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Ein Rückblick, nach welchem alle Parteien wieder einen Anlauf nehmen können.
Wir müssen nun unsern Helden auf seinem Wege nach dem Schlosse verlassen, um unsere Leser mit den Bewegungen anderer Personen bekannt zu machen, die zu unserer Geschichte in Beziehung stehen.
Zwischen O'Donahue und M'Shane hatte fortwährender Briefwechsel stattgefunden. Dem ersteren war es gelungen, die Verzeihung des Kaisers zu erwirken und eine Stelle in der russischen Armee zu erhalten, in welcher er bald bis zum Range eines Generals stieg. Seit seiner Verheiratung waren fünf oder sechs Jahre entschwunden; O'Donahue sehnte sich, mit seiner Gattin einen Besuch in England zu machen; endlich langte ein Brief an, welcher meldete, daß er vom Kaiser Urlaub erhalten habe und aller Wahrscheinlichkeit nach noch im nächsten Frühlinge anlangen werde.
Während dieser Periode hatte M'Shane sein altes Quartier bewohnt und Mrs. Shane ihr Geschäft fortgeführt, das mit jedem Jahre gewinnreicher wurde, und zwar in so hohem Grade, daß ihr Gatte schon seit einiger Zeit allen Ernstes ans Zurückziehen aus dem Geschäftsleben dachte, weil sie sich bereits eine sehr große Summe erübrigt hatten. Da erhielt M'Shane mit einem Male den Brief seines Freundes O'Donahue, in welchem derselbe seine baldige Ankunft in England meldete. Major M'Shane, der mit seiner negativen Stellung in der Gesellschaft keineswegs sonderlich zufrieden war, drang nun nachdrücklicher in seine Gattin, welche seinen Bitten kein Hindernis in den Weg legte, obschon sie nur ungerne ihre bisherigen Verhältnisse aufgab. Die Eheleutchen fanden, daß sie nach Verkauf der Kundschaft und des Hauses mit einem Reinvermögen von dreißigtausend Pfund abziehen konnten, was für ihre Bedürfnisse mehr als hinreichend schien, da sie nicht mit Kindern gesegnet waren.
Der Leser darf nicht glauben, daß Mr. M'Shane aufgehört hätte, über unsern Helden Nachforschungen anzustellen, da er im Gegenteil alles aufbot, was ihm sein erfinderischer Geist an die Hand gab, um seine Spur aufzufinden – mit wie geringem Erfolge, ist bereits bekannt. Sowohl M'Shane als seine Gattin trauerten um seinen Verlust, als wären sie eines eigenen Kindes beraubt worden; doch konnten sie immer noch nicht den Gedanken aufgeben, er werde eines Tages wieder erscheinen, obschon sie sich nicht vorzustellen vermochten, in welcher Weise. Indes hatte der Major seine Erkundigungen nicht bloß auf den Helden beschränkt, sondern auch dessen Vater mit ebenso geringem Erfolge nachgespürt; er machte sich daher völlig darauf gefaßt, Joey, wenn es je geschehe, nicht vor dem Tode seines Vaters wieder zu sehen, weil dann kein Grund mehr vorhanden war, sich zu verbergen. Das Schicksal unseres Helden hatte das unablässige Unterhaltungsthema zwischen M'Shane und seiner Gattin gebildet, obgleich in der letzten Zeit dieses Thema nicht mehr so häufig zur Sprache kam, da sie bereits fünf Jahre nichts mehr von Joey gehört hatten. Sobald M'Shane seine Angelegenheiten beendigt und dem Speisehause Valet gesagt hatte, sah er sich nach einem Besitztume auf dem Lande um, denn er gedachte zwei Drittteile seines Vermögens auf Güter zu verwenden und das Übrige in den Fonds anzulegen.
Nach dreimonatlichem Suchen fand er ein Gut, das ihm zusagte und zufälligerweise nur sechs Meilen von Mr. Austins Besitzungen entlegen war. Er übernahm es und richtete sich ein. Als verabschiedeter Offizier wurde er gut aufgenommen, und obgleich man bisweilen darüber lachte, daß Mrs. M'Shane wie eine Haushälterin aussehe, so gewann sie doch durch ihren liebenswürdigen Charakter und ihr bescheidenes Benehmen bald Freunde; Mr. M'Shane fühlte sich in kurzer Zeit ganz gemächlich und glücklich. Die O'Donahue's wurden bald erwartet; und der Major hatte jetzt eine Heimat, ganz passend für die Aufnahme seines alten Freundes, der ihm versprochen hatte, ihn alsbald nach seinem Eintreffen in England zu besuchen.
Von den Austins läßt sich nicht viel weiter sagen, als was bereits berichtet wurde. Austin war ein unglücklicher Mann; der Becher seiner Freuden (denn da er eine angesehene Stellung und Reichtum besaß, so hatte er alle Mittel, sich die sogenannten Weltfreuden zu verschaffen) war durch das einzige schwere Verbrechen vergiftet, zu welchem ihn sein leidenschaftlicher Charakter verleitet hatte und das nun zur nie vergessenen Quelle bitterer Reue wurde. Sein Sohn, der Erbe seiner Schätze, war ihm verloren, er wagte es nicht einmal, sein Dasein zur Sprache zu bringen. Er wurde mit jedem Tage reizbarer, abstoßender und zurückhaltender; ein Schatten konnte ihn zittern machen, und seine kräftige Konstitution schwand rasch dahin unter der schweren Last, die ihn bedrückte. Ohne Opiate konnte er gar nicht zur Ruhe kommen, auch vor dem Schlafe fürchtete er sich, weil er besorgte, in seinen Träumen Scenen der Vergangenheit auszuschwatzen. Mit jedem Tage steigerte sich sein Jähzorn und die Barschheit, womit er seine Diener und sein unglückliches Weib behandelte. Seine Haupterholung war die Jagd, die er in so tollkühner Weise betrieb, daß die Leute oft meinten, es sei ihm mit Gewalt darum zu thun, den Hals zu brechen. Vielleicht war es auch der Fall. Mrs. Austin war sehr zu beklagen. Sie wußte, was ihr Gatte litt, welch ein Wurm an seinem Innern zehrte, und ließ sich daher seine Härte geduldig gefallen, indem sie ihn nur bemitleidete, nicht verdammte. Aber noch bitterer wurde ihr das Leben durch den Verlust ihres Kindes, und wenn sie allein war, rann manche schmerzliche Thräne über ihre Wangen, da sie es nicht wagte, in Gegenwart des Gatten sich ihren Gefühlen hinzugeben, weil derselbe die Äußerungen ihres Schmerzes als einen Vorwurf für ihn betrachtet haben würde. Ihre ganze Seele sehnte sich nach Joey, und dieses alles verzehrende Gefühl machte sie gleichgültig nicht nur gegen alle zeitlichen Vorteile, die sie umgaben, sondern auch gegen die Unfreundlichkeit und Hartherzigkeit ihres Mannes.
Mary, die in der Eigenschaft einer Küchenmagd ins Haus aufgenommen worden war, wurde sehr bald ihr Liebling und rückte zu der Stelle eines Kammermädchens der Herrin des Hauses vor. Mrs. Austin betrachtete sie als einen wahren Schatz und nahm sie mit jedem Tage mehr in ihr Herz auf.
So war der Stand der Dinge, als Austin eines Morgens nach dem Gehölze ritt; bei dieser Gelegenheit traf er mit einem benachbarten Gentleman zusammen, der ihm im Laufe der Erzählung sagte:
»Beiläufig, Austin, haben Sie auch schon gehört, daß Sie einen neuen Nachbar bekommen haben?«
»So? Vermutlich auf dem Framptonschen Gute? Ich hörte, daß es verkauft wurde.«
»Ja; ich habe ihn gesehen. Er gehört Ihrem Stande an – ein lebhaftes, unterhaltliches Stückchen von einem irischen Major, aber demungeachtet ein echter und gerechter Gentleman. Seine Frau hat nicht viel Bildung und ist sehr beleibt, dabei aber gutmütig, und macht durch ihre Herzenseinfalt viel Spaß. Sie werden ihnen vermutlich auch einen Besuch abstatten?«
»O, natürlich«, versetzte Austin. »Wie haben Sie gesagt, daß er heiße?«
»Major M'Shane, wie ich glaube – früher im dreiundfünfzigsten Regiment.«
Wäre Austin eine Kugel ins Herz gedrungen, sie hätte nicht erschütternder auf ihn wirken können; er sprang dermaßen in seinem Sattel auf, daß seine Bewegung dem andern nicht entgehen konnte.
»Was wandelt Sie an, Austin? Sie sehen ja ganz blaß aus – befinden Sie sich unwohl?«
»Nein«, versetzte Austin, sich fassend, »es ist schon vorüber. Nur hin und wieder wandelt mich ein Krampf an – die Folge einer alten Wunde, die ich in der Brust habe; es ist jedoch nicht von Dauer.«
Austin ließ sein Pferd Halt machen und drückte die Hand an sein Herz. Sein Begleiter zügelte sein Roß gleichfalls und blieb in seiner Nähe.
»Nein, es wird mir schlimmer, als gewöhnlich; aber ich dachte es schon gestern Abend, daß etwas im Anzuge sei. Ich fürchte, ich muß nach Hause gehen.«
»Soll ich Sie begleiten?«
»Nicht doch, ich will Ihr Vergnügen nicht stören; 's ist mir jetzt schon wieder besser, und ich hoffe, es wird sich bald vollends geben.«
»Kommen Sie, wir wollen vorwärts – wir kommen sonst zu spät ins Revier.«
Austin hatte beschlossen, seine Gefühle niederzukämpfen. Sein Freund schöpfte allerdings keinen Argwohn, aber wenn man sich schuldig fühlt, meint man stets, man werde von aller Welt mit mißtrauischen Augen betrachtet. Sie ritten etliche Minuten stumm weiter.
»Es freut mich, daß Sie nicht umgekehrt sind«, bemerkte der andere, »denn Sie werden Ihren neuen Nachbar treffen. Er hat für die Partie subskribiert und ist dem Vernehmen nach gut beritten. Wir werden sehen, wie er reitet.«
Austin gab keine Antwort; aber nachdem sie einige Schritte weiter gekommen, zügelte er sein Tier, indem er sagte, seine Schmerzen kehrten zurück, und er könne nicht weiter. Der andere drückte sein Bedauern über Austins Unwohlsein aus, und sie trennten sich.
Austin kehrte alsbald nach Hause zurück, stieg von seinem Pferde und eilte nach seinem Wohnzimmer. Mrs. Austin, die ihn hatte zurückkommen sehen und sich den Grund nicht denken konnte, begab sich zu ihrem Gatten.
»Was giebt es, lieber Mann?«
»Was es giebt?« versetzte Austin mit Bitterkeit, indem er das Zimmer auf und ab ging; »Himmel und Hölle verschwören sich gegen uns.«
»Lieber Austin, rede doch nicht so; was ist denn vorgefallen?«
»Etwas, was mich wahrscheinlich zwingen wird, in meinem eigenen Hause ein Gefangener zu bleiben, wenn es nicht gar zu etwas noch schlimmerem führt. Wir müssen fort von hier.«
Austin warf sich sodann auf ein Sofa und blieb stumm. Endlich gelang es den Liebkosungen und Überredungen seiner Gattin, seine düstere Stimmung zu überwältigen. Er sagte ihr, M'Shane sei Major in dem Regimente gewesen, bei welchem er einst als Gemeiner stand; er werde ihn zuverlässig erkennen, und wenn auch nichts anderes aus M'Shanes Bekanntschaft mit seinem früheren Namen folge, so finde doch jedenfalls die allgemeine Annahme, daß er Offizier in der Armee gewesen, Widerspruch, wodurch er in der Achtung der benachbarten Gentry sinken müsse.
»Es ist allerdings ein sehr verdrießlicher Umstand, lieber Austin«, entgegnete seine Gattin; »aber weißt Du auch gewiß, daß er nach so langer Zeit in dem reichen Gentleman einen früheren Gemeinen aus seinem Regimente wieder herausfinden würde?«
»So gewiß, als ich hier sitze«, erwiderte Austin düster; »wollte Gott, ich wäre tot!«
»Sprich nicht so, lieber Austin; es macht mich elend.«
»Das bin ich stets«, erwiderte Austin, die Hände zusammenziehend. »Doch verzeih mir; ich habe gesündigt, aber bin ich nicht schwer gestraft worden?«
»Ach, freilich; und da Reue vor Gott angenehm ist, mein lieber Gatte, so wird er Dir auch Gnade angedeihen lassen.«
»Das größte Gnadengeschenk und ein wahres Gotteserbarmen würde der Tod sein«, sagte der unglückliche Mann. »Ich beneide den Hausierer.«
Mrs. Austin weinte. Ihr Gatte, darüber gereizt, weil er in ihren Thränen einen Vorwurf zu sehen vermeinte, befahl ihr mit Strenge, das Zimmer zu verlassen. Daß Austin das Verbrechen, welches er begangen hatte, bitter bereute, war nicht zu bezweifeln, aber seine Reue quoll nicht aus dem demütigen, zerknirschten Herzen eines Christen. Ohne Unterlaß kämpfte der Stolz in seinem Innern, der noch immer nicht überwunden war. Daher auch der Jähzorn, welcher stets mit seiner Selbstverdammung abwechselte, und der unablässig in seiner Seele tobende Krieg, der seine physischen Kräfte untergrub.
Austin schickte wegen seines angeblichen Unwohlseins nach einem Arzte. Dieser, welcher keine entschiedenen Krankheitsymptome entdecken konnte, erklärte seinen Zustand für ein Herzleiden. Er hatte nicht so ganz unrecht, und die Kunde von Mr. Austins Krankheit verbreitete sich in der ganzen Umgegend. Eine Folge davon waren Visitenkarten und Besuche; nur mit ingrimmigem Herzen bestand Austin eine enge Haft in seinem eigenen Hause. Seine Jagdrosse blieben in den Ställen, seine Hunde in dem Zwinger, und überall sagte man sich, Mr. Austin leide an einer Krankheit, von der er nicht wieder genesen werde. Anfangs konnte sich der Unglückliche nur schwer in seine Gefangenschaft finden, aber allmählich versöhnte er sich damit, und zuletzt gewann er seine Abgeschiedenheit sogar lieb. Lektüre war seine Hauptunterhaltung; aber konnte sie seinen kranken Geist heilen oder die Qual der Erinnerung vertilgen? Er wurde mit jedem Tage mürrischer und menschenfeindlicher, und am Ende durfte ihm niemand mehr nahe kommen als sein Kammerdiener und seine Gattin.
Dies war die Lage der unglücklichen Eltern, als Joey sich nach ihrer Wohnung auf den Weg machte.