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Nure-Goke. Die geile Witwe

Früher sah man es nicht gern, wenn eine Witwe wieder heiratete. Sie blieb und bleibt auch heute noch in der Familie, in die sie geheiratet hat, und wird von ihrem Sohn oder dem Ehemann ihrer Tochter unterhalten. Bis vor etwa 25 Jahren mußte sie, wenn sie wieder heiraten wollte, zu ihrer eigenen Familie zurückkehren; damit wurde sie zur unverheirateten Frau und gewissermaßen wieder zur Jungfrau, da sie alsdann ihren Mädchennamen wieder bekam. Es ist sonderbar, daß man das Wort »Ikazu-goke«, eine unverheiratete Witwe, in Japan als Bezeichnung für eine alte Jungfer gebraucht, als Spottname für eine Frau, die ledig geblieben ist. Es ist aber allgemein gebräuchlich, eine Frau, die niemals geheiratet hat, also Jungfrau geblieben ist, als »Goke«, Witwe, zu bezeichnen.

Nach dem heute geltenden bürgerlichen Gesetzbuch kann eine Frau aus der Familie, in der sie Witwe geworden ist, wieder heiraten. Man will ihr die Unannehmlichkeiten, die mit dem Wechsel des Wohnsitzes verbunden waren, heute ersparen, aber sie muß die Einwilligung zur zweiten Ehe von dem Haupt sowohl ihrer, als auch der Familie ihres früheren Ehegatten erhalten. Sie bringt jedoch aus dem Hause ihres verstorbenen Gatten nichts weiter mit als ihre Kleider und sonstiges persönliches Eigentum, so daß sie kein begehrenswerter Gegenstand für einen ehelustigen Mann ist. Jukichi Inouye, a. a. O., S. 218.

Wenn eine Witwe, die nicht wieder heiratet, nach ihrer Veranlagung wollüstig und geil ist, dann nennt sie das Volk »Nure-Goke«, eine feuchte Witwe, weil sie sich beständig im Zustand geschlechtlicher Erregung befindet und daher Geschlechtsverkehr sucht und findet. Wir haben im Abschnitt »Das Vorspiel« von der im Volksmund sehr häufigen Verwendung des Wortes »Nure« in dieser Verbindung ausführlich gesprochen.

Wie fast alles Geschlechtliche ist die geile Witwe für das Volk eine lächerliche Gestalt. Wir erinnern hier an die im Abschnitt »Götter und Geister« gebrachte Geschichte von der unersättlichen Witwe, die einen Mann mit einer großen Nase gefunden hatte, bei dem sich aber herausstellte, daß sein Penis nicht der nach der volkstümlichen Redensart zu vermutenden Größe entsprach.

Führte der Geschlechtsverkehr einer geilen Witwe zur Schwangerschaft, dann sagte das Volk »Akai Shinnyo ga ko wo haramu«. Akai bedeutet rot. Eine Shinnyo ist eine brave, fromme Frau. Die buddhistischen Priester stellen das Wort oft hinter den Namen, den sie einer Frau nach ihrem Tod geben. Es ist in Japan Sitte, die Schriftzeichen »Shinshi«, gläubiger Mann, auf dem Grabstein eines verstorbenen Ehemannes hinter dem Namen, den ihm die buddhistischen Priester nach seinem Tod gegeben haben, eingraben, und gleichzeitig, die Schriftzeichen »Shinnyo« daneben anbringen zu lassen. Während Shinshi mit goldener oder schwarzer Farbe bemalt wird, wird Shinnyo mit roter Farbe bemalt und bleibt so, bis die Witwe gestorben ist. Auf diese Weise ist »Akai Shinnyo« zu einem volkstümlichen Ausdruck für Witwe geworden. Die angeführte Redensart, in der sich »Akai Shinnyo« mit einem die Sache treffenden Wort nicht wiedergeben läßt, lautet dann lediglich: »Eine Witwe ist mit einem Kind schwanger.« Die Sitte, auf einem buddhistischen Grabstein eines Ehemannes einen Hinweis auf die noch lebende Witwe anzubringen, läßt darauf schließen, daß die Priester nicht mit einer Wiederverheiratung rechneten. Das Volk dachte aber anders; es traute auch einer erst kürzlich zur Witwe gewordenen Frau nicht, denn ein Sprichwort sagt: »Pfirsichbäume und Kastanienbäume brauchen drei Jahre, um Früchte zu tragen, aber eine Witwe ist nur ein Jahr lang Witwe.«

Die Redensart über eine schwangere Witwe ist in einem allgemein bekannten Senryū verwertet:

Sekitō no Die auf dem Grabstein
         Akai shinnyo ga Rote fromme Frau ist
Mata harami. Wieder schwanger geworden.


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