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In welchem der Kesselflicker sich in eine hochgestellte Dame verliebt.
Spikeman und unser Held wanderten viele Monate mit einander, und während dieser Zeit lernte Joey ein Messer oder eine Schere so gut schleifen, als es Spikeman selbst konnte, weshalb er demselben auch größtenteils das Geschäft abnahm. Die beiden paßten gut zusammen und verbrachten ihre Zeit sehr vergnüglich, indem sie sich jeden Tag ein paar Stündchen mit Ausruhen und Lesen an den Landstraßen unterhielten.
Eines Nachmittags, als es sehr schwül war, hatten sie Halt gemacht und sich in ein schattiges Gebüsch am Wege verkrochen. Unfern davon stand auf einer Anhöhe ein altes Herrenhaus. Da begann Spikeman:
»Joey, ich glaube, wir befinden uns hier an einem verbotenen Plätzchen; wenn dem so ist, kann man uns hinausjagen, was nicht sehr angenehm wäre. Rolle daher den Karren weiter hinein, daß man ihn nicht sieht; wir wollen dann eine Siesta halten, die uns bei solcher Hitze gar wohl thun wird.«
»Was ist eine Siesta?« fragte Joey.
»Eine Siesta ist ein Schlaf um Mittag, den sich die Spanier, Italiener und überhaupt alle Bewohner heißer Himmelsstriche belieben lassen. Bei achtbaren Leuten heißt er eine Siesta, bei einem wandernden Kesselflicker aber muß er vermutlich den Titel Faulpelzstündchen führen.«
»Wohlan, das Faulpelzstündchen ist mir recht«, sagte Joey, seinen Sitz auf dem Rasen neben Spikeman einnehmend und sich zurücklegend.
Sie hatten noch nicht einschlafen können, als sie in einiger Entfernung eine singende weibliche Stimme vernahmen. Die Töne kamen augenscheinlich von den Anlagen her, die sich zwischen ihnen und dem Herrenhause befanden.
»Bst!« sagte Spikeman, den Finger erhebend, indem er sich zugleich auf seinen Ellbogen aufrichtete.
Die Stimme klang augenscheinlich immer näher und trillerte in allerliebsten Tönen das Lied Ariels:
»Ich laure, wo das Bienchen saugt,
Und schlaf' im Schlüsselblümchenkelche u. s. w.«
»O weh!« rief die Stimme, sobald das Lied beendigt war; »ich wollte, ich könnte in ein Schlüsselblümchen kriechen. Es scheint Miß Araminta will noch immer nicht den Gang herunterkommen, sie hat's nicht sehr eilig – ich will daher mein neues Buch allein anfangen.«
Nach diesem Selbstgespräche trat ein Schweigen ein. Spikeman machte Joey ein Zeichen, sich still zu verhalten, und kroch dann auf Händen und Füßen so weit, als er sich gegen die andere Seite des Gebüsches wagen konnte.
Nach einer Weile knisterten andere Fußtritte den Kiesweg herunter, und bald nachher ließ sich eine zweite Stimme vernehmen.
»Nun, Melissa, Du hast wohl geglaubt, ich werde gar nicht kommen? ich konnte es aber nicht ändern – der Onkel wollte haben, daß ich ihm den Fuß ein wenig reibe.«
»Ah, da lag der Knoten«, versetzte die erste junge Dame. »Nun, es war ein Opfer der Freundschaft auf dem Altare der Menschenliebe gebracht. Der arme Papa! ich wollte ihm wohl seinen Fuß reiben, aber ich muß immer dazu singen, und er sagt, ich reibe zu hart: aber das kommt bloß davon her, daß ich dem Gange der Musik folge.«
»Ja, und er auch, denn Du machst ja, daß er zuweilen zappeln und tanzen muß, Du schwindelköpfiges Mädchen.«
»Es ist wahr, Araminta, daß ich zu einer Krankenwärterin völlig verdorben bin. Du weißt, daß es mir nicht an Mitgefühl fehlt, aber ich kann keine Minute ruhig sitzen. Die arme Mama war für das Haus ein großer Verlust, und ich weiß wahrhaftig nicht, was ich nach ihrem Tode hätte anfangen sollen, wenn nicht mein liebes Bäschen Araminta gewesen wäre.«
»Nun, Du machst Dich in Deiner Weise auch sehr nützlich, denn Du spielst und singst ihm vor, was gleichfalls beruhigend auf ihn wirkt.«
»Ja, das thue ich mit Vergnügen, denn ich verstehe mich kaum auf etwas anderes; aber Araminta, mein Gesang ist der eines eingesperrten Vogels: ich muß singen, wo man meinen Käfig hinhängt. Ach, daß ich doch ein Mann wäre!«
»Ich glaube, daß es noch nie ein Frauenzimmer gab, das nicht zu irgend einer Zeit das nämliche sagte, wie mild und ruhig sie auch sonst von Charakter sein mag. Da aber dies einmal nicht angeht, je nun – –«
»Je nun, so kommt der nächste Wunsch, die Gattin eines Mannes zu sein, Araminta; meinst Du nicht?«
»Ich glaube, der Wunsch ist sehr natürlich«, versetzte Araminta, »obgleich ich selten daran denke. Ich muß zuerst den Mann sehen, den ich lieben kann, ehe mir Heiratsgedanken kommen.«
»Aber sage mir, Araminta, wie müßte denn ein Mann sein, um Dir zuzusagen?«
»Er müßte von festem Charakter, nachgiebig, tapfer, schön, von guter Familie und reich sein – weiter verlange ich nichts.«
»So, weiter nichts? ich bewundere Dein ›Weiternichts‹. Indes fürchte ich, Du wirst Deine Wünsche schwerlich erfüllt sehen. Festigkeit ist nicht so oft mit Nachgiebigkeit gepaart, und wenn Du zu diesen beiden Eigenschaften noch Geburt, Schönheit und Reichtum und Tapferkeit haben willst, so glaube ich, daß Dein Weiternichts sehr am üblen Orte ist. Da habe ich ganz andere Vorstellungen.«
»Nun, so laß hören, Melissa.«
»Ich verlange von meinem Gatten keine besondere Schönheit, wohl aber, daß er voll Feuer und Thatkraft sei – ich möchte eben einen Gatten, der mich leidlich in Ordnung halten könnte. Ob er Geld hat, darum kümmere ich mich nicht viel, denn ich besitze selbst genug, um den Gegenstand meiner Liebe zu ernähren; aber er muß von guter Erziehung sein – Lektüre lieben – einen bedeutenden romantischen Anstrich besitzen – und, wie arm er auch sein mag, eine respektable Abstammung haben; das heißt, sein Vater darf kein Handwerker oder Krämer gewesen sein. Du weißt, ich ziehe ein feuriges Pferd einem ruhigen vor, und wenn ich heirate, so habe ich's gern, wenn mich's ein bischen Mühe kostet, meinen Mann zu leiten; ich denke wohl, daß ich ihn meistern werde.«
»So haben viele vor Dir gedacht, Melissa, und mußten sich schwer getäuscht finden –«
»Ja, weil sie's mit Demut und Unterwürfigkeit versuchten und den Mann auf diese Weise zu entwaffnen hofften; aber das geht nicht, ebenso wenig, als wenn man in Leidenschaft gerät. Wenn ein Mann seine Freiheit aufgiebt, so bringt er ein großes Opfer – davon bin ich überzeugt – und eine Frau muß Sorge tragen, daß er nicht fühlt, er sei an sie gefesselt.«
»Aber wie würdest Du dies fertig bringen, Melissa?« fragte Araminta.
»Ich würde stets auf Abwechslung sehen, ohne Unterlaß heiter sein und ihn nicht immer zu Hause am Schürzenbande mit herumführen, sondern ihn hinausschicken, damit er seinem Vergnügen nachgehe; auch müßten nur Leute im Hause sein, die er gern hätte, so daß man des allzu vielen tête à tête entraten könnte. Ein eingesperrter Vogel sucht immer zu entkommen; öffne ihm aber die Thürchen seines Käfigs und lasse ihm freien Flug, so kommt er aus eigenem Antriebe wieder zurück. Natürlich setze ich voraus, daß mein Herr ein gutes Herz und einen guten Charakter haben muß. Ehe ich, wie Du es nennst, einen gesetzten, nüchternen Mann nähme, wollte ich lieber mit einem Kaperkapitän davonlaufen. Und noch eins, Araminta, wie leidenschaftlich verliebt ich auch sein möchte, so würde ich doch nie meinem Gatten den Umfang meiner Zuneigung gestehen. Er müßte mir bei dem Glauben bleiben, ich könnte ihn noch inniger lieben, damit er sich Mühe giebt, es zu verdienen; denn verlaß Dich darauf, wenn ein Mann weiß, daß nichts mehr zu gewinnen ist, ist's mit seiner Zärtlichkeit vorüber. Du weißt ja, man kann einem Manne nicht zumuten, daß er viel nach einer Sache fragt, die man ihm nachwirft.«
»Du bist ein wildes Mädchen, Melissa, und ich hoffe nur, daß Du ein gute Wahl treffen wirst.«
»Das hoffe ich auch; aber eines kann ich Dir sagen: wenn ich denn doch einen Fehlgriff thue, so wird mein Mann finden, daß er sich gleichfalls getäuscht hat. Es ist so ein kleiner lauernder Teufel in mir, der ihm hoffentlich mehr als gewachsen sein wird, wenn man ihn durch üble Behandlung zum Losbrechen zwingt. Es thut mir fast leid, daß ich so viel eigenes Vermögen habe, denn ich hege Argwohn gegen jeden, der mir Artigkeiten sagt, und es giebt nur wenige in dieser Welt, die sich bei ihrer Wahl nicht an das Geld kehren.«
»Du hast recht, Melissa; aber Deine Persönlichkeit würde an sich schon, selbst ohne Vermögen, zureichend sein.«
»Schönen Dank, Bäschen; von einem Frauenzimmer ist das ein recht artiges Kompliment. Und nun wollen wir wieder mit unserem neuen Buche anfangen.«
Miß Melissa begann nun zu lesen, und Spikeman, der bis jetzt die Gesichter der beiden Damen noch nicht gesehen hatte, kroch leise näher bis an den Rand des Gebüsches, so daß er im stande war, seine Neugierde zu befriedigen. In dieser Lage blieb er wohl eine Stunde; dann schlossen die jungen Damen das Buch und kehrten, Melissa aufs neue singend, nach dem Hause zurück.
»Joey«, sagte Spikeman, »ich glaube nicht, daß es ein zweites Frauenzimmer giebt, wie dieses Mädchen; sie entspricht ganz der Idee, die ich mir von dem Weibe, wie es sein soll, gebildet habe. Ich muß ausfindig machen, wer sie ist; ich bin in sie verliebt und – –«
»– gedenken wohl, sie zur glücklichen Frau eines Kesselflickers zu machen?« versetzte Joey lachend.
»Joey, Du kriegst wahrhaftig eins aufs Dach, wenn Du diesen Ausdruck auf sie anwendest. Komm, wir wollen ins Dorf gehen; es liegt ganz in der Nähe.«
Sie langten in dem Dorfe an, und Spikeman begab sich nach dem Wirtshause. Den ganzen Tag über brütete er in düsteren Gedanken, während Joey sich aus seinem Buche erbaute. Um neun Uhr hatten sich sämtliche Gäste verloren; Spikeman begann nun ein Gespräch mit der Wirtin. Im Laufe desselben erfuhr er, daß das Herrenhaus dem Squire Mathews gehöre, der früher ein großer Fabrikant gewesen sei und nun dieses Gut gekauft habe. Der alte Herr leide schon lange an der Gicht und nehme keine Besuche an, was, wie die Wirtin meinte, sehr schlimm für das Dorf sei. Miß Melissa sei seine Tochter; auch habe er einen Sohn, der sich mit seinem Regimente in Indien befinde und dem Vernehmen nach mit dem Vater nicht auf dem besten Fuße stehe. Der alte Herr sei stets giftig und jähzornig, weil er ohne Unterlaß Schmerzen habe, aber von Miß Melissa und Miß Araminta, ihrem Bäschen, wisse alle Welt nur Rühmliches zu berichten, da beide sehr wohlwollend gegen arme Leute seien. Nach Einholung dieser Nachrichten begab sich Spikeman zu Bette. Er konnte die ganze Nacht nur wenig Ruhe finden, wie sein Schlafkamerad Joey zu bezeugen vermochte, da derselbe infolge des ewigen Drehens und Wendens im Bette kein Auge zu schließen im stande war. Des andern Morgens standen sie zeitig auf und setzten ihren Wanderstab weiter.
»Joey«, sagte Spikeman, nachdem sie wohl eine Stunde stumm nebeneinander hergegangen waren, »ich habe mir in der letzten Nacht viel ausgedacht.«
»Das muß ich wohl vermuten, denn geschlafen haben Sie sicherlich nicht.«
»Nein, ich konnte nicht schlafen. Die Sache verhält sich so, Joey: ich bin entschlossen, dieses Mädchen, diese Miß Mathews, zu gewinnen, wenn es mir möglich wird. Ein kühner Versuch für einen Kesselflicker, wirst Du sagen, aber nicht für einen Gentleman, und zu einem solchen bin ich geboren. Ich meinte, ich könne mich nie um ein Frauenzimmer kümmern; aber so ist der Gang der Dinge im Menschenleben. Ich muß nun auch mit dem Strome schwimmen, und führt er zum Glück, so ist's nur um so besser – wo nicht, je nun, wagen gewinnt. Ich fühle mich überzeugt, daß ich einen guten Gatten für sie abgeben würde, und an mir soll die Schuld nicht liegen, wenn ich sie nicht erringe.«
»Sie wollen ihr also förmlich, den Fuß in dem Drehbengel Ihres Schleifkarrens, die Hand anbieten?«
»Nein, Du naseweiser Geselle, das nicht; aber ich gedenke mein Scherenschleiferrad in ein Glücksrad umzuwandeln, und mit dessen Hilfe wird es hoffentlich gehen.«
»Wenn es Ihnen wirklich Ernst ist, so dürfen Sie auf meinen Beistand zählen«, versetzte Joey. »Ich begreife nur nicht, wie Sie's einleiten wollen.«
»Ich habe mir bereits einen Entwurf gemacht, obgleich ich über die Verkettung des Knotens noch nicht einig mit mir bin. Eilen wir jetzt so schnell als möglich nach der nächsten Stadt, damit ich meine Vorbereitungen machen kann!«
Sie begaben sich nach dem gewöhnlichen, bescheidenen Nachtquartier des Schleifers. Dann verfügte sich Spikeman zu einem Schreibmaterialienhändler und sagte, er habe einen Auftrag für eine Dame zu besorgen. Er kaufte Siegelwachs, ein gläsernes Petschaft mit der Inschrift »Hoffnung«, Briefpapier mit vergoldetem Schnitt nebst noch einigen anderen Requisiten und ließ sich alles sorgfältig einpacken, damit es nicht besudelt würde. Dann versah er sich auch mit wohlriechender Seife, einer Haarbürste und sonstigem Toilettenbedarf, fügte demselben noch zwei Paar gewöhnliche Biberhandschube bei und begab sich sofort nach einer Barbierstube, um sich die Haare scheren zu lassen.
»Jetzt bin ich bereit, Joey«, sagte er, als er wieder in dem Wirtshause erschien. »Morgen treten wir den Rückzug an.«
»Wie? nach dem Dorfe zurück?«
»Ja; und dort bleiben wir vielleicht einige Zeit.«
Als sie am andern Morgen das Dorf erreichten, ließ sich Spikeman ein Zimmer geben, auf welchem er blieb, während Joey den Schleifstein handhabte. Als unser Held abends zurückkehrte, fand er, daß sein Gönner fleißigen Gebrauch von der Seife gemacht und seinen Händen so ziemlich die eigentümliche Farbe wieder gegeben hatte; er war auch rasiert und hatte sich die Haare gut gereinigt und ausgebürstet.
»Du siehst, Joey, ich habe meine Operationen bereits begonnen. Bald bin ich in der Lage, die Rolle eines Gentleman zu spielen, der Kesselflicker geworden ist, um sich die Liebe einer schönen Dame von Stand zu erringen.«
»Gut Glück dazu: aber worin bestehen Ihre Pläne?«
»Das sollst Du morgen erfahren; für heute müssen wir zu Bette gehen.«