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Freunde in der Not gehen hundert auf ein Lot.
Rushbrook und Jane kehrten nach ihrer Hütte zurück: letztere schloß die Thür und warf sich in die Arme ihres Gatten.
»Dem Himmel sei Dank, Du bist wenigstens gerettet! Du bleibst verschont. Ach! man weiß erst, wie sehr man sich liebt, wenn die Stunde der Gefahr kommt.«
Rushbrook war sehr ergriffen; er liebte seine Frau und hatte allen Grund, sie zu lieben. Jane war hübsch, noch nicht dreißig, groß von Person, und hatte einen schön gebildeten, obgleich verhältnismäßig etwas kleinen Kopf; ihr Gesicht war voll Seele und Anmut. Wäre sie in höherem Stande geboren, so würde man sie unter die ersten Schönheiten gerechnet haben. Sie war von ihren Nachbarn geliebt und hatte eine gebieterische Würde an sich, welche ihr allseitige Bewunderung und Achtung erwarb. Niemand konnte das Ungeheure des Verbrechens, das ihr Gatte begangen, tiefer empfinden als sie selbst, und doch hatte sie nie zuvor mit solcher Innigkeit an ihm gehangen. Sie war von jenem kecken, entschiedenen Charakter, der den Mut bewundern kann, selbst wenn er zum Verbrechen führt, obgleich er das Verbrechen selbst verabscheut. Es darf daher durchaus nicht überraschen, wenn die glühende Liebe, die sie zu ihrem Gatten hegte, Veranlassung gab, daß sie in einem Augenblicke, wie der gegenwärtige war, mehr an seine Gefahr als an seine Schuld dachte.
Auch Rushbrook müssen wir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er weder in betreff seines Äußern noch seines Geistes dem gewöhnlichen Schlage angehörte. Er war abenteuerlich, wagehalsig, zu allem bereit, kalt und besonnen in der Gefahr, und fand seine Lust in der Aufregung, welche die Schwierigkeit und Unsicherheit seiner nächtlichen Gänge mit sich führte, ohne sich viel um den daraus gewonnenen Erwerb zu kümmern.
Weder er noch seine Frau waren im Punkte der Erziehung vernachlässigt worden. Seine niedrige Geburt und der Umstand, daß er Handgeld genommen, hatten ihm eine Laufbahn angewiesen, auf der er keine Beförderung hoffen durfte; wäre er jedoch statt eines gemeinen Soldaten Offizier gewesen, so hätten seine Talente eine edlere Richtung gewonnen, und der Mann, der für einen Kapitän wilderte und stahl, würde seine Geschicklichkeit in einer Weise angewendet haben, die eine ehrenvolle Berücksichtigung verdient hätte. Sein Mut verschaffte ihm die Achtung aller seiner Vorgesetzten, und auch seine Kameraden erkannten an, daß er der beste Mann in der ganzen Kompanie war, wenn es galt, fest und ruhig im Feuer zu stehen.
Wir sind die Geschöpfe der Umstände. Friedrich von Preußen hielt nicht viel auf Phrenologie und schickte daher eines Tages nach einem Gelehrten, der sich mit dem Studium derselben abgab, um ihm ein paar mit Uniform und Orden ausstaffierte Kerle, einen Straßenräuber und einen Taschendieb, zur kranioskopischen Untersuchung vorzustellen. Der Professor untersuchte die Schädel und bemerkte gegen den König: »Sire, dieser Mann« (er deutete dabei auf den Räuber), »wer er auch sein mag, würde ein großer General geworden sein, wenn er seine Laufbahn in der Armee verfolgt hätte. Was den andern betrifft, so ist er von ganz verschiedenem Schlage. Er ist wahrscheinlich ein bewundernswürdiger Finanzmann oder würde sich doch für einen solchen qualifizieren.«
Dieses überzeugte den König, daß doch etwas Wahres in dieser Wissenschaft liege, »denn«, bemerkte er ganz richtig, »was ist ein General anders als ein Straßenräuber, oder ein Finanzmann anders als ein Beutelschneider?« Natürlich eine Fabel.
»Beruhige Dich, liebe Jane«, sagte Rushbrook; »'s ist jetzt alles gut.«
»Ja wohl, alles gut; aber mein armes Kind – zweihundert Pfund sind für seine Ergreifung ausgesetzt! Wenn man ihn festnähme?«
»Das fürchte ich nicht. Und wenn auch – man könnte ihm nichts zuleide thun. Das Verdikt ist freilich ausgesprochen, aber welcher positive Beweis wäre vorhanden?«
»Ach, Rushbrook, man hat schon Leute aufgehängt, bei denen noch weniger triftige Beweise vorhanden waren.«
»Jane«, versetzte Rushbrook, »unser Knabe wird nie gehangen werden, das verspreche ich Dir; gieb Dich deshalb zufrieden.«
»Aber, um ihn zu retten, mußt Du dann Dich selbst angeben, und ich werde Dich verlieren.«
Fußtritte an der Thüre unterbrachen ihr Gespräch. Rushbrook öffnete, und Mr. Furneß, der Schulmeister, trat ein.
»Es thut mir recht leid, meine lieben Freunde, daß das Verdikt so ausgefallen ist, aber da läßt sich nichts ändern. Der Beweis war zu stark, und es hat mir schmerzlich weh gethan, daß ich selbst auch Zeugnis ablegen mußte.«
»Ihr?« rief Rushbrook. »Ei, hat man denn auch Euch vorgeladen?«
»Ja, und mir den Eid abgenommen. Ein Eid ist für einen moralischen Mann eine gar ernstliche Verpflichtung; die Natur eines Eides umfaßt etwas Hehres, Heiliges, und wenn Ihr Euch an meine Stelle versetzet, so könnt Ihr Euch nicht wundern, wenn ich, als der Mann, der den jüngeren Gliedern der Gemeinde Frömmigkeit und Sittlichkeit einprägt, die Wahrheit sprach.«
»Und was hattet Ihr denn zu sagen?« fragte Rushbrook erstaunt.
»Was ich zu sagen hatte? je nun, das, was Ihr mir diesen Morgen sagtet – auch mußte ich bezeugen, daß der Sack Euch gehörte, denn Ihr wißt, daß Ihr mir in demselben durch den armen Teufel, den kleinen Joey, Kartoffeln sandtet. Vorsätzlicher Mord und zweihundert Pfund auf Ergreifung und Überführung!«
Rushbrook warf dem Schulmeister einen Blick der Überraschung und Verachtung zu.
»Ich möchte da doch fragen, wie man davon wissen konnte, daß gestern Morgen etwas zwischen uns vorfiel, denn wenn ich mich recht entsinne, so habt Ihr mich dazu aufgefordert, verschwiegen zu sein.«
»Mein lieber Freund, das versteht Ihr nicht. Bedenkt meine Stellung – jedermann sieht zu mir auf als zu einem Beispiel von moralischer Rechtschaffenheit und ordentlichem Betragen – als zu einem Vorbild für die jüngeren Zweige der Gemeinde – Ihr seht daher –«
»Ja, ich sehe, daß Ihr unter solchen Umständen nicht immer ins Bierhaus gehen und wöchentlich wenigstens zweimal betrunken nach Hause kommen solltet«, erwiderte Rushbrook, indem er dem Schulmeister den Rücken kehrte.
»Und warum gehe ich ins Bierhaus, mein lieber Freund? aus keinem anderen Grunde, als um nach denjenigen zu sehen, die allzu tief ins Glas gucken – nach Euch zum Beispiel. Wie oft habe ich Euch nicht nach Hause geführt!«
»Ja, als Ihr betrunken waret und ich –« Jane legte die Hand auf den Mund ihres Gatten.
»Und Ihr was, Freund?« fragte Furneß neugierig.
»Vielleicht noch ärger, als Ihr. Und nun, Freund Furneß, da Ihr von Eurem langen Verhöre müde sein müßt, wünsche ich Euch gute Nacht.«
»Wann sehe ich Euch wieder in der Katze und Fidel?«
»Sobald nicht, wenn ich je wieder hinkomme, Freund Furneß, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
»Nie wieder zur Katze und Fidel gehen? Ein kleiner gesunder Trunk ersäuft die Sorge, mein Freund, und daher, obgleich es mir leid thun sollte, wenn Ihr Euch übernehmt – Ihr wißt ja, wenn ich bei Euch bin und nach Euch sehen kann –«
»Namentlich aber auch die Hälfte meines Bieres wegtrinken, he! – Nein, nein, Freund Furneß, diese Tage sind vorbei.«
»Nun, Ihr seid gegenwärtig nicht bei Laune – vielleicht ein andermal. Mrs. Rushbrook, habt Ihr nicht ein Tröpflein Dünnbier?«
»Kann keines entbehren«, versetzte Jane, sich von ihm abwendend; »Ihr hättet den Magistrat darum angehen sollen.«
»O, ganz wie beliebt«, erwiderte der Pädagog. »Es kann freilich die Leute verstimmen, wenn ein Verdikt auf vorsätzlichen Mord ausgesprochen wird und der Magistrat zweihundert Pfund Belohnung aussetzt, falls man den Verbrecher greift und überführt. Gute Nacht!«
Furneß schlug die Hausthüre hinter sich zu und ging von hinnen.
Rushbrook verhielt sich stille, bis die Tritte des sich entfernenden Schulmeisters verhallt waren und sagte dann:
»Er ist ein Schurke.«
»Das glaube ich selbst auch«, versetzte Jane; »doch gleichviel. Wir wollen nun zu Bette gehen und Gott für die erwiesene Barmherzigkeit danken. Möge er Dir zugleich Deine schwere Verschuldung vergeben. Komm, Lieber!«
Am andern Morgen erfuhr Mrs. Rushbrook durch die Nachbarn, daß sich der Schulmeister freiwillig zum Zeugen erboten hatte. Dies steigerte Rushbrooks Zorn noch mehr, und er gelobte Rache.
Welcher Art auch die Gefühle der Gemeinde zur Zeit der Entdeckung des Mordes gewesen sein mochten, so viel ist gewiß, daß man, nachdem die Sache ein wenig verrauscht war, Rushbrook und seine Gattin allgemein sehr bedauerte. Dem Förster ging man aus dem Wege, und Freund Furneß kam wegen des freiwilligen Zeugnisses, das er gegen alte und geschworene Freunde abgelegt hatte, völlig in Mißkredit. Die Folge davon war, daß man ihm keine Kinder mehr in die Schule schickte und der Schulmeister, so oft er die Mittel aufzubringen vermochte, sich mehr und mehr dem Trunke ergab.
Eines Sonnabends ging Rushbrook mit dem besten Vornehmen nach dem Bierhause, mit Furneß Streit anzufangen. Der letztere war halb betrunken und that gewaltig dicke hinter seinem Krug. Rushbrook höhnte ihn, und so kam es zu Gegenreden. Ein Wort gab das andere, und endlich forderte der Schulmeister Rushbrook heraus, sich mit ihm zu boxen. Dies war's eben, was Rushbrook wünschte; eine halbe Stunde später mußte Furneß, zur Mumie geschlagen, nach Hause gebracht werden, wo er viele Tage das Bett hütete. Sobald Rushbrook in dieser Weise Rache genommen und sein lange verhaltenes Mütchen gekühlt hatte, packte er auf und verließ das Dorf, ohne daß jemand wußte, wohin er mit seinem Weibe gezogen war. Furneß, der indes alle Unterhaltungsmittel verloren hatte, folgte ein paar Tage später seinem Beispiele; auch sein Aufenthaltsort blieb unbekannt.