E. Phillips Oppenheim
Finanzkönige
E. Phillips Oppenheim

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Buch I

Kapitel 1.
Mr. Phineas Duge

Virginia hatte rührenden Abschied von ihrer Familie genommen und war mit dem großen Autobus von ihrem Heimatdorf zu der Großstadt gefahren. Sie war erst neunzehn Jahre alt, fühlte sich aber als eine wichtige Persönlichkeit. Als sie aber vier Stunden später in New York einem gut gekleideten Diener durch eine lange Reihe von Empfangsräumen folgte, schwand all ihr Stolz dahin, und sie kam sich sehr unbedeutend und klein vor. Der Lärm und das Treiben in der großen Stadt hatten sie betäubt, und sie glaubte noch die vielen Geräusche auf der Straße zu hören. Das vornehme, palastähnliche Gebäude machte großen Eindruck auf sie, denn sie hatte ihr Leben bisher in einem einfachen Farmhaus zugebracht, wo alle Leute arbeiten mußten und man sich keine Dienstboten halten konnte. Und nun befand sie sich plötzlich in der Wohnung eines Multimillionärs, die mit den kostbarsten, alten Möbeln aus Europa eingerichtet war.

Ehrfurchtsvoll, beinahe furchtsam, sah sie sich um, als der große, stattliche Diener sie zu dem Allerheiligsten des großen Mannes führte, auf dessen Einladung hin sie hierhergekommen war. Sie wußte zwar noch nicht viel von Kunst, aber mit Bewunderung betrachtete sie die herrlichen Gemälde an den Wänden, die reicheingelegten Parkettböden, die Bronzen und den einzigartigen Blumenschmuck. Es war eine Offenbarung für sie, daß das gutgeschulte Personal nur leise und bescheiden sprach und sich fast geräuschlos in diesen Räumen bewegte. Sie hatte zwar von all diesen Dingen schon gelesen, vielleicht auch davon geträumt, aber niemals hatte sie es für möglich gehalten, daß sie einmal für sie Wirklichkeit werden könnten.

Bei jedem Schritt, den sie machte, sank ihr Selbstbewußtsein mehr und mehr. Die Kleider, die die beste Schneiderin des Dorfes nach französischen Modeheften angefertigt hatte, erschienen Virginia plötzlich armselig und unpassend für diese prachtvolle Umgebung. Zu Hause galt sie als das schönste Mädchen im Ort und war von vielen jungen Männern verehrt und verwöhnt worden, seitdem sie das Lyzeum verlassen hatte. Infolge ihrer Begabung hatte sie ihre Abschlußprüfung verhältnismäßig früh gemacht, und sie hatte allen Grund gehabt, ein wenig stolz auf sich selbst zu sein. Aber mochte sie auch in Wellham Springs eine Königin sein, im Hause ihres Onkels fühlte sie sich nur als eine unbedeutende, kleine Person, denn er war der Eisenbahnkönig und Finanzmann Phineas Duge.

Als sie schließlich in dem kleinen, vor Fremden ängstlich gehüteten Arbeitszimmer stand, blickten ihre dunklen, großen Augen hilflos und scheu in das Gesicht des Mannes, der sich eben von seinem Stuhl erhoben hatte, um sie zu begrüßen.

»Das ist also meine liebe, kleine Nichte Virginia«, sagte er und streckte ihr freundlich beide Hände entgegen. »Ich freue mich, dich hier zu sehen. Bitte nimm hier Platz. Hast du eine gute Reise hinter dir? Du siehst etwas müde aus, und du fühlst dich natürlich in der Großstadt noch ganz fremd.«

Virginias Angst war plötzlich wieder verschwunden. Sie hatte niemals geglaubt, daß ihr Onkel, vor dem viele Tausende zitterten, ein so liebenswürdiger, schöner, alter Herr sein könnte. Er war schlank und mittelgroß, hatte weiße, ein wenig gelockte Haare und freundliche, graue Augen. Er hatte sympathische Züge und einen besonders feingeschnittenen Mund. Seine Stimme klang angenehm, und er sprach sehr höflich, wenn auch bestimmt.

»Nein, ich bin durchaus nicht müde,« versicherte sie, »nur der Lärm hat mir zugesetzt. Ich war ja noch nie in New York, und ich habe zum erstenmal ein so schönes Haus gesehen. Fast habe ich mich ein wenig gefürchtet.«

Er legte freundlich seine Hand auf die ihre.

»Du wirst dich aber sicher bald an deine neue Umgebung gewöhnen,« meinte er lächelnd, »und wenn es dir hier gefällt, lebst du dich auch bald ein.«

Sie lachte leise.

»Wenn es mir gefällt, sagst du. Es ist hier so schön wie in einem Feenland!«

»Ich fühle mich manchmal hier ein wenig einsam und da dachte ich, meine Schwester könnte vielleicht eins ihrer Kinder missen. Für ihre Freundlichkeit würde ich mich sehr dankbar erweisen. Möchtest du hier bei mir wohnen, Virginia, und die Dame des Hauses sein?«

Sie schrak ein wenig zurück.

»Ich möchte es schon gerne, aber daran darf ich doch gar nicht denken. Ich bin nur an ein einfaches Leben und nicht an diese großen Verhältnisse gewöhnt. Ein Haus wie dieses zu leiten, kann ich mir unmöglich zutrauen.«

Er lächelte sie freundlich an.

»Vielleicht ist das viel einfacher, als du es dir vorstellst. Ich habe hier eine Verwalterin, die sich um alle Kleinigkeiten kümmert. Sie braucht nur jemand, an den sie sich ab und zu wenden kann. Mit den Dienstboten oder mit der Küche hast du nichts zu tun, du hättest nur die gesellschaftlichen Pflichten einer Dame des Hauses zu übernehmen.«

»Ich fürchte, daß ich darin noch weniger Bescheid weiß.«

»Sorge dich nicht darum«, sagte er begütigend. »Ich habe gute Freunde, die dir raten können. Du brauchst dich nur natürlich zu geben, wie du bist. Du mußt die Kunst verstehen, anderen Leuten interessiert zuzuhören und schöne Kleider zu tragen. Dann wirst du sehen, wie leicht es ist, eine gefeierte Dame der Gesellschaft zu werden.«

Virginia sammelte nun allen Mut, um eine bestimmte Frage an ihren Onkel zu stellen, die sie quälte.

»Ich freue mich wirklich, daß ich hier sein darf, und es klingt alles so schön – aber wie ist es denn mit Stella?«

Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und machte ein unwilliges Gesicht, so daß sie fast schon bereute, den Namen seiner Tochter erwähnt zu haben.

»Vielleicht ist es ganz gut, daß du mich gleich fragst«, erwiderte er. »Ich war immer ein nachsichtiger Vater, aber es gibt gewisse Beleidigungen, die ich niemals vergessen und verzeihen kann. Stella hat mich hintergangen. Sie hat eine Mitteilung, und zwar eine vertrauliche Mitteilung, die sie von mir erhielt, mißbraucht und an einen Mann weitergegeben, für den sie sich interessierte. Meine Geschäftsgeheimnisse hat sie dazu benützt, ihn reich zu machen. Ihr Vergehen ist um so schwerer, als ich sie vorher gewarnt habe. Und ich möchte betonen, daß ich eine Warnung nie zweimal ausspreche.«

»Ist sie nicht mehr bei dir?« fragte sie ängstlich.

»Mein Haus ist in Zukunft für sie verschlossen«, entgegnete er ernst. »Dasselbe würde dir auch passieren, wenn du dich wie Stella benehmen solltest. Aber mein liebes Kind«, fügte er freundlich hinzu, »ich glaube nicht, daß du dazu fähig bist. Was ich dir eben sagte, genügt sicher, um dich von dergleichen Dingen abzuhalten. Wenn du erst einige Zeit bei mir gewesen bist und die Stelle meiner Tochter eingenommen hast, wirst du mich nicht hart und undankbar finden. Aber jetzt will ich Mrs. Perrin klingeln, das ist die Haushälterin. Sie soll dir deine Zimmer zeigen. Heute abend speisen wir beide allein und können uns dann noch weiter unterhalten. Wir wollen aber nicht zu Hause essen, sondern in einem berühmten, bekannten Restaurant. Es wird mir ganz gut bekommen, wenn ich heute abend ein oder zwei Stunden ausgehe. In Chicago und Illinois ist eine Panik an der Börse ausgebrochen – aber das verstehst du noch nicht. Sei bitte pünktlich um acht Uhr fertig.«

»Aber Onkel –« begann sie schüchtern.

»Ach so, du hast keine Kleider? Aber ich habe von einer unserer ersten Firmen eine Auswahlsendung kommen lassen. Sicher wirst du etwas darunter finden, was du heute abend tragen kannst. Hier kommt Mrs. Perrin.«

Die Türe hatte sich geöffnet, und eine ältere Dame trat in das Zimmer.

»Mrs. Perrin – meine Nichte. Virginia kommt vom Lande und kennt die Großstadt nicht. Teilen Sie ihr mit, was sie wissen muß, helfen Sie ihr bei ihrer Garderobe und sehen Sie zu, daß sie heute abend so gut wie möglich aussieht. Sie soll um acht bei Sherry mit mir speisen.«

Das Telefon klingelte. Mr. Duge nahm den Hörer auf und verabschiedete Virginia und Mrs. Perrin mit einer Handbewegung. Das junge Mädchen folgte der Haushälterin die Treppe hinauf in das Obergeschoß, und mit jedem Schritt glaubte sie mehr und mehr, in einem Zauberland zu weilen.

 


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