Kurt Kluge
Die Zaubergeige
Kurt Kluge

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Andreas brauchte sich wegen seiner Heimlichkeiten keine Sorgen zu machen. Der sah fahrlässig aus. Oder wenigstens nicht alltäglich sah er aus, wie er da mit seinem Geigenkasten unterm Arm die Gaststätte zur Grotte betrat.

»Aha«, sagte Schmalfuß, »heute eine Violineinlage!«

»Du spielst Geige« – Hasel strahlte.

Aber Andreas verlangte nur zu wissen, wo er sein Instrument sicher verwahren könne. Kein Zureden half. Hasel schloß ihm einen Nebenraum auf, in dem Stühle übereinandergestellt, Tische gestapelt waren, Körbe mit Gläsern, Bestecken herumstanden. Die Lichtleitung versagte. Hasel brannte ein Streichholz an: »Warum spielst du nicht? Ein kleines Stück bloß« – sie hielt ihn fest, das Holz verlöschte – »für mich, Andreas.«

»Ein andermal.«

»Hier hört's doch keiner« – sie hatte ein Lichtstümpchen angezündet.

»Ich – ich kann hier nicht geigen.« Er suchte nach einer Ausrede, die Hasel kein Leid antat, er lachte: »Weißt du, warum? Ich habe schlecht geträumt letzte Nacht.«

»Oh, geträumt! Andreas – vielleicht war das gar nichts Schlechtes! Bleib hier. In einer Minute bin ich wieder da.«

Eigentlich hatte Andreas Hunger und gar keine Lust, in dieser Abstellkammer zu stehn und zu warten. Er hob den Leuchter. So klein war der Raum gar nicht . . . dort in der Ecke stand ein alter Schrank aus gelbem Holz, schief an der Wand hing ein leerer Bilderrahmen . . . Da kam Hasel gelaufen, atemlos. Erstaunt sah Andreas das bunte zerflederte Heft an, das sie brachte. »Hier steht alles drin«, sagte sie.

»Traumbuch; wahrhaftige, unbetrügliche Unterweisung, 32 wie allerhand nächtliche Träume und Erscheinungen ausgelegt werden sollen«, las Andreas – »Na, Hasel, nächtliche Erscheinungen –«

»Lache nicht. Du wirst's gleich merken. Also los. Das geht hier alphabetisch. Wovon hast du geträumt?«

Andreas lächelte vor sich hin. Er hatte wirklich geträumt. »Von einem Baum –« begann er.

Sie blätterte eifrig: »Be – Ba – Baum!«

»Halt! Ich, ich selbst bin ein Baum, und ich stehe an einem ausgetrockneten Fluß. An einem Strombett. ›Da gucken schon die Hungersteine raus‹, sagen die Leute und zeigen auf die trockenen Felsbrocken zwischen den Wasserlachen. ›Alle hundert Jahre sieht man die‹, flüstern die Menschen und sehen mich an: ›Nun verdorrt der auch.‹ Ringsum alles knisternd dürr und tot. Ich fühle, wie mir die letzten Blätter abfallen. Aber da« – Andreas packte Hasel am Arm – »in einem Nu wird es Nacht, ein schwefelgelber Blitz, ein ungeheurer Donnerhall, wie in einem Domgewölbe großartig breit auswummernd. Und gleich ist die Luft wieder zart und leicht, ich atme den elektrischen Duft bis ins Innerste, die Blätter wachsen neu, schmaler dunkelgrüner Lorbeer« – Andreas legte die Hände an seine Schläfen, schloß die Augen – »und ich bin wieder lebendig, Hasel.«

Das Mädchen sah ihn reglos an: »Ach«, sagte sie, »und nun bist du aufgewacht? Und das Gewitter hat gar nicht geregnet?«

Er schüttelte den Kopf: »Der Blitz hat mich aufgeweckt aus der Totendörre. Also sieh nach in deinem Buch, was das bedeutet.«

Ratlos blätterte Hasel. Was sollte nun gelten? Baum, 33 Blatt, Feuer, Wasser, Hungerstein, Blitz . . . »Da! Sieh her. Bei Blitz steht: Sei auf der Hut, sie werden über dich kommen mit Gewalt – o weh, Andreas . . .«

»Und was heißt: frische Blätter wachsen auf einem verdursteten Baum?«

Hasel blätterte, suchte in ihrem Traumbuch . . . das stand nicht drin.

Andreas starrte über sie weg. »Auch gut«, sagte er vor sich hin, »was noch niemals geschehen ist« – er sprang auf, schlug mit der Faust auf den Tisch – »das bedeutet dieser gottverdammte Traum!!«

»Andreas! Bist du krank?«

Er sah sie an, erwachend, noch bleich im Gesicht: »Hast du Angst?« Andreas streichelte sie. »Du bist ein gutes Mädchen, Hasel.«

 


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