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Im Kristianiafjord liegen viele kleine Inseln und Holme. Eine der kleinsten hat einen Hain von Fichten, wo man ein Restaurant gebaut hat, der übrige Teil der Schäre ist kahl. Sie wälzt sich schräg aus dem Meer hervor, geriffelt wie der Bauch eines Finnfisches, tief gefurcht und zerrissen. Hier sind die Millionen Jahre spurlos vorübergegangen, die frischen Wunden der Klippen zeugen mit ganz klarer und doch unleserlicher Schrift von den ungeheuren Kräften, die einst in der geschmolzenen Granitmasse gewühlt haben. Und die ganze runde, abgeschliffene Form der Schäre erzählt von der Arbeit der Gletscher, als sei es erst gestern gewesen, daß die Eiszeit übers Land ging.
Ich machte mich eines Abends dorthin auf den Weg. Es war ein warmer Tag gewesen, der erste Maitag des Jahres. Von morgens an hatte die Sonne auf die Häuser gebrannt, so daß ein Kalkgeruch aus den Mauern drang. Die Blätter der Birken waren am selben Vormittag in drei bis vier Stunden ausgesprungen. Als ich am Morgen durch den Schloßpark ging, merkte ich ein feines Gas zwischen den Bäumen, einen schwefeligen Geruch; der kam von platzenden Knospenschalen. Zur Mittagszeit standen die Birken hellgrün und frostig zitternd in der Wärme wie zarte junge Mädchen. Am Nachmittag war der ganze Studentenhain grün geworden, die Bäume standen mit runden Kronen da und atmeten nervös wie große, grüne Lungen. Der Park, der noch vor wenigen Stunden so kahl gewesen war, daß man durch ihn hindurch sehen konnte, war jetzt dicht und schimmerte wie ein Smaragd. Die Bäume dampften nach dem Ausspringen, ein fast unsichtbarer Dunst wie Champagnerschaum ging von ihnen aus.
Kein Lüftchen rührte sich. Die Sonne flammte in dem blauen Raum, der ganze Himmel war eine blendende Fackel. Rubinrote Flaggen hingen unbeweglich über den Dächern, die Leute schwitzten auf den Straßen. Kristianias Jugend prangte in Blumenfarben auf der Promenade. Die kleinen üppigen Halbunschuldigen, die sich so keck in Norwegen brüsten, spazierten paarweise vorbei.
Als die Wärme des Tages nachzulassen begann, kam ich zur Schäre hinaus und sah wie Staub und Rauch sich über der Stadt sammelten und sich kurz vor Sonnenuntergang in einer schmalen Fahne, die von der Abendbrise zerzaust und zerrissen wurde, über den Häusern gelagert hatten.
Bald ward es still draußen auf der Schäre. Niedrige und matte Wellen taumelten atemlos gegen die Steine und rieselten wieder zurück. Die Stadt rauchte in der Ferne wie ein Wasserfall. Der Himmel wurde farblos, und die Sonne ging unter. Aber es wurde nicht ganz dunkel.
Einige Stunden später, als die Nacht kam, war es noch halbhell. Eine kühle Nacht ohne Sterne und mit einem roten Schein im Norden. Alle Laute starben dahin. Nur die Stadt fuhr fort wie eine ferne Schleuse zu tönen.
Ein eigener, farbloser Dunst war oben im Raum, keine Wolken und auch keine Dunkelheit. Ich hörte einen langgezogenen Laut. War es der Wind?
Nein, es war ein Sausen hoch oben, es war wie Zugluft oben im Weltraum. Bald klang es wie Musik, bald wie ein Gellen von wehmütigen Stimmen. Einmal war es mir, als hörte ich ein munteres Gezwitscher und ein Sausen als ob etwas vorüberzöge.
Da kam der Laut plötzlich näher und wurde zu einem Schwellen über meinem Haupte, ich hörte Stimmen und starke Flügelschläge. Und aus turmhoher Ferne erklang ein durchdringender Angstschrei – wie Glas, das zerspringt. Viele Stimmen antworteten, ich hörte eine schwindende Klage, wie von jemand, der weiterzieht. Im selben Augenblick stürzte ein schwerer Körper in schrägem Fall auf die Klippe herab, keine zwei Meter von mir entfernt. Der Sturz war zerschmetternd, das verunglückte Wesen rührte sich nicht; es war ein geflügeltes Geschöpf, das auf der Schäre, hart am Wasser liegen blieb.
Ein schlankes, junges Weib mit einem weißen Körper und braunen Flügeln. Sie war tot. Das Blut lief ihr aus Nase und Mund. Die Beine waren im Fall gebrochen und lagen unter ihrem Rücken. Der eine mächtige Flügel zitterte noch schwach. Ich sah im Halbdunkel, daß sie blaue Augen hatte; sie waren weitgeöffnet.
Das Sausen droben in der Mainacht dauerte fort.