E. Phillips Oppenheim
Finanzkönige
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 15.
Die Warnung

Norris Vine schüttelte den beiden freundschaftlich die Hand, als er eingetreten war. Weiß wußte, daß eine Krisis eingetreten war, und überwand mit größter Willensanstrengung seine Nervosität. Er verneigte sich höflich, aber kühl vor Vine und bot ihm einen Sessel an. Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch. Littleson zeigte scheinbare Gleichgültigkeit, lehnte sich an einen Sessel und steckte sich eine Zigarette an.

»Nun, Mr. Vine, was können wir für Sie tun? Wollen Sie sich auch auf das Börsengeschäft stürzen, oder wollen Sie uns einen Auftrag geben? Verzeihen Sie, wenn ich Sie bitte, uns den Zweck Ihres Besuches schnell zu erklären, denn gerade jetzt haben wir wenig Zeit. Sie kennen doch meinen Geschäftsfreund Littleson? Ihre Angelegenheit ist wohl nicht so privater Natur, daß er nicht zuhören könnte?«

»Nein, Mr. Littleson stört mich nicht«, entgegnete Vine ruhig. »Im Gegenteil, was ich zu sagen habe, betrifft ihn genau so gut wie Sie und außerdem auch Ihre beiden anderen Freunde.«

»Sie meinen Mr. Bradley und Mr. Higgins? Nun, wir können ihnen ja alles mitteilen, was Sie uns zu sagen haben. Was ist es denn? Wollen Sie wieder einen Ihrer vernichtenden Artikel schreiben? Sind Sie vielleicht hergekommen, um uns über unsere Geschäftsmethoden auszufragen? Es gibt Zeiten, in denen wir unsere Feinde weniger fürchten als unsere Freunde.«

»Ich bin nicht als ihr Freund hierhergekommen,« bemerkte Vine, »obwohl man meine Handlungsweise einen Freundschaftsdienst nennen könnte. Ich bin hier, um Sie zu warnen.«

»Bitte, sprechen Sie deutlicher,« erwiderte Weiß, »Sie sind bis jetzt sehr rätselhaft. Die Leute, die uns besuchen, wollen kaufen oder verkaufen. Wollen Sie uns etwas anbieten?«

Norris Vine lächelte ruhig, wandte sich dann an Weiß und sah ihn fest an.

»Ich besitze etwas, Mr. Weiß, wofür Sie wahrscheinlich die Hälfte Ihres Vermögens geben würden, um es zu kaufen. Aber ich bin nicht gesonnen, es Ihnen für Geld zu überlassen. Ich wollte Sie nur warnen, daß ich jeden Augenblick von einem bestimmten Dokument Gebrauch machen kann, das Sie, Littleson, Bradley und Higgins unterzeichnet haben. Sie haben eine Art Komplott geschmiedet, verschiedene hohe Regierungsbeamte entweder von ihren Plätzen zu entfernen oder sie zu bestechen, da es deren Pflicht ist, gegen Ihren Trust vorzugehen. Zufällig ist dieses Dokument in meine Hände gekommen. Ich will dem amerikanischen Volk die Augen öffnen und ihm einmal zeigen, welche Leute in Wirklichkeit das Land beherrschen.«

Stephen Weiß spielte seine Rolle vorzüglich und heuchelte maßloses Erstaunen.

»Mr. Vine, ich nehme doch an, daß Sie nicht hierhergekommen sind, um sich über uns lustig zu machen. Sagen Sie mir bitte, von welchem Dokument Sie sprechen.«

»Ich glaube, ich brauche keine Einzelheiten zu nennen. Es ist ein Schriftstück, das Sie und Ihre Freunde im Hause des Mr. Duge vor einigen Tagen unterzeichnet haben.«

Weiß erhob sich, ging durch das Zimmer und drehte den Schlüssel an der Türe um. Er war groß und stark, und sein Gesicht war ein wenig gerötet. Auch Littleson war langsam von dem Tische fortgegangen und sah nun Weiß an, als ob er ein Zeichen von ihm erwarte. Obgleich Norris Vine nur schmächtig gebaut war und anscheinend nicht viel Körperkraft besaß, schien er trotzdem nicht im mindesten verlegen oder eingeschüchtert zu sein. Er lehnte sich nur in seinen Klubsessel zurück und spielte mit seiner Uhrkette.

»Mr. Vine,« sagte Weiß, »es hat keinen Zweck, daß wir uns gegenseitig etwas vormachen. Wir haben das Schriftstück unterzeichnet und sind sehr unglücklich, daß wir das getan haben. Die Idee ging von Phineas Duge aus, und er zwang uns direkt zu diesem Schritt, um etwas gegen uns in der Hand zu haben. Ist meine Annahme richtig, daß er uns an dem Abend getäuscht und das Schriftstück selbst nicht unterzeichnet hat?«

»Seine Unterschrift steht jedenfalls nicht auf dem Dokument.«

Weiß nickte.

»Das dachte ich mir doch. Es ist also tatsächlich vor einigen Wochen zwischen uns und Phineas Duge zu einer Trennung gekommen. Durch dieses Schriftstück hoffte er, uns in seine Gewalt zu bekommen. Und wir sehen jetzt plötzlich, daß nicht er, sondern Sie es besitzen. Was wollen Sie damit tun?«

»Ich werde es natürlich gebrauchen und veröffentlichen«, entgegnete Vine. »Ich will einen entscheidenden Schlag gegen dieses verruchte System führen, das unser ganzes Land verpestet.«

»Ich will Ihnen noch nicht sagen, in welcher Weise wir uns verteidigen,« entgegnete Weiß, »aber es ist doch immerhin möglich, daß wir das ganze Schriftstück als eine Fälschung behandeln oder die Sache als einen harmlosen Scherz nach einem guten Abendessen hinstellen. Vielleicht bestreiten wir auch die Meinung des Textes und schwören, daß wir nur gesetzmäßige Methoden in diesem Kampfe anwenden wollen. Oder – um Ihnen einmal Ihre Lage klarzumachen – wir nützen unsere Macht und hindern Sie daran, dieses Dokument zu gebrauchen. Sie sehen, es gibt viele Wege, Ihre Drohung zunichte zu machen. Nun stelle ich eine Frage an Sie von Mann zu Mann. Der Wert dieses Dokumentes ist doch für Sie eine Art Spekulation. Nennen Sie einen Preis, und bekämpfen Sie uns mit unseren eigenen Dollars.«

Norris Vine schüttelte leicht den Kopf.

»Nein, das ist nicht meine Absicht. Wenn Sie mir tatsächlich die Hälfte Ihres Vermögens gäben, dann wären die Chancen doch höchstens gleich.«

»Wir sind aber doch keine kleinen Leute. Wir repräsentieren eine große Macht, für die wir kämpfen werden. Wenn ich von Geld zu Ihnen spreche, dann meine ich es auch. Wir wollen bis morgen mittag eine Million Dollars für Sie zusammenbringen, wenn Sie uns das Dokument zu diesem Preise verkaufen.«

»Ich will diese Unterredung abkürzen, indem ich Ihnen feierlich versichere,« entgegnete Vine, »daß Sie dieses Dokument weder für eine noch für zwanzig Millionen kaufen können. Ich habe mein ganzes Leben und meine ganze Kraft dafür eingesetzt, gegen Sie zu kämpfen, gegen Sie zu schreiben, das Land aufzuklären, Sie in jeder nur möglichen Form anzugreifen und Ihre verruchten Methoden in aller Öffentlichkeit bloßzustellen. Selbst wenn mein Leben in Gefahr wäre, würde ich mich von diesem Dokument nicht trennen, denn es ist die schärfste Waffe gegen Sie, die jemals in meine Hand kam.«

»Aber dann sagen Sie uns doch, warum Sie hierhergekommen sind?« fragte Littleson und neigte sich etwas vor.

»Weil ich Ihnen eine Chance geben möchte. Ich bin nicht genügend mit den Gesetzen des Landes vertraut, aber es scheint mir, daß die wörtliche Veröffentlichung dieses Schriftstückes für Sie mehr als den finanziellen Ruin bedeutet. Wahrscheinlich kommen Sie daraufhin ins Gefängnis. Persönlich bin ich davon überzeugt, daß Sie eine solche Strafe verdienen, aber ich bin nicht niederträchtig. Wenn Sie morgen früh mit der ›Majestic‹ nach Europa fahren, werden Sie die Artikel über Ihre törichte Verschwörung wahrscheinlich nicht mehr lesen.«

Weiß warf die Zigarre in den Papierkorb, nahm eine neue aus dem Kasten und steckte sie in aller Ruhe an.

»Mr. Vine, Sie sind ein junger Mann, der sich bisher noch wenig mit der praktischen Seite des Lebens beschäftigt hat. Sie sind ein Journalist und Schriftsteller und jagen Hirngespinsten nach. Sie haben nicht den harten, durch lange Kämpfe geschärften Verstand wie wir Geschäftsleute. Die Folgen Ihrer Handlungsweise können Sie überhaupt nicht übersehen. Zunächst muß ich Ihnen einmal versichern, daß ich und meine Freunde in den Vereinigten Staaten nicht ins Gefängnis geworfen werden. Die Gefahr für uns ist nicht so groß, wie Sie sich einbilden. Aber lassen wir einmal die Frage nach unserer persönlichen Sicherheit beiseite, denn etwas anderes ist viel wichtiger. Wenn Sie das Dokument morgen in den Abendzeitungen veröffentlichen, rufen Sie die größte Finanzkatastrophe hervor, die das Land jemals erlebt hat.«

Zum erstenmal zeigte Vine Interesse, während er bisher bei der Unterhaltung vollständig gleichgültig geblieben war.

»Was meinen Sie damit?« fragte er.

Weiß schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Wissen Sie denn nicht, daß das Vermögen von Bradley, Higgins, Duge, Littleson und mir selbst das Betriebskapital dieses ganzen Landes ist? Alle großen Eisenbahnen werden von uns kontrolliert. Die Preise werden praktisch von uns festgesetzt. Drei der größten industriellen Unternehmungen, die die Welt kennt und in denen viele hundert Millionen Dollars investiert sind, werden von uns geleitet. Wenn Sie dieses Schriftstück veröffentlichen, so sind die Folgen nicht abzusehen. Aber sicher kommt der größte Finanzkrach, den Amerika jemals gesehen hat. Die Börsen von London und Paris sind augenblicklich selbst schwach und erschüttert und können den amerikanischen Markt in keiner Weise stützen. Es wird keine Stadt und kein Dorf in diesem Lande geben, keine Straße und kein Haus, wo Sie nicht ein blühendes Geschäft durch Ihre unüberlegte Handlungsweise ruinieren. Ein paar Stunden nach der Veröffentlichung werden die Kurse der besten Papiere derartig fallen, daß die Verluste des ganzen Weltkrieges nicht so groß sind wie die, die durch diese Panik entstehen. Ich zweifle, ob sich unser Land jemals wieder von einem derartigen Schlag erholen kann. Solche Ergebnisse erzielen Sie durch Ihre Handlungsweise.«

Weiß schwieg und steckte die Zigarre wieder in den Mund. Auf Littlesons Stirne standen große Schweißtropfen, und er atmete schwer. Die wohlüberlegten, niederschmetternden Worte seines Partners hatten ihn mehr erregt, als er es selbst für möglich gehalten hätte. Auch auf den bis dahin unerschütterlichen Norris Vine hatten sie großen Eindruck gemacht. Sie waren zu ernst, um sich einfach darüber hinwegsetzen zu können.

»Sie haben mir ein solches Bild von den Folgen entworfen, daß ich mir die Sache doch noch einmal überlegen möchte. Im Augenblick möchte ich keine definitive Entscheidung treffen. Ich will Ihnen natürlich mit diesem Dokument den größtmöglichen Schaden zufügen, aber auf der anderen Seite muß ich natürlich auch die Konsequenzen bedenken.«

»Wir sind offene Feinde,« erwiderte Weiß, »und ich wüßte keinen Grund, warum wir uns nicht als solche betrachten sollten. Handeln Sie nicht, bevor Sie nicht mit uns gesprochen oder uns gewarnt haben. Das liegt mehr im Interesse anderer Leute als in unserem eigenen.«

»Nun gut, das will ich versprechen.«

Vine verließ das Büro ohne ein weiteres Wort. Weiß setzte sich wieder, und Littleson, den diese Unterredung vollständig aus der Fassung gebracht hatte, trat zu ihm.

»Stephen,« rief er bewundernd, »Sie sind wirklich ein großer genialer Mann. Wir wollen eine Flasche Wein zusammen trinken, ich bin vollständig fertig.«

* * *

Vine ging nachdenklich zu seinem Klub. Unter den Briefschaften, die ihm der Portier überreichte, befand sich auch ein Schreiben von Stella. Er riß den Umschlag sofort auf und las.

»Mein lieber Norris!

Die Ereignisse der letzten Zeit haben sich für mich ein wenig überstürzt, und ich gehe fort, da ich das Leben in New York nicht länger aushalten kann. Ich scheue mich, eine amerikanische Zeitung zu öffnen. Außerdem gibt es noch viele andere Gründe, die mir eine Reise ratsam erscheinen lassen. Ich schreibe Dir von Bord der ›Majestic‹. Wohin ich mich in Europa wende, oder was ich dort tue, weiß ich noch nicht genau. Ich weiß ja auch gar nicht, ob Dich das überhaupt interessiert. Dein ganzes Leben geht in Deinem Berufe auf, und ich glaube nicht, daß etwas anderes großen Wert für Dich haben kann. Das ist ja wohl das gewöhnliche Frauenschicksal. Wir sind immer bereit, zu geben, und wir machen keine Geschäfte. Ich will Dir keine Vorwürfe machen, aber Amerika ist für mich im Augenblick unmöglich geworden. Ich könnte es nicht über mich gewinnen, meine arme, kleine Kusine mit ihren großen, vorwurfsvollen Augen zu sehen. Auch wenn Du Deine Absicht erreichst, Deinen Plan durchsetzt und den großen Sturm hervorrufst, möchte ich nicht für all den Skandal verantwortlich sein, der sicherlich auf die Veröffentlichung des Schriftstückes folgt.

Leb wohl, Norris. Alles Gute. Ich wünschte Dir mehr Herzensbildung, einen etwas verständnisvolleren Charakter und ein wenig mehr Dankbarkeit.

Stella.«

Er faltete den Brief zusammen und steckte ihn sorgfältig in die Tasche seines Mantels. Das Leben erschien ihm plötzlich bedeutend verworrener und schwieriger als noch vor wenigen Stunden.

 


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