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Vierzehntes Kapitel.

Handelt vom Hof und vom Hofmachen.


Als M'Shane am andern Morgen erwachte und sich ins Gedächtnis zurückzurufen suchte, was zwischen ihm und Dimitri vorgefallen war, fühlte er sich doch nicht ganz überzeugt, ob er ihm nicht zu viel getraut habe.

»Ich glaube«, sagte er zu sich selber, »es wurde bloß bedingungsweise gesprochen. Ja, 's fehlt nicht. Wenn O'Donahue verliebt ist, und – wenn sie seine Liebe erwidert. Nichts als lauter Wenn. Ich muß indes gehen und O'Donahue von dem Vorgefallenen Nachricht erteilen.«

Dies geschah, und O'Donahue entgegnete nach einem kurzen Nachdenken:

»Ich weiß in der That nicht, aber vielleicht ist's doch das beste, was wir thun konnten; denn siehst Du, ich muß mich jemand anvertrauen, und wie schwierig wäre es dann gewesen, den rechten Mann heraus zu finden, denn hier gehört, wie ich glaube, jedermann zur Polizei. Ich halte den Menschen selber auch für ehrlich, und jedenfalls gereicht es ihm nicht zum Schaden, wenn er's ist.«

»Er würde mir nicht gesagt haben, daß er zu der Polizei gehöre, wenn er uns einen Fallstrick zu legen gedächte«, versetzte M'Shane.

»Das ist sehr wahr, und im ganzen glaube ich, daß wir nichts besseres thun konnten. Wir sind indes zu vorschnell, denn wer weiß, ob es ihr mit ihren Abschiedsworten Ernst war, oder selbst in diesem Falle – ob sie nicht seitdem ihren Sinn geändert hat.«

»Ist freilich schon oft vorgekommen, O'Donahue.«

»Und wird vorkommen, so lange die Welt steht. Wie dem übrigens auch sein mag, morgen soll ich bei Hofe vorgestellt werden, und vielleicht glückt es mir dann, sie zu sehen. Es freut mich, Nachricht erhalten zu haben, daß ich bei dieser Gelegenheit möglicherweise mit ihr zusammentreffen kann, und ich will daher auf meiner Hut sein.«

»Und was soll ich zu Dimitri sagen?«

»Sage ihm, Du habest ihres Namens gegen mich erwähnt und daß sie sich gegenwärtig hier aufhalte; ich hätte indes bloß entgegnet, daß es mich freuen würde, sie wieder zu sehen.«

»Recht so, eine solche Antwort läßt sich noch nach Belieben drehen und wenden«, erwiderte M'Shane.

Am nächsten Morgen steckte sich O'Donahue in seine Uniform und fuhr nach dem Hotel des Gesandten, welcher ihm versprochen hatte, ihn nach dem Anitschkoff-Palast zu begleiten und daselbst dem Kaiser vorzustellen. O'Donahue wurde sehr gnädig aufgenommen, denn der Kaiser geruhte sich persönlich mit ihm zu unterhalten, indem er sich nach dem Befinden Seiner Königlichen Hoheit des Ober-Generals erkundigte, nach der Art des Dienstes fragte, den O'Donahue gethan, u. s. w. Er fügte sodann bei, daß auch die Kaiserin erfreut sein werde, seine Bekanntschaft zu machen, und daß er hoffe, der Gast werde sich lange in St. Petersburg aufhalten.

Mit klopfendem Herzen folgte O'Donahue dem Gesandten nach den Gemächern der Kaiserin; er brauchte nicht länger als fünf Minuten zu warten, während welcher Zeit er sich mit dem Gesandten unterhielt, als die Thüren aufgingen und die Kaiserin, von ihren Kammerherren, den Kammerfrauen und den Ehrendamen begleitet, eintrat. O'Donahue hatte sich vorgenommen, seine Blicke nicht von der Kaiserin zu verwenden, bis die Vorstellung vorüber war. Nachdem er ihr die Hand geküßt und einige gnädigst vorgelegte Fragen beantwortet hatte, zog er sich zurück, um andern Platz zu machen und nun wagte er es zum ersten Male, seine Augen auf die Damengruppe zu werfen, welche das Gefolge der Kaiserin bildete. Die ersten, welchen sein Blick begegnete, waren ihm unbekannt, aber endlich ganz im Hintergrunde entdeckte er die Fürstin Czartorinsky, die sich lachend mit einer andern Dame unterhielt. Nach einer Weile wandte sie sich um, und ihre Augen begegneten sich. Die Fürstin erkannte ihn plötzlich, fuhr zusammen, wandte sich ab und legte die Hand auf ihre Brust, als ob ihr die Überraschung den Atem benommen hätte. Noch einmal blickte sie nach O'Donahue hin, und diesmal überzeugte er sich aus ihrer Miene völlig, daß er willkommen war. Zehn Minuten nachher suchte der Gesandte O'Donahue auf, und sie verließen den Palast.

»Ich habe sie gesehen, M'Shane«, sagte O'Donahue; »sie ist schöner, und ich bin tiefer in ihre Liebesbanden verstrickt, als je. Aber was können wir jetzt anfangen?«

»Das ist eben die Schwierigkeit«, versetzte M'Shane. »Soll ich mit Dimitri reden oder den Mund halten? Ich könnte auch drüber nachdenken, während Du bei dem Diner des Gesandten bist.«

»Ich kann heute nicht außer Hause speisen, M'Shane, und will mich daher entschuldigen lassen.«

»Ei, wahrhaftig, ich glaube, Du bist allen Ernstes ganz weg. Mir hat die Liebe nie den Appetit verdorben; im Gegenteil, der Appetit war's, der mich verliebt machte.«

»Ach, wenn sie nur keine Fürstin wäre«, entgegnete O'Donahue, indem er sich auf das Sofa warf.

»Das kommt durchaus nicht in Betracht«, versetzte M'Shane. »Eine Fürstin ist wenigstens zu haben, und Du brauchtest nur zu verzweifeln, wenn sie allenfalls ein General wäre. Der militärische Rang macht hier alles aus, wie Dimitri sagt.«

»Sie ist ein Engel«, entgegnete O'Donahue mit einem Seufzer.

»Das ist ein Rang im Himmel, der in Petersburg keine Geltung hat«, erwiderte M'Shane. »Dimitri sagt mir, man habe hier auch Civil-Generale, die unser Staat auch recht gut brauchen könnte, denn hole mich der Teufel, wenn ich das Vergnügen hatte, unter einem solchen zu dienen Ein unübersetzbares Wortspiel. Civil heißt bürgerlich und höflich.

»Was soll ich thun?« fragte O'Donahue, indem er aufstand und sich anschickte, dem Gesandten ein Billet zu schreiben.

»Zu Mittag essen und eine Flasche Champagner trinken; dann will ich kommen und die Sache mit Dir besprechen – vorderhand läßt sich nichts anderes anfangen. Gieb mir das Billet, ich will Dimitri damit fortschicken und das Diner bestellen.«

Da M'Shane's Vorschlag nicht übel war, so wurde er befolgt. O'Donahue hatte sein Mahl beendigt und saß eben mit M'Shane am Feuer, als an die Thür gepocht wurde. Man rief M'Shane hinaus, und dieser kehrte bald mit den Worten zurück:

»'s ist ein kleiner Kerl draußen, der mit Dir sprechen will, ohne daß er mir seinen Auftrag namhaft gemacht hätte. Ein seltsames Figürlein, obgleich es nicht so übel aussieht, nicht höher, als ein Kissen und mit einer Art Polster auf dem Kopfe; eine Taube, die auf seinen Schultern säße, könnte von seinen Schuhen Erbsen aufpicken; er stolziert einher, wie ein Grenadier, und bei der Allmacht! man könnte ihn mit einer Bärenmütze wie ein Licht zum Auslöschen bringen. Soll ich ihn herein führen?«

»Gewiß«, versetzte O'Donahue.

Dem Leser ist vielleicht nicht bekannt, daß es in keinem Teile des Erdballs so viele Zwerge giebt, als in St. Petersburg, denn jede adelige Familie hat ihrer ein paar, wo nicht mehr. Sie werden sehr freundlich behandelt und stehen in Anbetracht ihrer äußeren Erscheinung und ihres Charakters weit über den Zwergen, die man gewöhnlich anderswo findet. Einer von dieser Duodezrasse des Menschengeschlechts trat jetzt, in türkisches Kostüm gekleidet, ins Zimmer. Er war merkwürdig gut gebaut und schön gekleidet; auch sprach er hinreichend französisch, um fragen zu können, ob er den Kapitän O'Donahue vor sich habe. Auf seine bejahende Antwort übergab er ein kleines Billet und setzte sich mit der ganzen Vertraulichkeit eines Lieblingsdieners auf das Sofa. O'Donahue erbrach das Siegel und las folgende wenige Zeilen:

 

»Ich weiß, daß Sie sich nicht mit mir in Verkehr setzen können, weshalb ich Ihnen schriftlich mitteile, daß ich über die Einhaltung Ihres Versprechens hocherfreut bin. Sie werden weiter von mir hören, sobald ich ein Mittel aufgefunden habe, mit Ihnen zusammenzutreffen. In der Zwischenzeit benehmen Sie sich vorsichtig! Der Überbringer dieses Billets, der zu meiner Dienerschaft gehört, ist zuverlässig.

C.«

 

O'Donahue drückte das Blatt an seine Lippen und setzte sich nieder, um darauf zu antworten. Wir wollen den Leser nicht mit seiner Erwiderung bemühen; es genüge, wenn wir sagen, daß die Dame mit der Mitteilung wie auch über den Bericht, den ihr kleiner Bote über das Benehmen des Kapitäns nach Empfang ihres Billets erstattete, völlig zufrieden war.

Zwei oder drei Tage später erhielt O'Donahue von einer deutschen verwitweten Dame, einer Gräfin Erhausen, die schriftliche Aufforderung, er möchte sich nachmittags um drei Uhr bei ihr einfinden. Da er noch nicht das Vergnügen gehabt hatte, sich der Gräfin vorzustellen, obschon oft in den ersten Gesellschaften von ihr gesprochen wurde, so ermangelte er nicht, der Bestellung zu folgen, denn er hielt es für möglich, daß die Fürstin Czartorinsky dabei beteiligt sei. Auch war seine Mutmaßung nicht unbegründet, denn als er in den Salon eintrat, saß die Fürstin neben der gnädigen Frau von Erhausen, einer fünfundzwanzigjährigen hübschen Dame, auf dem Sofa. Die Fürstin erhob sich, begrüßte Kapitän O'Donahue und stellte ihm die Gräfin als ihre Kousine vor. Nach einer kurzen Weile zog sich die letztere zurück und ließ die beiden allein. O'Donahue ließ diese Gelegenheit nicht entfliehen, um die wahren Gefühle seines Herzens auszusprechen.

»Sie hatten einen weiten Weg gemacht, um mich zu sehen, Kapitän O'Donahue, und ich muß es mit Dank anerkennen«, versetzte die Fürstin. »In der That freut es mich sehr, daß wir unsere Bekanntschaft wieder erneuern können.«

O'Donahue schien jedoch mit diesem einfachen Zugeständnisse nicht sehr zufrieden zu sein; er wurde sehr beredt für seine Sache, deutete darauf hin, wie grausam es sei, ihn zu veranlassen, daß er wieder in das Bereich ihres schönen Antlitzes komme, wenn sie ihm den Lohn versage; und nach der Verhandlung von einer Stunde saß er an ihrer Seite auf dem Sofa, ihre zarte Hand mit der seinigen umfassend und den Arm um ihren schlanken Leib geschlungen. Endlich trennten sie sich, fanden aber unter Vermittelung des Zwerges noch oft Gelegenheit, sich an demselben Orte wieder zu sehen. Hin und wieder trafen sie sich auch in Gesellschaft, wo sie jedoch einen zeremoniösen Zwang beobachten mußten und daher nur wenig Vergnügen an derartigen Begegnungen fanden. Wenn O'Donahue die Fürstin nicht sehen konnte, so bestand sein Hauptvergnügen in einem Besuche bei der Gräfin von Erhausen, mit welcher er von der Geliebten sprechen konnte.

»Sie werden einsehen, Kapitän O'Donahue«, sagte die Gräfin eines Tages, »daß Sie in dieser Angelegenheit mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Die Fürstin steht gewissermaßen unter der Vormundschaft des Kaisers, der, dem Vernehmen nach, bereits über ihre Hand verfügt hat.«

»Ich weiß das wohl«, versetzte O'Donahue, »und kenne kein anderes Mittel, als sie zu entführen.«

»Das geht nicht«, entgegnete die Gräfin. »Sie können Petersburg nicht ohne Pässe verlassen, und auch sie kann nicht mehr als ein paar Stunden aus dem kaiserlichen Palaste abwesend sein, ohne vermißt zu werden. Sie würden bald entdeckt werden, und dann wäre die Fürstin für Sie auf immer verloren.«

»Aber was läßt sich sonst anfangen, verehrte Frau Gräfin? Soll ich mich der Gnade des Kaisers anheimgeben?«

»Nein, das würde zu keinem Zwecke führen; sie ist ein zu reicher Preis, um sie in die Hände eines Ausländers kommen zu lassen. Ich will Ihnen sagen, was Sie zuerst thun müssen.«

»Ich bin ganz Ohr.«

»Sie müssen sich in mich verlieben«, versetzte die Gräfin. »Nun, erschrecken Sie nicht – es geschieht nur zum Scheine, und dann müssen wir das Gerücht verbreiten, daß unsere Vermählung bereits anberaumt sei. Dies ist nötig, um allen Verdacht zu vermeiden, und der Kaiser wird sich dann durchaus nicht in die Sache mengen. Sie sind sehr oft hier gewesen, und man hat Ihre Equipage häufig vor meiner Thüre stehen sehen. Wenn man nicht glaubt, es geschehe um meinetwegen, so wird man sich bemühen, den Grund Ihrer Besuche zu erspähen, und in Petersburg läßt sich nicht leicht etwas geheim halten. Sobald man glaubt, die Sache sei zwischen uns abgethan, können wir überlegen, was zunächst geschehen muß. Meine Liebe zu meinem Bäschen kann mich allein bewegen, zu einem solchen Schritte die Hand zu bieten, der in der That auch das einzige Mittel ist, sie einem künftigen Elend zu entreißen.«

»Ist denn der Kaiser in derartigen Angelegenheiten so despotisch?«

»Der Kaiser läßt nicht mit sich spielen. Die Mündel eines Kaisers wird gewissermaßen als Heiligtum betrachtet – wenigstens insoweit, daß ein Russe, der ohne allerhöchste Genehmigung um sie freite, aller Wahrscheinlichkeit nach eine Reise nach Sibirien machen müßte. Mit einem Engländer verhielte sich's vielleicht anders, und hätte die Vermählung einmal stattgefunden, so könnten Sie sich für sicher betrachten, da Ihnen der Schutz Ihres Gesandten nicht fehlen würde. Der Hauptpunkt ist aber, den Glauben zu verbreiten, als seien Sie im Begriff, jemand anders zu heiraten. Da hierdurch aller Verdacht abgelenkt wird, so ist's vielleicht möglich, daß Sie das Ziel Ihrer Wünsche erreichen.«

»Aber sagen Sie mir, Gräfin – es ist allerdings richtig, daß ich von dem Mißfallen des Kaisers wenig zu befürchten habe – würde es aber der gleiche Fall bei der Fürstin sein? Könnte man sie nicht mir entreißen und wegen Ungehorsams nach Sibirien schicken?«

»Durch die Mittel, welche ich Ihnen vorschlage, hoffe ich, daß ihr beide dem Kaiser aus den Augen kommt – wenigstens, bis sich sein Zorn gelegt hat. Mir kann er nichts anhaben, und im äußersten Falle steht mir eine Landesverweisung in Aussicht. Auch fürchte ich für die Prinzessin nichts, wenn sie Ihnen einmal angetraut ist, denn Sie können den Schutz des Gesandten für Ihre Gattin ebenso gut als für sich in Anspruch nehmen. Begreifen Sie mich jetzt?«

»Vollkommen, Gräfin, und möge des Himmels reicher Segen Ihre Freundlichkeit belohnen. Ich werde in Zukunft nur nach Ihren Anweisungen handeln.«

»Nun, weiter wollte ich von Ihnen nichts. Vor der Hand – leben Sie wohl, Kapitän Donahue.«


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