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In welchem unser Held bis aufs äußerste abgehetzt wird.
Mary kehrte nach Exeter zurück. Das Gericht über unsern Helden sollte am folgenden Tage stattfinden. Sie zog es vor, lieber bei Joey zu sein, als den Schmerz und die Betrübnis von Mrs. Austin mit anzusehen, welcher sie doch keinen Trost geben konnte. In der That war der Zustand der Spannung, in welchem sie sich selbst befand, so erschöpfend, daß sie sich fast erlahmt fühlte, als der Gerichtstag herankam. Mr. Trevor hatte es noch einmal versucht, Joey Vorstellungen zu machen, aber dieser beharrte auf seinem Entschlusse, und als der Rechtsgelehrte vor den Schranken erschien, waren in seinem Antlitze die Merkmale der Sorge und des Verdrusses nicht zu verkennen, obgleich er es an Erfüllung seiner Pflicht nicht fehlen ließ. Joey wurde vorgeführt: seine Außenseite war so ganz verschieden von der, welche man gewöhnlich an Personen, die des Mordes beschuldigt sind, zu finden erwartet, daß alsbald das lebhafteste Interesse für ihn rege wurde. Die Zuschauer hatten vermutet, der Angeklagte sei ein gemeiner Bösewicht, und erblickten jetzt einen schönen, blonden jungen Mann mit freier Stirn und geistvollen Zügen, dessen Auge keine Scheu bekundete, wenn es den ihrigen begegnete, und in dessen kühner Haltung sich auch nicht das mindeste anstößige aussprach. Allerdings zeigten sich Spuren des Kummers in seinem Gesichte, und seine Wangen waren blaß; aber wer sich ein wenig auf die menschliche Natur verstand oder nur einen Funken edleren Gefühls in seinem Herzen trug, konnte in ihm nicht das kleinste äußerliche Merkmal von Schuld finden. Die Geschworenen wurden aufgerufen, die Anklageakte verlesen und die Gerichtssitzung eröffnet. Während des gedachten Verlesens fiel dem Richter das Datum des angegebenen Verbrechens auf.
»Welches Datum haben Sie gelesen?« fragte der Richter; »ich meine nämlich die Jahreszahl.«
Auf die Antwort des Schreibers bemerkte seine Lordschaft:
»Also vor acht Jahren!« Dann sah er den Gefangenen an und fügte bei:
»Ei, da muß er ja noch ein Kind gewesen sein!«
»Das ist oft der Fall«, versetzte der öffentliche Ankläger; »ein Kind an Jahren, aber nicht an Schuld, wie wir bald erweisen zu können hoffen.«
Da die vorgebrachten Zeugnisse dieselben waren, welche wir bereits bei der Untersuchung des Leichnams angeführt haben, so übergehen wir dieselben. Furneß hatte nicht aufgefunden werden können, weshalb dessen Angaben verlesen wurden. Als im Laufe der Verhandlungen die einzelnen Umstände immer erschwerender gegen den Beklagten sprachen, da begannen die Zuschauer ihn mit immer weniger Mitleid zu betrachten. Sie schüttelten die Köpfe und preßten die Lippen zusammen.
Sobald der Kronanwalt seine Anklage beschlossen hatte, erhob sich Mr. Trevor zur Verteidigung unseres Helden. Er begann damit, daß er die Idee lächerlich machte, ein bloßes Kind auf eine so schwere Anklage hin zu verurteilen, denn zur Zeit der Begehung des Verbrechens könne der Angeklagte nichts anderes gewesen sein. »Betrachten Sie ihn nur, meine Herren Geschworenen! Vor acht Jahren fand der Mord des Hausierers Byres statt. Sie mögen selbst urteilen, ob er gegenwärtig mehr als siebzehn Jahre zählen kann; es ist ja kaum glaublich, daß er damals nur ein Gewehr halten konnte.«
»Das Alter des Gefangenen ist in der Anklageakte nicht namhaft gemacht«, bemerkte der Richter.
»Sollten wir ihn nicht darum befragen, Mylord?« fragte einer der Geschworenen.
»Der Gefangene kann, wenn er will, auf die Frage antworten«, versetzte der Richter; »andernfalls ist er nicht dazu verbunden. Möglich, daß er nicht einmal siebzehn Jahre zählt. Ist es Euch genehm, den Geschworenen Euer Alter anzugeben, Gefangener?«
»Ich habe nichts dagegen einzuwenden, Mylord«, entgegnete Joey, ohne auf das Kopfschütteln seines Rechtsfreundes zu achten; »ich war im letzten Monat zweiundzwanzig.«
Mr. Trevor biß sich über diese unglückselige Wahrheitsliebe seines Klienten in die Lippen und fuhr nach einer Weile mit der Bemerkung fort, daß die Aufrichtigkeit des Angeklagten, der nicht einmal den Vorteil seines jugendlichen Aussehens benützen wolle, um die Geschworenen zu täuschen, als ein starkes Argument zu seinen Gunsten erscheinen müsse; er ging sodann auf die Unbestimmtheit der Zeugenaussagen über und fügte bei:
»Nun, meine Herren Geschworenen, wenn mir dieser Fall zur Begutachtung überwiesen worden wäre, so würde ich ohne vorläufige Bekanntschaft mit dem Angeklagten zu folgendem Schlusse gekommen sein, den auch Ihre Einsicht und Humanität teilen wird. Angenommen, daß der Hausierer Byres wirklich den Tod durch die Hand des Angeklagten erlitt – ich sage, meine Herren, angenommen, daß dies wirklich der Fall wäre, denn ich stelle entschieden in Abrede, daß es durch den Zeugenbeweis dargethan ist – so muß es in einer Weise geschehen sein, daß die plötzliche Erscheinung des Hausierers bei einer Handlung, von der sich der Knabe sagen mußte, sie sei unrecht, seinen Sinn verwirrte und daß das Gewehr, dessen Ladung sich so verhängnisvoll erwies, unabsichtlich abgeschossen wurde. Auch liegt die Annahme nahe genug, daß der junge Mensch, im ersten Schrecken über die nicht absichtlich begangene That, sich flüchtete. Dies, meine Herren, ist, wie ich zuversichtlich glaube, der wahre Thatbestand, und was war unter solchen Umständen natürlicher, als daß das Kind in seinem Schrecken den Nachforschungen auszuweichen suchte, welche eine notwendige Folge des Vorfalles sein mußten?«
»Sie erklären dies für eine Ansicht von Ihnen, Mr. Trevor. Müssen wir daraus entnehmen, daß der Gefangene auf einen solchen Umstand seine Verteidigung begründet?« fragte der Richter.
»Mylord«, versetzte Mr. Trevor mit einigem Stocken, »der Gefangene wendet einfach ein, daß er an dem aufgebürdeten Verbrechen keine Schuld habe.«
»Das sehe ich wohl, aber ich wünsche zu wissen, ob Sie sagen wollen, daß der Gefangene behaupte, er habe durchaus nichts mit dem Tode des Hausierers zu schaffen gehabt, oder ob er angiebt, sein Gewehr sei zufälligerweise losgegangen.«
»Mylord, es ist meine Pflicht gegen meinen Klienten, in keiner Weise ein Zugeständnis zu machen.«
»In Anbetracht der Umstände sollte ich meinen, Sie würden sicher genug fahren, wenn Sie den letzteren Weg einschlügen«, bemerkte der Richter menschenfreundlich.
Mr. Trevor befand sich nun in einer unheimlichen Klemme und wußte nicht, was er vorbringen sollte. Er fürchtete, wenn er mit Bestimmtheit erklärte, das Gewehr unseres Helden sei zufällig losgegangen, so könnte dieser es in Abrede stellen, und doch wurde ihm aus dem Benehmen des Richters klar, wenn er diese Behauptung festhielt, werde das Ergebnis des Gerichtes befriedigend ausfallen.
Wir brauchen kaum zu bemerken, daß sowohl der Richter als der Ankläger und die Geschworenen, desgleichen auch alle Anwesenden nicht wenig über das Stocken des Verteidigers erstaunt waren.
»Wollen Sie sagen, daß das Gewehr zufälligerweise los ging, Mr. Trevor?« fragte der Richter.
»Das Gewehr ging in meiner Hand gar nicht los«, versetzte Joey mit klarer und fester Stimme.
»Der Gefangene hat für mich geantwortet«, entgegnete Mr. Trevor sich fassend. »Wir sind alle vollkommen überzeugt, daß wir auf das Zugeständnis eines zufälligen Mordes den Angeklagten ohne Bedenken einer einsichtsvollen Jury überlassen könnten; aber die Thatsache ist, Mylord, daß er mit dem Schusse, der für einen andern tödlich wurde, gar nichts zu thun hatte und deshalb nimmermehr an dem ihm zur Last gelegten Morde schuldig sein kann.«
Nach der Behauptung unseres Helden fühlte Mr. Trevor, daß die Sache verloren war; er nahm sich jedoch zusammen, um eine kräftige Anrede an die Jury zu halten. Leider war es aber nichts weiter als eine Deklamation, die keine Entkräftigung der Anklage enthielt, und die Erwiderung des Kronanwalts erwies die Schuld unseres Helden vollständig aus den sogenannten präsumtiven Zeugnissen. Nachdem der Richter den Fall resümiert hatte, entfernten sich die Geschworenen auf einige Minuten und erklärten sodann unseren Helden für schuldig, indem sie ihn zugleich zur Begnadigung empfahlen. Obgleich in der Zeit, in welcher unsere Geschichte spielt, Gnade nur selten geübt wurde, so war doch der Verbrecher zu jung gewesen; auch lag in der ganzen Sache so viel Geheimnisvolles, daß der Richter, als er das Urteil verkündigte, mit Entschiedenheit angab, hier werde das königliche Recht der Begnadigung ins Mittel treten und das Erkenntnis auf Tod in Deportation umwandeln. Unser Held gab keine Antwort; er verbeugte sich und wurde nach dem Gefängnisse zurückgeführt, wo ihn einige Minuten nachher die Arme der weinenden Mary umschlangen. »Du machst mir doch keine Vorwürfe, Mary?«
»Nein, nein«, schluchzte Mary; »alles, was uns die Welt anthun kann, ist nichts, wenn wir unschuldig sind.«
»Ich werde bald weit von hier sein, Mary«, antwortete Joey, indem er sich auf die Bettstelle niederließ. »Aber dem Himmel sei Dank, es ist vorüber.«
Da trat die Gestalt von Emma Philipps vor die Seele unseres Helden, und er bedeckte das Gesicht mit seinen Händen.
»Ach, um ihretwillen wünschte ich, es wäre anders!« dachte er. »Was muß sie von mir denken, nun ich als ein Verbrecher verurteilt bin! Dies ist das schwerste, was über mich ergehen kann.«
»Joey«, sagte Mary, die ihn mit thränenfeuchtem Auge schweigend betrachtet hatte, »ich muß jetzt gehen. Du willst sie jetzt sehen, nicht wahr?«
»Sie wird mich nicht sehen wollen – sie verachtet mich«, versetzte Joey.
»Deine Mutter sollte ihr edles Kind verachten? O, nimmermehr, wie kannst Du das nur glauben!«
»Ich dachte an jemand anders, Mary«, entgegnete Joey. »Ja, es ist mir lieb, wenn mich meine Mutter besucht.«
»Dann will ich jetzt gehen; bedenke, in welchen Ängsten sie schweben muß! Ich will heute Abend noch mit der Post fort und morgen früh wieder hier sein.«
»Geh, liebe Mary, geh, und Gott sei mit Dir! eile zu meiner armen Mutter und sag' ihr, daß ich vollkommen – ja – vollkommen zufrieden und ergebungsvoll sei. Beeile Dich!«
Mary verließ die Zelle, und Joey – ach, ihm hatte das Herz brechen wollen, als er sagte, er sei zufrieden und ergebungsvoll, denn er dachte an seine ewige Trennung von Emma. – Sobald er allein war, warf er sich auf das Bette und machte den Gefühlen bittersten Schmerzes, die er nicht länger zu unterdrücken vermochte, Luft.