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Es war starker Frost und eine eigentümliche reifnebelige Dunkelheit, als wir uns an einem Samstag Abend auf den Weg begaben, der Advokat Llung, der Schriftsteller Baever und ich. Der Schnee knirschte, die Laternen in der Stadt hatten keine Macht – Llung trippelte in seinen steifen Schaftstiefeln, um nicht auszugleiten, und Baever ging hinterher und lachte über Llungs Erzählungen leise vor sich hin. Während wir mit der Holmenkolbahn ins Gebirge fuhren, nahm Llungs Redseligkeit zu.
Wie er so dasaß, mit einer isländischen Jacke bekleidet, den Rucksack vor sich zwischen den Knien, glich er allem anderen als einem berühmten Juristen. Das abgehärtete Gesicht ließ hin und wieder einen Blitz von Laune durch … der Knabe in ihm erwachte. Bald war er ganz in Anekdoten vertieft, er erzählte sprunghaft, aber mit einem trockenen, terrorisierenden Witz. Und Baever lachte – knack, knack – wie eine große Uhr, die aufgezogen wird … ja, Baever lachte, als fessele er die Lustigkeit in sich, anstatt sie loszulassen.
Als wir die Endstation erreicht hatten und ausstiegen, trat uns der Fichtenwald entgegen, schwarz und still. Es wehte kalt, der Schnee dämmerte, über der Anhöhe war es sternenklar. Die Fichten standen kompakt wie eine Mauer, aber wie offen war es trotzdem zwischen ihnen – keine Luft und dennoch kein Schutz. Die Bäume glotzten unendlich gleichgültig, als plötzlich ein Lichtschein auf sie fiel. Llung zündete die Kienholzfackel an, die er mitgebracht hatte, und wir begannen aufwärts zu steigen. Einzelne Blöcke lagen im Schnee verstreut, das Licht sprang und kroch ihm voraus. Als wir einmal stillstanden und Llung Funken aus der Fackel schlug, konnte man die Stille des Waldes hören, aber wir achteten ihrer wohl nicht, die Unterhaltung plätscherte noch immer fröhlich dahin. Das Licht fiel auf Baevers Gesicht, und ich sah, daß er stillvergnügt vor sich hinlächelte.
Wir bewegten uns beim Fackellicht wie in einer Höhle. Die Tannen reichten vom Fußboden bis zur Decke.
Llungs Hütte liegt auf einer der höchsten Bergkuppen, auf einem freien Platz. Die ganze Woche hindurch versündigt Llung sich in Kristiania am Jus, schwarz gekleidet und vom Staat bezahlt, er wohnt in einer herrschaftlichen Wohnung, mit Telephon, Frau und Kindern; jeden Sonnabend aber zieht er eine löcherige, heißgeliebte isländische Jacke an und geht ins Gebirge. Er trägt einen Rucksack, der von Flaschen und Leckerbissen schwer ist.
Die Hütte ragte dunkel mit ihrem drachenmäuligen Dach zum Himmel empor. Llung forderte uns auf, die Aussicht zu beachten, und auf der eisigen Steinplatte stehend, schweißigkalt, wie wir vom Aufstieg geworden waren, nahmen wir sie dann auch in Augenschein. Kristiania lag tief, tief drunten wie ein Meer von Licht. Mehr ließ sich darüber nicht sagen. Baever schwieg. Kein Laut war zu hören – doch, es klang ein leises und andauerndes Sausen von unten herauf. Du lieber Gott, nun saßen die anderen und lärmten in diesem verpesteten Loch, während wir uns aufwärtsgeschwungen hatten. Wir traten in die Hütte. Es kam eine warme Geschäftigkeit über Llung, er zündete Licht an und machte Feuer im Kamin. Es war eine hübsche Stube mit vielen plumpen und bequemen Möbeln, die Advokat Llung eifersüchtig und allein verfertigt hatte.
Ist es nicht ganz gleichgültig, wovon wir an jenem Abend sprachen, ist es von Wichtigkeit, was drei zusammengewürfelte Menschen aus Notwehr gegen ihre gegenseitige Einsamkeit, und um sich die Stille vom Leibe zu halten, reden? Baever lachte fleißig, seine Tüchtigkeit im Lachen zeugte von einem höflichen Herzen. Llung gönnte uns keine Pausen. Wir sprachen im übrigen von vielen Dingen, vielleicht von bedenklichen Dingen …
Aber der Mahlzeit will ich mich erinnern. Wir saßen von acht Uhr abends bis drei Uhr nachts bei Tische. Auf dem viereckigen Kajütentisch mit dem Wachstuchbezug standen die Gerichte bunt durcheinander – alles, was das Herz begehrte, Brot und alle Sorten Beilage. Die Butter lag in einem Stück Papier, gelb wie Gold und von einem unvergleichlichen Geschmack – die eiskalten Bierflaschen wurden samtweich betaut, der Schnaps funkelte wie Diamanten. Der Kamin atmete einen Duft von Ruß und Säure, das Licht machte die Stube lautlos behaglich und spazierte fleißig unter der Balkendecke. Die Wärme war treu und gut.
Llung schmatzte bei seiner Shagpfeife, beim Whisky und den Anekdoten. Ich erinnere mich, daß ich darauf verfiel, im Laufe der Nacht unaufhörlich schwedisches Knäckebrot mit Butter und kleinen süßen Krumen Rochefort zu essen. Baever aß und plauderte und lachte. Ich betrachtete sein offenes Gesicht und begriff, daß er ein Mann mit sanfterem Gemüt war, als das Herz in Jesu Brust – eine Seele reich an Farben und Erscheinungen und Güte, aber verschlossen und dazu verdammt, unverstanden zu bleiben. Deshalb lacht Baever, deshalb hat er ein edles und wehmütiges Buch über das Lachen geschrieben.
Prost!
Um drei Uhr waren wir draußen, um die Stadt in der Tiefe zu betrachten. Llung stampfte durch die eiskalte Nacht. St, sagte er. Und wir hörten die Stille. Nur einen Augenblick, dann wurden wir verlegen. Weshalb soll man sich dieses Satanssausen anhören, dachte ich aufrührerisch, in einem dickköpfigen Humor – spuck aus!
Spuck aus! Es war Llung, der ebenfalls privat protestierte. Baever sang leise vor sich hin und brach in freundliche Hms! aus. Er meinte, man erwartete es von ihm.
Llung warf einen hölzernen Stuhl die Treppe hinunter, als wir wieder in die Hütte kamen, wir taumelten nach oben, wo die Kojen waren, und gingen zur Ruh.
Im Laufe der Nacht erwachte ich und befand mich sehr schlecht. Ich hörte Baever im Schlafe schlucken und mit seiner belegten Zunge schmatzen. Draußen aber ging ein schwerer Laut durch die Luft, es war, als hörte ich die Erdachse knarren.
Des Morgens, kurz bevor ich erwachte, hatte ich einen herrlichen Traum. Der dichte Vorhang vor dem Fenster bewegte sich, so daß ein Lichtstrahl hereindrang, und als es wieder dunkel geworden war, sah ich einen Mädchenkopf dicht neben dem meinen – so lebensvoll, daß ich im Traum lauter Wonne fühlte und trunken vor Freude erwachte. Nichts hatte am vorhergehenden Tage meine üble Laune vertreiben können, ich hatte ganz im geheimen in allem und jedem Plattheit und Geistesverzehrung gesehen; dieser eine Traumaugenblick aber machte mich glücklich. Als wir aufgestanden waren und beim Morgenschnaps und Hering saßen, erzählte ich Llung und Baever meinen Traum. In meinem tiefsten Innern aber war ich dankbarer, als ich es sagen konnte.
Draußen in dem sonnenfunkelnden Frostmorgen, angesichts des Kristianiafjords, gedachte ich ihrer, die ich im Traum gesehen hatte. Es war eine Dame aus Kopenhagen, für die ich geschwärmt hatte. Ich danke Ihnen, Fräulein, daß Sie sich mir im Traume gezeigt haben. Es gibt in diesem Augenblicke nichts anderes für mich, als die Erinnerung an Ihren Mund, der so frisch und geschmeidig ist und den zu küssen ich geschworen habe – ich gedenke Ihres Haares, das das einzige Wunder in der Welt ist. Sie haben mir das Leben heute zu einem Fest gemacht, ich empfinde es als ein Mirakel, daß das bloße Traumbild von Ihnen, die Sie nichts anders als eine ganz hohle und törichte Person sind, imstande ist, mein innerstes Herz so mächtig zu bewegen – so mächtig, wie ein Sturm, der das Meer bis in seine Tiefen aufwühlt, so daß alle Tiefsee-Ungeheuer an die Oberfläche kommen. Ihre Augen, wie sie mir im Traume erschienen, waren tief und warm, nie habe ich mich so froh gefühlt. Sie sahen aus, wie Sie an einem Sommervormittag auf der Langen Linie auszusehen pflegen, wenn Sie jung und entzückend eine Ihrer leeren Bemerkungen machen.
Wir standen auf Schneeschuhen vor der Hütte, Sonntag vormittags. Ein wundervoller Sonnentag mit herber und strahlender Luft und meilenweiter Aussicht über den Kristianiafjord! Der gesalzene Hering und das Bier glimmten wie ein gutes Feuer im Magen. Llung begann schweigend durch den Wald zu gehen, und Baever folgte klappernd hinterdrein. Nun wohl, ich beschloß den Reigen. Nach einiger Zeit kamen wir zu einem Hügel und rutschten ihn herrlich hinunter. Ich erklärte Llung, daß ich mich gern halbe Meilen mit fünf Pfund an jedem Fuß vorwärtsschleppen wollte, wenn es nur hin und wieder Hügel zum Hinabsausen gäbe. Llung machte mich indessen darauf aufmerksam, daß die eigentliche Schneeschuhkultur das Hauptgewicht aufs Gehen lege; das behagliche Hinabgleiten sei nicht so wichtig, wie ich anzunehmen schiene. Nichtsdestoweniger versprach er mir, daß ich Berge genug bekommen solle, wenn wir erst zum Frognersäter kämen.
Es vergingen aber verschiedene Stunden, bis wir so weit waren. Unterwegs kehrten wir in einer Hütte ein …
Die Morgenluft biß, Baever atmete die Luft geräuschvoll durch die Nase. Llung war noch immer etwas schweigsam und verdrießlich nach dem Schlaf. Aber die Sonne und die Mühen des Weges tauten ihn auf. Ein froher Ruf von Llung – der Wald öffnete sich, und wir sahen nach Norden über das barsche Waldland. Meilenweit wanderten die schwarzen Flammen der Fichten. Und weit hinten standen weiße und bläuliche Berge unter dem dicken Winterhimmel. Der Wald öffnete sich auch nach einer anderen Richtung, wo das Land wie in einem Relief dalag, das rauhe Land, das unwandelbare Land, Norwegen.
Just so und nicht anders sah Norwegen aus, als die wilden Scharen unter König Sverre hier oben auf den Höhen gingen und zu Oslo hinabschielten … wird man jemals begreifen können, wie die Menschen jener Zeiten ihren Weg fanden? Oder wenn sie an einer jener Landzungen dort unten landeten, in offenen Booten, ohne Kompaß – wie stellten sie sich wohl das Land vor? Wie war Harald Haarfagers Ansicht über Norwegen? Was verstand Sverre unter seinem Königreich? – Llung schüttelte den Kopf, er hatte es auch nie begreifen können. Und wir kamen in ein Gespräch über die Völker der Vorzeit. Es hatte Menschen gegeben, die dieses Klima aushalten konnten, in Eisen gekleidet, von Kopf bis zu Fuß … und sie waren kleiner an Wuchs gewesen als wir, denn kein wohlproportionierter Mann von heute kann in einen gewöhnlichen Harnisch von damals hineinkommen. Dafür aßen und tranken sie doppelt so viel wie Menschen heutzutage, was alte Inventarlisten beweisen …
Während wir über dergleichen Dinge plauderten, kamen wir zu einer Hütte, einem starkbefestigten Balkenhaus – die Türen und Fenster waren mit wahren Panzerplatten versehen. Llung witterte durch die Luft. Hallo! – Hallo! tönte es aus der Tiefe des Waldes zurück. Und den steilen Abhang zwischen den Tannen herauf kam ein Mann gestiegen, ein zerlumpter und behaarter Mann mit bleichen Zügen und klugem Blick, der eine Zimmeraxt auf dem Nacken trug. Llung stellte vor: Herr Bureauchef Gude. Während wir uns vor einander verbeugten, tauchte ein junger Bursch aus dem Walde auf, ein schlanker, junger Wilder mit auffallend kräftig entwickelten Beinen und großen, rauhen Händen – Student Gude. Er verneigte sich scheu und verschwand wieder zwischen den Zweigen. Ein brauner Hund stürzte mit hellem Gekläff aus der Hütte, als er Stimmen hörte – – Ruhig, Bikje! ertönte Gudes Stimme.
Llung meinte, daß wir an dieser Hütte nicht vorbeigehen könnten, ohne auf ein fröhliches Weihnachtsfest anzustoßen. Die Hütte war inwendig frisch gefirnißt und famos dürftig eingerichtet – einige Holzstühle, vier spartanische Bettstellen, ein verräucherter Kamin. Der Bureauchef setzte Gläser und Flaschen auf den rohgezimmerten Tisch, und wir tranken – fröhliches Fest! Bald standen mehr Flaschen auf dem Tisch. Wir plauderten von Dingen des Tages, das heißt, von der Einrichtung der Hütte und von Plänen zu neuem Mangel an Komfort. Student Gude kam mit einem Eimer voll fahlem Schneewasser herein – jede Haarsträhne an ihm triefte von Schweiß – sie hatten eine halbe Stunde Wegs durch Wald und steinige Abhänge zum nächsten Wasserloch.
... Es war noch ein Mensch hinzugekommen, er stand plötzlich wie aus der Hütte gewachsen da. Er war zerlumpt und ungekämmt, ein sehniger Kerl mit bleichen Lippen und grünlichem Schein um die Nase, aber still und freundlich. Ich sah ihm den Waldmenschen an, ich sah, daß ihm Genügsamkeit und Waldesrauschen ein Bedürfnis sei. Er hieß Lövaas, war Dr. med. und wohnte einige Kilometer weiter aufwärts im Walde. Als wir in einer Pause draußen waren, zeigte Doktor Lövaas mir mit Befriedigung in weiter Ferne den Rauch einer Hütte – dort wohnte er von Samstag bis Sonntag zusammen mit drei anderen geschworenen Menschenverächtern.
Wir wurden etwas angetrunken bei Gude. Bevor wir aufbrachen, lud Lövaas uns alle Mann in seine Hütte zum Mittagessen ein. Das wurde angenommen.
Dann stampften Llung, Baever und ich davon zum Frognersäter, Llung hatte mir Berge versprochen, und die sollten mir werden. Llung war jetzt in strahlender Laune, die Anekdoten rieselten ihm in goldenen Strömen von den Lippen. Baever versuchte auch etwas auf seine angestrengte, abgebrochene Weise zu erzählen. Mein Kopf war ziemlich umnebelt, aber der Traum von heute morgen hielt einen Lichtstrahl darin aufrecht …
Wir hörten helle Rufe. Oben aus dem Walde klang es herab, und jedesmal wenn jemand jucheite, bekam man den Eindruck von Schnelligkeit. Wir näherten uns einem Waldweg, auf dem mit Rodelschlitten hinuntergefahren wurde. Und als wir ihn erreicht hatten, blieben wir stehen, um sie herabfahren zu sehen. Sie strahlten herab, die jungen Kristianier, zwei oder drei auf einem Schlitten, während die lange Steuerstange hinterher wogte. Bei jeder Biegung des Weges wurde jucheit. Junge Damen mit roten Zipfelmützen und allerliebsten wollenen Socken an den Beinen rutschten wie Donner und Blitzstrahlen hinab. Vor einem Augenblick noch erklangen ihre durchdringenden Warnungsrufe hoch oben vom Waldweg – jetzt tönen sie tief und verschwindend weit unten zwischen den widerhallenden Fichten. Horch, neue Rufe von oben!
»Aber das sind ja die cimbrischen Rufe!« rief ich Baever kalt vor Inspiration zu. »Dies ist ja der evidenteste und herzlichste Atavismus!«
Wir kamen zum Frognersäter. Und nachdem wir einige Glas Bier genossen hatten und vom Kamin auf der einen Seite gebraten worden waren, sollte der Abstieg beginnen. Llung sprach weitläufig und, wie mir schien, unnötig von einem gewissen »Korkzieher« auf unserem Wege. Wir schnallten die Schneeschuhe an, und fort ging es.
Bei dem ersten Berg entschwanden Llung und Baever mir gleich, ich sah sie klein werden, und weg waren sie. Ich war im Schnee hingestürzt. Während ich noch liegen blieb, um mich etwas zu erholen, sauste der eine feuerrote Kadett hinter dem andern wie ein Blitzstrahl den Berg hinab. Ich sah ein junges Mädchen hinabsausen – Tod und Teufel! – die goldgesponnenen Zöpfe flogen hinter ihr drein, und ein verfluchter Kadett raste ihr zur Seite auf einem Bein! Zwei rotköpfige Mädel sausten den Berg Arm in Arm auf den beschwingten Schneeschuhen herab …
Und ich weiß, weshalb ich aufsprang und wie von Freude durchsprüht wurde, ziellos – weil ich die Schnelligkeit liebe, in welcher Gestalt es auch sei, die Schnelligkeit. Ich schleuderte mich hinter den anderen her. Und es ging gut – göttlich, abwärts in einem Winkel von fünfundvierzig Grad. Da machte der Weg eine plötzliche Biegung – das war der Korkzieher! Ich sah, wie die Kadetten vor mir den Schwung nahmen – die wilden und sorglosen Kumpane ebenso einfach, als machten sie einen Knoten in ein Tau. Ich aber sauste über den Wegsaum hinaus und kopfüber in den Wald hinunter.
Llung und Baever warteten etwas weiter unten auf mich, sie standen ganz unschuldig da und rauchten Tabak, als ich kam. Ob ich mich gestoßen hätte? Inzwischen war es Zeit geworden, wieder aufwärts zu gehen, um rechtzeitig zu Lövaas zum Mittagessen zu kommen.
Die Hütte, in der Doktor Lövaas hauste, lag an einem kleinen See, hoch oben im Wald, es war eine hübsche, große Stube – viel hübscher als Llungs – mit einem Elenkopf über der Tür und sonst so notdürftig und mit Vorbedacht ungemütlich eingerichtet, wie es Männern ansteht. Die anderen drei Höhlenbewohner erwiesen sich als wortknappe und prunklose Leute im besten Alter, deren Äußeres mit Fleiß vernachlässigt war, Rassegesichter und befleckte Anzüge – im täglichen Leben bekleideten sie hervorragende Beamtenposten drunten in der Stadt.
Als wir kamen, war der Tisch bereits gedeckt. Llung spähte umher … bald darauf witterte auch ich die Anwesenheit eines weiblichen Wesens. Ja, es muß zugegeben werden, sie hielten eine Haushälterin in der Hütte! Aber sie war alt und unschädlich, häßlich wie die Nacht und gut dressiert. Sie sagte keinen Ton. Das Essen war gut, wir bekamen Erbsensuppe mit Salzfleisch.
Während der Mahlzeit herrschte ein bequemer und freier Weltmannston. Alle Anwesenden hatten, als wäre es das Natürlichste von der Welt, ganz Europa bereist. Niemandem wurde der Atem benommen, wenn man von der Karl-Johannstraße zum Boulevard des Italiens schweifte, das Gespräch glitt mit Leichtigkeit durch französische Literatur zu englischem Sport. Besonders muß ich Llung preisen. Er überraschte mich oft durch die groben Gegensätze und das feine Gleichgewicht seines Wesens. Dieser Mann ist ungewöhnlich bereist, seine Phantasie umspannt mühelos zwei Drittel der Erde; er weiß von allem Bescheid, was Menschen wissen, aber in seinem Fach ist er ein Gelehrter; er tritt, wenn er will, mit den besten gesellschaftlichen Allüren auf, und wenn ihm der Sinn danach steht, als salopper Gamin; er ist ein Kenner von den Subtilitäten der Kultur, von Essen, Tabak und Wein und von Dingen, die noch besser sind, und er kann einen versalzenen Hering in Gesellschaft der Niedrigsten der Nation mit Fusel herunterspülen; sein Kopf ist wohlgeordnet und in den ungeheuer komplizierten Systemen einer modernen Gesellschaft geübt, und er sieht wie ein Lotse in Wald und Feld.
»Prost, Herr Llung! Ich beglückwünsche Norwegen zu der Vereinigung von Kultur und Barbarei in Ihrer Person! Jedes Jus ist von den Hütten ausgegangen und muß zu ihnen zurückkehren, jede Wissenschaft stammt von den fünf lebenden Sinnen ab und kann sie nicht entbehren.«
Das Mittagessen schritt vorwärts, begann jetzt aber eine nationalere Wendung zu nehmen. Llung erzählte wieder Anekdoten, und man konnte den verschiedenen anhören, aus welcher Gegend in Norwegen sie stammten. Doktor Lövaas gab kleine, barocke Stavanger Geschichten zum besten; Baever, der über das rein Epische hinaus ist, stotterte kleine Züge aus dem Leben der Gebirgsbauern hervor, schillernd und unruhig wie ein Kinematograph …
Viele Flaschen marschierten auf, und jeder mischte sich den Trank nach Behagen. Draußen war es schon lange dunkel geworden. Das Feuer leckte still und geschäftig im Kamin. Die Stube lag in einem dicken Tabaksnebel. Und die Zeit verging wie Wellenschlag gegen eine Küste … es war Flut gewesen, lautes Gerede und viele Stimmen durcheinander wie Wellengeplätscher gegen Steine – jetzt schien es Ebbe zu sein, der müde Schaum sickerte in den Sand, die Wasser draußen im tiefen Meer beruhigten sich. Ich selbst war müde, aber einmal sah ich scharf, und da fiel es mir auf, wie alle diese Männer, deren Stärke die Beobachtungsgabe war, jetzt still in sich zusammengesunken waren, ihre Nerven hatten sich nach innen gekehrt. Nur Baever – er saß weit vom Tisch entfernt und war nüchtern – Baever beobachtete ohne Falsch, weil er nicht anders konnte.
Mein Bewußtsein wirkte nur hin und wieder, wie eine Maschine, deren Riemen von der Scheibe gleitet und nur ein seltenes Mal festhält. Draußen war kein Mondschein, aber der zugefrorene und kleine See leuchtete, und ich schien plötzlich auf Schlittschuhen zu laufen, die ich irgendwo bekommen hatte, ich lief in der singenden Kälte, bis die schwarzen Fichtengipfel um den See mir vor den Augen tanzten. Ich hörte ein Tripp-Trapp auf dem Eise, das war Baever, der lavierte, er glitt ein langes Stück vorwärts, zuletzt ganz sachte, drehte sich dann halb um und blieb stehen. Die Hütte lag oben am Ufer mit ihrem roten, traulichen Fenster. Kein Luftzug rührte sich, aber die Kälte drang einem durch Mark und Bein.
Noch einmal schwoll die Stimmung am Tische – mit Lustigkeit, Aufschneiderei, Herausforderung – bis sie in Flüchen und Gesang kulminierte. Dann fiel sie langsam zu Geschwätz herab und endigte mit Müdigkeit. Worauf wir aufbrachen. Wir mußten alle miteinander zur Stadt, morgen war Montag.
Es war pechdunkel draußen, Llung aber hatte unter Zanksucht und Hochfahrenheit eine Fackel konstruiert, aus einer Stange und einer Sardinendose, mit Asche und Paraffin gefüllt. Während wir in verstreutem Trupp durch den kalten Wald abwärts taumelten, die Luft stach durch alle Poren, prahlte Llung gewaltig mit seiner Erfindung. Die Fackel leuchtete auch wirklich ausgezeichnet. Ein Stück weiter unten aber fiel Llung auf dem steilen Weg, und der ganze brennende Inhalt der Dose ergoß sich über ihn. Er fiel schwer, ich wandte mich um und sah ihn mit dem Feuer fechten – die anderen schwiegen – Llung strich sich die Funken mit einer recht unangefochtenen Miene aus dem Gesicht, aber seine Augen blickten erschrocken. Im selben Augenblick fingen alle an zu lachen. Nein, wie wir lachten! Die eine Seite seines Bartes war abgesengt; Llung kam wieder auf die Beine, und glücklicherweise hatte Herr Gude eine Zweiradlampe im Gürtel, so daß wir den Weg zur Holmenkolbahn fanden. Llung aber fiel noch mehrere Male unterwegs und gebärdete sich sehr weitläufig, alles in allem glaube ich, daß er sich an mehreren Körperstellen schlimm stieß, so daß man die Expedition als eine großartige Erholungsreise betrachten konnte. Spät abends erreichten wir die Stadt.
Während wir in der Straßenbahn saßen, stumm und erschöpft, fiel mir plötzlich ein, daß wir einmal im Laufe des Abends nach altnordischer Sitte Gelübde abgelegt hatten. Beim Leeren der Becher war manches Versprechen gegeben worden, dessen ich mich nicht mehr erinnere. Ich selbst aber hatte nach dem Vorbild Vagn Aagesöns das Gelübde abgelegt, eine gewisse näher charakterisierte Dame in Dänemark – sie, die ich im Traum gesehen hatte – zu besitzen oder zu sterben.
Die Straßenbahn stampfte auf den Schienen. Ach, dachte ich, dies Gelübde habe ich in der Trunkenheit abgelegt, das brauche ich nicht zu halten.