E. Phillips Oppenheim
Finanzkönige
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 3.
Ein Heiratsantrag

»Diesmal können Sie mir nicht entkommen«, sagte Mildmay bestimmt. »Wollen Sie sich in Ihren Stuhl setzen, oder wollen wir hier miteinander sprechen?«

Sie sah ihn an, und die Worte, die sie sich vorher überlegt hatte, kamen nicht über ihre Lippen. Statt dessen ging sie ruhig und folgsam zu der Stelle voraus, wo ihre beiden Stühle noch dicht nebeneinander an Deck standen.

»Wir wollen uns für kurze Zeit setzen, wenn es Ihnen recht ist«, erwiderte sie dann zögernd. »Ich kann nicht lange bleiben, da ich noch zu packen habe.«

Er antwortete nicht, bis er sie in die Decke eingehüllt hatte. Es waren die letzten Stunden ihrer Reise; sie konnten die Leuchttürme von Wales schon sehen. Am nächsten Morgen kamen sie an.

»Ich muß wissen,« begann er, »warum Sie mir in den letzten vierundzwanzig Stunden immer aus dem Wege gegangen sind? Ich habe Sie doch nicht irgendwie beleidigt?«

»Nein. Sie wissen, daß das nicht der Fall ist.«

»Aber ich muß erfahren, warum Sie sich so zu mir verhalten.«

»Sie übertreiben Kleinigkeiten«, sagte sie kühl. »Ich war den ganzen Tag nervös und fühlte mich niedergeschlagen. Ich wollte niemand sehen, und ich bin Ihnen nicht mehr aus dem Wege gegangen als allen anderen Leuten.«

»Das stimmt nicht.«

»Sie können mir ja widersprechen, wenn Sie wollen, aber dann können Sie wohl kaum erwarten, daß ich Ihnen noch weiter zuhöre.«

Er lehnte sich etwas vor und nahm plötzlich ihre Hand in die seine.

»Virginia, seien Sie doch an diesem letzten Abend nicht so abweisend zu mir. Sie wissen sehr wohl, daß es mich verletzt und mir weh tut, wenn Sie so zu mir sprechen und mich so ansehen. Außerdem haben Sie mir ja versprochen, daß wir Freunde sein wollen!«

»Wenn ich das getan habe, so war das nicht recht von mir. Freunde vertrauen sich gegenseitig ihre Geheimnisse an, und das kann und will ich nicht. Ich habe seltsame Dinge vor, und ich kann Ihnen keine Erklärung für meine Handlungsweise geben. Deshalb lassen Sie mich besser allein.«

»Nein«, entgegnete er entschieden. »Ich bin nicht krankhaft neugierig und mische mich selten in die Angelegenheiten anderer Leute. Aber ich habe das bestimmte Gefühl, daß Sie in großer Sorge sind. Und Sie sollen in diesem fremden Land wenigstens einen Freund haben, auf den Sie sich im Falle der Gefahr verlassen können.«

»Sie meinen es sehr gut, das weiß ich. Aber Sie verlangen Unmögliches von mir. Wenn Sie mir später in England begegnen sollten, so werden Sie das begreifen. Ich habe Dinge vor, die Ihnen wahrscheinlich ehrlos vorkommen würden.«

»Virginia, aus all Ihren Worten sehe ich, daß Sie einen Mann brauchen, der Sie beschützt. Mit Ihren neunzehn Jahren wissen Sie noch nichts vom Leben. Wie können Sie denn beurteilen, ob die Dinge, die Sie vorhaben, überhaupt notwendig sind? Sie brauchen einen Menschen – Virginia, wollen Sie mich heiraten?«

»Was soll ich tun?« fragte sie atemlos.

»Habe ich denn nicht deutlich genug gesprochen? Ich fragte Sie, ob Sie mich heiraten wollen!«

Sie wollte aufstehen, aber er nahm ruhig ihren Arm und zog sie zurück.

»Ich will nicht länger hierbleiben und solchen Unsinn hören«, sagte sie entrüstet.

»Das ist durchaus kein Unsinn, aber ich will gerne zugeben, daß dieser Vorschlag außergewöhnlich ist, da wir uns erst so kurze Zeit kennen. Und wenn Sie nicht so seltsame, dunkle Andeutungen über Ihr Vorhaben gemacht hätten, so hätte ich auch geschwiegen. Aber Sie wissen, Virginia, daß ich Sie liebe. Ich habe mich zu Ihnen hingezogen gefühlt, seitdem ich Sie zum erstenmal hier an Bord gesehen habe.«

»Das ist erst sechs Tage her«, erwiderte sie düster.

»Sechs Tage oder sechs Wochen, das ist ganz gleich. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, Sie in Liverpool fremd und ohne Freunde allein zu lassen. Seien Sie vernünftig. Über Ihre Pläne wollen wir später sprechen. Vor allen Dingen möchte ich gern eine klare Antwort auf meine klare Frage haben.«

»Ist es wirklich notwendig, daß ich Ihnen darauf antworte? Nicht einmal in Amerika verlobt man sich nach einer sechstägigen Bekanntschaft.«

»Gut, warten Sie, bis Sie mich länger und besser kennen. Aber geben Sie mir wenigstens die Möglichkeit, uns besser kennen zu lernen.«

»Sie sind ein merkwürdiger Mensch«, sagte sie nun etwas freundlicher. »Sie wissen nicht, wer ich bin, und kennen meine Verhältnisse nicht. Eines Tages werden Sie mir noch sehr dankbar sein, daß ich Ihre Gutmütigkeit nicht ausgenützt habe.«

»Glauben Sie denn, daß ich Ihnen aus Mitleid einen Antrag gemacht habe?«

»Ich will jetzt nicht mehr darüber nachdenken«, entgegnete sie und erhob sich. »Ich möchte Ihnen Gutenacht und gleichzeitig Lebewohl sagen. Morgen wird es wohl an Bord ziemlich lebhaft zugehen.«

»Lebewohl wollen wir uns noch nicht sagen. So groß der Trubel morgen auch sein mag, ich werde Sie doch noch sehen. Sonst kann ich nur feststellen, daß Sie heute abend recht unfreundlich zu mir waren, aber ich kann warten. London ist zwar eine große Stadt, aber wir werden uns trotzdem wiedersehen.«

»Ich hoffe nicht«, sagte sie eifrig. »Ich will in London nur einen einzigen Menschen treffen. Also Gutenacht, Mr. Mildmay.«

Als er sich umwandte, stieß er beinahe mit Littleson zusammen, der die beiden aus einiger Entfernung scharf beobachtet hatte.

»Kommen Sie, wir wollen noch ein Glas zusammen trinken«, schlug er vor.

Die beiden gingen in den Rauchsalon. Littleson steckte sich eine Zigarette an und trank nachdenklich seinen Whiskysoda.

»Eine wirklich entzückende junge Dame, diese Miß Longworth«, bemerkte er scheinbar gleichgültig.

Mildmay stimmte ihm etwas steif und kühl bei. Er wollte das Thema ändern, aber Littleson verhinderte es.

»Ich kann nicht verstehen, warum sie allein nach England kommt. Ich sah sie schon am ersten Tage an Bord, und als wir miteinander sprachen, sagte sie, ich möchte vergessen, daß ich ihre Bekanntschaft gemacht hatte. Es ist doch merkwürdig!«

Mildmay setzte sein Glas nieder.

»Wir wollen lieber nicht weiter darüber sprechen. Ich glaube, Miß Longworth wünscht nicht, daß man über sie redet. Außerdem ist der Rauchsalon nicht der geeignete Ort, um sich über eine Dame zu unterhalten. Wir gehen besser schlafen.«

Littleson zuckte die Schultern, als Mildmay verschwand.

»Eine merkwürdig empfindliche Rasse, diese Engländer!« murmelte er vor sich hin.

 


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