E. Phillips Oppenheim
Finanzkönige
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 2.
Kusine Stella

»Nun, Virginia, wie gefällt es dir hier?«, sagte Mr. Duge mit liebenswürdigem Lächeln. Sie saßen an einem runden Tisch, dessen Mitte ein geschmackvolles, prächtiges Blumenarrangement einnahm.

Virginia schüttelte den Kopf.

»Ich kann es gar nicht in Worten ausdrücken. Es ist alles so wunderbar schön. Wenn du jemals in unserem Hause in Wellham Springs gewesen wärest, könntest du meine Gefühle besser verstehen.«

»O, ich bin auch in einem Farmhaus aufgewachsen.«

»Das Zimmer, das ich zu Hause hatte, ist nur zweimal so groß wie der Schrank, in dem ich jetzt meine Kleider aufbewahren soll.«

»Hoffentlich bist du mit deinen Räumen zufrieden. Ich habe Mrs. Perrin Anweisung gegeben, alle deine Wünsche zu erfüllen.«

»Ob ich zufrieden bin? Ich glaube kaum, daß ich heute abend zu Bett komme, soviel Neues und Schönes habe ich in meinem Zimmer zu betrachten.«

»In einer Woche«, meinte er nachsichtig, »hast du dich an alles gewöhnt, und in einem Monat würdest du die Dinge sehr vermissen, wenn du sie aufgeben müßtest.«

Sie wurde plötzlich ernst, und er betrachtete sie fragend.

»Woran denkst du denn gerade?«

»An Stella«, entgegnete sie zögernd. »Wie schwer muß es ihr gefallen sein, dieses Heim zu verlassen!«

Seine Züge verhärteten sich, und das Lächeln schwand aus seinem Gesicht.

»Du hast deine Kusine noch nie gesehen?«

»Nein.«

»Verschwende kein Mitleid an sie. Sieh einmal zu der jungen Dame in dem mauvefarbenen Kleid und dem großen Hut hinüber, die drei Tische weiter links sitzt.«

Sie nickte.

»Ich sehe sie. Ein sehr schönes Mädchen. Und ihr Begleiter sieht sehr klug aus.«

Ihr Onkel lächelte wieder, aber keineswegs liebenswürdig.

»O ja, Norris Vine ist sehr schlau. Er ist Journalist, und soviel ich weiß, Eigentümer einer Zeitung und gehört zu diesen armen Narren, die sich selbst für Menschenfreunde halten und dabei stets versuchen, ihre Meinung anderen Leuten aufzudrängen. Und die junge Dame an seinem Tisch ist meine Tochter und deine Kusine.«

Virginia sah erstaunt auf, und ihre Wangen röteten sich leicht.

»Ist das wirklich Stella?«

»Ja. Und Norris Vine ist der Mann, dem sie meine Geheimnisse verraten hat.«

Virginia konnte es noch nicht fassen.

»Aber du hast doch nicht mit ihr gesprochen, als sie hier auf den Dachgarten kam. Du hast nur dem Herrn zugenickt, aber von ihr gar keine Notiz genommen.«

»Ich werde wohl nie wieder in meinem Leben mit ihr sprechen.«

Sie wurde bleich.

»Das ist doch aber schrecklich«, sagte sie leise und schwieg dann einige Minuten, während ihr Onkel das Menü zusammenstellte und dem Kellner seine Aufträge gab.

»Was hast du denn, Virginia? Du machst ja plötzlich ein so ernstes Gesicht?«

»Ich fürchte mich ein wenig vor dir«, erwiderte sie offen. »Ich würde mich auch vor jedem anderen Manne fürchten, der so von seiner eigenen Tochter sprechen kann.«

Er lächelte leicht.

»Du hast eine Eigenschaft, die ich bei Frauen ungemein schätze, denn sie ist sehr selten. Du bist ehrlich und aufrichtig. In der kleinen Welt, aus der du kommst, herrscht noch Offenherzigkeit. In New York ist das nicht mehr so. Ich bin ein gutmütiger Mann, aber ich bin auch gerecht. Meine Tochter hat mich hintergangen, und das kann ich ihr nicht verzeihen. Hältst du mich wirklich für grausam, Virginia?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe schon manches von dir in der Zeitung gelesen, und ich fürchtete mich entsetzlich, als meine Mutter sagte, daß ich zu dir kommen sollte. Als ich dich aber persönlich kennenlernte, warst du doch ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Aber jetzt habe ich doch wieder ein wenig Angst vor dir.«

Er seufzte.

»Die Zeitungen schreiben natürlich, daß ich ein harter, skrupelloser Mann bin, der nie verzeiht, eine Art Maschine, die nur Geld zu machen versteht. Sehe ich denn so aus?«

»Nein.«

»Du wirst mich noch besser kennen lernen. Denke bitte immer daran, daß ich stets zwei Dinge von dir erwarte: unbedingten Gehorsam und unbestechliche Treue. Du wirst niemals Ursache haben, es zu bereuen, wenn du dich nach meinen Wünschen richtest.«

»Ich will mein Bestes tun.«

Ihre Gedanken wanderten plötzlich in ihre Heimat zurück. Welche Erregung hatte der Brief ihres Onkels bei der Familie hervorgerufen! Welche Hoffnungen waren erweckt worden! Besonders sah sie ihren abgearbeiteten Vater und die glückerfüllten Züge ihrer Mutter vor sich.

Unbedingten Gehorsam, unbestechliche Treue. Wenn er nur das von ihr verlangte, würde sie aushalten können. Dessen war sie sicher.

»Wenn wir das Restaurant verlassen«, sagte er plötzlich, »wirst du sehen, daß mindestens ein halbes Dutzend Leute unten warten, die mich sprechen wollen. Von meinem Platz aus kann ich schon zwei Reporter sehen, die am Eingang auf mich lauern.«

Sie sah ihn interessiert an.

»Aber warum denn?«

»Ach, das hat nur mit dem Geldmarkt zu tun. Während der letzten Tage habe ich einige Finanzoperationen vorgenommen, die die Leute nicht verstehen. Sie wissen nun nicht, ob sie meinem Beispiel folgen oder sich zurückhalten sollen, und die Presse kann sich diese Dinge auch nicht erklären. Deshalb beobachtet man mich die ganze Zeit.« Er sah sie liebevoll an. »Ich habe das Gefühl, Virginia, daß ich dir vertrauen kann. Ich unternehme manchmal Dinge, von denen nicht einmal meine Privatsekretäre eine Ahnung haben. Aber du sollst alles wissen. Ich hoffe, daß wir beide recht gut miteinander auskommen. Eine große Geldsumme biete ich dir nicht an, weil du im Augenblick doch nicht weißt, was du damit anfangen sollst. Aber solange du bei mir bist und mir treu hilfst, will ich dafür sorgen, daß es deinen Angehörigen in Wellham Springs sehr gut geht.«

Sie sah ihn glücklich an.

»In den beiden nächsten Wochen hast du nichts weiter zu tun, als dich in deine neue Rolle einzuleben«, fuhr er fort. »Die kleinen Dienste, die ich von dir erwarte, beginnen erst später.«

Plötzlich trat jemand an ihren Tisch, und als sie aufschaute, sah sie zu ihrem größten Erstaunen Stella vor sich.

»Also Sie sind meine Kusine«, sagte Stella. »Die kleine Virginia! Ich habe Sie früher nur einmal gesehen, aber an Ihren großen, dunklen Augen hätte ich Sie immer wieder erkannt. Sie können sich natürlich nicht auf mich besinnen, denn ich bin sechs Jahre älter als Sie. Aber ich will mich nicht länger hier aufhalten. Es wird Ihnen ja auch bekannt sein, daß ich nicht mit meinem Vater spreche. Aber ich wollte Ihnen gerne einmal die Hand geben.«

»O, sie sind sehr liebenswürdig«, brachte Virginia mit stockender Stimme hervor.

Phineas Duge hatte sich erhoben und trat in höflicher, aber uninteressierter Haltung beiseite, als ob eine vollständig Fremde Virginia angesprochen hätte. Nachdem sich Stella entfernt hatte, nahm er seinen Platz wieder ruhig ein. Virginia hatte erwartet, daß er ärgerlich sein würde, aber er zeigte nicht die geringste Erregung, sondern steckte sich behaglich eine Zigarre an.

»Nimm dich vor diesem Norris Vine in acht, wenn du jemals mit ihm in Berührung kommst. Er gab vor einem Jahr öffentlich bekannt, daß er mich innerhalb der nächsten fünf Jahre ruinieren wollte.«

»Ich werde immer daran denken.«

 


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