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Hübelrudi saß eben bei seinen vier Kindern. Vor drei Monaten war ihm seine Frau gestorben, und jetzt lag seine Mutter sterbend auf einem Strohsack, und sagte zu Rudi: Suche mir doch diesen Nachmittag etwas Laub in meine Decke, ich friere.
O Mutter, sobald das Feuer im Ofen erloschen sein wird, will ich gehen, sagte Rudi.
Die Mutter. Hast du auch noch Holz, Rudi! Ich denke wohl, nein; du kannst nicht in den Wald von mir und den Kindern weg. O Rudi, ach, ich bin dir zur Last!
Rudi. O Mutter, Mutter! sage doch das nicht: du bist mir nicht zur Last! Mein Gott, mein Gott; könnte ich dir nur auch, was du nötig hast, geben! Du dürstest, du hungerst und klagst nicht; das geht mir ans Herz, Mutter!
Die Mutter. Gräme dich nicht, Rudi! Meine Schmerzen sind gottlob nicht groß, und Gott wird bald helfen, und mein Segen wird dir lohnen, was du mir tust.
Rudi. O Mutter! noch nie tat mir meine Armut so weh, als jetzt, da ich dir nichts geben und nichts tun kann. Ach Gott! so krank und elend leidest du und trägst meinen Mangel!
Die Mutter. Wenn man seinem Ende nahe ist, so braucht man wenig mehr auf Erden; und was man braucht, gibt der Vater im Himmel. Ich danke ihm, Rudi; denn er stärkt mich in meiner nahen Stunde.
Rudi (in Tränen). Meinst du denn, Mutter, du erholest dich nicht wieder?
Die Mutter. Nein Rudi, gewiß nicht.
Rudi. O mein Gott!
Die Mutter. Tröste dich, Rudi! ich gehe ins bessere Leben.
Rudi (schluchzend). O Gott!
Die Mutter. Tröste dich, Rudi! Du warst die Freude meiner Jugend, und bist der Trost meines Alters; und nun danke ich Gott. Deine Hände werden jetzt bald meine Augen schließen; dann werde ich zu Gott kommen, und ich will für dich beten, und es wird dir wohl gehen ewiglich. Denke an mich, Rudi! alles Leiden und aller Jammer dieses Lebens, wenn sie überstanden sind, machen einem nur wohl. Mich tröstet und mir ist heilig alles, was ich überstanden habe, so gut als alle Lust und Freude des Lebens. Ich danke Gott für die frohe Erquickung der Tage meiner Kindheit; aber wenn die Frucht des Lebens im Herbste reifet, und der Baum sich zum Schlafe des Winters entblättert; dann ist das Leiden des Lebens ihm heilig, und die Freuden des Lebens sind ihm nur ein Traum. Denke an mich, Rudi! es wird dir wohlgehen bei allen deinen Leiden.
Rudi. O Mutter, liebe Mutter!
Die Mutter. Aber jetzt noch eins, Rudi!
Rudi. Was Mutter?
Die Mutter. Es liegt mir seit gestern wie ein Stein auf dem Herzen; ich muß dir es sagen.
Rudi. Was ist es denn, liebe Mutter?
Die Mutter. Ich sah gestern, daß sich der Rudeli hinter meinem Bette versteckte, und gebratene Erdäpfel aus seinem Sacke aß. Er gab seinen Geschwistern, und auch sie aßen verstohlen. Rudi, diese Erdäpfel sind nicht unser; sonst würde der Junge sie auf den Tisch geworfen, und seinen Geschwistern laut gerufen haben. Ach, er würde mir auch einen gebracht haben, wie er es tausendmal tat. Es ging mir allemal ans Herz, wenn er so mit etwas auf den Händen zu mir sprang, und so herzlich zu mir sagte: Iß auch Großmutter! – O Rudi! wenn dieser Herzensjunge ein Dieb werden sollte! O Rudi! wie mir dieser Gedanke seit gestern so schwer macht! Wo ist er? Bring' mir ihn; ich will mit ihm reden.
Rudi. O ich Elender! (Er läuft geschwind, sucht den Knaben, und bringt ihn der Mutter ans Bett.)
Die Mutter setzt sich mühselig zum letztenmal auf, kehrt sich gegen den Knaben, nimmt seine beiden Hände in ihre Arme, und senkt das schwache, sterbende Haupt hinab auf den Knaben. Der Kleine weinte laut. Großmutter, was willst du? Du stirbst doch nicht! Ach, stirb doch nicht, Großmutter!
Sie antwortet gebrochen: Ja, Rudeli, ich werde gewiß bald sterben.
Jesus, ach mein Gott! stirb doch nicht, Großmutter! sagt der Kleine.
Die Kranke verliert den Atem, und muß sich niederlegen. Der Knabe und sein Vater zerfließen in Tränen.
Die Mutter erholt sich aber wieder und sagt: Es ist mir schon wieder besser, da ich jetzt liege.
Und der Rudeli: Du stirbst doch jetzt nicht mehr, Großmutter?
Die Mutter. Tu' doch nicht so, du Lieber! Ich sterbe ja gern, und werde dann auch zu einem lieben Vater kommen. Wenn du wüßtest, Rudeli, wie es mich freut, daß ich bald zu ihm kommen soll, du würdest dich nicht so betrüben.
Rudeli. Ich will mit dir sterben, Großmutter, wenn du stirbst.
Die Mutter. Nein, Rudeli, du wirst nicht mit mir sterben; du wirst, will's Gott, noch lange leben und brav werden, und wenn einst dein Vater alt und schwach sein wird, seine Hilfe und sein Trost sein. Gelt, Rudeli, du willst ihm folgen und brav werden und recht tun? Versprich es mir, du Lieber!
Rudeli. Ja, Großmutter! ich will gewiß recht tun und ihm folgen.
Die Mutter. Rudeli, der Vater im Himmel, zu dem ich jetzt bald kommen werde, sieht und hört alles, was wir tun, und was wir versprechen. Gelt, Rudeli, du weißt das, und du glaubst es?
Rudeli. Ja, Großmutter, ich weiß es und glaube es.
Die Mutter. Aber warum hast du denn doch gestern hinter meinem Bette verstohlen Erdäpfel gegessen?
Rudeli. Verzeihe es mir doch, Großmutter! ich will es nicht mehr tun. Verzeihe mir es doch! ich will es gewiß nicht mehr tun, Großmutter.
Die Mutter. Hast du sie gestohlen?
Rudeli (schluchzend). J – j – ja, Großmutter.
Die Mutter. Wem hast du sie gestohlen?
Rudeli. Dem Mau – Mau – Maurer.
Die Mutter. Du mußt zu ihm gehen, Rudeli, und ihn bitten, daß er dir verzeihe.
Rudeli. Großmutter, um Gottes willen, ich darf nicht.
Die Mutter. Du mußt, Rudeli, damit du es ein andermal nicht mehr tust. Ohne Widerrede mußt du gehen – und um Gottes willen, mein Lieber! nimm doch nichts mehr! Gott verläßt niemand; er gibt allemal wieder. O Rudeli, wenn es dich schon hungert, wenn du schon nichts hast, und nichts weißt, traue auf deinen lieben Gott, und stehle nicht mehr.
Rudeli. Großmutter! Großmutter! ich will gewiß nicht mehr stehlen; wenn mich schon hungert, ich will nicht mehr stehlen.
Die Mutter. Nun so segne dich denn mein Gott, auf den ich hoffe, und er bewahre dich, du Lieber! – Sie drückt ihn an ihr Herz, weint und sagt dann: Du mußt jetzt zum Maurer gehen, und ihn um Verzeihung bitten. Rudi, gehe doch auch mit ihm, und sage des Maurers Leuten, daß auch ich sie um Verzeihung bitte, und daß es mir leid sei, daß ich ihnen die Erdäpfel nicht zurückgeben könne; und sage ihnen, ich wolle Gott für sie bitten, daß er ihnen ihr Uebriges segne. Es tut mir so wehe; sie haben das Ihrige auch so nötig; und wenn die Frau nicht so Tag und Nacht arbeitete, sie könnten sich bei ihrer großen Haushaltung fast nicht durchbringen. Rudi, du arbeitest ihm gern ein paar Tage dafür, daß er das Seinige wieder erhalte; nicht wahr?
Rudi. Ach mein Gott, von Herzen gern, liebe Mutter!
Da er eben das sagte, klopfte der Vogt ans Fenster.