Kurt Kluge
Die Zaubergeige
Kurt Kluge

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Andreas hatte nach dem Konzert nicht zwischen Menschen gedrängelt wie Lichtermark. Die Seele voll Musik, war er, den Lorbeerzweig in der Hand und den Kasten mit der Stradivari unter dem Arm, aus dem Konzerthaus gegangen, in eine Droschke gestiegen –

»Wohin?«

»Grotte«, hatte er mechanisch gesagt und innen drin in dem rollenden Gehäuse weitergeredet: »Agnes, nun sage noch einmal: ja. Ja? Ja!!«

199 »Was is los?« fragte der Kutscher durchs Glas und zügelte sein Pferd.

»Eine Hochzeit!«

»Na denn alles Gute, hü!«

Der Wunsch des Kutschers war wohl angebracht, denn als Andreas die Grotte betrat, um sich umzuziehen, lag zu seinem Schrecken plötzlich ein Mädchen in seinen Armen: »Andreas!« rief Hasel. »Und die Geige hast du auch noch!«

Der Geiger fuhr mit der Hand langsam über die Stirne: »Du bist's, Hasel . . .«

»Spielst du heute Geige?«

»Das Abschiedslied«, sagte er schwermütig, »schließ die Hinterstube auf! Hole Wein!«

»Willst du immer noch fort?« Sie hielt ihn fest.

»Ich bin schon fort, Hasel.«

»Wo bist du denn, Andreas?«

»Wo der Mensch wenig und das Werk alles ist. Hole Wein. Ich muß bald fort.« Als er an dem alten Klavier vorbeikam, lächelte er, streichelte das glatte Holz.

Hasel sah Andreas ratlos von der Seite an. Sie schloß die Hinterstube auf, entzündete die Kerze, aber Wein holte sie nicht. »Sag doch«, begann sie.

Andreas griff in die Tasche, warf zerknittertes Papiergeld auf den Tisch: »Starken Wein, Hasel, teuren Wein. Wir müssen uns gute Reise wünschen.«

Erschrocken sah sie das viele Geld: »Wo hast du das hergenommen?«

»Wein, Mädchen!«

Sie lief hinaus. Andreas zog den dicken Frackrock aus und warf ihn quer über den Tisch, riß den engenden Kragen ab, das Hemd auf: »Luft . . .«

200 Hasel kam mit dem Wein, sah wie Andreas seine Musikerohren zuhielt aus Angst vor dem Korkenknall. Vorsichtig öffnete sie die Flasche, der Geist zischte hoch, trieb spielend den hellen Wein in den Gläsern zu Schaum: »Wo ist der gewachsen, Hasel?«

»Reims, steht auf der Flasche.«

»Ein frommer Ort. Da ragt ein alter Albdruck aus Stein zwischen den Weinbergen hoch. Und durch die Domwände sollen Bilder von innen her durchgewachsen sein. Wie der Geist durch unsern Wein da treibt.« Er schenkte sein Glas von neuem voll, der Schaum quoll über, floß über den Lorbeerzweig, den Andreas auf den Tisch gelegt hatte.

»Was ist das für ein Zweig, Andreas?«

»Lorbeer, Hasel. Wen sie nicht hängen in Kranichstedt, dem setzen sie das als Mütze auf.«

»Einen Zweig?«

»Du mußt ihn rund biegen.«

Hasel bog die Enden zusammen, band sie mit einem Drahtende vom Weinkorken: »So?« Sie drückte den Lorbeer lachend in Andreas' Haar, aber schrie jählings auf, als sie ihn da stehn sah mit den Blättern um die Schläfen: »Andreas! Dein Traum!!«

Der Geiger schloß die Augen: »Da hast du's, Hasel. Ich kann nichts dafür« – er nahm ihre Hände – »es tut mir leid. Herr Schmalfuß wollte mich schon zu Feuerholz spalten in der Grotte. Aber du siehst – der verdurstete Baum treibt wieder.«

Sie riß ihm den Blätterzweig ab.

»Zu spät, Hasel. Leb wohl!«

»Du bist nicht anders als die andern auch!«

201 »Bis zu dieser Stunde haben die Leute zu mir gesagt, ich sollte mich schämen, daß ich nicht wäre wie sie.«

Hasel zerpflückte den Lorbeerzweig, streute das Kraut in den Wein. »Der wird bitter davon. Wollen wir uns den Wein verderben damit? Geigen muß ich doch, Hasel.«

»Du bist verhext von dem Ding.«

»Es ist nur stärker als ich.«

Hasel griff nach dem offenen Geigenkasten: »Ich schmeiße das Holz in den Ofen, und du bist 's los!«

So hatte sie den Mann noch nicht gesehen – er warf sich über den Geigenkasten, packte sie an der Brust, Kleiderstoff riß. Hasel schrie auf. Aber gleich fühlte sie, wie seine Faust losließ, eine Schwäche des Entsetzens ihn ankam. Die Augen standen ihm schwarz und unwirklich weit offen.

Er muß verhext sein, dachte sie, strich ihm über die Wangen, die Augen.

Andreas kam wieder zu sich, lehnte blaß am Tisch, lächelte sie an . . .

Er ist anders als wir, dachte Hasel und sagte traurig: »So hängst du an dem Ding?«

Andreas fühlte das Mitleid, zog sie an sich: »Du kannst das nicht verstehen, Hasel.« Er küßte sie.

»Zu dienen«, sprach Herr Schmalfuß und öffnete die Tür zur Hinterstube mit einer Verbeugung der tiefsten Ehrerbietung: der Geheimrat trat ein, seine Gattin. Becker und Lichtermark folgten ihnen. Aus den hellerleuchteten vorderen Haupträumen kommend, sahen die neuen Grottengäste im schwachen Kerzenschimmer der Hinterstube zunächst nur einen Mann ohne Rock und Kragen, der ein Mädchen küßte.

»Wir sind falsch hier« – die Geheimrätin wollte 202 zurücktreten. Aber Becker hatte schon die Geige erblickt: »Da ist sie!!« schrie er.

Lichtermark dagegen hatte in Anwandlung einer Ohnmacht nur das Mädchen erblickt, das Andreas küßte: »Das ist sie nicht!!« schrie er.

»Mein Freund« – der große Dirigent hob in gemessener Dirigentenhaltung die Hand. Ruhe trat ein. Er stand allein in der Mitte des Zimmers. »Wir konnten nicht länger warten mit dem Abendessen«, fuhr er fort.

»Ich wollte nur«, Andreas stockte, »mich umziehn«, sprach er seinen Satz entschlossen zu Ende.

Der Geheimrat nickte, machte eine kleine Geste, sich nicht stören lassen zu wollen: »Allen Erfolg. Wir kommen wegen des Umzugs der Stradivari. Die muß nun endlich in ihr Quartier.«

Becker stand wie einer der heiligen drei Könige an der Krippe. Andächtig hob er die Geige aus dem Sammet, tat einen ungeheuren Seufzer, drückte sie sanft an seine Brust und schlug die Augen auf zum Himmel. Nicht eines Wortes war er fähig. Hasel beugte sich neugierig vor und sah dem alten Herrn ins Gesicht: Ich glaube, dem kommen die Tränen, dachte sie erschrocken. Verrückt sind sie alle miteinander. Ob Geigenmänner überhaupt nicht so bei Verstande sind wie unsereins? Wie einen Fremden sah sie Andreas unter Fremden stehen.

Indessen ruhte der Geheimrätin Blick auf Andreas: was bedeutet dies alles? Genau so töricht hatte dieser Andreas heute in aller Morgenfrühe bei ihr auf der Diele gestanden und den Kapellmeister des Gewandhauses aus dem Bett holen wollen – wegen eines Mädchens? Oder wegen einer Geige? Ach, sie hatte viel erlebt: wohl wegen beidem . . .

203 Lichtermark aber hatte sich um die Geige überhaupt nicht bekümmert. Er sah dem Andreas drohend ins Gesicht und begann: »Was aber die Hauptsache ist – die heilige Ildewig –«

»Da haben wir's«, sagte sich Hasel, »das sind Verrückte.« Leise wich sie zurück nach der Tür, tastete nach der Klinke –

»Die Ildewig«, fuhr Lichtermark fort, »Andreas – was soll ich der bestellen, wenn ich ankomme in Kranichstedt?«

»Alles, was mir nicht angehört, sei wieder an seinem Ort, richten Sie aus, bitte«, antwortete Andreas leise. »Leb wohl, Hasel!« Er sah sich um nach ihr. Aber Hasel war nicht mehr im Zimmer.

 


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