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Das Ungeziefer

Ich wohnte in Sevilla in einem Kellerraum, dessen Fußboden zur Mitte schräg abfiel, und hier befand sich ein Deckel, der zu einer Kloake führte. Wenn man diesen Deckel etwas öffnete, stieg eine graue Wolke von Mücken daraus hervor; ich öffnete ihn aber nur ein Mal. Es waren die echten, kleinen tigergestreiften Moskitos, deren Mundteile von den unterirdischen Mysterien Sevillas befeuchtet waren; sie waren wild vor jungfräulichem Hunger, hatten noch nie Blut geschmeckt; mager wie die Husaren des Bösen sangen sie in der heißen Luft wie winzigkleine, fliegende Spielwerke, und ich lernte es, um mich zu schlagen und zu voltigieren, wenn die feinen Töne mir zu nahe kamen. Der Deckel ließ sich nicht ganz dicht machen, und außerdem kamen Schwärme von Mücken tagsüber durch die Tür herein. Mein Zimmer hatte keine Fenster, und ich mußte die Tür zum Hof öffnen, wenn ich Licht haben wollte. Am Tage waren sie nicht so schlimm, dann saßen sie still an den Wänden, und ich konnte nahe an sie herantreten und sehen, wie fein und windig sie in ihrem ganzen Äußeren vor Hunger waren. Eine lange, nackte Klinge stand ihnen aus dem Munde heraus. Einige von ihnen trugen Fühlhörner wie Straußfedern auf dem Kopf, das waren gewiß Fräulein. Sie saßen wie betäubt an den Mauern, von Blutdurst und vom Licht, das sie nicht vertragen konnten.

Sobald es aber Abend wurde und ich mein Stearinlicht angezündet hatte, begannen die Mücken zu schwirren und an die Vollbringung ihres Schicksals zu denken. Es war etwas in ihrem zarten Gesang, das wie schwärmerischer Fatalismus klang – nur ein einziges Mal in ihrem Leben mußten sie sich in Blut betrinken und dann sterben. Obgleich sie sozusagen den Tod nährten und nicht sich selbst, zeigten sie eine ungeheure Energie und einen unvergleichlichen Mut – trinken wollten sie, und wenn es sie das Leben kosten sollte. Ich mußte unablässig auf- und abgehen, mit dem Kopf wackeln, Tabak rauchen und mit den Händen abwehren; sobald ich mich ruhig verhielt, machten die Mücken sich sofort daran, eine Mahlzeit auf mir abzuhalten.

Um beim Schlafen Ruhe zu haben, hatte ich mir nicht ohne Geschick über meinem Bett ein Netz von Gaze und Faßreifen gemacht, und das schützte mich des Nachts ziemlich vor den Mücken. Aber sie waren nicht meine einzige Plage. Die Risse und Löcher der Mauern beherbergten eine Unzahl von Wanzen, und zwar die größten und stinkendsten, die mir je in meinem Leben begegnet sind. Ich habe Wanzen in vielen Ländern kennen gelernt, aber in Spanien waren sie am schlimmsten. Es waren große und träge Tiere, aber zum Stechen waren sie doch nicht zu faul; jede einzelne roch wie eine Welt von Fusel und Armut. Tagsüber bekam ich sie nie zu Gesicht, aber in der Dunkelheit der Nacht kamen sie herbei und saugten Blut, während sie mir gleichzeitig ihr widerliches, flammendes Gift einimpften. Oh, es war, als ob einem Gestank unter die Haut gespritzt würde, Geruch von schimmeligem Brot und Bettwärme und wie heißer Branntwein im Blut! Jedesmal, wenn ich gestochen wurde, erwachte ich in einem Feuer von Ekel, vor Entsetzen schwitzend; aber da das Bett doch der Straße vorzuziehen war, nahm ich den Kampf von neuem auf – die nächste Wanze vor! Es mußte doch möglich sein, diesem schmutzigen Gift gegenüber immun zu werden, wenn man sich nur häufig genug stechen ließ.

Ich war nicht viel zu Hause; aber wenn ich es war, ging ich in meiner Einsamkeit umher und schlug mich mit den lieben Haustieren herum. Eines Tages bekam ich eine Idee; ich schob das Bett von der Wand ab, so daß es frei stand, und verbrachte einen ganzen Abend damit, es zu reinigen, worauf ich einen dicken Ring von Tabaksaft um alle vier Beine schmierte. Jetzt freute ich mich darauf, wie auf einer einsamen Insel leben zu können; aber die Wanzen krochen die Zimmerdecke hinauf bis übers Bett und ließen sich dann vergnüglich auf mich herabplumpsen; von dieser Erfindung hatte ich also nicht viel Vergnügen. Indessen gewöhnte ich mich im Laufe der Zeit daran, regelmäßig zu erwachen, wenn sie mich bissen, im Halbschlaf Licht anzuzünden und ihnen den Garaus zu machen. Ich tötete auf diese Weise viele, langsam und sicher, und wäre ich dort wohnen geblieben, hätte ich sie zweifellos bis auf die letzte Wanze ausgerottet.

Wenn ich so halbwach mit einem Wachskerzchen in der Hand im Bett saß, fiel mein Blick bisweilen auf eine riesige Kakerlake, die über den Steinfußboden kroch und die Wand hinaufeilte, wo sie wie ein brauner Lichtstreifen im Dunkeln verschwand. Und unter den pilzigen Türpfosten saßen gewöhnlich große blaugraue Mauerasseln, oder ich sah sie grübelnd über die Fliesen wandern. Es waren prunklose Geschöpfe, die mit ihren Fühlhörnern beschäftigt waren und nichts dafür konnten, daß sie wie kleine wandernde Gift-Depots aussahen. Sie hinterließen einen feuchten Pfad auf den Fliesen, als ob sie die Pest im Kleinen ausschwitzten, wo sie gingen. Aber weder gegen sie noch gegen die Kakerlaken hatte ich etwas einzuwenden. Sie lebten ihr Leben zwischen gärenden und verfaulten Dingen dahin, ohne eigentlich Schmarotzer zu sein; ich achtete ihr verfaultes, stilles Dasein und stellte ihnen nie nach.

Dagegen durchforschte ich mich jeden Abend nach dem Pariagetier, das meine Person unmittelbar beehrte, und machte kurzen Prozeß damit. Aber es kam jeden Tag neues. Das Viertel, in dem ich wohnte, war ein Armenviertel auf der andern Seite des Guadalquivir, die meisten Familienväter in den düsteren Bienenkörben waren Kohlentrimmer. Wenn ich draußen auf den heißen Kaisteinen am Fluß saß, wo die ganze Nachbarschaft sich aufhielt, konnte ich durch aufmerksame Beobachtung sehen, wie die Läuse in ganzen Kolonnen angerückt kamen. Sie lieben es sehr, ihren Wirt zu wechseln. Einige von ihnen waren ganz schwarz, wie nach einer langen Reise; die kamen von den Männern. Andre hatten die gewöhnliche, weißliche Farbe, das waren Mädchenläuse, und diese zerdrückte ich in einer gewissen liebevollen Stimmung.

Die Mücken aber waren meine ärgsten Feinde. Das Netz vermochte mich nicht ganz zu schützen, ich war voll von juckenden Knoten und Schwellungen. Im Juli ist es in Sevilla so heiß wie in einer Ziegelei, selbst in der Nacht, und das verminderte nicht meine Qual. Infolge des Entsetzens vor all dem Ungeziefer, das mir in den Gliedern saß – eines Tages hatte ich gesehen, wie ein fünf Zoll langer Tausendfuß seine chromgelben Glieder zwischen einigen Mauerbrocken im Hof ringelte, und da erstarrte mir das Herz – infolge meiner stetigen Aufmerksamkeit bekam ich keinen ordentlichen Schlaf mehr. Wenn ich in der Badestubenhitze und in der brütenden Dunkelheit des Kellers dalag, erging mein halbschlafendes Bewußtsein sich in enormen Fabelvorstellungen; der Raum um mich her erschien mir voll von verschiedenartigen Insekten, musizierenden und stinkenden Unwesen, von denen ich nur durch das Netz überm Bett wie durch einen Zauberring getrennt war. Bisweilen fuhr ich aus dem Halbschlaf durch einen Laut auf, den meine Phantasie vergrößert hatte, bis er zu einem donnernden Getöse wurde, einem völligen Weltuntergang! Oder ich erwachte durch einen ungeheuren, wühlenden Lärm, als drehe sich ein riesenhaftes Wesen in seinem Bett um – ich selbst – ein Riese so groß, als erfülle er die ganze Welt mit seiner Zottigkeit und mit dem Schnaufen seiner Nase. Zu anderen Zeiten war es mir, als sei ich selbst eine Mücke, und als flögen Hunderte von Elefanten über dem Netz und zielten auf mich mit ihren Rüsseln. Wunderliche, grenzenlose Traumbilder türmten sich um mich auf. Ich gewöhnte mich daran, vernünftige Dinge im Schlaf vorzunehmen, das Netz in Ordnung zu halten und Licht anzuzünden, und diese vernünftigen Handlungen vermischten sich auf eigenartige Weise mit seltsamen Traumbildern. Eines Nachts sank mir das Netz auf den Kopf herab, so daß die Mücken durchstechen konnten; ich hielt es mit dem Rücken meiner Hand vom Gesicht ab, und als ich dort gestochen wurde, hielt ich es nur mit den Fingerspitzen in die Höhe, so daß meine Finger am nächsten Tag geschwollen und wie in Feuer getaucht waren. Ich hörte im Schlaf, daß eine Mücke unters Netz gekommen war, der Klang kam mir so nah und ich bekam schlafend solch starken Eindruck von der Frechheit dieser einen Mücke, daß ich auf ganz natürliche Weise darauf verfiel, wie die Mücke hieß. Sie hieß Zulle.

Es war Zulle – ich wußte es im selben Augenblick, als sie sich auf meine Stirn setzte. Zulle, tigergestreift, mit leeren Eingeweiden und einer giftigen Klinge aus dem Hals! Zulle, die eingebrochen ist, weil sie jetzt sterben will, weil sie jetzt Nahrung haben muß. Zulle, Zulle, oh du, die du so lange deine jungfräuliche Sehnsucht vor dem Netz spazieren geführt und das kleine Lied deiner inneren Leere gesungen hast, jetzt willst du … Zulle … Hierbei hatte ich meine kolossale Riesentatze sachte über sie gelegt, und im nächsten Augenblick zermalmte ich sie, bis sie nur noch ein feuchter Fleck auf meiner Stirn war.

So vergingen die Nächte mit endlosen Kriegen und Fabelvorstellungen. Ich erlangte eine erstaunliche Fertigkeit, meine Verfolger zu entdecken, eine abenteuerliche Fähigkeit, selbst im Schlaf zu beobachten. Eines Nachts wurde ich plötzlich ganz wach, nicht weil ich gestochen worden war, sondern weil ich auf andere Weise wußte, daß Wanzen in der Nähe seien; ich hatte im Schlaf gerochen, daß eine im Anzug war. In meiner träumenden Unirdischkeit war dieser Geruch zu mir gekommen, wie der Hauch von Armenvierteln einer Großstadt, von Destruktionsanstalten und Spritfabriken zu einem Luftschiffer hoch in den Wolken kommt. Ich schlug das Netz zur Seite und entzündete eine Wachskerze, und ganz richtig, gerade vor meinem Gesicht kroch eine große rote Wanze an der Mauer! Ich hielt die Flamme der Wachskerze unter sie …

Ich pflegte Wachskerzen zu entzünden, wenn es nötig war; dann fing ich die Tiere mit dem klebrigen Kerzchen und drehte sie brennend zwischen den Fingern, bis das Insekt geplatzt und mit einer kleinen Wolke von häßlichem Rauch verpufft war.

Um der Schachtel mit den Wachskerzen rascher habhaft werden zu können, ohne Mücken hereinzulassen, behielt ich sie eines Nachts unterm Kopfkissen. Und als ich sie gebrauchen wollte, waren die Wachskerzchen von der Wärme weich geworden; indem ich eins abriß, verbog sich die Kerze und der Phosphor entzündete sich tief unter meinem Nagel! Ich schlug in der Dunkelheit wie ein von einer Bremse gestochenes Pferd um mich, was zur Folge hatte, daß mein armseliges Moskitonetz einen Riß bekam, so lang, wie ein wilder und wütender Arm reicht … ich zündete Licht an, und sah die Zerstörung, sah, daß meine feste Burg eine Ruine war … ich fiel im Bett auf die Knie nieder und richtete mit geschlossenen Augen ein kurzes, zickzackiges Gebet an den Bösen.

Und dann wickelte ich mich in die hoffnungslosen Fetzen des Netzes ein, jawohl, das tat ich, lud mich mit bösartiger Geduld und wollte nicht mehr mitspielen. Adieu, stecht ungeniert drauf los, Mücken, Wanzen und Lumpenpack, jetzt will ich meinen Schlaf haben!

Die Mücken sangen vergnügt um das entblößte Bett herum, der ganze grabesdunkle Kellerraum sang wie ein siedender Kessel. Hin und wieder ließ sich eine Mücke voller Behagen auf mein Gesicht nieder, die zarten Töne der Flügel schwollen plötzlich wie ein Kegel von Lauten – und ich fühlte die Beine des spindelfeinen Tieres auf meiner Haut. Aber ich hatte mich verschanzt, wollte nicht reagieren, und während mein Kopf von einer gierigen Insektenwolke umgeben war, einem ganzen Orchester von kleinen, durstigen Fliegern, während mich die schwarze, kochendheiße Nacht wie der Dampf in einer Badestube umstand, schlief ich wirklich ein.

Am nächsten Morgen erwachte ich in Glut und Schweiß. Mein Gesicht war übersät mit brennenden Knötchen, ich sah mit einem Auge in den Spiegel und wußte nicht, was ich davon denken sollte – das andere Auge war total geschlossen. Aber ich hatte einen guten Schlaf getan und ging einäugig umher und tötete die Mücken mit einer Fingerspitze; sie saßen matt und dumm vor Blut an den Wänden. Jede hinterließ einen großen, frischen Blutfleck. Einige hatten sich nicht bis zur Wand schleppen können und lagen auf dem Fußboden, von Blut aufgebläht. Oh, alles in allem hatte die ganze Bande mich um einen Fingerhut voll Blut geplündert, reichlich gemessen!

Still … was kocht da so gedämpft und unterirdisch? Wie eine leere Mühle, die sich heiß mahlt und sich selbst verbrennt und verwundet und ihr einsames, sehnsuchtsvolles Lied singt … was ist das für ein Gesang von Tausenden? Das sind die Mücken unter dem Kloakendeckel.


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