Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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8.
Wenn man die Räder schmiert, so geht der Wagen.

Indessen kömmt der geschwefelte Wein. – Gläser her, Meister Scherer! ruft der Vogt, und Frau und Junge bringen bald Gläser genug. Die Nachbarn nähern sich sämtlich den Weinkrügen, und der Vogt schenkt ihnen ein. Jetzt sind der alte Uri und alle Nachbarn wieder zufrieden, und des jungen Gallis Wunde ist ja nicht der Rede wert. Wäre der Narr nur still gesessen, sagten sie, so würde ihn der Scherer nicht geschnitten haben. Nach und nach geht jetzt einem jeden das Maul auf, und lautes Saufgewühl erhebt sich. Alles lobt wieder den Vogt, und der Maurer Lienhard ist jetzt am vordern Tisch ein Schlingel und am hintern ein Bettler. Da erzählt der eine, wie er sich alle Tage voll gesoffen habe, und jetzt den Heiligen mache; und der andere, wie er wohl merke, warum die schöne Gertrud und nicht der Maurer zum jungen Herrn ins Schloß gegangen sei; und wieder ein anderer, wie ihm diese Nacht von der Nase geträumt habe, die der Vogt dem Maurer nach Verdienen bald drehen werde.

Wie ein garstiger Vogel den Schnabel in den Sumpf steckt und sich von faulendem Kote nährt, so labte Hummel bei dem Gerede der Nachbarn sein arges Herz. Doch mischte er sich sehr bedachtsam und ernsthaft in das verworrene Gewühl dieser Säufer und Schwätzer. Nachbar Richter! sagte er, und reichte ihm das Glas dar, das er annimmt: Ihr wäret ja selber bei der letzten Rechnung und noch ein beeidigter Mann. Ihr wisset, daß mir damals der Maurer dreißig Gulden schuldig geblieben ist; nun ist es schon ein halbes Jahr, und er hat mir noch keinen Heller bezahlt. Ich habe das Geld auch nicht einmal von ihm gefordert, und ihm kein böses Wort gegeben; und doch kann es leicht kommen, ich verliere die Schuld bis auf den letzten Heller.

Das versteht sich, schwuren die Bauern; du wirst keinen Heller mehr von deinem Gelde sehen, und schenkten sich ein. Der Vogt aber nahm aus seinem Taschenkalender die Handschrift des Maurers, legte sie auf den Tisch, und sagte: Da könnet ihr sehen, ob es wahr ist!

Die Bauern beguckten die Handschrift, als ob sie lesen könnten, und sprachen: Das ist ein Schurke, der Maurer! Und Christen, der Ständlisänger, der bis jetzt viel und stillschweigend hinunter geschluckt hatte, wischt mit dem Rockärmel das Maul ab, steht auf, hebt sein Glas in die Höhe, und ruft: Es lebe der Herr Untervogt, und alle Kalfakter (Schmeichler, Verleumder) müssen verrecken! so ruft er, trinkt aus, hebt das Glas wieder dem dar, der einschenkt, trinkt wieder aus, und singt:

»Der, der dem andern Gruben gräbt,
Der, der dem andern Stricke legt,
Und wär' er wie der Teufel fein,
Und wär' er noch so hoch am Brett,
Er fällt, wie man zu sagen pflegt,
Am Ende in den Kot hinein,
Den Kot hinein. Juhe, Maurer, Juhe!«


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