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Im Abschnitt »Shijū-Hatte« haben wir unter »Chausu« ein Lied erwähnt, das im zweiten Bunsei-Jahr (1819 u. Z.) aufgetaucht ist und die Yotaka in folgender Weise schildert: »... die vierte ist ein Nachtfalke (Yotaka). Dieser Nachtfalkenvogel macht andauernd hier und dort Lärm, sobald die Sonne untergegangen ist ...« Damit soll gesagt werden, daß die Yotaka ein Freudenmädchen ist, das sich nachts auf den Straßen herumtreibt und auf Beute ausgeht. Auch liegt darin zugleich ein Hinweis darauf, daß sie die niederste Art ihrer Gattung ist, gegenüber den heimlichen Freudenmädchen die in den geduldeten Häusern untergebracht sind. In einem Werk über die Prostitution in Japan steht über die Yotaka folgendes: »How the Social Evil is regulated in Japan«, Autor und Erscheinungsjahr unbekannt.
»Der Ursprung des Wortes ›Yo-taka‹ wird in einem anerkannten japanischen Nachschlagewerk wie folgt angegeben: ›Im achtzehnten Jahrhundert stand in der Yoshida-Straße in der Altstadt von Tōkyō ein Haus, das man ›Das Haus zum Nachtfalken‹ nannte. In dieses Haus gingen Frauen, die geschminkt und schön gemacht sein wollten, wenn Verwüstungen durch Krankheiten sie so entstellt hatten, daß sie sich nicht mehr sehen lassen konnten. Diese Frauen, die durch und durch krank waren, wurden dort geschminkt und zurecht gemacht, daß sie wie junge Mädchen aussahen. Alten Hexen malte man die Augenbrauen mit Holzkohle schwarz und richtete man das Haar in modischer Weise zurecht, um sie möglichst anziehend zu machen. Bei vielen dieser Freudenmädchen war die Nase von der Syphilis weggefressen, aber auch dieser Schaden wurde mit gefärbtem Kerzenwachs beseitigt. Unter ihnen gab es taube, stumme, mit Geschwüren behaftete Personen, die an schwarzem Star und anderen Krankheiten litten, die sie der Syphilis verdankten, so daß sie in einem regelrechten Bordell keine Aufnahme finden konnten. Ihre schmutzige Hautfarbe wurde mit Puder weiß gemacht und die syphilitischen Geschwüre und Wunden im Genick wurden ausgefüllt und mit Schönheitsmitteln unsichtbar gemacht, während die Taschentücher, die sie sich um den Kopf banden, ein übriges taten, um sie gegen allzu eingehende Besichtigung zu schützen. In ihren schmutzigen, fettigen Kleidern aus Baumwollstoffen trieben sich diese Frauen nachts auf der Straße herum und man konnte sie im schwachen Licht des abnehmenden Mondes wie Geister der Verdammten herumeilen sehen, auf der Jagd nach Opfern. Sie hatten die Gewohnheit ein Stück Strohmatte oder eine wollene Decke mit sich herumzutragen, deren Verwendung eigentlich zu selbstverständlich ist, als daß man dafür eine Erklärung zu geben braucht. Sie machten sich an Vorübergehende mit der größten Unverschämtheit heran und der Preis für ihre Gunst betrug einige Pfennige für die Nacht! Während der Zeit von 1711 bis 1735 wurde diese Plage so schlimm, daß eine große Menge von diesen Frauen gezwungen wurde, eingeschriebene Freudenmädchen zu werden, indem sie durch die Regierung zwangsweise dem Yoshiwara überwiesen wurden.
Die Abbildung zeigt uns ein solches Mädchen neben einer Bretterbude an der Meeresküste; das Bild stammt aus »Kaihō Jinkōki« (Taschen-Rechenbuch!), verfaßt von Yamada Toshio und veröffentlicht im achten Tempō-Jahr (1837 u. Z.).
Heute sind die Verhältnisse bei den Straßendirnen nicht mehr so schlimm, wie sie geschildert wurden. Dies kommt im folgenden Volksliedchen, das aus der Yedo-Periode stammt, zum Ausdruck; es handelt sich darin lediglich um ein Straßenmädchen, von dem nichts Übles gesagt wird.
»Yotaka no Bobo kara
Kaji ga deta,
Mizu-mara motte koi
Sorya kieta.«
»In dem Cunnus einer Yotaka ist eine Feuersbrunst ausgebrochen! Laß einen Stachel mit Wasser bringen, dann wird das Feuer bald erloschen sein!« Mizu-mara, der Wasserstachel, ist das männliche Glied; von Mara haben wir schon gesprochen, mizu, das Wasser, kommt auch in Zusammensetzungen in der Bedeutung »männlicher Samen« vor, wie z. B. in »Kimizu,« gelbes Wasser. Das Merkwürdige an diesem Volksliedchen ist jedenfalls, daß es nicht einmal diesen Straßendirnen eine geschlechtliche Erregung, ein Feuer, abspricht.
Man nennt die Yotaka auch »Kyōdō-Benjo«, öffentlicher oder gemeinschaftlicher Abort, nach der Bedeutung von Kyōdō, gemeinschaftlich, nimmt jeden an; wir würden im Deutschen sagen: Jeder kann darauf gehen. Den Namen »Bedürfnisanstalt« führen die Straßendirnen schon lange und sie haben ihren Namen gewechselt, wenn diese öffentlichen Aborte ihren Namen wechselten. In der Yedo-Periode nannte man beide »Tsuji-Kōka«, Straßenlatrine; als etwa im 25. Meiji-Jahre (1887 u. Z.) für die öffentlichen Bedürfnisanstalten die Bezeichnung »Tsuji-setchin«, Straßenabort, aufkam, ging dieser Ausdruck auch auf die Straßendirnen über, bis schließlich »Kyōdō-Benjō« als feinerer Ausdruck für die heutige Zeit in Gebrauch kam.
Andere Benennungen für eine Yotaka sind: »Ukimi«, der auf dem Wasser treibende Leib, weil sie keine bleibende Stätte haben; in demselben Sinn sagt man auch »Ukine«, der auf dem Wasser treibende Schlaf, weil diese Mädchen keinen festen Wohnsitz haben, wo sie schlafen können. Deshalb hat man auch für die Tätigkeit dieser Straßendirnen das Wort »Korobine«, ein kurzes Schläfchen. In dem Wort steckt aber der Begriff: sich an irgendeinem Platz niederlegen, um zu schlafen, wobei Inouye noch den Zusatz macht: ohne sich auszuziehen. Damit ist die Preisgabe dieser bedauernswerten Mädchen sehr gut gekennzeichnet.
»Hime«, die Fürstin, die Prinzessin, ist an anderen Stellen schon erwähnt. Wir wiederholen hier das im Abschnitt »Harikata« gebrachte Senryū, weil es uns den in der Yedo-Periode üblichen Brauch beweist, daß die Straßenmädchen ihren Kunden den Geschlechtsteil unaufgefordert vorzeigten, damit diese sich überzeugen konnten, daß sie an keiner Geschlechtskrankheit litten.
»Sakuyahime suso wo hiraite
Ana wo mise.«
»Die Straßendirne (eigentlich die Fürstin von gestern Nacht) hebt die Röcke hoch und läßt die Höhle der Liebe betrachten.«
In Kyōto nennt man die Yotaka »Tsujigimi«, ein Freudenmädchen, das sich auf der Straße sehen läßt (Tsuji-gi-mi). Gi ist ein allgemeines Wort für ein Freudenmädchen, kann aber auch eine Sängerin ohne anzügliche Nebenbedeutung bezeichnen.
Ein heute nicht mehr gebräuchliches Wort, das auf Ōsaka beschränkt war, ist »Sōka«, eine mit allen Verheiratete. Gegenwärtig nennt man die heimlichen Freudenmädchen in Ōsaka »Shiro-Yumoji« oder »Shiro-Imoji«, die mit dem weißen Lendenschurz, weil sie dort weiße Lendenschurze tragen, während sonst rote Lendenschurze üblich sind. Worauf diese eigentümliche Sitte zurückzuführen ist, läßt sich nicht feststellen. Sie ist jedenfalls insofern sonderbar, als doch ein weißer Lendenschurz viel leichter Spuren der Unsauberkeit trägt, als ein roter.
In den nördlichen Provinzen Japans bezeichnet man die geheimen Freudenmädchen als »Osharaku«, das »die Freimütigen« oder »die Offenherzigen« bedeuten könnte.
Ein allgemein gebräuchlicher Name der Straßenmädchen, der aber auch für die Aufwärterinnen in Speisehäusern gilt, die nebenher dasselbe Gewerbe betreiben, wie die Freudenmädchen, ist »Shirokubi« oder »Shirakubi«, Weißhals, weil diese Frauen ihren Hals stark mit weißem Puder zu belegen pflegen.
Die Geheimschutzleute, die mit der Überwachung der Straßendirnen beauftragt sind, nennen diese »Roin«, weil sich ihr Gewerbebetrieb sehr oft auf den Bänken der öffentlichen Anlagen abspielt. Roin ist ein künstlich gebildetes Kurzwort aus »Rodai«, öffentliche Bank, und »Inbai« (Imbai), Hure, so daß wir im Deutschen »Bankhure« sagen können. –
Im folgenden sei aus der Geschichte der japanischen Straßendirnen einiges mitgeteilt.
Wir haben im Abschnitt »Schaustellungen« davon gesprochen, daß man eine buddhistische Nonne, die ihre Keuschheit verkauft, eine »Nure-Ama«, eine feuchte Nonne, nennt. Diese buddhistischen Nonnen scheinen einen sehr zweifelhaften Ruf gehabt zu haben, denn um die Mitte der Yedo-Periode, die etwa der ersten Hälfte unseres siebzehnten Jahrhunderts entspricht, kam der Brauch auf, daß sich Straßenmädchen als buddhistische Nonnen verkleideten, selbstverständlich aber gar nicht den Versuch machten, geistliche Verrichtungen auszuführen. Dieser Brauch, der in der alten Hauptstadt Yedo aufkam, verbreitete sich über ganz Japan, verschwand aber schließlich in der Tempō-Periode (1830–1843 u. Z.).
Man bezeichnete diese Straßendirnen mit dem Sanskritwort »Bikuni«, wie die wirklichen buddhistischen Bettelnonnen genannt werden. Die Verkleidung war zweifellos geschickt gewählt, denn diese Bettelnonnen wandern dauernd umher, um für ihre Klöster Almosen zu sammeln. Auch von diesen wirklichen Nonnen betätigten sich manche als Straßendirnen, als Nure-Ama, was ja bei dem längeren Fernbleiben von den Klöstern bei den dazu veranlagten Frauen, die ohne Aufsicht in der profanen Welt verkehrten, nicht ausbleiben konnte.
Vor etwa 250 Jahren bezeichnete man in Kantō im östlichen Teile Japans die Straßenmädchen als »Jigoku«, die Unterwelt. In dem Buch »Kōshoku Ichidai Onna« (Die Geschichte einer wollüstigen Frau), das von Ihara Saikoku verfaßt ist und im zweiten Tennajahr (1682 u. Z.) veröffentlicht wurde, steht folgendes:
»Seken wo shinobu Kuramono-onna. Edo nite Jigoku to iitaru mo, kuraki gi nari.«
»Eine Frau der Dunkelheit, die im Verborgenen lebt, nennt man in Yedo ›Jigoku‹, denn das bedeutet Finsternis.« Eine Jigoku ist also demnach eine Frau, die in der Dunkelheit lebt, wie es die der Unterwelt ist. Japanische Sprachforscher wollen Jigoku aus »Jimono no Goku-jō« herleiten, das »eine sehr leidenschaftliche Anfängerin« bedeutet. Jimono ist eigentlich: die Einheimische, im übertragenen Sinn: eine ehrbare Frau. Es war ursprünglich gleichbedeutend mit Jionna, einer Einheimischen, die immer an ihrem Geburtsort gelebt hat; beide haben aber in der Volkssprache den Nebensinn: eine Anfängerin. Von diesen »Anfängerinnen« sagt eine Redensart: »Jimono-no-Shiru-takusan«, eine Anfängerin ist sehr saftig, d. h. sie sondert an den Geschlechtsteilen sehr viel Feuchtigkeit ab. Dadurch würde also auch in die Silbe Ji von Jigoku der Sinn der geschlechtlichen Erregung, der Geilheit, hineingetragen, sodaß, wenn man Jigoku in der Bedeutung »Hölle« auffaßt, auch aus der sprachlichen Erklärung der Begriff der Hitzigen, Heißen, dem Straßenmädchen zugesprochen würde. Ob das wirklich der Fall ist, mögen die Sprachforscher unter sich ausmachen, jedenfalls hat Jigoku nach Inouye und Fujisawa heute noch die beiden Bedeutungen »Hölle« und »Straßendirne«. –
Seit der Kwanbun-Zeit (1661 u. Z.) bis zum sechsten Hōyeijahr (1709 u. Z.) gab es eine Art von geheimen Freudenmädchen, die unter der Maske einer Arbeiterin, die in einer Fabrik mit einer Kratze den Flachs reinigt, auf die Straße gingen. Ein solches Freudenmädchen nannte man »Watatsumi«, die Flachsdirne, die Flachshure, oder, wie man im Deutschen sagen würde, »das Flachsmensch«. Es handelt sich bei den Arbeiterinnen um gewisse Verhüllungen des Kopfes, um die Haare gegen Staub zu schützen; die Straßendirnen haben jedoch sicherlich Schönheitsfehler damit zudecken wollen. –
Während der Yedo-Periode gab es in Asakusa und Shitaya geheime Freudenmädchen, die man »Kekoros« nannte; sie verschwanden gegen Ende der Temmei-Zeit (1788 u. Z.). Diese Straßendirnen trugen gewöhnlich Schürzen aus einem billigen haarigen Stoff, eine Art von Kamelott (franz. camelot, engl. camlet), den man im Japanischen »Kegoro« nennt; daher sollen die Kekoros ihren Namen gehabt haben. Man erklärt Kekoro auch als Abkürzung von Kekorobashi, durch einen Fußtritt zu Fall bringen, dann wäre die Kekoro einfach »eine Gefallene«. –
Den Zuhälter der Dirne nennt man »Kozuma« oder »Mabu«; in der Sprache der Freudenmädchen ist es ein Mann, der von der Frau unterhalten wird, während in der Umgangssprache man einen Buhler oder den Geliebten einer verheirateten Frau damit meint, so daß »Mabu wo koshiraeru«, den Buhler oder Geliebten machen, bedeutet: einen Ehemann hintergehen, einen zum Hahnrei machen. Seinen Kunden nennt das Freudenmädchen »Nezumi«, die Maus oder die Ratte; unter »Nezumi-naki«, das Gequieke der Ratte, versteht man jedoch das Geräusch, das die Dirne mit den Lippen macht, wenn sie einen Kunden anlocken will. Die Gegend, in der sich geheime Freudenmädchen aufhielten, bezeichnete man als »Makutsu«, worunter man aber ein Wirtshaus niederster Art, wo Verbrecher, Zuhälter und Dirnen verkehren, versteht; eine Gaunerspelunke, eine Verbrecherkneipe.–
Von dem schlechten billigen Toilettenpapier, das die Straßendirnen benutzen, haben wir im Abschnitt über das Papier im Geschlechtsleben ausführlich gesprochen; man lese auch das dort gebrachte Volkslied nach, in dem ein Mann seine Erlebnisse mit einer Yotaka schildert, mit der er mitten auf einer Brücke den Koitus ausgeführt hat. –
Daß man auch in der Maske einer Straßendirne auftreten kann, wenn ein bestimmter Zweck erreicht werden soll, wird in dem von Kyokutei Bakin verfaßten Buch »Nansō Satomi Hakken Den« (Geschichte der acht Patrioten aus der Familie Satomi, in der Provinz Awa), Band 8, Kapitel 8, von einer Diebin namens Funamushi (Kakerlak, Küchenschabe!) berichtet, daß sie nach Verabredung mit ihrem Geliebten eine »zungenabbeißende Räuberin« wurde, d. h. sie lockte Vorüberkommende unter der Maske eines geheimen Freudenmädchens an sich und verleitete den Mann, während des Koitus seine Zunge in ihren Mund zu stecken. Dann täuschte sie einen Orgasmus vor, wobei sie den Mann heftig in die Zunge biß, ihn ermordete und ausraubte. –