Johann Gottfried Herder
Adrastea
Johann Gottfried Herder

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V. Wissenschaften, Ereignisse und Charaktere
des
vergangenen Jahrhunderts.


Droben am Himmel, im reinen Aether mißt und wägt und zählt Adrastea sichtbarer, als sie es für uns auf der Erde thun kann.

Seit sich der enge Gedanke verlor, daß das Dach des Himmels nur uns umschirme, daß an ihm, wie Nägel oder wie Lampen angeheftet, für uns die Sterne schimmern, daß Sonne und Mond sich ins Meer senken und in den Wolken ein Jupiter donnre: seitdem zerbrach das eherne Gewölbe, die Decke wich und machte einem Unendlichen Raum, den Höhen und Weiten des Aethers. Lange baute man hier feste und bewegliche Kreise, über die man das Empyreum setzte, bis auch diese fielen und, nach manchen frühen Ahnungen hierüber, durch Copernicus das schöne Weltgebäude hervorstieg, in dem sich um ihren Mittelpunkt, die Sonne, Planeten und Monde bewegen. Der feste, stille Erfinder erlebte die Folgen seines Systems nicht; wenige Tage vor seinem Tode sah der siebzigjährige Mann das erste Exemplar seines gedruckten Buchs von den Revolutionen der Himmelskörper.1543 den 24. Mai. Er starb an seinem Geburtstage. – H. Aber seine Erfindung wirkte fort. Mit Hilfe neuer nach ihm erfundner Fernrohre sah Galilei, was Copernicus geschlossen hatte, die Lichtgestalten der Venus, berechnete den Umlauf von vier Jupiters-Trabanten, beobachtete den Ring Saturn's, die Sonnenflecken, maß im Monde die Höhe der Berge, sah in den Plejaden 40, im Orion 500, in der Milchstraße unzählige Sterne. Diese großen Entdeckungen bezeichneten den Anfang des siebzehnten Jahrhunderts.1606–1612. – H.

Zu eben dieser Zeit drang Kepler's Geist durch eigne Kraft ins Gesetz der Bewegung aller himmlischen Körper. Nachdem er die elliptische Bahn des Mars gefunden, wandte er diese auf alle Planeten an, setzte die Sonne aus dem Mittelpunkt concentrischer Kreise in den Brennpunkt der Ellipse und fand das schöne Gesetz, »daß der aus dem Mittelpunkt der Planeten zum Mittelpunkt der Sonne gezogene Radius vector den Zeiten proportionirte Flächen abschneide«. Dem ganzen Newton'schen System hat dies Gesetz die Pforten geöffnet. Kepler wußte und erkannte das Gesetz der Schwere,S. Laplace's »Darstellung des Weltsystems«, II. 288, wo eine Stelle darüber angeführt ist. Das Weitere folgt in einer Beilage [unten]. – H. nur machte er davon die Anwendung nicht, die Newton machte. Dem Glückessohn Isaak Newton war's aufbehalten, ein Gesetz in seiner Allgemeinheit auszusprechen und anzuwenden, das, wenn man will, aus Kepler's Grundsätzen folgte. Er starb im Jahr 1630 vor Hunger und Kummer, seinen längstverdienten Unterhalt elend erbettelnd. Großer, guter, armer, frommer, gedrückter, verfolgter Kepler, Du lebtest in Deutschland!

Zu einer Zeit stehen Kepler und Galilei als Märtyrer der reinsten Wahrheit da, Beide aus national verschiedne Weise. Gebrochen war indeß die Bahn; Zahl, Maß und Gewicht der Weltkörper beschäftigte die fleißigsten Forscher, die unermüdetsten Geister der inzwischen entstandnen Pariser und Londner Akademien. Cassini, Huygens, Wallis, Wren, Flamsteed u. s. w. setzten ihre Berechnungen der Bewegung, ihre Beobachtungen der Sterne und Weltkräfte fort; da fiel denn vom Monde herab der Apfel der Geliebten dem Geliebten in den Schooß. Newton sprach ein gnugsam vorbereitetes Gesetz aus, das dem ganzen Jahrhundert blieb und es noch künftigen Jahrhunderten sein wird.


1. Isaak Newton's Gesetz der Schwere.

Sir Isaak, wie ihn seine Landsleute auszeichnend nennen, kam auf einer glücklichen Stelle zur Welt, das Maß aussprechen zu können, nach welchem sich die Weltkörper bewegen: »Umgekehrt nach den Quadraten der Entfernung von einander nimmt die Schwerkraft, mit welcher Weltkörper auf Weltkörper wiegen, ab«; ein Gesetz, auf welches ihn, nach dem bekannten Märchen, der herabfallende Apfel wahrlich nicht bringen durfte. Ein junger Mathematiker, dessen fellow und nachheriger Professor Barrow war (ein in jedem Betracht achtungswürdiger Name), dessen erste Lesung Euklid's, Kepler's, Descartes', Wallis', Wren's, Huygens' Schriften sein mußten, der gerade auf dem Gipfel der Berechnungen über Bewegung der Körper nach Maßen, Zeit und Raum in die mathematisch-physische Welt blickte, er hatte keines Apfelfalles auf die denkende Stirn, keines Mondfalles auf die zur Sonne nichtfallende Erde nöthig. Die zu entwickelnde Frage mit ihren nächsten Forderungen lag vor und in ihm. Newton's eigne Antwort, wie er zu ihrer Auflösung gekommen, war die einzig wahre: »Weil ich darüber oft und lange nachgedacht habe.« Denn war nicht diese Frage das Hauptquäsitum der Zeit, in der sein jugendlicher Geist erwachte? Aus Kepler's, Huygens' Entdeckungen sprang sie dem Forschenden ins Auge.

Nur forderte sie Erweis, d. i. anwendende Prüfung und Berechnung; die gab ihr Newton. Indem er sie auf den Mond und seine Einwirkung auf Meer und Erde, auf die Gestalt der Erde selbst, auf das Verhältniß der Planeten zur Sonne, ihrer Monde zu den Planeten anwandte, so sprach er den Grundsatz eines allgemeinen Gravitations- oder Anziehungssystems aus, »daß jedes materielle Element im geraden Verhältniß seiner Masse, im umgekehrten des Quadrats seiner Entfernung anziehe und angezogen werde« – Gesetz gleichsam einer himmlischen Adrastea, in Vertheilung des Gewichts und der Bewegung der Körper nach Maßen, Raum und Zeit.

Um der ordnenden Göttin ein freies Gebiet zu geben, setzte Newton die Bewegung der Weltkörper in einen leeren Raum; in diesem ließ er ihre fortschießende und fallende Kraft wirken. Beide diese Kräfte stellte er als Erscheinung (Phaenomenon) dar und wollte so wenig sie als den beliebten Namen Schwere oder Anziehungskraft der Körper erklären. Sein System sollte als Factum, als Darstellung des Weltsystems gelten.

Und es hat, so viel ihm auch entgegengesetzt ward, seine Probe bestanden. Wie Copernicus die Himmel der Alten, Kepler des Copernicus Epicyklen niederwarf, so jagte Newton's einfaches Gesetz Descartes' Wirbel aus dem leeren Aether. Freilich brauchte es dazu, zumal in Frankreich, wo Descartes in großem Ansehen stand, fast bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts Zeit; endlich überwand doch das einfache Gesetz der im Anschein selbst schlichten Wahrheit. Das ganze Jahrhundert schmückte sich in der Astronomie mit Newton's Namen, rechnete nach seinem Gesetz fort, und am Ende desselben entstand ein zweiter Newton, der, was Jener und seine Nachfolger unvollendet gelassen, in Tiefen der Analysis vollendete, De Laplace.Mechanik des Himmels. Übersetzt von Burkhardt. Berlin 1800. – H. Nicht nur die Störungen der Himmelskörper gegen einander, ihre Säcular-Ungleichheiten u. s. w. compensirte er; er berechnete die Wirkungen des allgemeinen Gesetzes der Schwere auf alle Körper unsers Sonnensystems, flüssige und feste, sicherte hiemit Aeonen hindurch unser Weltall. Indem er die mittlern Bewegungen und die große Achse der Planetenbahnen constant zeigte, gebot er ihm gleichsam Bestandheit. Durch compensirte Kräfte nach Raum und Zeit sind nach dem Gesetz der Schwere alle Massen der Welt zum bleibenden Dasein auf sich selbst und gegen einander gegründet; aller Störungen und Säcular-Ungleichheiten ungeachtet herrscht und mißt Adrastea unverrückt im sonnenreichen Aether.

Hier stehen wir jetzt, und kein metaphysischer Zweifel vermag den Berechner der Schwerkraft aus seiner Bahn zu treiben. Frage der Verstand: »Wie ziehen die Weltkörper ohne Berührung einander an? was bewirkt die allgemeine Schwere jedes Theils und Theilchens der Schöpfung gegen einander?« so antwortet der Beobachter und Berechner ungestört: »Wissen wir denn in unsrer eigensten Erfahrung, was Kraft sei? Kennen wir sie anders als in ihrer Anwendung und Wirkung? Wissen wir, was Schwere sei, außer wenn uns etwas schwer wird, oder wir Körper fallend sehen? Dann nennen wir sie schwer und berechnen ihre Schwere. So auch bei anziehenden oder zurückstoßenden Kräften. Allenthalben nehmen wir sie wahr; in der Chemie sind Wahlanziehungen und Repulse die gemeinste Beobachtung, ohne daß wir ihre innere Ursache wissen oder uns darum kümmern. Denn wie wollten wir sie wissen? Soll Kraft sich, gesondert vom Körper, d. i. ohne Organ, uns im Spiegel darstellen? wollen wir sie tasten? In Wirkungen sehen und tasten wir sie; selbst dem Begriff nach ist sie von ihrem Organ unabtrennlich.«

So spricht der Newton'sche Weltweise und findet sich zu seinem Zweck befriedigt. Fragt der denkende Forscher weiter: »Zugegeben Euer Organ, in welchem die Kräfte wirken; da Ihr aber Central- und das Centrum fliehende Kräfte setzt, wer gab Euch das Centrum? Im Unermeßlichen, dem leeren Raum, existirt durch sich selbst nirgend ein solches. Wenn durch seine natürliche, ihm angeborne Schwere alles Materielle fällt, so fällt der schwerste Körper, die Sonne, zuerst, wenn andre Kräfte ihren Fall nicht hindern. Welches sind diese Kräfte? In der Planetenmasse wohnen sie nicht; denn die Sonnenmasse überwiegt bei Weitem alle Planeten. Sie alle, die Kometen mit eingeschlossen, deren Zahl, Masse und Beschaffenheit uns noch unbekannt ist, können den Sturz der Sonne nicht aufhalten. Und Eure das Centrum fliehenden Kräfte, woher entspringen sie? Eure Stückkugel oder Bombe erklärt hiebei nichts; denn bei dieser wissen wir, woher ihre Wurfkraft komme, bei Euern ins Unermeßliche fortschießenden Planeten und Kometen wissen wir's nicht.«

Ruhig antwortet hierauf der Newton'sche Weltweise: »Der Schöpfer drückte ihnen diese Wurfkraft ein und erhält sie; er bestimmte jedem Sonnenraum sein Centrum und gab diesem ewigfortwirkende Anziehungskräfte.« »In jedem Atom jeder Materie«, sagte Newton, »ist die Gottheit gegenwärtig, die allen Raum erfüllt, ihr Sensorium, in dem durch seine unmittelbar durchdringende Gegenwart Alles lebt, webt und ist.« An dieser hohen Einfachheit gnügte sich der große Mann, der den Namen Gottes nie ohne Ehrerbietung nannte.

Völlig anti-Newtonisch sind also die Phantasmen Derer, die mit Newtons Worten durch blinde Kräfte der Materie Welten der Wohlordnung bauen, in denen jeder Atom vermittelst entgegengesetzter zweifacher Kräfte ohne Urheber die Tendenz, d. i. den blinden Trieb zur Wohlordnung, gehabt habe. Schlummernder hat Epikur nie geträumt. Wenn Alles zum Mittelpunkt strebt, wo ist Mittelpunkt des Universums? Ohne entgegengesetzte Kräfte fällt Alles und fällt ewig.

Diese entgegengesetzten, fortschießenden Kräfte aber, wer setzte sie jenen entgegen, ihnen eindrückend das ewige Gebot, geradlinicht zu wandern und in jedem Punkt durch feste Radien zurückgehalten zu werden, hassend zu fliehen und immer doch liebend zu ziehen und gezogen zu werden, mithin im Kreise oder in einer Ellipse und Parabel zu verweilen?

Welch Principium theilte die Massen und schied Regionen der Wirkung, wo jede Region das Gesetz des Ganzen ausdrückt und doch eine einzelne Region ist? Denn ist nicht Saturn in Absicht seiner Trabanten, was unsre Sonne gegen die Weltkörper ihres Gebiets ist? Wer bestimmte also auch ihm in einer fremden Region seinen Mittelpunkt mittelst zweier entgegenstrebender Kräfte?

Die Spinne giebt ihrem Gewebe durch Anknüpfung fester Fäden Haltung; so lange wir keinen Mittelpunkt des Universums kennen, der das Ganze anziehe und trage, auch keinen Quell fortschießender Kräfte kennen als Dünste und Dämpfe, spielen wir Welten bauend mit Newton's System wie Kinder. Sein System erklärte und berechnete eine gebaute, mit Verstand und Sinne geordnete Welt, kein aus dem Chaos mittelst blinder Triebe zur Wohlordnung entsprungenes, gedankenleeres Weltganze. Eben deshalb ist Newton's System nur als Gedankenbild, Nachbild eines schaffenden Geistes so schön, ja man darf sagen göttlich. Wäre kein Zirkel, keine Kugel, kein Rectangul mit seiner Diagonale physisch in der Welt da, als Zeichnungen des Verstandes sind sie mit allen ihren Eigenschaften und Folgen in der schönen Fülle ihrer Wahrheit und Notwendigkeit dem Verstande gegenwärtig. So Newton's Weltall; denn ein einfacheres und an schönen Folgen reicheres Gesetz kann sich der menschliche Geist zur Erhaltung des Weltganzen nicht denken als das Gesetz dieser beiden einander beschränkenden Kräfte. Es ist wie a = a da, nicht mehr und nicht minder.

Und wenn durch dies Gesetz die schönen Ellipsen entstehen, in welchen die Planeten um die Sonne, die Monde um ihre Planeten wandeln; wenn nach ihm die Gestalt der Gestirne, der Sonnenäquator wird, auf welchen sie sich bewegen, und wechselnde Jahreszeiten; wenn Planeten, Monde, die Sonne selbst dadurch bewohnbar und den ungezählten Kometen zu allen Seiten hinaus und hinab ihre freie parabolische Bahn wird, wodurch die Störungen der Weltkörper gegen einander vernichtet oder compensirt und aufgehoben werden: wer wird diese Denkgestalten der messenden, wägenden Göttin, den Grund aller Schönheit und Ordnung der Weltgestalten, nicht lieben, nicht ehren?

Machte man dagegen die schwerfälligen Namen Schwere, Anziehung, Centripetal- und Centrifugalkräfte zu blinden Trieben, so verschwindet alle Schönheit des Gedankensystems, das nach Kepler's Idee (ohne dessen Berechnung eben auf unser Clavichord) die reine Berechnung

einer gleichschwebenden Temperatur der Bewegung der Weltkörper nach Maßen, Zeiten und Räumen

sein sollte. Sie wird einmal gewiß aufkommen, diese richtigere Benennung, wenn ein künftiger Kepler die Proportion der Weltkörper nach Maßen, Zeiten und Räumen genetisch gefunden haben wird. Dann werden wir der Namen Schwere und Anziehung, die so vielfach gemißbraucht sind, hier so wenig als in der Musik bedürfen. Was ein Weltgebäude erschafft, kann weder die todte Schwere, noch eine in jedem Moment wesentlich behinderte Anziehung sein, die beide wirken und nicht wirken; sie sind nur Hilfsbrücken. Denkbilder des menschlichen Geistes. Als solche sind sie sehr schätzbar, ja vielleicht die reinsten Verhältnisse, die unser Geist zu denken vermag. Zwei einander entgegengesetzte Kräfte sind das Gesetz der wägenden Wage.


Erste Beilage.
Hermes und Poemander.Literatoren sind die erdichteten Gespräche zwischen Hermes und Poemander bekannt; Andre mögen sie nach J. A. Fabricius' Notizen (Biblioth. Gr., L. I. Cap. 7) kennen lernen. Hier wird von ihnen nur Ton und Manier, nicht Inhalt gebraucht. – H.


Erstes Gespräch.

P. Schläfst Du?

H. Ich wache, beschauend den Himmel der Sterne.

P. Auch denkend?

H. Wenigstens sinnend. Ich verliere mich im unendlichen Blau.

P. Und vergissest die goldne Heerde, die auf dieser himmlischen Aue weidet?Den Namen Poemander hat man von ποιμήν, Hirt, abgeleitet – H. [Von der Schrift Ἕρμου Τρισμεγίστου Ποιμάνδρης hatte bereits Marsilio Ficini eine lateinische Uebersetzung unter dem Titel Mercurii Trismegisti liber de potentia et sapientia Dei 1471 erscheinen lassen. Ueber die goldene Heerde vgl. Herder's Gedicht »Das Gesetz der Welten im Menschen«, Werke, I. S. 171. – D.]

H. Weil ich den Hirten nicht sehe, der sie führt. Der Mond ist es nicht, er verdunkelt mir die lieblichen Schafe.

P. Die Festigkeit ihrer Hürden siehest Du doch. Steht Dir der himmlische Wagen und über ihm der Pol nicht da? Unter ihm Cepheus, Cassiopea, Bootes. Siehe hier Ariadnens Krone, Hercules und den goldnen Stern der Lyra; Andromeda und Perseus dort, den himmlischen Fuhrmann, den Adler; den hellen Thierkreis, so weit er sich hinaufkehrt; den leuchtenden Orion –

H. Ach, eben an ihm hing mein Auge, an seinem brennenden Gurt und Schwert.

P. Und was siehst Du dort?

H. Licht. Helle Sterne.

P. Und denkest dabei nichts?

H. Was soll ich denken? Der Abgrund verschlingt mich; das Unermeßliche überwältigt.

P. Nicht also, mein Sohn. Beschreibe Dir Räume. Aus dem Unendlichen kehrst Du immer dürstender in Deine Heimath wieder. Hast Du Dir Rechenschaft über Dein Planeten- und Sonnenreich, über Deine Hütte, die Erde, gegeben, auf der Du weidest, von der Du lebst, in die Du zurückkehren wirst?

H. Wer kann's?

P. Und erforschest den Bau der Gestirne?

H. Ich erforsche nichts; ich betrachte, bewundre, liebe. Aufwallt mein Busen bei dieser himmlischen Ansicht, mein Herz schlägt hoch auf. Laß mich die Laute ergreifen, freundlich mir zusprechende Stimme! Laß mich:

    Blick' ich hinauf zu Euch,    »Quando comtemplo al cielo
de innumerables luces adornado,
Y miro hazia el suelo
De noche rodeado,
en sueno, en olvido sepultado;

    »El amor y la pena
Despiertan en mi pecho un ansia ardiente,
Despido larga vena
Los ojos hechos fuente
Oloarte, y digo al fin con voz doliente.

    »Morada de grandeza,
Templo de claridad y hermosura,
el alma que a Tua alteza
Nazio, que desventura
La tiene en esta carcel Laxa oscura?«
– H.

Ihr goldnen Sterne,
So glanz- und freudenreich
In hoher Ferne,
Und schau' um mich die göttlichsten der Gaben
In Nacht, Vergessenheit und Schlaf begraben:

    O, wie erwacht in mir
Der Liebe Sehnen!
Mein Auge weint zu Dir
Ströme von Thränen,
Und was die Brust beklemmt, voll heißer Klagen,
Kann nur ein Seufzer Dir, o Himmel, sagen.

    Thron aller Herrlichkeit
Und ew'gen Klarheit!
Sitz der Unsterblichkeit,
Der reinen Wahrheit!
Ach, warum ist ein Geist, für Dich geboren,
In diese tiefe dunkle Nacht verloren?

P. Erhebe Deinen Geist aus der dunkeln Tiefe; das Licht der Wahrheit, obwol mit Schatten begrenzt, ist in Dir. Morgen kommt Dir Deine Sonne wieder; jene Sterne leuchten andern Schatten und Dunkelheiten. In der Schöpfung ist kein Verbannungsort, kein Oben und Unten; allenthalben ist's wie bei Dir.

H. Wie bei mir?

P. Nicht anders. Was siehst Du um Dich? Bemerkst Du nicht allenthalben Bildung? Was willst Du Höheres bemerken?

H. Ich sehe Bildung und Mißbildung, Schöpfung und Zerstörung.

P. Was Du Mißbildung nennst, dünkt Dir nur also; eine völlige Mißgestalt kann nicht bestehen, sie vernichtete sich selbst. Was Du Zerstörung nennst, ist neue Geburt, das Grab ist Wiege. Vernimm das Geheimniß, die lebendige Kette der sich immer verjüngenden Schöpfung –

H. Ich zittre.

P. Für Freude zittre! Alles in der Schöpfung ist Bildung, ewige Bildung; keine Materie ist ohne inwohnende Kraft, wie kein Geist ohne Körper. Alles Veränderliche aber verändert seine Gestalt, das Veraltete geht unter –

H. Damit es verjüngt emporsteige; ich verstehe Dich, Geist der Schöpfung. Die Kette des Lebens schwingt sich nieder – und aufwärts, sie undulirt. Ich begreife, daß zu einer immer jungen, frischen und neuen Schöpfung es nicht anders als also sein konnte.

P. Nichts Höheres und Heiligeres kannst Du also sehen als Deine Schöpfung; Göttlicheres erkennen kannst Du nichts als die Gesetze ihrer Bildung und Erhaltung voll scheinbaren Untergangs und voll Erneuung. Unverändert bleiben konnte im Strom der Veränderung nichts; ein starres Dasein wäre nicht nur des Einzelnen ewiger Tod, sondern Tod der Schöpfung. Alle ihre Räder hemmte ein einziger unwandelbarer Atom. Blick her! Auch diese Sterne altern; jener himmlische Kranz verbleicht; jenes Rosenlicht salbt und wird verdämmern. Dagegen siehe jenen hellaufglänzenden Brand, die Morgenröthe einer neuen Schöpfung, Orion.

H. Schönes Licht! O wie entzückt ist meine Seele!

P. Und doch lernst Du mit dieser Entzückung nichts. In Deinem Weltall schau umher und betrachte dort allenthalben Bildung. Vom kleinsten Krystall hinauf zur Pflanze, zum Thier, zum Menschen, allenthalben organisch-bildende Kräfte.

H. Dürfte ich die auch droben anwenden, bei jenen Kugeln, bei jenen Flammen und Sternen?

P. Warum nicht? Bildungslos ist nichts in der Schöpfung; was aber Bildung hat, ward gebildet.

H. Durch das Gesetz der Schwere und Anziehung.

P. Schläfst Du?

H. Ich wache.

P. Durch das Gesetz der Schwere wird Alles ein Klumpe in einem Mittelpunkt des Universums, den Ihr nicht kennt, nie auch als Menschen kennen werdet. Und das Gesetz der Anziehung? Muß nicht ein ihm entgegenstehendes Gesetz entweder selbst eine bildende Kraft sein, oder wenn auch dies blos mechanisch wirkte, muß es nicht einer höheren Kraft Raum geben, die beide modificire? Und worauf kann diese höhere Kraft streben als auf Bildung?

H. Ihrer Wirkung nach also eine bildende Kraft; ich weiß keinen andern Namen. Sollte aber, was Du Bildung nennst, nicht blos ein blinder Effect jener beiden blind wirkenden Kräfte sein dürfen, aus Nothwendigkeit oder durch Zufall?

P. Schläfst Du?

H. Ich wache. Ja, Zufall kann uns scheinen, was die strengste Notwendigkeit war. Im unendlichen Raum sind in unendlicher Zeit alle Bewegungen möglich: die regellosen, die sich selbst zerstörenden mußten untergehen, die regelmäßigen gewannen Bestandheit.

P. Weil sie solche in sich hatten nach einer Regel. Sobald Du diese zugiebst, hast Du zugegeben, was ich wünschte, den großen νοῦς, den Sinn und Geist der Welt, den vordenkenden Bildner.

H. Und wer bildete diesen Prometheus?

P. Entferne alle Fabelgestalt! Wenn jede Bildung, die Du kennst, einer bildenden, jede Erhaltung einer das Ganze erhaltenden Kraft bedarf, wird sie der Welt, dem geordnetsten Ganzen, das sich nach der sinnigsten Regel der Wohlordnung erhält, fehlen? Erwache! Bedenke!

H. Und dies sollte die Schwere, die Anziehungs- und Wurfskraft nicht sein?

P. Wer wirft? was zieht? Und sind beide Strebungen im fortwährenden Kampf, wer ordnete, wer regiert den Kampf? Sind Dir diese blind-mechanischen die höchsten Kräfte, so müssen ihnen alle andre im Weltall dienen; sinne nun darauf, wie Du in jene alle diese vereinigen mögest, die magnetische, elastische, die elektrische, die Lebens-, die Denkkraft, und was Dir sonst für bildende oder zerstörende Kräfte bekannt sein mögen. Das Höchste muß Resultat oder Zusammenfassung oder die setzende Ursach alles Untern sein. Versuche es mit Deinen beiden Kräften, ob Du aus ihnen und durch sie Leben, Empfindung, Geist, Willen, Gemüth erhaltest?

H. Jetzt erinnere ich mich des Gebets meines Sokrates, wenn, wie er sagte, er zum höchsten Revier der Schönheit emporstieg:

»Und kehrte stets liebtrunkener von dannen,
Und Geist und Sehnsucht blieb bei ihr.«

P. Was sprach Dein Sokrates?

H. »Licht! Anmuth! höchster Pan! Natur! selbstständig Wesen!
Geist!
oder was Du Dir für Namen auserlesen,
Beweger, Tugend, Kraft! Du, die in Allem lebt!
Wie stark bist Du! wie groß! wie vielfach ausgegossen!
Auch ich bin Deiner Art und von Dir hergeflossen,
Und kehr' in Dich zurück, wenn sich mein Geist erhebt.
Ach, ich bescheide mich und decke meine Blöße;
Um Dich allein gefall' ich mir,
Der kleinste Theil der allgemeinen Größe,
Ein Theil, jedoch ein Theil von Dir!

»Ganz herrlich, ewig jung, nie fähig zum Veralten,
In täglich wechselnden, stets werdenden Gestalten
Bleibst Du das, was Du bist, stets voll und immer neu.
Hier treten Wesen auf, dort gehen Wesen unter;
Du tilgst und zeugest stets. Stets wirkend, froh und munter
Schaffst Du, daß jeder Tod ein Quell des Lebens sei.
Dort schwand die flücht'ge Pracht der abgelebten Floren,
Doch Floren folgt Pomona nach,
Und Jene wird von Dieser neu geboren,
Das Grabmal wird ein Brautgemach.«

P. Wolan! Geh dieser Kette der Schöpfung in ihren Ringen und Gliedern nach; Bildungsgesetze werden Dir allenthalben erscheinen, denen auch die Schwere, die Anziehung dient. Nur sie allein, sie für sich bilden kein geist- und lebenvolles Universum. Forsche weiter!


Zweite Beilage.
Kepler's Gedanken über Anziehung und Schwere der Weltkörper.Aus dessen verschiedenen Schriften gezogen, größtenteils mit Kästner's Worten, Geschichte der Mathematik, Band 4. Göttingen 1800. – H.

»Wissen heißt in der Geometrie, durch ein bekanntes Maß messen. Hier ist das Maß des Kreises Durchmesser.

»Wißbares (scibile, γνώριμον) heißt, was durch den Durchmesser oder dessen Quadrat, unmittelbar oder auch durch eine Reihe von Schlüssen, gegeben wird.

»Hiernach giebt es Grade des Wißbaren (Zahl ist die Sprache der Geometer); die höhern Grade heißen unbequem irrational, besser unaussprechlich (ineffabiles). Das Siebeneck z. B. führt auf eine Gleichung, die man durch eine Elementargeometrie nicht construiren kann.Kepleri Harmonices mundi libri V, Prooemium; Kästner a. a. O. S. 274. – H.

»Viele wollen wegen der Bewegung schwerer Körper nicht glauben, daß die Erde sich animalisch oder vielmehr magnetisch bewege. Die mögen Folgendes bedenken.

»Ein mathematischer Punkt, Mittelpunkt der Welt oder nicht, kann schwere Körper nicht bewegen, daß sie sich ihm nähern. Mögen die Physiker zeigen, daß die natürlichen Dinge eine Sympathie zu dem haben, das – Nichts ist.

»Auch streben schwere Körper nicht deswegen nach dem Mittelpunkte der Welt, weil sie die Grenzen der runden Welt fliehen, werden auch nicht durch Umdrehung des primi mobilis gegen den Mittelpunkt der Welt getrieben; die wahre Lehre der körperlichen Schwere beruht auf folgenden Grundsätzen:

»Jede körperliche Substanz, insofern sie körperlich ist, ist geschickt, an jeder Stelle zu ruhen, wohin sie gebracht wird, wenn sie da außer dem Wirkungskreise eines verwandten Körpers liegt. Schwere ist eine körperliche Eigenschaft, gegenseitig zwischen verwandten Körpern zur Vereinigung oder Verbindung (wohin auch das magnetische Vermögen gehört), so daß vielmehr die Erde den Stein zieht, als der Stein nach der Erde strebt.

»Schwere Körper (wenn wir auch die Erde in den Mittelpunkt der Welt setzten) gehen nicht nach dem Mittelpunkt der Welt als Mittelpunkt der Welt, sondern als Mittelpunkt eines runden verwandten Körpers, der Erde. Wohin also die Erde gesetzt, oder wohin sie mit ihrer animalischen Fähigkeit gebracht wird, gehn immer nach ihr schwere Körper. Wäre sie nicht rund, so gingen diese nicht überall nach ihrem Mittelpunkt, sondern von verschiednen Seiten nach verschieden Punkten.

»Würden zwei Steine an einem Ort der Welt einander nahe gebracht, außer dem Wirkungskreise eines dritten verwandten Körpers, so würden sie wie zwei Magnete in einer mittlern Stelle zusammenkommen; jedes Weg dahin würde sich zu des andern Wege verhalten wie des andern Masse zu des ersten Masse. Würden Mond und Erde nicht durch eine animalische oder eine andre gleichgiltige Kraft jedes in seinem Umlauf erhalten, so stiege die Erde nach dem Monde um den vierundfunfzigsten Theil des Zwischenraums, der Mond senkte sich gegen die Erde etwa um 53 Theile des Zwischenraumes. Da kämen sie zusammen, vorausgesetzt, daß beide gleiche Dichte haben.

»Hörte die Erde auf, ihr Wasser anzuziehen, so würde sich alles Meerwasser erheben und in den Mond fließen. Der Wirkungskreis der ziehenden Kraft, die sich im Monde befindet, erstreckt sich bis an die Erde und auf das Wasser der heißen Zone, nach der Stelle, wo der Mond vertical ist. Weil aber der Mond den Scheitel bald verläßt und das Wasser so schnell nicht folgen kann, entsteht Fluth des Meeres in der heißen Zone nach Westen, bis sie an Ufer anstößt. Auch der Zug der Erde erstreckt sich bis an den Mond und noch viel weiter.

»An sich selbst leicht ist nichts, vergleichungsweise leichter, was in gleichem Raum weniger Materie enthält, von Natur oder wegen der Wärme. So wird das Leichtere vom Schwereren aufwärts getrieben, weil es von der Erde schwächer angezogen wird.

»Wäre eines Steines Entfernung von der Erde beträchtlich gegen ihren Halbmesser, so würde der Stein der bewegten Erde nicht völlig folgen, sondern seine Kräfte, zu widerstehn, mit den Zugkräften der Erde vermengen und sich also vom Fortreißen der Erde in etwas losmachen. Das erfolgt aber nicht, weil kein geworfner Körper um den hunderttausendsten Theil des Halbmessers von der Oberfläche der Erde abgesondert wird. So reißt die Bewegung der Erde, was sich in der Luft befindet, mit sich fort, als berührte es die Erde« u. s. w.


So genau waren Kepler die Kräfte der Schwere und der Anziehung bekannt; er wagte es aber nicht, durch sie als durch oberste Kräfte die Bewegung der Weltkörper zu erklären, weil er die ihnen entgegengesetzte Wurfkraft, die nach dem Newton'schen System den Körpern auch eigentümlich oder ursprünglich eingedrückt sein sollte, nicht annahm. (Und woher wäre sie kenntlich?) Er nahm also zu einer animalischen Kraft seine Zuflucht, mit der er Sonne, Erde und alle Planeten beseelte, wovon künftig die Rede sein wird.

Zwei einander entgegengesetzte, in einander wirkende Principien, mochte man sie nun Licht und Finsterniß, Gutes und Böses, Liebe und Haß, oder feiner das männliche und weibliche Principium u. s. w. nennen, waren von Alters her die erzeugenden sowol als die erhaltenden Mittelursachen der Weltordnung; jedes Zeitalter, jede Schule gab dem Ganzen seine Benennungen und Kunstformen. Newton's System bestimmte die der Zeit angemessensten in Verhältnissen und Zahlen, ohne sie selbst zu erklären; denn »Zahl ist die Sprache der Geometer«, sagt Kepler, und der menschliche Verstand kann in Sachen der Art nichts als wägen, messen und zählen. Die leichteste Wage, die leichteste Zahl aber giebt das einander schlechthin Entgegengesetzte; es zeigt in dem was daraus folgt, die schönsten Resultate, wenn beide Kräfte nämlich in fortdauernd lebendiger Wirkung gedacht werden. In gegenseitigem Fall geben sie kein Resultat als 0, die Summe des Weltalls. Daß in diesem reinen Gedankenbilde aber jene lebendigen Kräfte ganz unerörtert blieben, ist durch sich selbst klar. Man setzt sie voraus.


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