Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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7. Deutsche Hoheit.

Fragment.


»Allergetreuestes und höchstschuldiges Trauer- und Thränenopfer, welches bei Höchstseligstem Absterben und darauf erfolgten Siegreichen Himmelfahrt der Glorwürdigsten N. N. Majestät, wie auch allergehorsamstes Glückwunsch- und Freudenopfer, so bei allererfreulichstem und Gott gebe! Höchstglückseligstem Regierungsantritt der geheiligten N. N. Majestät mit höchstem Eifer und niedrigster Demuth abgestattet und zu der damal-regierenden N. N. Majestät Füßen Anno MDCCV allerunterthänigst niedergelegt worden.

»Kaum, da des Höchsten Hand bei Höchstädt uns erquicket,
Da Frankreichs Sonne wich nach ihrem Untergang,
Da Deutschland seine Feind' mit Blut zurückgeschicket
Und nach so langem Weh das Hallelujah sang:
Da will sich auch die Sonn' in Osten von uns wenden,
Und unser Kaiser stirbt mit Lorbeern in den Händen.

»– Doch Seufzer, haltet still! verzehret Euch, Ihr Zähren!
Die Sonn' geht zwar zur Ruh nach wohlvollbrachtem Lauf,
Der Himmel aber will schon wieder sich verklären,
Es geht im Orient ein' andre Sonne auf,
Die durch des Höchsten Gnad' wird immer höher steigen,
Bis daß sich Sonne, Mond und Sterne vor ihr neigen« u. s. w.»Pomona oder aufgesammelte Früchte der Einsamkeit von verschiednen poetischen Deutschen, auch andere Gedanken und Erfindungen«, Nürnberg 1726. Der Verfasser war kein gemeiner Dichter, sondern Sr. Kaiserlichen Majestät wirklicher, Sr. Kurfürstlichen Eminenz und Gnaden Geheimer Rath, seiner Republik Duumvir, Kaiserlicher Prätor u. s. w. – H.

So schrieb man zu, so verschte man zu Anfange des verlebten Jahrhunderts in Deutschland. Mit wenigen Ausnahmen tönte dieser leere Posaunenton von der Nord- und Ostsee zum Rhein, zur Donau, zu den Alpen. Von der höchsten Majestät an in beiden Geschlechtern, mit eingeschlossen den neugebornen Prinzen von Asturien, durch alle Kur- und Fürstenhäuser, durch neunhundertneunundneunzig regierende Höfe und Domcapitel, voll hoch- und hochwohlgeborner Mäcenaten, Excellenzen, lebten allenthalben erhabne Wunder der Welt, unvergleichbare Muster in jeder Vollkommenheit und Tugend, in jeder Wissenschaft und Kunst, vornehmlich aber in der Dichtkunst. Wie Lohenstein und Hofmannswaldau waren, seit die Welt stand, keine Poeten gewesen; der göttliche Schurzfleisch übertraf alle.S. die Vorrede zu des »Schlesischen Helikon's auserlesenen Gedichten«. 1699. Unverschämteres kann man nichts lesen. – H. Auf jeder Universität Deutschlands glänzten, brannten und flammten Lichter, vor denen der Erdkreis sich neigen mußte; bei jedem Protectoratwechsel ging eine neue Sonne auf. Ein Doctorgrad war die höchste Würde der Sterblichkeit, die in feuriger Gluth also besungen ward:

»Bei Deiner Lorbeern Pracht wallt meiner Wünsche Loh',
Ein Zunder fachet an mein feuriges Bemühen« u. s. w.Barthol. Feindes deutsche Gedichte. 1708. – H.

Zu dieser Aufgeblasenheit gesellte sich noch eine besondre Unart. Fast lobte man keinen Deutschen, ohne daß man die Ausländer grob schmähte. Am Uebelsten ging es dem Erbfeinde des deutschen Reichs. Denn, sagte man fein und witzig:

»Denn wenn man einen Bel-EspritEsprit ist zu lesen, daß es mit sieht reime. – H.
Aus Frankreich in Person auf deutschem Boden sieht,
So glaubt man allezeit, daß der Akademist
Ein Gaukler und ein Gaudieb ist.«

Wie in aller Welt kamen die Deutschen, denen sonst das Lob männlicher Bescheidenheit gebührte, zu diesem eklen Selbstlobe? Wie kamen sie, denen sonst kalte Billigkeit in Schätzung fremder Verdienste eigen war, zu einer unbilligen, groben Verachtung andrer und zwar der Nationen, die sie nachahmten, von denen sie borgten? Indeß sie Italienern und Franzosen, einem Balzac, Voiture, Le Pais, Boileau u. A. nachhinkten, thaten sie groß. Wie endlich kam die denkende Nation zu jener schrecklichen Gedankenleerheit, die ernste Nation zu jenen kindischen Wort- und Bilderspielen, die edle Nation zu jener elenden Kriecherei, bei der sie sich staubleckend die erste der Welt dünkte? Es waren böse Erbschäden, die sie drückten; wollte der Himmel, daß sie nach einem für sie traurig ausgegangenen Jahrhundert ganz davon geheilt wäre!

Fürs Erste stellte Deutschlands Verfassung selbst die Nation auf eine steile Höhe, auf der sie sich leicht über alle Völker Europa's erhaben dünken, eben damit aber auch leicht verächtlich oder lächerlich machen konnte. Mit Recht galt ihr Kaiser als das Oberhaupt der Welt, der damals, als ihn die Engländer mit Volk, Geld, Schiffen und Ruhm unterstützten, ihrer Königin noch den Titel der Majestät weigerte. Wie hoch Leibniz, wie hoch deutsche Publicisten die Würde des Reichs setzten, ist Jedermann bekannt. Was davon und darüber gesprochen ward, war mit allergnädigsten und allerunterthänigsten Superlativen dergestalt überladen, daß oft den Sinn der Rede zu finden schwer ward, geschweige daß in dieser himmelhohen Entfernung ein richtiges Maß der Dinge in Gedanken und Worten stattfinden konnte. Nun waren durch den westphälischen Frieden so viele kleine Monarchen in Deutschland entstanden, die alle an dieser höchsten Würde Theil nahmen; Höfe und Domcapitel waren mit Großkronbeamten, Ministern und Mäcenaten so reich und dick besetzt, daß von ihnen nie gnug zu singen und zu sagen war, ob sie gleich selbst dem größten Theil nach Verse und Schulfüchse verachteten, jene weder lasen noch verstanden, überhaupt aber für die Wissenschaften nichts thaten. Heräus' Entwurf zu Aufrichtung einer deutschen Sprachgesellschaft, so hoch er angestimmt war,Sein Plan, in Wien eine neue Sprachgesellschaft an die Stelle der zu Weimar 1617 gegründeten fruchtbringenden Gesellschaft zu setzen, war ganz nach französischen Grundsätzen entworfen. Früherer und späterer Versuche gedenkt Gervinus, III. 474 ff. – D. ward so wenig beachtet, als Leibnizens treffliche Vorschläge für die Wissenschaften, das einzige Berlin ausgenommen, Gehör fanden. Desto lauter pries man, was noch nicht geschehen war, und sah sich bereits hoch über allen Akademien Ludwig's. Jede Standeserhöhung und Hoflustbarkeit empfing, als den Wissenschaften und dem Ruhm Deutschlands höchst erfreulich, die unterthänigsten Acclamationen. Als Friedrich I. die preußische Krone aufsetzte, als ein neunter Kurfürst ernannt ward, als Hannover die Krone Englands erlangte, als die Königin Karoline dahinging u. s. w., Himmel, welche Zurufe über den nunmehr erstrebten höchsten Ruhm Deutschlands! Mit jeder neuen Staatsherrlichkeit erschien eine neue goldne Zeit, die höchste Glücksveränderung des höchstglücklichen Vaterlandes. Dergleichen Glücksfälle trugen sich nun so oft zu, und weil sie bis zum gemeinsten Landedelmann, zum Lehrer jeder Universität der zahlreichen Universitäten Deutschlands, zu jedem Rathsgliede und Beamten der zahlreichen Reichsstädte und derselben sämmtlichen hochpreislichen Familien hinabstiegen, welch ein reiches Feld des Jubels war seiner hofreichen und reichsherrlichen Einrichtung nach Deutschland!

Wir haben viel für unsre Nation zu bitten; eine der nothwendigsten Bitten scheint die, daß der Himmel sie vor eitelm Stolz, mithin (denn beide sind unzertrennlich) vor Niederträchtigkeit bewahre, oder sollte dieser Flecke auf uns sein, daß er ihn, wenn auch mit der schärfsten Lauge, wegbeize. Kriechende Gefälligkeit, ein schales Loben, wo nichts zu loben ist, sinnlose Titular- und Bücklingsschmeicheleien, die alle gerade Anrede der Menschen und Stände gegen einander aufheben, die Kanzleien ermüden und den Geschäftsstil nicht nur, sondern oft die gesunde Vernunft verderben, jene süßliche Hingabe, die man (man verzeihe der niedrigsten Sache einen niedrigen Ausdruck) kaum anders als deutsche Hundsfötterei nennen könnte, legen uns treudevotest zu Füßen der Majestät Dulness. Die meisten Nationen Europa's haben sich diesen Wortpraß erleichtert oder ihn weggeworfen, weil er, die Larve knechtischer Falschheit, den Charakter einer Nation abstumpft, jedem Vortrage seine Richtung und Schärfe nimmt und die ganze Rede in ein »Um den Brei gehn« verwandelt, zu dem wir Deutsche am Wenigsten gemacht sind. Und eben wir Deutsche tanzen nicht nur noch in diesem spanischen Mantel, sondern unsre Formularisten setzen in diesen Tanz sogar alle Kunst ihres Geschäftes, so daß sie vor lauter falschen Umschreibungen und Titularbrücken zur Sache, zu Person und Geschäft nicht kommen mögen. Und wenn wir mit dieser Kriecherei jenen chinesischen Stolz vermählen, uns und das Unsrige als das Erste in aller Welt loben; wenn wir (Abgrund der Niedrigkeit!) Den, der höflich mit uns umgeht, eben deshalb zurücksetzen zu dürfen glauben, dem groben Fordernd-Stolzen dagegen freundlich und gewärtig den Nacken darbieten, um etwa hinter dem Rücken ihm nachzuspötteln: eine solche Mischung der widerwärtigsten Dinge, die man uns Schuld giebt, wäre sie der einfachen, herzhaften, redlichen Deutschen Charakter? Gewiß nicht! Von Publicisten und Geheimschreibern, von Hof- und Schulfüchsen ist er ihnen angezettelt, aufgezwängt, aufgeschwänzt. Gutwillig geben sie sich hin und wurden und werden gemißbraucht.

Woher, daß aus so manchen anfangs wohlgemeinten Anstalten zu Bildung der Sprache und des Geschmacks in Deutschland wenig ward? Weil die Großen damit nur spielten und das Ernsthafteste ihnen nur eine Hoflust wurde, die man, übergesättigt, als abgeschmackt wegwarf. So z. B. die fruchtbringende Gesellschaft des siebzehnten Jahrhunderts; sie spielte mit Namen, Bildern und Reimen als einer Hofmaskerade; die 63 Herzoge, 54 Fürsten, 89 Grafen, 640 Edelleute, die sie als Mitglieder zählte, was haben sie gefruchtet? Unglücklich, daß die Deutschen von je her mit Namen, Titeln, Inschriften und Bildern spielten! Immer wurden sie dadurch vom ernsten Zwecke verlockt, bis dieser verschwand wie ein Regenbogen in Wolken.

In Schriften wie im Leben lasset uns der Eitelkeit entsagen, so hört die Verführung zu niedriger Eitelkeit von selbst auf. Niemand erlaube sich ein unehrliches (malhonnetes) Lob, wäre es auch des lobenswürdigsten Fürsten und Herrn, Patrons und Mäcenaten, Niemand dagegen auch den kleinsten unredlichen Tadel! Beide entehren Den, von dem sie kommen, jenes oft auch Den, auf den es fällt: er muß sich schämen des Lobes. Am Fernsten sei von uns bettelnde Ruhmsucht, Schulen- und Cabalenmacherei, und wenn uns diese nicht gelingt, verkappter Groll, kriechende Verleumdung!

Wer liest jetzt die alten deutschen Jubel auf Marlborough u. s. w., schweigeschweige (ich schweige), nach Luther's Sprachgebrauch für unser »geschweige«. – D. auf die Fürsten, Minister und promovirte Doctoren, die damals glänzten? Man bedauert bei ihnen, auch in den schlechtsten Gedichten, die mißbrauchten schönen Worte unsrer Sprache.Wer aus dem Anfange des verlebten Jahrhunderts, das man mit der größten Ueberzeugung für das aufgeklärteste der Welt hielt, Sammlungen deutscher Musenfrüchte lesen will, sehe Heräus' »Vermischte Nebenarbeiten«, Wien 1715; »Vollständige Schatzkammer der deutschen Dicht- und Reimkunst von Jung«, Ulm 1729; »Auserlesene moralische Gedichte, gesammelt von Benj. Neukirch«; Hofmannswaldau u. A. Gedichte 1734. u. s. w. u. s. w. – H.



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