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Neuntes Kapitel.

In welchem der Rat eines Vaters besondere Beachtung verdient.


Es läßt sich denken, daß der Squireen O'Donahue als Gutsverwalter auf die zahllosen Pächter der Herrschaft einigen Einfluß übte und daß er sich denselben kräftig zu nutze machte. Sein Beistand bei Gelegenheit eines Wahlkampfes wurde durch das Anerbieten einer Fähnrichstelle für ein Regiment belohnt, das damals in Irland ausgehoben wurde, und die Gelegenheit war zu günstig, um nicht im Interesse des zweiten Sohnes davon Gebrauch zu machen. Squireen O'Donahue kam daher an einem schönen Tage, mit Kot bedeckt, von Dublin nach Hause und fand seinen Patrik in einem ähnlichen Zustande, da derselbe eben von einer sehr erfolgreichen Schnepfenjagd zurückgekehrt war.

»Patrik, mein Juwel«, sagte der Squireen, indem er sich niedersetzte und sein Gesicht abwischte, denn vom Reiten war es ihm etwas warm geworden; »Du bist ein gemachter Mann.«

»Und obendrein ein nicht übel gemachter, Vater, wenn sich anders die Mädchen auf solche Dinge verstehen«, versetzte Patrik.

»Du verstehst mich falsch«, entgegnete der Squireen, »denn Du hast mehr, worauf Du eitel zu sein Ursache hast, als Deine Gestalt.«

»Nun, wovon redet Ihr denn, Vater?«

»Von nichts geringerem, von nichts besserem oder schlechterem, als daß Du Fähnrich in Seiner Majestät neuem Regiment, weiß nicht mehr das wievielte – bist.«

»Ich möchte lieber Oberst sein, Vater«, erwiderte Patrik nachsinnend.

»Der Oberst wird hintendrein kommen, Du Gaudieb«, sagte der Squireen.

»Das soll vermutlich mein Glück machen?« versetzte Patrik.

»Du hast's getroffen; liegt dann nicht die ganze Welt vor Dir, wo Du nur wählen und auslesen darfst?«

»Gut«, entgegnete Patrik nach einer Pause, »ich habe nichts einzuwenden.«

»Nichts einzuwenden? Warum springst Du nicht aus der Haut vor Freude? Immerhin dürftest Du hoch genug springen, um die Decke einzustoßen.«

»Bei dieser geht's nicht«, versetzte Patrik, nach dem Gebälke in die Höhe sehend.

»Das ist wahr; indessen magst Du immerhin in vernünftiger Weise ein bischen aus dem Häuschen kommen.«

»Kann wahrhaftig nicht einsehen, warum, lieber Vater. Ihr sagt mir, ich müsse fort von meiner alten armen Mutter, die mich so gern hat, von meinen Schwestern, die mich lieben, von meinen Freunden da (er streichelte die Hunde), die mir folgen, von den Bergen, die mir teuer sind, und von den Schnepfen, die ich schieße – um mich selbst erschießen und auf dem Schlachtfeld wie einen toten Hund begraben zu lassen, den man nicht einmal schindet.«

»Ich sage Dir, Du sollst in die Welt hinaus als ein Offizier und Dein Glück machen – kommst als General zurück und bist der größte Mann in Deiner Familie. Mache Dir übrigens keine allzuschwere Gedanken übers Nichtgeschundenwerden! Ehe Du älter oder weiser bist, tot oder lebendig, wird Dir, ich stehe dafür, diese Ehre zu teil werden.«

»Gut, Vater, ich will gehen; vermutlich werde ich aber über viele Stoppeln marschieren müssen, bis ich General bin.«

»Du hast ein gutes Paar Beine.«

»Das hab' ich mein Lebtag hören müssen, und ich will den besten Gebrauch davon machen, wenn es einmal zum Anfang kommt; aber wahrhaftig, der Anfang will mir nicht recht behagen.«

Der Leser wundert sich vielleicht über die Gleichgültigkeit, welche Patrik bei der Nachricht seines Vaters an den Tag legte; die Sache verhielt sich jedoch so, daß Mr. Patrik O'Donahue bis über die Ohren verliebt war, und dieser Umstand kühlte das nationale Feuer; auch muß ich gestehen, daß er alle Entschuldigung verdiente, denn nicht leicht fand man ein liebenswürdigeres Wesen als Judith M'Crae. Die Trennung von ihr bildete die einzige Schwierigkeit, und alle seine vorgeschützten Familienbande waren nur ein Deckmantel, um die wahre Ursache seiner Abneigung zu verbergen.

»Du mußt morgen aufbrechen, mein Junge«, sagte der Vater.

»Muß ist eine harte Nuß«, versetzte Patrik. »Die Sache wäre also abgethan. Will noch einen kleinen Spaziergang machen, um meine Beine zu strecken.«

»Die haben's auch Ursache, Pat, in Anbetracht, daß Du diesen Morgen wenigstens zwanzig Meilen über die Berge gewesen bist«, entgegnete der Squireen.

Patrik war jedoch bereits außer Hörweite; er hatte die Steinmauer übersprungen, welche seines Vaters Kartoffelfeld von dem des Cornelius M'Crae trennte, und war zu Judith geeilt, welche er in der Küche beschäftigt fand.

»Judith, mein Schatz«, begann Patrik, »das Herz ist mir fast gebrochen von der schlimmen Neuigkeit, die ich Dir mitzuteilen habe. Ich soll Dich morgen früh verlassen.«

»Ei, Patrik, Du scherzest.«

»Zum Teufel auch, was Scherz, ich bin Fähnrich in einem Regiment.«

»Dann sterbe ich, Patrik.«

»Das wird mit größerer Wahrscheinlichkeit bei mir der Fall sein, Judith. Was der Gram nicht thut, da wird eine Kugel vielleicht mithelfen.«

»Und was gedenkst Du zu thun, Patrik?«

»Ich muß natürlich gehen – kann's nicht ändern; und wenn mir das Glück gut will, komm' ich wieder zurück. Das Herz hüpft mir im Leibe.«

»Und das meine ist tot,« versetzte Judith in Thränen.

»Weinen hilft nichts, Schätzchen. Wann's nötig ist, so bin ich wieder zurück, um auf meiner Hochzeit zu tanzen.«

»'s wird keine Hochzeit für Dich geben, Patrik, und auch keine Totenwache, denn man läßt Dich liegen auf kaltem Boden und pflügt Dich ein wie einen Dünger.«

»Du giebst mir einen kalten Trost, Judith; wir wollen aber auf einen bessern Ausgang hoffen. Jetzt muß ich übrigens wieder zurück – wir treffen uns noch diesen Abend jenseits der Mauer.«

»Wird's wohl zum letzten Mal sein, Patrik?« entgegnete Judith, die Schürze vor ihren Augen.

»Wenn's von meiner Zustimmung abhängt, so sage ich nein. So Gott will, komme ich als Oberst zurück.«

»Dann bist Du aber keine Partie für Judith M'Crae«, entgegnete das schluchzende Mädchen.

»Halt's Maul, Judith, das greift meine Ehre an. Und wenn ich General bin, so ist's ganz das gleiche.«

»O, Patrik! Patrik!«

Patrik umschlang Judith mit seinen Armen, gab ihr einen Kuß und eilte mit den Worten aus dem Hause: »Vergiß die Mauer nicht, liebe Judith, wir können dort die Sache ruhiger und ungestörter besprechen.«

Patrik kehrte nach Hause zurück, wo er seine Mutter und Schwestern in Thränen fand. Sie hatten die Weisung erhalten, seine Garderobe in Bereitschaft zu setzen, was, beiläufig gesagt, ihnen nicht viele Mühe machte, da sie nicht sehr umfangreich war; nur mußte noch jeder einzelne Artikel geflickt werden.

Sein Vater saß neben dem Herde, und als er Patriks ansichtig wurde, begann er: »Setze Dich zu mir her, Junge, und höre mir zu: Du sollst ein bischen Weltweisheit lernen, denn ich habe vielleicht nicht viel Zeit, mit Dir zu sprechen, wann wir in Dublin sind.«

Patrik setzte sich auf einen Schemel und war ganz Aufmerksamkeit.

»Es wird Dir einleuchten, Pat, daß es ein gar schönes Ding ist, Offizier in des Königs Armee zu sein. Niemand darf sich unterstehen, Dich übel zu behandeln, obgleich Du mit andern nach Gutdünken umspringen kannst, was in dieser Welt kein geringer Vorteil ist.«

»Da liegt Wahrheit darin«, versetzte Patrik.

»Siehst Du, wenn Du in Feindes Land kommst, so kannst Du Dir selbst forthelfen; und wenn Du Dich scharf umsiehst, so läßt sich ein Hübsches erwerben – wohl gemerkt, alles in ruhiger Weise.«

»Will's glauben.«

»Der König erwartet von Dir, als einem seiner Offiziere, daß Du wie ein Gentleman auftrittst und lebst, obgleich er dabei vergißt, Dir die nötigen Mittel an die Hand zu geben. Du mußt daher alles nehmen, was Du von Seiner Majestät kriegen kannst, und lässest dann andere Leute vor den Riß treten.«

»Das ist natürlich«, sagte Patrik.

»Du wirst Dich übrigens bald zurecht finden und mit Dir ins klare kommen, was Du thun darfst und was nicht, denn der König erwartet, daß Du ebenso gut auf Ehre wie auf die Außenseite eines Gentlemans hältst.«

»So?«

»Du kommst vielleicht in die Lage, ein bischen Schulden zu machen – ein Gentleman kann das wohl thun. Vielleicht bist Du auch nicht im stande, sie zu bezahlen – auch das ist bei einem Gentleman sehr oft der Fall. Nur mußt Du Dich hüten, ja nicht bis zu zwanzig Pfund zu gehen, – einmal, weil Dich dann das Gesetz nicht fassen kann, und zweitens, weil zwanzig Pfund gerade genug ist, um einem zum Besten des Vaterlandes zu Leibe zu gehen.«

»Das finde ich vernünftig, Vater.«

»Und vergiß nicht, Patrik, daß man in dieser Welt nach dem Scheine urteilt, namentlich, wenn nichts anderes da ist, woran man sich halten kann. Machst Du nichts aus Dir, so sieht man Dich gering an, nimmst Du aber den Mund recht voll, so wird das Resultat ein entsprechendes sein.«

»Ich begreife, Vater.«

»Wir besitzen allerdings nicht viel Eigentum im Galway, aber Du mußt von den Herrschaftsgütern sprechen, als ob ich der Squire sei und nicht der Verwalter. Und wenn Du von der Unzahl von Schnepfen redest, die Du schon heimgebracht hast, so sagst Du, sie seien auf unserem Grund und Boden geschossen worden.«

»Ich verstehe, Vater.«

»Ferner mußt Du Deinen Unstern verfluchen, daß Du ein jüngerer Bruder bist. Damit bemäntelst Du Deinen Mangel an Geld, indem die Leute zugleich glauben, daß denn doch in der Familie genug vorhanden sei.«

»Leuchtet mir ein«, erwiderte Patrik.

»Noch eins, Pat; besteht das Regiment aus Irländern, so mußt Du sobald als möglich durch Tausch davon weg zu kommen suchen.«

»Warum?«

» Darum. Du bist unter Leuten, die zu nahe bei Deiner Heimat geboren sind und Deine Geschichtserzählungen bezweifeln würden, weil sie vielleicht mit ihren eigenen in Kollision kommen. Jedenfalls suche in ein englisches Regiment zu kommen; dort kann man Dir nicht widersprechen, und das ist eine gar angenehme Sache.«

»Sehr wahr, Vater.«

»Bewahre meine Worte als einen Schatz – es ist Weltweisheit, und Du bist im Begriffe, Dein Glück zu machen. Merke Dir nun noch – hafte nicht an einer verlorenen Hoffnung, zeige Dich bei allem als Freiwilliger und scheue Dich vor keiner Kanonenmündung, damit man Dir Beförderung zu teil werden lasse. Gehe freiwillig durch die ganze Welt in eine andere und mitten durch in eine dritte, wenn's eine giebt; dann darfst Du sicher sein, entweder Oberst, vielleicht auch General zu werden, oder – –«

»Oder was, Vater?«

»Nun, Du wirst dann keine Beförderung nötig haben, sintemal Du außer dem Bereich derselben stehen wirst. Doch das Glück macht alles und nebenbei ist es auch ein Glück, daß ich ein bischen von des Squires Pachtzinsen in Händen habe, denn nur die Heiligen wissen, wie ich's sonst hätte angreifen sollen, um Dir etwas mitzugeben. Ich muß es eben auf die nächste Jahresrechnung hinüberschieben, was sich leichter thun läßt, als wenn ich Dir hätte Geld verschaffen sollen. Ich bettle für die Pächter, lasse die Kartoffelernte ganz fehlschlagen und schreibe wenigstens zwanzig Namen als verhungert auf die Liste. Geschieht ihm recht – warum verzehrt er sein Geld nicht in Alt-Irland! 's geschieht aus reinem Patriotismus, daß ich ihn übers Ohr haue – nur um das Geld im Lande zu erhalten. Und nun, Patrik, bin ich fertig. Du kannst jetzt gehen und Deine Angelegenheiten mit Judith ins reine bringen, denn ich weiß jetzt, was die Glocke geschlagen hat. Nun, ich überlasse es der Zeit, das Übrige zu thun.«

Dies war der Rat des Squireen an seinen Sohn, und er war, was Weltklugheit betraf, nicht so übel; denn wenn ein junger Mensch in das Gewühl der Menschen geworfen wird, so gehört die besagte Klugheit und ein bischen Geld zu den besten Dingen, womit man ihn ausstatten kann, sintemal man ohne erstere des letzteren bald bar sein wird.

Am andern Tage brachen sie nach Dublin auf. In Patriks Kopfe trieben gute Vorsätze, Gedanken an Judith M'Crae, die Ratschläge seines Vaters und Träume künftiger Größe bunt durcheinander. Er erhielt seine Uniform und wurde den Offizieren vorgestellt, worauf ihm der alte O'Donahue seinen Segen gab und es ihm überließ, sich seinen Weg durch die Welt zu bahnen. In vierzehn Tagen war das Regiment vollzählig und wurde nach Liverpool, von da aus aber nach Maidstone eingeschifft, wo es, da es aus lauter Rekruten bestand, eine Zeit lang bleiben sollte, um einexerziert zu werden.

Vor Ablauf des Jahres hatte Patrik den Rat seines Vaters befolgt und mit dem Fähnrich eines Regiments, das zu auswärtigem Dienste verwendet werden sollte, einen Tausch getroffen. Er wurde nach Westindien geschickt; da jedoch die Jahreszeit gesund war, so kehrte er als Fähnrich wieder heim. Dann ließ er sich wieder zum Dienste in der Fremde verwenden, und nach einer Frist von fünf Jahren wurde ihm infolge Todesfalles ein Leutnantspatent zuteil, ohne daß er dasselbe zu kaufen nötig hatte.

Nach fünfzehnjähriger schwerer Anstrengung erhielt er endlich die ersehnte Hauptmannsstelle, und da er in seiner militärischen Laufbahn so wenig glänzende Erfolge erlebt hatte, so nahm er mit halbem Solde seinen Abschied und beschloß, wo möglich seine schöne Person gegen ein gutes Fortkommen auszutauschen. Während einer Frist von fünfzehn Jahren war nämlich mit dem treuherzigen und natürlichen Patrik eine große Veränderung vorgegangen: er hatte so lange mit einer selbstsüchtigen und herzlosen Welt verkehrt, daß seine ursprünglichen Gefühle erschlafften. Judith hatte er allerdings nie vergessen; doch sie lag jetzt im Grabe, denn aus Versehen war Patrik O'Donahue unter der Liste der am gelben Fieber Gestorbenen aufgeführt worden – eine Kunde, unter der sie wie ein geknicktes Schneeglöckchen dahinschwand, bis der Tod sich ihrer erbarmte. Das einzige Band, welches kräftig genug war, ihn nach Irland zurückzuziehen, war also gelöst, des Vaters weiser Rat aber noch immer nicht vergessen. O'Donahue betrachtete die Welt als seine Auster. Verschwenderisch in seinen Gewohnheiten, sehnte er sich nach einem schönen Auskommen, und da er bei einem halben Solde keine großen Sprünge machen konnte, so spekulierte er jetzt auf eine gute Heirat. Seine Freigebigkeit und sein Mut waren ihm geblieben (zwei Tugenden, die sich aus einem Irländer nicht leicht verdrängen lassen), aber seine übrigen guten Eigenschaften lagen im Schlummer, um durch günstige Gelegenheit wieder in Thätigkeit gerufen zu werden, da sie keineswegs ganz erloschen waren. Die Welt und ihre Bedürfnisse hatten ihn zu dem gebracht, was er war, denn noch lange Jahre nachher erging er sich in häufigen Träumereien, wie glücklich er in seiner wilden Heimat, wo selbst der Halbsold als gutes Auskommen galt, hätte sein können, wäre ihm seine Judith erhalten geblieben und hätte er an ihren Busen sein Haupt legen können.


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