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Die vielen und angenehmen Reisebeschreibungen nach Orient, die unter Ludwig XIV. erschienen waren, d'Arvieux', Chardin's, Tournefort's, Tavernier's, Thevenot's u. s. w., Herbelot's »Bibliothek«, Galland's »Tausend und eine Nacht« hatten die Europäer mit asiatischen Sitten so bekannt gemacht, daß der Orient ihnen näher gebracht schien. Reisebeschreibungen der Engländer, Maundrell's, Pococke's, Shaw's, Russel's u. s. w., brachten ihn den Gelehrten, den Theologen insonderheit noch näher, und so mußte, fast ohne oder wider Willen, die Frage entstehen: »Sind diese Sitten, diese Denkart und Lebensweise, diese Ausdrücke selbst auf die Schriften der alten ebräischen Nation anwendbar? Leben die Stammväter dieses Volks nicht noch in den Sceniten? Hiob als arabischer Emir? die Könige von Juda und Israel noch in manchem morgenländischen Befehlshaber? Man verglich und fand eine Einförmigkeit der Denk- und Lebensweise, des Ausdrucks selbst bei allen sogenannt semitischen Völkern zum Erstaunen. Die Schriften der alten Ebräer und ihre Traditionen erläuterten sich dadurch von selbst, sie traten aus einer mystisch-rabbinischen Dämmerung ins Licht einer gemeinen Völkeransicht.
Man schritt weiter. Die alten Aegypter hatten symbolische Anstalten gehabt, die man Gottesdienst nannte; in einem Orden, einer Priesterclasse waren diese befestigt. Sie sprachen durch Gestalten, Figuren, Buchstaben, Gebräuche, Thiere, gar durch heilige Gebäude. Die politische Verfassung der Ebräer stammte aus Aegypten, manche Gebräuche waren einander ähnlich, andre einander entgegengesetzt feindlich. Sollte sich dazu die Ursache nicht finden lassen? sollte nicht der Genius eines Volks die Anstalten des andern erläutern? Man fand, man übertrieb Manches; die Forschung in den Alterthümern beider Völker weckte sich durch einander.
Endlich die Cultur der noch lebenden, noch blühenden arabischen Sprache selbst. Jahrtausende lang war die ebräische ausgestorben, nur aus der Kindheit des Volks hatte sie sich in Schriften erhalten, indeß die arabische in Studien mancher Art fortgeschritten war und auf Europa selbst viel gewirkt hatte. »An einer lebendigen Schwestersprache«, sagte der große Albert Schultens, »muß man es versuchen, wenn man in den Gründen der gestorbenen Schwester nicht weiter fortkann«; so schrieb er seine Origines Ebraeae, sein Werk von den Mängeln der ebräischen Sprache, Werke voll Scharfsinns und ächten philosophischen Sprachgeistes. So erläuterte er den Hiob, die Sprichwörter; Andre aus seiner Schule, gelehrte Männer, treffliche Philologen, schritten ihm nach. Auf andre Sprachen, die griechische sogar, ging diese Sprachphilosophie über.
»Wie aber? wurden dadurch die ebräischen Schriften nicht von gemeinerer Art? verloren sie nicht an ihrem Inhalt, wenn sich das Vorurtheil verlor, daß diese Sprache selbst göttlicher Erfindung und Construction sei, mithin auch ihre Auslegung besondrer, göttlicher Art sein müsse?« Die einzige göttliche Art der Auslegung ist natürlich, vernünftig; rabbinische Träumereien, die sich auf nichts gründen, sind es nicht, stolze Vorurtheile endlich, die nur dem Spott Platz machen, sind es am Mindesten. Eine Reihe Vorurtheile gegen den Inhalt dieser Schriften fallen weg, seitdem man sie gesund, d. i. local und zeitmäßig anzusehen und auszulegen gelernt hat; ein großer Theil von Voltaire's Späßen paßt nicht mehr auf dieselben. Jene frommen Rechtfertigungen, die man Ehrenrettungen der Schrift, biblischer Personen u. s. w. nannte, mit denen man sich selbst schamroth rechtfertigte, sind ebenso unbrauchbar als unnoth worden; man will an und in diesen Büchern nicht mehr und Anders, als sie sein wollen und geben, man will sie national, im Geist ihrer Zeit ansehen und erklären. Die Vorwürfe des Fragmentisten z. B., den Lessing herausgab, fallen größtentheils hinweg, sobald man diese Schriften in ihrem, nicht in erborgtem, fremdem Sinn liest. Wäre es kein Gewinn, von albernen, Mühe und Zeit kostenden Winkelvorurtheilen frei zu sein und am großen Licht der Sonne diese wie andre Schriften zu lesen? Wir Protestanten freuen uns des gesunden Menschenverstandes, mit welchem Luther, Brentius, Pellican, Melanchthon und so viel andre treffliche Männer diese Schriften ansahn, wir freuen uns des Heldenmuths, mit welchem unser Reuchlin das Studium der ebräischen Sprache nach gesunden Grundsätzen für alle künftige Zeiten rettete; von Hieronymus an bis zu Erasmus, Grotius u. s. w. ist jeder sprachgelehrte, gesunde Ausleger unser Mitbruder, in der Grammatik und Hermeneutik gilt kein Stand, keine Secte. Allein die gesunde Vernunft, mit Redlichkeit des Herzens, Natur- und Sprachkenntniß verknüpft, einigt Gemüther, Zeiten und Völker.
Also ist das Lob einiger Männer des vorigen Jahrhunderts nicht zu übergehen, die sich auf dieser Bahn, obwol anfangs mit vielem Widerspruch, Verdienst und Ruhm erwarben. Am Anfange des vorigen Jahrhunderts gab Thomas Hyde, Professor zu Oxford, sein Werk von der Religion der alten Perser heraus,Th. Hyde De religione veterum Persarum. Oxonii 1700. 4. – H. das wegen seiner aus Morgenländern, vorzüglich Arabern gesammelten Stellen großen Beifall fand und auch verdiente. Ueber die Mitte des Jahrhunderts hinaus blieb es die Summe dessen, was man von Zoroaster wußte, zumal man mit dem daselbst auch gelieferten Sadder den Zend-Avesta zu besitzen glaubte. Hyde und Brisson, den Lederlin vermehrt herausgab,Brissonii De regio Persarum principatu libri III, cura et opera Lederlini. Argentorati 1710. – H. waren die ersten classischen Werke, denen man folgte.
Im Jahr 1771 erschien zu Paris Zend-Avesta, Zoroaster's Werk, aus dem Zend übersetzt von Anquétil du Perron, mit seinen Anmerkungen, mit Proben der Ursprache und einer Beschreibung der Reise, die Anquétil in den Besitz dieser und andrer Sprachen, auch einer zahlreichen Menge Handschriften in ihnen gesetzt hatte. Bald erhoben die Engländer ihre Stimmen dagegen; W. Jones, Richardson u. A. stritten die Aechtheit der Sprachen und Schriften, der Person des Zoroaster's selbst an; Meiners mit seinem großen Schwert hieb nicht nur Zerduscht, sondern die ganze Philosophie der alten Perser zu Boden:De Zoroastris via, institutis, doctrina et libris, in den Novi Commentarii Societatis scientiarum Gottingensis, Vol. VIII, IX. – H. sie waren und blieben Barbaren; da liegen sie bei einander. Anquétil, Foucher, Tychsen zu Göttingen u. A. sammelten über diesen Zoroaster oder Zerduscht die Stellen der Alten und auswärtigen Völker, und was am Meisten entschied, waren die Producte selbst, das Mitgebrachte, die Bücher, die Sprachen. Sie sind da, nicht zu verwerfen, sondern zu erklären.
Und sie werden erklärt werden. Sobald man aus spätern Zeiten gefaßte Vorurtheile zu vergessen und sich ins Local jener Vorzeit zu setzen weiß, wenn d'Anquétil's mitgebrachte Zend- und Pehlvi-Wörterbücher sammt dem, was in der Propaganda dazu vorhanden gewesen, bekannt gemacht oder genutzt sein wird (sehr zu wünschende Vorhilfe), und dann ein glücklicher Genius, der das Morgen- und Abendland, Persien und Griechenland zu einigen weiß, sich regt: wird man sich seiner absprechenden Zweifel nicht etwa nur schämen, vergessen werden diese sein oder werden. Immer hat d'Anquétil mit Mühe und Lebensgefahren ein Werk ausgerichtet, worauf er selbst nicht ausging, und das man bezweifelt, nachdem man es vor sich sieht, ein Werk von noch unübersehenen Folgen für die ganze morgenländische Geschichte. Mögen mehrere Reisende den Spuren d'Anquétil's folgen und dorther bringen, was ihnen Geld und Glück zuführt, Handschriften, Alphabete, Wörterbücher, Idole! Die Zeit weiß Alles zu gebrauchen.
J. D. Michaelis, eines still verdienten Philologen Sohn, hat auf so viele Stellen der ebräischen Sprache, Alterthümer und Geschichten so gesunde Ansicht gebracht, sein Mosaisches Recht erläutert Manches so vernünftig, daß man ihm das Weitläuftige seiner Schreibart wol zu gut halten mag. Die Grundsätze, darauf er baute, waren zwar nicht die seinigen, sondern A. Schultens', so wie er in andern den Spuren Richard Simon's u. A. nachging und überhaupt fremde Winke sehr nutzte; geleistet hat er indeß, was sonst kaum Zehn leisten, und er verdiente es nicht, als akademischer Lehrer sich selbst zu überleben. Auch einigen poetischen Geschmack brachte er in die Ansicht der Bücher, die er übersetzte und auslegte, obwol ungebildet. Er hat viele, auch undankbare Schüler gezogen, deren Kenntnisse und Ruhm eigentlich doch ihm gehörten. Der Universität Göttingen gab er in seinen besten Jahren Glanz und Zierde; die gesundere Kritik biblischer Schriften ist durch ihn sehr verbreitet.
J. A. Ernesti, ein Mann, der in Mosellan's, Erasmus', Grotius' Geist schrieb und lehrte, viele Schüler bildete und in W. A. Teller's, Morus', Tittmann's, Schleußner's u. A. Schriften und Schülern fortlebt. Die Wörterbücher des ersten und letzten dieser Genannten enthalten Ernesti'sche Kritik mit freierer Ansicht, so wie dieser Schule auch die reinere lateinische Sprache in Deutschland ihre Erhaltung (keinem andern Philologen anzüglich) fast verdankt.
Was Ernesti, obwol in gemessenen Schranken, grammatisch that, bewirkte J. S. Semler durch Darhaltung der Kirchengeschichte mit weit freierem Geist, ein Mann, der zu bescheiden von sich dachte und aus schwacher Redlichkeit zuletzt kaum selbst wußte, was er wollte. In seinen schwer zu lesenden Schriften liegen noch viel ungenutzte Goldkörner.
J. G. Eichhorn – Giebt es unter unsern jetzt lebenden Philologen einen Mann von stillerem Verdienst? Nie hat er in seiner »Allgemeinen Bibliothek der biblischen Literatur«, einem bisher noch unersetzten Werke, auf Angriffe unglimpflich geantwortet, vielmehr Gegner und Feinde wie Freunde angekündigt. Sein »Repertorium für biblische und morgenländische Literatur« enthält, wie vorgenannte »Bibliothek«, mitunter erlesene Stücke der Kritik, sein Simonisches Wörterbuch, seine »Einleitung ins Alte Testament«, seine Apokalypse gelten für die besten Schriften ihrer Gattung. In seine Studien bringt er Geschmack und hat ein Herz zu seinen Schülern, deren er viele und dankbare zählt. Kein frommer Alfanz der Briten oder Deutschen kann seinem Verdienst schaden; da er den Ruhm verdienter Briten und Deutschen selbst gewissenhaft würdigt, so muß ihm ein Gleiches widerfahren.
Robert Lowth, Bischof in London. Durch seine lateinischen Vorlesungen über die heilige Poesie der Ebräer, die er in Oxford gehalten hatte, gab er diesem Inhalt ein Ansehen, da sonst schwache Seelen in der Bibel keine Poesie finden wollten. Sein Buch, das in einer angenehmen Sprache wenig Neues enthält, gab dem Göttingschen Herausgeber, J. D. Michaelis, zu Anmerkungen Gelegenheit, die tiefer gehen und mehr enthalten.Rob Lowth, De sacra poesi Ebraeorum. Gottingae 1768. Vol. I, II. – H. Bei Weitem ist diese Poetik noch nicht erschöpft; wohl Dem, der sie im angefangenen Jahrhundert vollendet!
Endlich bringen wir mit frommer, aber armer Hand dem Andenken des Mannes zu spät ein Scherflein dar, den während seines Lebens bei aller seiner seltnen Gelehrsamkeit, bei allem seinem unermüdeten Fleiße fast immer bitterer Mangel drückte, J. J. Reiske. Er hat selbst sein Leben beschrieben, der bescheidne, oft betrogne Mann; sein würdiges Weib, gelehrt wie er und biegsamer wie er, hat es mit angehängtem Verzeichniß seiner Schriften vollendet.J. J. Reiskens von ihm selbst aufgesetzte Lebensbeschreibung. Leipzig 1783.– H. Lohne der Himmel jedem Guten, der sich um ihn bemühte oder ihm und seiner Wittwe mit Rath und That beistand, seine Güte! Die braven Männer Lessing, Suhm, Oefele, Reimarus, Popowitsch u. A. sind unter ihnen; schlechte, gemeine Seelen drückten ihn oder mißbrauchten ihn geizig, niedrig.
Entziehe das Verhängniß, das die Dinge wunderbar leitet, unserm Europa nie die beiden Handhaben der östlichen und südlichen Welt, die persische und arabische Sprache; mache es sie aber in seinen Händen zu Werkzeugen nicht des Betruges und der Unterdrückung, sondern gemeinschaftlich-höherer Wohlfahrt und Segens! Auch in Europa wollen wir mit diesen Sprachen nicht spielen, sondern aus ihnen und durch sie lernen. An Hafis' Gesängen haben wir fast gnug; Saadi ist uns lehrreicher gewesen. Blühe die Hoffnung auf, die wir an Hammer,Damals östreichischer Legationssecretär in Constantinopel. – D. einem glücklichen jungen Mann voll Sprachkenntniß und Gaben, aus Orient erwarten!