Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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9.
Von den Rechten im Lande.

Nicht so lärmend, Christen! sagte der Vogt, das nützt nichts. Es wäre mir leid, wenn dem Maurer ein Unglück begegnete. Ich verzeihe es ihm gerne, er hat es aus Armut getan; aber das ist schlimm, daß keine Rechte mehr im Lande sicher sind.

Die Nachbarn horchten steif, als er von den Rechten im Lande redete; etliche stellten sogar die Gläser beiseits, da sie von den Rechten im Lande hörten, und horchten.

Ich bin ein alter Mann, Nachbarn, und mir kann nicht viel daran liegen; ich habe keine Kinder, und mit mir ist es aus. Aber ihr habt Jungens, Nachbarn; euch muß an euern Rechten viel gelegen sein.

Ja, unsere Rechte! riefen die Bauern. Ihr seid unser Vogt; vergebt kein Haar von unsern Rechten!

Vogt. Ja, Nachbarn, es ist mit dem Wirtsrecht eine Gemeindsache, und ein teures Recht um das Wirtsrecht; wir müssen uns wehren.

Etliche wenige Bauern schüttelten die Köpfe, und sagten einander leise ins Ohr: Er hat der Gemeinde nie etwas nachgefragt; jetzt will er die Gemeinde in den Kot hinein ziehen, in dem er steckt. Aber die mehreren lärmten immer stärker, stürmten und schwuren und fluchten, daß ihnen gerade übermorgen Gemeinde sein müsse. Die Verständigern schwiegen, und sagten nur ganz still untereinander: Wir wollen dann sehen, wenn ihnen der Wein aus dem Kopfe sein wird.

Indessen trank der Vogt bedächtlich immer von seinem gesottenen Wasser, und fuhr fort, die erhitzten Nachbarn wegen ihrer Landesrechte in Sorgen zu setzen. Ihr wißt alle, sagte er zu ihnen, wie unser Altvater Rüppli vor zweihundert Jahren mit dem grausamen Ahnherrn dieses Junkers zu kämpfen hatte. Dieser alte RüppliRüppli war ein ehrwürdiger Altvater von Bonnal und hatte gegen einen alten Erbherrn von Arnheim sich der Gemeinde treulich angenommen, und Hab und Gut darangesetzt, daß das Dorf nicht einen Tag mehr Frondienste tragen müsse. Aber das Sprichwort, das ihm Hummel da in den Mund legt, von dem weiß kein Mensch mit Wahrheit, daß es Rüppli in seinem Leben ein einziges Mal gesagt hätte. – mein Großvater hat es mir tausendmal erzählt – hatte zu seinem liebsten Sprichworte: »Wenn die Junker den Bettlern im Dorfe höfelen (gute Worte geben), so helfe Gott den Bauern!« Sie tun das nur, damit sie die Bauern entzweien, und allein Meister seien. Nachbarn, wir müssen immer nur die Narren im Spiel sein.

Bauern. Nichts ist gewisser; wir müssen immer nur die Narren im Spiel sein.

Vogt. Ja, Nachbarn, wenn euere Gerichtsmänner nichts mehr zu bedeuten haben, dann habt ihr es gerade wie die Soldaten, denen die Hinterhut abgeschnitten ist. Der neue Junker ist fein und listig wie der Teufel. Es sähe es ihm kein Mensch an, und gewiß gibt er ohne gute Gründe keinem Menschen ein gutes Wort. Wenn ihr nur das halbe wüßtet, was ich, ich hätte dann nicht nötig zu reden; aber ihr seid doch auch nicht Stocknarren, ihr werdet wohl etwas merken, und auf eurer Hut sein.

Aebi, mit dem es der Vogt abgeredet, und dem er ein Zeichen gegeben hatte, antwortete ihm: Meinst du, Vogt, wir merken den Pfiff nicht? Er will das Wirtsrecht ins Schloß ziehen.

Vogt. Merkt ihr etwas?

Bauern. Ja, bei Gott! aber wir leiden es nicht. Unsere Kinder sollen ein Wirtshaus haben, das frei ist, wie wir es jetzt haben.

Aebi. Im Schlosse könnte er uns die Maß Wein für einen Dukaten verkaufen, und wir würden Schelme an unsern Kindern sein.

Vogt. Das ist auch zu viel geredet, Aebi; auf einen Dukaten kann er die Maß Wein doch nicht bringen.

Aebi. Ja, ja! Schmied und Wagner schlagen auf, daß es ein Grausen ist, und selber das Holz ist zehnmal teurer als vor fünfzig Jahren. Was kannst du sagen, Vogt? So wie alles im Zwang ist, muß alles steigen. Was kannst du sagen, wie hoch die Maß Wein noch kommen könnte, wenn das Schloß allein ausschenken dürfte? Er ist jetzt schon teufelsteuer wegen dem Umgeld.

Vogt. Es ist so; es ist in allem immer mehr Zwang und Hindernis, und das verteuert alles.

Ja, ja, wenn wir es leiden . . . sagten die Bauern, lärmten, soffen und drohten. Das Gespräch wurde endlich wildes Gewühl eines tobenden Gesindels, das ich nicht weiter beschreiben mag.


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