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Vierzigstes Kapitel.

In welchem unser Held eine Luftveränderung versucht.


Dem Leser wird nicht entgangen sein, daß an dem Schlusse des letzten Kapitels ein wenig Empfindlichkeit und Wortwechsel stattgefunden hatte. Emma Philipps hatte ein Bild hingeworfen, das unsern Helden verletzte. »Sind Unschuld und Geheimnis je Hand in Hand gegangen?« Hätte Emma diese Frage an uns, die wir die Welt kennen, gestellt, so würden wir unverholen geantwortet haben: »Ja, sehr oft, meine liebe Miß Philipps.« Aber Emma hatte sich nicht nur in ihrer Metapher, sondern auch in der Zeit, die sie dazu wählte, vergriffen. Warum that sie es auch? 's ist schwierig, eine solche Frage zu beantworten, wir können nur sagen – freilich riskieren wir viel, wenn diese Erzählung von Damen gelesen werden sollte – daß wir die Entdeckung gemacht haben, das weibliche Geschlecht sei nicht vollkommen, indem selbst die besten voll Widerspruch sind: und Emma war ein Weib. Daß Frauenzimmer oft mehr begabt sind, als die Männer im allgemeinen, geben wir bereitwillig zu; auch wurde ihre Sache von Lady Morgan, Mrs. Jamieson und vielen anderen verfochten, welche eine weit bessere Feder führen, als wir. Unter ihrer Sache verstehen wir nämlich das Recht der Gleichheit, das sie unserem Geschlechte gegenüber ansprechen, sintemal sie sich demselben nicht unterordnen wollen. Als wir letzthin in Lady Morgans Schriften lasen, was, nach der Unterhaltung mit ihr, einer der höchsten uns bekannten Genüsse ist, begannen wir zu überlegen, worin die Gründe doch liegen mögen, die das Weib dem Mann unterworfen haben, oder mit anderen Worten, wie es der Mann anfing, die Oberhand zu gewinnen und zu erhalten. Daß der weibliche Geist dem des Mannes nicht nachsteht, sind wir zuzugeben genötigt, und daß er oft weit bildsamer ist, läßt sich gleichfalls nicht in Abrede stellen. Was die Behauptung betrifft, daß der Mann Gesetze schaffe oder daß sein Bau kräftiger sei, gilt nicht als Grundsatz, da eine Empörung des andern Geschlechts mit derartigen Vorteilen bald fertig sein würde, und Männer, die man wie Mädchen erzöge, würden bald den Weibern erliegen, die sich von Jugend auf mit den Körper kräftigenden Gewohnheiten abgegeben haben. Nachdem wir uns die Sache lange hin und her bedacht, kamen wir endlich zu dem Schlusse, daß der große Unterschied in der Thätigkeit des Geistes liege, indem derselbe beim Weibe weit verwickelteren Gesetzen folgt als beim Manne. Beim letzteren ist der Geist der Despot – er wirkt nur vermittelst einer einfachen Thätigkeit und folgt einem alles durchdringenden Grundsatze, einer einzigen vorwärts treibenden Gewalt, welcher alles dienstbar ist. Diese Gewalt oder Leidenschaft, die vielleicht in schwachen Seelen verhüllt ist oder im Schlummer liegt, ist das einzige, was ihn vorwärts treibt; sein primum mobile, wie ich's nennen möchte, heißt Ehrgeiz, oder mit einem andern Worte, Selbstliebe – ihr wird alles geopfert.

In demselben Verhältnisse der organischen Einfachheit ist er auch stark in der Thätigkeit, wie im Gegenteile die letztere durch eine verwickeltere Maschinerie geschwächt wird. Zergliedern wir den weiblichen Geist, so finden wir, daß ihre untergeordnete Stellung aus dem einfachen Umstande entspringt, weil so viele Räder in einander laufen, so viele kompensierende Hemmungen angebracht sind, daß die Kraft der Thätigkeit verloren geht und durch den Zeitaufwand, der zu einer Entscheidung erforderlich ist, geschwächt wird, obschon der weibliche Sinn im allgemeinen richtiger sein mag, als der des Mannes. Was läßt der Mann seinem Ehrgeize in den Weg treten? Liebe? Nein. Freundschaft? Nein – er opfert ihm die besten seiner Eigenschaften und macht ihm, was noch schwieriger ist, die schlimmsten, deren sein Charakter fähig ist, dienstbar. Er hat nur einen einzigen großen Impuls, eine bewegende Kraft, und da auch die Thätigkeit einfach ist, so äußert sie sich natürlich in entsprechender Weise gewaltig. Wird aber der weibliche Geist gleichfalls solche Wege einschlagen? Wird er dem Ehrgeize Liebe, Freundschaft oder natürliche Bande opfern? Nein; die Ansprüche derselben stellen sich, allgemein gesprochen, in ein schönes Gleichgewicht, und der Quotient, den die Rechnung giebt (wie richtig er auch sein mag), ist klein. Wir wollen übrigens damit nur beweisen, daß die Weiber, abstrakt genommen, grundsatzvoller, gewissenhafter und besser geordneten Geistes sind als die Männer – und das ist wahr, wenn – sie nur immer so sicher gehen könnten, wie die Uhren. Aber je verwickelter die Maschine, desto schwieriger ist sie in Ordnung zu halten – desto wahrscheinlicher die Notwendigkeit einer Ausbesserung und einer Verwirrung der Getriebe durch unbedeutende Erschütterungen, welche der einfachen und kräftigen Konstruktion, die sich bei unserem Geschlechte findet, nichts anhaben können. Sie gehen nicht nur oft unrichtig, sondern erleiden bisweilen in dieser argen Welt so ernstliche Anstöße, daß von einer Wiederherstellung gar keine Rede mehr ist.

Wir zweifeln nicht, daß manche der Leser sagen werden: »Was kehren wir uns hierorts an den weiblichen Geist; kehre lieber zu deiner Geschichte zurück.«

Wir haben Emma in dem Besuchszimmer verlassen; sie war erstaunt über die lange Rede unseres Helden, noch mehr aber darüber, daß er es zum ersten Male während ihrer Bekanntschaft wagte, eine andere Ansicht, als ihr holdes Ich, verlauten zu lassen.

Obgleich Emma Philipps ein wenig schmollte und eine Glut bis zu ihren Schläfen aufgestiegen war, sah sie doch ungemein liebenswürdig aus, während sie nachdenkend auf dem Sofa zurücklehnte. Von ihm getadelt, der immer so aufmerksam, so unterwürfig, so zu sagen ihr Geschöpf gewesen war, fühlte sie sich gekränkt, wie es bei Weibern immer der Fall ist, wenn sie eine Gewalt verloren haben oder Symptome der Empörung an einem dienstpflichtigen Vasallen bemerken. Dann fragte sie sich, was sie eigentlich unrechtes gethan habe? Sie hatte gesagt: Unschuld und Geheimnis gingen nicht Hand in Hand; war das nicht wahr? Sie wenigstens fühlte sich davon überzeugt, und ihre Meinung wurde auch noch durch andere bekräftigt, denn sie hatte das gleiche in einem Buche gelesen, entweder in Burke oder in Rochefoucauld oder sonst einem großen Autor. Miß Philipps biß sich in die Nägel und dachte weiter nach. Ja sie sah, wie es stand; unser Held hatte sich in der Welt emporgeschwungen, war unabhängig und in der Gesellschaft gut gelitten; er war nicht mehr der kleine Joey von Gravesend, sondern ein Mann von Bedeutung – aber ein sehr undankbarer Mensch. Die Welt ist leider voll Undank – demungeachtet dachte sie besser von unserem Helden – ja zuverlässig. Nun, jedenfalls konnte sie ihm beweisen, daß – was? – sie wußte es selbst nicht recht. So endigte die zweite Erwägung, nach welcher eine weitere an die Reihe kam.

Was hatte unser Held gesagt – wessen hatte er sie beschuldigt? Sie schenke ihm nicht länger das Vertrauen, das sie ihm viele Jahre bewiesen habe? Allerdings; aber waren die gegenseitigen Beziehungen – war nicht der Fall ganz anders? Sollte er immer noch ein Geheimnis vor ihr bewahren? – Nein. Ehe sie jedoch zu diesem Schlusse kam, trat eine lange Pause ein. Bei weiterem Nachdenken sagte ihr der eigene edle Sinn, sie habe unrecht gethan, und unser Held fühle sich mit Grund von ihr beleidigt; sie beschloß die Sache wieder gut zu machen, sobald sie wieder einmal allein wären.

Sobald sie bei diesem Vorsatze angelangt war, ließ sie die vorläufige Frage fallen und begann über das Geheimnis selbst nachzudenken; auch finden wir begreiflich, daß sie gar zu gerne gewünscht hätte, dasselbe zu ermitteln. In der Zwischenzeit war unser Held mit sich einig geworden, Portsmouth zu verlassen – jedenfalls für eine Weile. Dieser Zwist mit Emma, wenn man ihn so nennen konnte, hatte ihn sehr unglücklich gemacht, und auch der Kummer der letzten Zeit war nicht ohne ernstliche Wirkung auf seine Gesundheit gewesen.

Wir glauben nicht, daß es je einen erwachsenen Menschen gab, der sich in der Welt herumtrieb und nachher sagen konnte, daß er zu irgend einer Zeit vollkommen glücklich gewesen sei, oder der, wenn er sich auch also aussprach, nicht einige Augenblicke, nachdem die Worte über seine Lippen geglitten waren, die Entdeckung machte, daß das Gegenteil der Fall sei. »Es ist immer etwas da«, hörten wir eine fromme Dame sagen; und sie hat recht – es wird auch stets so bleiben. Furneß' Tod war natürlich für das Gemüt unseres Helden eine große Erleichterung; es war ihm, als seien jetzt alle Hindernisse überstiegen, und er habe nicht länger die Folgen zu fürchten, die aus dem Verbrechen seines Vaters fließen mochten. Er hoffte, jetzt keck hinaustreten zu können in die Welt, ohne erkannt zu werden, und hatte sich Luftschlösser genug gebaut, um ein zweites London daraus zu bilden, als sein Bruch mit Emma den magischen Spiegel zertrümmerte, durch welchen er in die Zukunft geblickt hatte. Als er in den schönsten Träumen schwamm, fand er die Wahrheit des Sprüchleins jener guten Dame: »Es ist immer etwas da.«

Joey blieb etwa eine Stunde auf seinem Zimmer und ging sodann nach dem Kontor hinunter, wo er Mr. Small und Mr. Sleek an der Arbeit fand, denn die Geschäfte hatten sich sehr angehäuft, seit Joey säumig geworden war.

»Nun, mein lieber Freund, wie befinden Sie sich?« fragte Mr. Small.

»Gar nicht gut, Sir«, versetzte Joey. »Ich fühle mich untüchtig zur Arbeit und schäme mich eigentlich vor mir selbst. Ich dachte eben, wenn Sie nichts dagegen hätten, mir ein paar Monate Urlaub zu erbitten, da mir eine Luftveränderung wahrscheinlich sehr zu statten kommen würde. Ich habe in Dudstone ein Geschäft, das ich, seit ich nach Portsmouth kam, immer aufgeschoben habe.«

»Ich glaube selbst auch, daß Ihnen ein Luftwechsel sehr gut bekommen wird, Freundchen«, entgegnete Mr. Small; »nur kann ich mir nicht denken, was Sie in Dudstone zu schaffen haben.«

»'s ist einfach: ich schloß meine Zimmer, als ich vor vier Jahren von Dudstone abzog, ließ meine Möbel, Bücher und Linnen dort und habe seitdem nicht Zeit gefunden, danach zu sehen.«

»Nun, die werden das Ausstäuben brauchen können, O'Donahue; deshalb sehen Sie immerhin danach; aber 's ist von größerer Wichtigkeit, daß Sie für Ihre Gesundheit sorgen. Sie haben mit Freuden meine Zustimmung zu einer Ferienreise und mögen meinetwegen, wenn's nötig ist, drei Monate ausbleiben; nur kehren Sie mir vollkommen hergestellt wieder zurück.«

»Auch ich bin damit einverstanden«, fügte Mr. Sleek bei; »ich will, so lange Sie fort sind, Ihr Geschäft übernehmen.«

Unser Held dankte seinen älteren Associés für die freundliche Erfüllung seines Anliegens und gab ihnen seine Absicht zu erkennen, daß er am andern Morgen mit der Frühpost aufbrechen wolle; dann verließ er das Kontor, um seine Vorbereitungen für die Reise zu treffen. Beim Diner hatte man zahlreiche Tischgesellschaft, und auch Joey nahm daran teil. Erst nach dem Mahle hatte Herr Small Gelegenheit, Mrs. Philipps die Absichten unseres Helden mitzuteilen. Die Dame hielt Joeys Vorhaben für sehr zweckmäßig, denn seine Gesundheit hatte in der letzten Zeit augenscheinlich sehr gelitten, und da sie den Grund seines leidenden Zustandes in seiner allzu großen Thätigkeit suchte, so glaubte sie, eine Erholungsreise dürfte ihn völlig wiederherstellen.

Emma, die neben ihrer Mutter saß, erblaßte; sie hatte sich's nicht träumen lassen, daß Joey so schnell Wort halten würde, und fragte Mr. Small, ob er nicht wisse, wann O'Donahue Portsmouth zu verlassen gedenke. Die Antwort lautete, er habe auf der morgigen Frühpost einen Platz bestellt; Emma sank jetzt auf das Sofa zurück und blieb stumm.

Nachdem sich sämtliche Gäste entfernt hatten, stand Mrs. Philipps auf, zündete einen Leuchter an, um zu Bette zu gehen, und Emma folgte dem Winke ihrer Mutter. Die gute Dame drückte unserem Helden zum Abschied noch die Hand, wünschte ihm viel Vergnügen und hoffte, er werde wieder ganz hergestellt zurückkehren. Emma, welche sah, daß sie Joey nicht mehr allein sprechen konnte, nahm ihren Mut soweit zusammen, um ihm ihre Hand zu bieten, und sagte:

»Ich hoffe, Ihre Abwesenheit wird Ihrer Gesundheit und Ihrem Glücke förderlich sein, Mr. O'Donahue.«

Dann ging sie ihrer Mutter nach.

Joey war durchaus nicht zu weiterer Unterhaltung aufgelegt; er verabschiedete sich von seinen beiden älteren Associés, und ehe Emma nach einer nicht sehr erquickenden Nachtruhe aufgestanden war, war er schon zwei Stationen von Portsmouth entfernt.


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