai selbst war. Das Volk ist und bleibt also auch in Europa ein unserm Welttheil fremdes asiatisches Volk, an jenes alte, unter einem entfernten Himmelsstrich ihm gegebne und nach eignem Geständniß von ihm unauflösbare Gesetz gebunden. Wiefern nun dies Gesetz und die aus ihm entspringende Denk- oder Lebensweise in unsre Staaten gehöre, ist kein Religionsdisputat mehr, wo über Meinungen und Glauben discurrirt würde, sondern eine einfache Staats-Frage. »Wie Viele nämlich von diesem fremden Volk, das unter solchem fremden Nationalgesetz, in solcher Denk- und Lebensweise solche und keine andre Geschäfte treibt, diesem und keinem andern Staat entbehrlich, nützlich oder schädlich seien, wie man sie anzusehen und anzuwenden habe.« Dies ist das Problem. Wenn von Chinesen, Indiern, Persern, Zigeunern, Mamluken, die eben einwanderten, die Rede wäre, bliebe es dieselbe Frage. Jeder Staat hat sie für sich zu beantworten, keiner darf dem andern darüber Gesetze vorschreiben, am Wenigsten hat der Philosoph a priori hierüber zu entscheiden. Denn da das Mosaisch-sinaitische Gesetz und das ihm anhängige Volk seinem eignen Bekenntniß zufolge nach Palästina, nicht nach Europa gehört, da Israel sich in seinen Gebeten als ein von allen Völkern unterschiednes eignes Volk achtet: wie könnte es von andern Nationen anders geachtet werden?

Endlich. Da das Geschäft der Juden seit mehr als dreitausend Jahren bekannt ist und der Einfluß, den dies Geschäft auf den Charakter des Volks gehabt und unwandelbar noch hat, sich in der ganzen Geschichte desselben darlegt: wozu jene entfernteren Discussionen z. B. über Rechte der Menschheit, wenn blos die Frage ist: »Wie Viele von diesem fremden Volk dürfen in diesem europäischen Staat dies ihr Geschäft ohne Nachtheil der Eingebornen treiben? unter welchen Bedingungen? in welchen Schranken? unter welcher Aufsicht?« Denn daß eine unbestimmte Menge derselben einen europäischen, zumal übel organisirten Staat verderbe, davon liefert die Geschichte leider traurige Beweise. Nicht allgemeine menschenfreundliche Grundsätze, sondern die Verfassung der Nation, in welcher Juden ihr Gewerbe treiben, giebt hierüber Auskunft. Holland, d. i. Amsterdam, kann hierin für jedes andre europäische Land, z. B. Polen, Deutschland, Ungarn, Italien, Frankreich, auch nicht entscheiden, da keines dieser Länder in seinen Flecken und Dörfern Amsterdam ist und sein kann.

Im Jahr 1638 schrieb ein feiner Rabbine, Simon Luzato, zu Venedig ein Buch,Discorso circa il stato di gli Hebrei, e in particolar dimoranti nell' inetita Citta di Venecia. Da Simone Luzato, Rabbino Hebreo, Venezia 1638 4. – H. durch welches er seinem Volk mehrere Freiheit in der Republik bewirken wollte. Weit entfernt aber, auf dergleichen Grundsätze zu bauen, die Alles und damit nichts erweisen, hält er sich fern von der Höhe des Meers am Ufer der Lagunen. Er empfiehlt sein Werk der Republik als »den am Nilstrom ausgesetzten Moses, den die Tochter Pharao's aus Mitleiden aufnahm, und der nachher ein Gesetzgeber worden«; so sollte Venedig sein Buch aufnehmen mit Liebe und großmüthigem Schutz gegen die Verleumder. Sein Volk vergleicht er »einem Acker, der Unkraut und gute Frucht trage«; der Staat solle ein kluger Ackermann sein, diese zu erziehen nach Ausrottung jenes. Er vergleicht es »einer alten, durch Länge der Zeit verdorbenen Bildsäule, die gleichwol von der Hand eines Meisters herrühre und der Aufbehaltung, der Restauration werth sei«.

Wie nach der Meinung der Stoiker Sonne, Mond und Sterne sich von den Dünsten der Erde nährten, so, meint der Rabbi, trage das jüdische Volk dem Staat, als der geringste Theil desselben, durch in- und ausländischen Handel Vieles ein, das durch Niemand anders so gut eingebracht werden könne; denn Handel sei der Juden Gewerbe, da sie zum Kriegsdienst und Ackerbau untüchtig und ungeneigt seien. Die christlichen Kaufleute, meint er, setzten sich nach erworbenem Reichthum zur Ruhe, kauften Landgüter, erbauten Paläste, der Reichthum komme in fremde Hände, die Handelsstädte selbst hätten ihre Perioden und Lebensalter: der Jude hingegen sei ein immer neusprießender Baum. Grundstücke dürfe er nicht besitzen, Civilbedienungen nicht versehen, mechanische Professionen nicht lernen, der Cölibat sei ihm untersagt: also bleibe ihm kein Gewerb als der Handel. Dem Staat, sagt der Rabbi, thue es wohl, wenn die Gewerbe gleichsam nach ägyptischer Art vertheilt seien; durch den Handel werde der Jude von Künstlern sowol als Staatsbürgern unterschieden. Von jenen: denn auf Künste dürfe er sich nicht legen; von diesen: denn in Ländereien und Paläste dürfe er seine Gelder nicht stecken; sie blieben also dem Handel. Eben deshalb aber dürfe der Staat einen übermäßigen Reichthum der Juden nicht fürchten, theils weil nur der Erwerb von Ländereien das veränderliche Glück des Handels sichre, theils weil zahlreiche Familien die natürliche Folge früher Heirathen und des ihnen verbotnen Concubinats seien, mithin den väterlichen Erwerb theilen. Auch schon der starken Abgaben wegen komme selten ein großes Vermögen auf das zweite Glied des Geschlechts. Die Juden seien als »nutzbare Knechte des Staats« zu betrachten, da denn der Rabbi den Nutzen von 6000 Juden für Venedig berechnet. Die Verbrechen der Juden können verhütet werden, ihr Gesetz sei nicht menschenfeindlich, welches Letzte er angelegentlich erweist. Er zeigt, warum nicht in allen Städten und Staaten die Juden geduldet werden; Seehandelsstädten aber seien sie nützlich. In katholische schickten sie sich mehr als in protestantische Staaten, da sie jenen im Artikel der Traditionen und verdienstlichen Werke näher kämen u. s. w. So bescheiden, fein und klug schrieb der italienische Rabbi nach Ort- und Zeitverhältnissen im Jahr 1638, nicht stolz auf die Cultur seines Volks, nicht trotzend auf allgemeine Rechte der Menschheit, die zu Bestimmung dieser Frage nur als Eingang gehören.

Manasse Ben-Israel»Rettung der Juden«, aus dem Englischen übersetzt von Moses Mendelssohn. Berlin 1782. – H. in seinem Gesuch um Aufnahme der Juden in England war ebenso bescheiden; wie es denn auch Fremdlingen, die nach einem eignen Gesetz in einem fremden Staat, dazu in einem oft unübersehbaren Zusammenhange leben wollen, gebührt.


Mit vielen Theologen hat es ein britischer PhilosophDavid Hartley, a. a. O., Theil 2. S. 420. – H. wahrscheinlich gefunden, daß »die Juden einst in Palästina wieder werden eingeführt werden«, und zwar außer den Weissagungen des Alten und Neuen Testaments aus folgenden Gründen:

»Erstens seien sie ein von allen Nationen verschiedenes Volk, von der Vorsehung wahrscheinlich für irgend eine solche Gunstbezeugung aufbehalten.

»Zweitens. In allen Ländern der bekannten Welt seien Juden, ohne

»Drittens in irgend einem Lande ein Erbtheil zu haben. Ihre Güter seien Geld und Juwelen, die sie nach Palästina leicht mitnehmen könnten.

»Viertens. Von den Nationen, unter welchen sie leben, werden sie meistens mit Härte und Verachtung, oft mit Grausamkeit behandelt; dagegen

»Fünftens stünden sie unter sich durch die ganze Welt in Briefwechsel, hätten auch bei solchem

»Sechstens an ihrem Rabbinisch-Ebräisch eine Universalsprache und ‑Charakter, welche Umstände mehr, als wir es uns vorstellten, ihre Rückkehr erleichtern könnten.

»Endlich erhielten sie sich stets hiezu in Hoffnung und Erwartung.«

Glück also, wenn ein Messias-Bonaparte sieghaft sie dahin führt, Glück zu nach Palästina! Schwerlich würde aber der reichen, bewerbsamen Nation das enge Palästina gefallen, wenn ihr nicht zugleich der allgemeine Mittelhandel der alten und neuen Welt zugestanden würde. Für die alte Welt wäre ihr Land dazu wohlgelegen.

Feines, scharfsinniges Volk, ein Wunder der Zeiten! Nach der genialischen GlosseZu 1. Mos. 33, 4. Esau ist bei den Juden das Bild mächtiger, vorzüglich kriegerischer Völker. – H. eines seiner Rabbinen liegen Esau und Israel einander weinend am Halse; Beide schmerzt der Kuß, aber sie können nicht aus einander.


Beilage.
Montesquieu:
Wie sich der Handel in Europa mitten durch die Barbarei Licht machte.Esprit des lois. L. XXI. Chap. 20. – H.

»Als Aristoteles' Philosophie in die Westwelt eingeführt ward, gefiel sie den spitzfindigen Geistern sehr, die in den Zeiten der Unwissenheit für schöne Geister gelten. Mit ihr bethörten sich die Scholastiker und entschieden aus diesem PhilosophenAristoteles' »Politik«. I. 9 f. – H. über den Ausleih auf Zinsen, dessen Quelle doch im Evangelium natürlich da lag; sie verdammten ihn in allen Fällen ohn' Unterschied. Dadurch ward der Handel, der schon das Gewerbe niedriger Menschen war, ein Gewerb unehrlicher schlechter Leute; denn jedesmal, wenn man eine natürlich erlaubte oder gar nothwendige Sache verbietet, bewirkt man nichts, als – unehrliche Leute zu machen aus Denen, die sie treiben.

»So kam der Handel einer Nation in die Hände, die damals für ehrlos galt; bald ward er vom abscheulichsten Wucher, von Monopolien, von Erhebung der Subsidien, von allen malhonneten Mitteln, Geld zu erlangen, nicht mehr unterschieden.«

Die Juden, die durch Erpressungen reich geworden waren, wurden mit eben der Härte und Tyrannei von den Fürsten geplündert; das tröstete dann die Völker, ohne daß es ihnen half. –Montesquieu führt hier eine Reihe Grausamkeiten an, die man in England gegen die Juden beging. Leider machte man es in andern Ländern nicht besser; die mittlere Geschichte ist voll dieser Erpressungen und Grausamkeiten. – H.

»Indeß sah man aus dem Schooß dieser Plackereien und der Verzweiflung den Handel hervorgehn. Die Juden, die einmal nach dem andern aus jedem Lande vertrieben wurden, fanden ein Mittel, ihre Effecten zu retten. Eben dadurch verschafften sie sich auch einen sichern Rückhalt; denn ein Fürst, der ihrer los sein wollte, hatte nicht eben auch Lust, sich ihres Geldes zu entäußern.

»Sie erfanden die Wechselbriefe;Die erläuternde Anmerkung Montesquieu's hat Herder weggelassen. – D. durch dies Mittel konnte der Handel der Gewaltthätigkeit ausweichen und sich allenthalben halten. Der reichste Handelsmann hatte nichts als unsichtbare Güter, die er allenthalben hin versenden konnte, ohne daß sie irgendwo eine Spur zurückließen.

»So wurden die Theologen genöthigt, ihre Grundsätze einzuschränken, und der Handel, den man gewaltthätig mit dem Betruge verbunden hatte, kehrte, wenn man so sagen darf, in den Schooß der Ehrlichkeit wieder zurück.

»Den Speculationen der Scholastiker sind wir also alle das Unglück schuldig, das den Verfall des Handels begleitete, und dem Geiz der Fürsten die Errichtung einer Sache, die den Handel gewissermaßen ihrer Macht entzieht.

»Seitdem mußten sich die Fürsten klüger benehmen, als sie selbst kaum gedacht hatten; denn im Erfolg fanden sich die großen Machtstreiche immer so ungeschickt angebracht, daß es jetzt für eine anerkannte Erfahrung gilt: »nur eine gütige Regierung verschaffe Glück den Völkern«.

»Man fängt an, sich vom Macchiavellismus zu heilen; man wird's immer mehr. Die Conseils haben mehr Mäßigung nöthig; was man sonst Staatsstreiche (coups d'état) nannte, hießeNach Montesquieu richtiger wäre. – D. auch ohne Rücksicht auf den Abscheu, den es erregen würde, Unklugheit.

»Ein Glück für die Menschen. daß, wenn auch ihre Leidenschaften sie böse machen wollen, ihr Interesse sie davon zurückhält.«


Fortsetzung.

Hat Montesquieu Recht, daß die ehemalige Barbarei in Europa zum Verderbniß des jüdischen Charakters durch ein gewaltthätiges und häßliches Betragen gegen dies Volk mit beigetragen, welches wir ihm der Geschichte zufolge nicht ableugnen können, so ist's der Europäer Pflicht, die Schulden ihrer Vorfahren zu vergüten und, die durch sie ehrlos wurden, der Ehre wiederum fähig und werth zu machen. Wodurch dieses?

Offenbar und vor Allem, 1) daß wir ihnen die Quellen ehrlosen Gewinnes und Betruges verstopfen, die wir ihnen selbst öffneten und in schlecht organisirten Staaten noch öffnen. Wer macht den Betrüger? Der Dummkopf oder der Gewaltthätige; oft sind Beide in einer Person. Lasset die Christen ihre Gewerbe so gut verstehen, so emsig betreiben als die Juden das ihrige; lasset christliche Familien, Zünfte und Gesellschaften einander so beistehn, als es die Juden einander zu thun gewohnt sind: wer wird den Preis vor dem Andern erjagen, Juden oder Christen? Und da Jene eben vom verderbtesten oder verfallensten Theil der Nation ihren verbotnen Gewinn ziehen, von verschwendenden Jünglingen z. B., von Großen, die in dürftiger Pracht, von Mächtigen, die bei ihren aufs Höchste gestiegnen Bedürfnissen in verschwendender Armuth leben: an wem liegt die Schuld, daß sie diesen verbotnen Gewinn haschen dürfen? Der üppig-dürftige Große mißbraucht sie, und sie mißbrauchen ihn siebenfach mehr; denn wo wäre ein Winkel, wohin ein Jude nicht kommen könnte? Der mächtige Verschwender läßt sie Andre drücken, damit er sie ausdrücken möge; ist die Schuld ganz die ihre? Stecken sie wie der Nagel in der Wand, dem man häusliche, oft häßliche Geheimnisse aufhängt, die, wie man sagt, nur ein ehrloser Jude wissen soll und darf, werden sie zwischen Thür und Angel geklemmt: was können sie thun, als dort in die Wand bohren, hier sich durchwinden, wimmern und beißen?

Wo also Juden sind, muß die Verbesserung bei ehrlosen Christen angefangen werden, die den Ebräer mißbrauchen. Ein Ministerium, bei dem der Jude Alles gilt, eine Haushaltung, in der ein Jude die Schlüssel zur Garderobe oder der ganzen Casse des Hauses führt, ein Departement oder Commissariat, in welchem Juden die Hauptgeschäfte treiben, eine Universität, auf welcher Juden als Mäkler und Geldverleiher der Studirenden walten, sind unauszutrocknende pontinische Sümpfe; die politische Bekehrung fängt vom unrechten Ende an, wenn sie den Juden trifft, nicht den Christen. Denn nach dem alten Sprichwort: »Wo Fäulniß ist, hecken Insecten und Würmer«. Ein dem Juden verhafteter oberer Stand drückt durch sie alle Stände; die härtesten Strafgesetze hierüber sind den Ebräern selbst Wohlthat. Zuerst muß das Ehrlose weg aus ihrer Zunft, ehe der Staat ihnen wahre Ehre erzeigen darf; so lange der Verdacht einer nationellen Ehrlosigkeit gegen sie da steht, sind alle Weißbrennereien vergebens.

Dies fühlt der Ebräer selbst. Eine Judenschaft, der ihr guter Name lieb ist, wird den Ehrlosen unter ihnen weniger schützen als die mit ihm zusammenhangenden oder erkauften und bestochenen Christen. Wenn er aus ihrer Mitte verbannt und sein Name vertilgt wird, ist's Jenen Freude und Gnugthuung; Schimpf und Schande dagegen, wenn ihn christliche Gesetze begünstigen und dulden. Ehrliebende Ebräer werden die Gelegenheiten nie gern sehen, da Einer ihres Geschlechts mit Recht und Unrecht zu einem überschwänglichen Reichthum kommt, weil er der ganzen Nation Haß und Neid aufladet. Sein Name, er heiße Süß oder Ephraim, wird Zeiten hinab auch dem Unschuldigen vorgerückt und er mit demselben gestäupt.

2. Wäre auf solche Weise der gute Name geschützter Juden in Sicherheit gesetzt und würde darin durch strenge Gesetze gegen Verlocker und Betrüger, gegen Hehler und Stehler, gegen Zins-, Trödel- und Betteljuden erhalten, so betrachte sich die Christenheit gegen das Judenthum als der machthabende, gebildetere Theil, gehe ihm mit edlem Beispiel voran und zwinge ihn gleichsam durch Vorsicht und Zutrauen zur Achtung gegen sich selbst, d. i. zur Ehre. Alle Gesetze, die den Juden ärger als Vieh achten, ihm nicht über den Weg trauen und damit ihn vor den Augen Aller täglich, stündlich ehrlos schelten, sie zeigen die fortwährende Barbarei des Staats, der aus barbarischen Zeiten solche Gesetze duldet. Um so mehr müssen diese Gesetze Rache, Haß oder mindestens verbissenen Groll erzeugen, da in manchem Betracht der Jude ein schärferer Ehrenrichter ist, als der gemeine Christ es sein kann. Diesen drückt gewöhnlich die Würde seiner Vorgesetzten und der höheren Stände wie Blei und Eisen zu Boden, daß er kaum aufrecht stehen, geschweige gerade sehen kann, indem von Kindheit auf seine Begriffe über Stand und Ehre verschoben und irre gemacht werden. Nicht also der Jude. Da er auf keine Würden im Staat Anspruch machen darf, wohl aber mit allen Ständen Gewerb hat, die Schwächen aller kennt und ihre Geheimnisse weiß, so lernt er Alles schätzen und wahren Werth vom falschen gewiß unterscheiden. Also auch für seine Person hat er ein reineres Gefühl für Ehre, als man ihm gewöhnlich zutraut, indem er diese von Complimenten, die ihm nichts completiren, sehr wohl unterscheidet und Schuldner-Complimente tief verachtet. Lessing insonderheit hat dies unbefangnere Urtheil gebildeter Juden, ihre schlichtere Art, die Dinge anzusehen, in Nathan dem Weisen dargestellt; wer darf ihm widersprechen, da der Jude als solcher von manchen politischen Vorurtheilen frei ist, die wir mit Mühe oder gar nicht ablegen? Meint Ihr nicht, daß, wenn statt des Marquis d'Argens ein Jude wie Nathan jüdische Briefe geschrieben hätte, diese in Vielem eindringender, scharfsinniger, selbst wahrer gewesen wären, als es jetzt die übrigens schätzbaren Lettres Juives sein konnten? Wer übertraf Spinoza an Consequenz, die er in sein System der Moral und Politik, selbst der Theologie brachte? Einen Orobio, Pinto, so manche treffliche Aussprüche und Parabeln der Rabbinen, die sich auf die feinsten Bemerkungen gründen, wird irgend ein Verständiger sie ohne Achtung lesen? Dem Pöbel der Schriftsteller zwar waren oft die sinnreichsten Parabeln aus Haß und Verkehrtheit bald lächerlich, bald verächtlich; woher aber? Weil er in ihnen (von allen ist nicht die Rede) den Sinn nicht faßte und sich an die oft kindisch scheinende Einkleidung muthwillig hielt. Daß endlich einmal diese Turlupinaden des Judenthums aus ihren Märchen aufhören, will zur Ehre christlicher Nationen selbst der fortschreitende Geist der Zeit, der auch die Albernheiten einer abgeschränkten Schule lieber zu erklären sucht, als daß er sie grob verhöhne. Unter Drangsalen, die dies Volk Jahrhunderte lang betroffen haben, welch andre Nation hätte sich auf dem Grade der Cultur erhalten, auf dem sie ihr inhaltreiches Buch der Bücher, die Sammlung ihrer heiligen Schriften, mit ihnen die Schreib- und Rechenkunst festhielt? Noth und ihr Gewerbe haben sie zu einem Scharfblick gebildet, den nur ein stumpfes Auge nicht wahrnimmt. Wenn nun im Felde der Menschheit jedem vorzüglichen Charakterzuge sein Lob gebührt, warum nicht diesem? Von der leidenschaftlosen, man möchte sagen, gesetzlichen Großmuth und Wohlthätigkeit edler Israeliten findet man hie und da Züge, die ebenso überraschen als befremden. Auch sie hat Lessing, wo er konnte, herausgesetzt,S. sein Lustspiel Die Juden, Nathan den Weisen u. s. w. – H. in Lebensbeschreibungen findet man oft dergleichen Züge; denn nicht alle Juden sind Shylocks.

3. Und wenn der größere Theil der Nation zu dieser Milde freilich noch nicht gelangt ist, was kann ihn dazu leiten als – eine bessere Erziehung, Moral und Cultur? Unvermerkt heben diese die Ungleichheit zwischen Menschen und Menschen auf; sie wecken das Gemüth und ebnen den Charakter. Nun hat der Staat unwidersprechlich das Recht und die Pflicht, Fremdlingen, die er schützt, eine Erziehung zu geben, die seinen Grundsätzen gemäß sei; die Sorge dafür ist er seinen Eingebornen schuldig. Für beide Theile trägt diese bessere Erziehung ihren Vortheil mit sich. Indem Juden- und Christenkinder nach einerlei Grundsätzen der Moral und Wissenschaft erzogen werden (von Religionsgebräuchen ist nicht die Rede), lernen sie einander kennen und achten, vergessen Vorurtheile, die sie sonst schieden; die ewigen Klagen gegen die böse Moral der Juden verschwanden von selbst, indem der Staat wußte, in welchen Grundsätzen sie erzogen werden. Wie es Pfleglingen abgesonderter Institute erging, daß sie menschenscheu in die Welt traten und selten gediehen, dagegen, unter Menschen erzogen, diese sie liebgewinnen und von ihnen liebgewonnen werden, so auch dem Judenthum, wenn es sich von der Nationalerziehung nicht mehr ausschließen darf. Gemeinschaftliche Cultur der Seele vereinigt die Menschen aller Zeiten, Gegenden und Völker. Wer denkt bei Spinoza's, Mendelssohn's, Herz' philosophischen Schriften daran, daß sie von Juden geschrieben wurden? Und wenn die Töchter Zion's dereinst ihren Vorfahren, einer Mirjam und Deborah, in Künsten der Muse nacheifern, wen wird es befremden? Ein jüdischer Dichter sagt sogar: »Was spricht die Tonkunst bei den Christen? Aus dem Lande der Ebräer bin ich entführt.« Man gebe sie ihnen also wieder.

Uebrigens zu welcher Lebensart die Juden geneigt seien, ist kein Problem mehr: die drei alten Welttheile haben es Jahrtausende hindurch längst aufgelöst. Wären sie geborne Kriegshelden, wie viele Anlässe unter Griechen und Römern, vorzüglich in den Mittlern Zeiten unter Christen, forderten sie auf, ihren Muth zu zeigen! Wären sie Seehelden, Künstler, Landcolone, bei den Reichthümern, die sie besaßen, bei ihrer Zerstreuung in alle Welttheile hätten sie längst etwas Außerordentliches zu Stande gebracht in Ländern und Zeiten, wo nichts sie hinderte, in jeder Kunst die Ersten zu werden! Die Kunst, worin sie die Ersten wurden, zeigen sie fortwährend. Räumte man ihnen also alle Zweige bürgerlicher Nahrung, Zunftgewerbe u. dgl. ein, so würden und müßten diese in ihrer Hand bald Verleger-Comtoirs werden, denen die Landeseigenthümer, die Kanaaniter, als Fabrikanten dienen, nach der Verheißung:Jesaias 61, 5 f. – D. »Fremde werden stehen und Eure Heerde weiden; Ausländer werden Eure Ackerleute sein; Ihr aber, das erwählte Volk, werdet die Frucht ihres Schweißes genießen und herrlich leben.« Wie der Talmud schreibt:Vgl. Schöttgen's Horae Hebraicae et Talmudicae in Novum Testamentum (Dresden 1733), S. 70. – D. »Wer hundert Gülden im Handel hat, kann alle Tage Fleisch essen und Wein trinken; wer hundert Gülden im Ackerwerk liegen hat, muß Kraut und Kohl essen, muß dazu graben, viel wachen und sich dazu Feinde machen. Auch weil wir niemals ein Thier oder einen Vogel gesehen haben, der ein Handwerk gekonnt hätte, auch keinen Hirsch, der Feigen aufgedürret, noch einen Löwen, der eine Last auf seinem Rücken getragen hätte, auch keinen Fuchs, der ein Krämer gewesen wäre: sie nähren sich Alle ohne Schmerzen, unangesehen, daß sie allein zum Dienst der Menschen erschaffen seien. Wir aber sind erschaffen, daß wir Gott dienen sollen; ist's nun nicht billig, daß wir uns ohne Schmerzen nähren?« Immerhin ohne Schmerzen, nur nicht durch Betrug und Ueberlistung!

Welche Aussicht wäre es, die Juden, ein so scharfsinniges Volk, der Cultur der Wissenschaften, dem Wohl des Staats, der sie schützt, und andern der Menschheit allgemein nützlichen Zwecken treu ergeben, in ihren Beschäftigungen und in ihrer Denkart selbst rein humanisirt zu sehen! Abgelegt die alten stolzen Nationalvorurtheile, weggeworfen die Sitten, die für unsre Zeit und Verfassung, selbst für unser Klima nicht gehören, arbeiteten sie, nicht als Sclaven an einem Koliseum, wohl aber als Mitwohner gebildeter Völker am größten und schönsten Koliseum, dem Bau der Wissenschaften, der Gesammtcultur der Menschheit. Nicht auf den nackten Bergen Palästina's, des engen, verheerten Landes, allenthalben stünde da geistig ihr Tempel aus seinen Trümmern empor; alle Nationen verehrten mit ihnen, sie mit allen Nationen verehrten den Weltschöpfer, indem sie sein Bild, Vernunft und Weisheit, Großmuth und Wohlthätigkeit im Menschengeschlecht ausbildeten und erhüben. Nicht durch Einräumung neuer mercantilischer Vortheile führt man sie der Ehre und Sittlichkeit zu, sie heben sich selbst dahin durch rein menschliche, wissenschaftliche und bürgerliche Verdienste. Ihr Palästina ist sodann da, wo sie leben und edel wirken, allenthalben.


Erste Beilage.
Lied zu Bewillkommung des großen Ruhetages der goldnen Zeit.Von Rabbi Salomo Hallevi. – H.

                      Der Vorsänger.

Auf, o Freund, der Geliebten entgegen!
Salome tritt heran; freundlich empfangen wir sie.Salome; das ganze Hohelied ward auf diesen Sabbath gedeutet. – H.
        (Die Gemeine wiederholt diese Worte.)

                      Der Vorsänger.

Gedenk und bewahre!Schamor und Zachor bei der doppelten Anführung des Gesetzes im ersten [17, 91] und fünften Buch [5, 1] Moses' sollen ein Laut gewesen sein nach der Auslegung der Rabbinen. – H. sprach der einige Gott
In einem Laut.
Der Ewige ist Einer, einig ist sein Name,
Einig in Ruhm, in Majestät und Preis.
      Auf, o Freund, der Geliebten entgegen!
      Salome tritt heran; freundlich empfangen wir sie.

      Eilet mit mir dem Tage der Ruh' entgegen,
Dem Urquell aller Seligkeit,
Vom Anbeginn zur Feier bestimmt,
Ein Ziel der Schöpfung im Entwurfe schon.S. 1. Mos. 2, 2 f. – H.

      Königs Tempel, Gottes Palast.
Tritt aus Deinen Trümmern hervor!
Zu lange rastest Du in öder Tiefe;
Erhebe Dich, von jetzt an immer verschont!

      Entschüttle Dich des Staubes, richte Dich auf!
Leg, o lege, mein Volk, den Festschmuck an!
Durch des Bethlehemiten Isai Sohn
Ahnet meinem Gemüth: »Die Befreiung ist nah!«
      Auf, o Freund, u. s. w.

      Ermann, ermuntere Dich!
Siehest Du jenes Licht? Es schwindet schon.Die Reiche der Völker. – H.
Mein Licht bricht hervor! Auf! stimme den Psalter an!
Die Herrlichkeit des Ewigen erscheinet über Dir!Jesaias 60, 1. – D.
      Auf, o Freund, u. s. w.

      Was betrübst Du Dich? Warum bangest Du?
Nie wirst Du mehr beschämt und schamroth stehn.
Schutz findet in Dir der Arme meines Volks,
Fest wirst Du zur unüberwindlichen Stadt gebaut.
      Auf, o Freund, u. s. w.

      Die Dich beraubten, werden zur Beute werden,
Und fern Dir sein, die Dich zerstöreten;
Dein Gott wird sich erfreuen über Dir,
Wie der Bräutigam an seiner Braut sich freut.Jesaias 62, 5. – D.
      Auf, o Freund, u. s. w.

      Links und rechts wirst Du ausbreiten Dich
Durch ihn, den Mann vom Parsengeschlecht.Von Perez, »Zertheilung«, 4. Mos. 26. 20. – H.
Verbreiten wirst Du rings des Ewigen Preis;
Wir freun uns Deiner, wir werden fröhlich sein.
      Auf, o Freund, u. s. w.

      Willkommen uns, Du Krone des Manns,Sprüche Salom. 12, 4. – H.
Tritt herein, o Geliebte, mit Freud' und Jauchzen herein,
In den Chor meiner Treuen, des geliebten Volks!

                                Alle.

Tritt herein, o Geliebte! Salome, tritt herein!
Auf, o Freund, u. s. w.Hier folgten zunächst zum Schlusse des ersten Stückes des vierten Bandes der Adrastea die »Jüdischen Parabeln« (die vierte Sammlung der »Blätter der Vorzeit«, Werke. VI. S. 74–83; vgl. daselbst S. 18 f.), wozu die nachträgliche Bemerkung gestattet sei, daß Herder hier die oben genannte Schrift Schöttgen's (Dresden 1733) und Menschen's Novum Testamentum ex Talmude illustratum (Leipzig 1736) benutzt hat. So ist »Treue« (S. 74) wo Pinchas zu lesen, aus Schöttgen, S. 582, »Der africanische Rechtsspruch« (S. 75) aus S. 46 f., »Weingefäße« (S. 76) aus S. 690, »Alles zum Guten« (S. 77)aus S. 535 f., »Der Tag vor dem Tode« (S. 80) aus Menschen, S. 106, »Der Lohn der zukünftigen Welt« (S. 81) aus Schöttgen, S. 187 f. entnommen. Aus Eisenmenger (II. 321, I. 874, 876) sind »Der Ueberwinder der Welt« (S. 79) und »Der Engel des Todes« (S. 82) geschöpft. Den Anfang des folgenden Stückes bildete die Fortsetzung der »Chinesischen Exempel der Tage« (9–16) Werke, VI. S. 245–253. – D.


Zweite Beilage.
Lord Herbert's von Cherbury Himmelszeichen für die Wahrheit.Diese Überschrift fehlt im Text der Adrastea, steht aber im Inhaltsverzeichnisse derselben. – D.

Als Lord Herbert von Cherbury, ein Ritter edel und kühn, galant, gelehrt und zu jedem Geschäft tüchtig, seine Bücher »Von der Wahrheit«, imgleichen »Ueber die Ursachen der Irrthümer und über die Religion der Laien« im Jahr 1624 als Gesandter zu Paris herausgeben wollte, sandte er sie in der Handschrift dem Hugo Grotius, der damals gleichfalls Gesandter zu Paris war. Sie gefielen ihm wohl; er ermunterte den Ritter zur Ausgabe dieser Schriften. Noch aber mit Grotius' Billigung nicht zufrieden, forderte Dieser gleichsam den Himmel heraus, sein sorgsames Gemüth, ob er das Buch herausgeben sollte, durch ein Zeichen zu vergewissern. »So voller Zweifel«, schreibt er, »saß ich an einem heitern Sommertage in meinem Zimmer; mein Fenster war gegen Süden offen, die Sonne schien hell, kein Lüftchen regte sich. Ich nahm mein Buch »Von der Wahrheit« in die Hand, warf mich auf meine Kniee und betete andächtig in diesen Worten : »O Du ewiger Gott, Du Urheber dieses Lichts, das mich jetzt bescheint, Du Geber aller innern Erleuchtung! Ich flehe Dich an nach Deiner unendlichen Güte, mir eine größere Bitte zu verzeihen, als Dir ein Sünder thun sollte. Ich bin nicht überzeugt genug, ob ich dies Buch bekannt machen darf oder nicht. Gereicht die Bekanntmachung desselben zu Deiner Verherrlichung, so bitte ich Dich, gieb mir ein Zeichen vom Himmel! Wo nicht, so will ich es unterdrücken.« Kaum hatte ich diese Worte ausgeredet, als ein lautes und doch zugleich sanftes Getöse vom Himmel kam; denn es war keinem Schall auf Erden ähnlich. Dies richtete mich dermaßen auf und gab mir eine solche Befriedigung, daß ich mein Gebet für erhört hielt und das verlangte Zeichen zu haben versichert war. Hierauf entschloß ich mich also, mein Buch drucken zu lassen. Ich bezeuge vor dem allwissenden Gott, daß dies, so fremd es auch Manchem scheinen mag, wahr ist. Ich bin auch gewiß nicht abergläubischer Weise hierin betrogen worden. Denn ich hörte nicht nur das Getöse ganz deutlich, sondern ich wollte auch noch den Ort zeigen, woher es kam. Es war der heiterste Himmel, den ich jemals gesehen habe, und kein Wölkchen an demselben.«Leland's »Abriß deistischer Streitigkeiten«, Theil 1. S. 614. Das Leben des Lords, von ihm selbst geschrieben, erschien in London 1764. Aus ihm ist Obiges eine Stelle. – H.

Was der Lord hier vom Himmel begehrte, erfährt das Gemüth jedes ehrliebenden Mannes. Wer die Wahrheit sucht, worüber es sei, wer sich der Absicht, zum Besten der Menschheit wirken zu wollen, redlich bewußt ist, warum wollte er auf ein Zeichen vom Himmel warten? Was für Diesen nicht ist, ist für Jenen; was heute nicht nützt, nützt morgen.


Dritte Beilage.
Stellen aus Luther fürs Bekenntniß der Wahrheit.Diese Überschrift steht gleich der vorigen blos im Inhaltsverzeichnisse der Adrastea. – D.

»Aergerniß hin, Aergerniß her,« sagt Luther, »Noth bricht Eisen und hat kein Aergerniß. Ich soll der schwachen Gewissen schonen, sofern es ohne Gefahr meiner Seele geschehen mag; wo nicht, so soll ich meiner Seele rathen, es ärgere sich daran die ganze oder halbe Welt.

Die Stelle ist Luther's »Auslegung des Evangelii am andern Christtage« entnommen und lautet im Original: »Das siebente [Stück, oder: Frucht und Kennzeichen der Kraft des Wortes Gottes] ist, daß sie [die Hirten] frei bekennen und öffentlich predigen das Wort, das ihnen gesaget war von dem Kinde, welches ist das höchste Werk im christlichen Leben«. Wir haben den Wortlaut nach der Ausgabe von Walch (XI. 206) hergestellt. Bei Herder steht: glauben und selber, ficht. – D»Frei bekennen und öffentlich predigen das Wort, ist das höchste Werk im christlichen Leben; daran muß man wagen Leib und Leben, Gut und Ehre. Denn recht glauben und wohl leben heimlich und bei ihm selbst, fichtet der böse Geist nicht so hart an; aber wenn man will herausfahren, dasselbe bekennen,Bei Luther: »heraus fahren und dasselbige ausbreiten, bekennen«. – D. predigen und loben, auch den Andern zu gut, das mag er nicht leiden. –Die folgenden drei Zeilen stehen in Luther's Schrift: »Daß diese Wort' Christi (Das ist mein Leib etc.) noch fest stehen« Wittenberg, Michael Lotther 1527), fol. Bv. Wir haben nach dem Urtext geändert, woselbst die stelle beginnt: »Lieber, ein sicher« etc. Bei Herder fehlt also; dann steht: sagt, heraus, selber. – D. Ein sicher Gewissen, das der Sachen gewiß ist, fitzelt und fetzelt nicht also, es sagt's dürre und frisch eraus, wie es an ihm selbs ist. –

»Mit dem Evangelio zu unsrer Zeit ist's gleich als mit einem Menschen, der da sterben will, dem jetzt die Seel' auf der Zunge ist, daß er nur ein Wenig die Zunge rührt und murmelt die Worte: »In Deine Hände befehl' ich meinen Geist.« Also sind wir jetzt der letzte Druck des Evangelii. –Bei Walch, XII. 585, lautet die nachfolgende, Luther's »Auslegung der Epistel am ersten Sonntage in der Fasten« entlehnte Stelle: »Aufs andere zeiget er die Gefahr an, daß man die Gnade nicht versäume. Damit er gewißlich anzeiget, daß die Predigt des Evangelii nicht eine ewige, währende, bleibende Lehre ist, sondern« etc. Sprachliche Abweichungen sind auch hier nach Luther berichtigt. – D. Das Evangelium ist nicht eine ewig währende, bleibende Lehre, sondern ist wie ein fahrender Platzregen, der dahin läufet. Was er trifft, das trifft er; was fehlet, das fehlet. Er kömmt aber nicht wieder, bleibet auch nicht stehen; sondern die Sonne und Hitze kömmt hernach.Bei Luther: »hernach und leckt ihn auf etc.« – D. Das giebt auch die Erfahrung, daß an keinem Orte der Welt das Evangelium lauter und rein blieben über eines Mannes Gedenken, sondern so lange Die blieben sind, die es aufbracht haben, ist's gestanden und hat zugenommen; wenn Dieselbigen dahin waren, so war das Licht auch dahin, folgeten so balde darauf Rottengeister und falsche Lehrer. –

»Das Evangelium muß Jedermanns Fußtuch sein, daß alle Welt darüber laufe und mit Füßen trete, sammt seinen Lehrern und Schülern. Fürsten und Herren verfolgen's, böse Buben schänden's und lästern's. Und ob es gleich nicht durch Krieg und Mord getilget wird, so wird es doch bei der Verachtung und Undankbarkeit der Welt durch Lügen und falsche Lehr' untergehen.

»Wenn der Teufel so klug wäre und schwiege stille und ließe das Evangelium predigen, so würde er weniger Schaden haben. Denn wenn das Evangelium nicht angefochten wird, so verrostet es gar und hat keine Ursach, seine Gewalt und Kraft an Tag zu geben.«



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