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Neunundvierzigstes Kapitel.

Die Unterredung.


Der Verabredung zufolge sprachen am andern Morgen M'Shane und O'Donahue abermals bei Mr. Trevor vor, und nach der Beratung einer halben Stunde entschied man sich schließlich dahin, die beiden Freunde sollten den Versuch machen, Mr. Austin zu sehen und das Ergebnis eines etwaigen Zusammentreffens mit demselben abwarten, dann aber dem Rechtsgelehrten wieder Nachricht geben, welcher am folgenden Tage wieder nach der Stadt zurückzukehren gedachte. Sie brachen dann auf, so schnell vier Pferde laufen konnten, und fuhren ohne weiteres nach dem Schlosse, welches sie abends um sechs Uhr erreichten.

Es traf sich, daß Austin den Tag zuvor nach seiner Gattin gefragt hatte. Der Diener berichtete ihm, was Mary gesagt hatte, und Austin, der in einer sehr reizbaren Stimmung war, schickte nach dem Kutscher, der sie gefahren hatte, um zu fragen, ob Mrs. Austins Freundin sehr krank sei. Der Mann gab an, er sei gar nicht nach dem fraglichen Platze, sondern nach dem nächsten Städtchen gefahren, wo Mrs. Austin eine Postchaise genommen habe. Dieses Geheimthun von seiten seiner Gattin konnte einem Manne von Austins Charakter nicht sehr angenehm sein; Unruhe wechselte bei ihm mit Zornausbrüchen. Nach einer schlaflosen Nacht und einem Tage, der ebenfalls in banger Erwartung der Rückkehr von Mrs. Austin entwichen war, ließ sich Rädergerassel vernehmen, und M'Shanes Wagen fuhr vor der Thüre an. Auf die Frage, ob Mr. Austin zu Hause sei, antworteten die Diener, sie wollten zuvor nachsehen, und Austin, welcher sich vorstellte, dieser ungewöhnliche Besuch stehe in Beziehung zu der rätselhaften Abwesenheit seiner Gattin, gab dem Kellermeister den Auftrag, den Besuch einzuführen. Er fuhr zwar zusammen, als ihm die Namen gemeldet wurden, erholte sich aber bald wieder und blieb in voller Höhe aufgerichtet neben dem Tische stehen.

»Mr. Austin«, begann O'Donahue, »wir haben es gewagt, wegen einer wichtigen Angelegenheit bei Ihnen vorzusprechen. Wir haben zwar nicht das Vergnügen, Sie zu kennen, Mr. Austin, aber wenn ich nicht irre, so dienten wir in früheren Zeiten Sr. Majestät in demselben Regimente.«

»Ich will nicht in Abrede stellen, meine Herren, daß Sie mich vordem unter anderen Umständen kannten«, versetzte Austin hochmütig; »wollen Sie gefälligst Platz nehmen – und dann haben Sie wahrscheinlich die Güte, mir den Grund dieses Besuches mitzuteilen.«

»Darf ich Sie fragen, Mr. Austin«, sagte M'Shane, »ob Sie in den letzten Tagen nicht die Zeitungen gelesen haben?«

»Nein; und ich erinnere mich jetzt – ganz gegen die Gewohnheit des Hauses sind mir die Blätter nicht regelmäßig gebracht worden.«

»Man hat sie Ihnen wahrscheinlich vorenthalten, damit Ihnen eine darin enthaltene Kunde nicht zu Gesicht komme.«

»Darf ich fragen, worin diese Kunde wohl bestehen mag?« fragte Austin überrascht.

»Sie betrifft die Gerichtsverhandlungen, die Überführung und Verurteilung eines gewissen Rushbrook zu lebenslänglicher Deportation wegen Mordes an einem Manne namens Byres«, antwortete M'Shane. »Sie wissen wahrscheinlich, Mr. Austin, daß es Ihr Sohn ist.«

»So muß ich wohl glauben, daß Sie die betreffende Person gesehen und daß er Ihnen diese Angabe gemacht hat?« versetzte Mr. Austin.

»Wir haben die Person allerdings gesehen, aber sie machte uns keine derartige Angabe«, entgegnete O'Donahue. »Wir hoffen indessen, Sie werden es nicht in Abrede stellen?«

»Ich kann mir nicht denken, aus was für Gründen Sie es für passend gehalten haben, hierher zu kommen und mich zu fragen«, erwiderte Austin. »Angenommen, ich besäße einen Sohn und dieser Sohn hätte sich, wie Sie sagen, einer solchen That schuldig gemacht, so geht dies doch gewiß Sie nichts an.«

»Erlauben Sie mir zuvörderst«, sagte M'Shane, »Ihnen zu beweisen, daß es Ihr Sohn ist. Sie lebten zu Graßford, wo der Mord begangen wurde; infolge dessen machte sich Ihr Sohn flüchtig und geriet in die Hände des Kapitäns und nunmehrigen Generals O'Donahue; er überließ Ihren Sohn mir, und ich nahm ihn an Kindesstatt an; aber als er in einer Pension war, wurde er von dem Schulmeister Furneß erkannt; er machte sich abermals flüchtig, um einer Verhaftung auszuweichen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gesehen, bis ich ihn gestern morgen besuchte und eine Unterredung mit ihm hatte – in demselben Augenblicke, als seine Mutter, Mrs. Austin, die Zelle des Exetergefängnisses verließ, wo der Arme gegenwärtig eingesperrt ist.«

Austin fuhr zusammen – jetzt war also der Grund von Mrs. Austins Abwesenheit erklärt; auch konnte er nicht länger in Abrede stellen, daß Joey sein Sohn sei. Nach einer Pause entgegnete er:

»Ich danke Ihnen sehr für Ihre Freundlichkeit gegen meinen armen Knaben, Major M'Shane, und es thut mir aus ganzer Seele leid, daß er sich in einer so schlimmen Lage befindet. Nun ich davon Kunde habe, werde ich alles aufbieten, was in meinen Kräften steht. Es giebt noch andere Rushbrooks, meine Herren, und es kann Sie nicht überraschen, daß ich nicht augenblicklich zugestehen mochte, eine solche Schmach sei meiner Familie zugefügt worden. Ich hatte nicht entfernt eine Vorstellung davon, daß Mrs. Austin bei ihm gewesen ist; ihre Anwesenheit dort erhebt aber die Frage über allen Zweifel, obschon dieselbe bis auf diesen Augenblick sorgfältig vor mir geheim gehalten wurde.«

Man darf nicht glauben, daß Austin ruhig war, weil er dem Major M'Shane so ruhig antwortete. Im Gegenteil hatte er sich seit dem Beginne dieser Unterredung in einem Zustande höchster Aufregung befunden, und es kostete ihn einen furchtbaren Kampf, seine Gefühle zu beherrschen. Was in seinem Innern vorging, zeigte sich auch so deutlich in dem Schmerzausdrucke seines Gesichtes, daß O'Donahue sagte:

»Sie erlauben mir vielleicht, Mr. Austin, daß ich nach einem Glas Wasser klingle?«

»Nein, Sir, ich danke Ihnen«, versetzte Austin, nach Luft haschend.

»Da Sie einmal zugestanden haben, Joseph Rushbrook sei Ihr Sohn, Mr. Austin«, fuhr M'Shane fort, »sei Ihr eigenes Fleisch und Blut, so erlauben Sie mir wohl die Frage, was Sie für ihn zu thun gedenken? Wollen Sie zugeben, daß das Gesetz seinen Gang nehme und Ihr Sohn auf Lebenszeit verbannt werde?«

»Was kann ich thun, meine Herren? Er ist gerichtet und verurteilt. Freilich, wenn meine Bemühungen etwas nützen können – aber ich fürchte, es ist keine Aussicht vorhanden.«

»Mr. Austin, wenn er schuldig wäre, würde ich mich nicht ins Mittel gelegt haben, aber ich bin fest überzeugt von seiner Unschuld – Sie nicht auch?«

»Ich glaube nicht, Sir, daß er je eine solche That begehen konnte; aber das nützt jetzt nichts mehr, denn er ist verurteilt.«

»Allerdings, wenn nicht der wirkliche Mörder des Hausierers aufgefunden werden kann.«

»J–i–a« entgegnete Austin zitternd.

»Soll ich ihn zur Anzeige bringen, Mr. Austin?«

»Kennen Sie ihn?« erwiderte Austin aufspringend.

»Ja, Rushbrook«, erwiderte M'Shane mit einer Donnerstimme, »ich kenne ihn – der Mörder bist Du!«

Dies war zu viel. Austin stürzte zusammen, als ob ein Schuß ihm ins Herz gedrungen wäre. O'Donahue und M'Shane leisteten ihm Beistand; sie hoben ihn auf, aber da er noch immer besinnungslos blieb, so klingelten sie und schickten den eintretenden Diener nach einem Arzte. Da nun die beiden Freunde sahen, bei Mr. Austins gegenwärtigem Zustande sei keine Aussicht vorhanden, ihre Absichten zu erreichen, so verließen sie das Schloß in demselben Augenblicke, als Mrs. Austin und Mary vor der Thüre anfuhren.


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