Heinrich Pestalozzi
Lienhard und Gertrud
Heinrich Pestalozzi

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35.
Ein Samstagabend-Gebet.

Lieber Vater im Himmel, du bist immer gut mit den Menschen auf Erden, und auch mit uns bist du immer gut, und gibst uns alles, was wir nötig haben. Ja, du gibst uns Gutes zum Ueberfluß. Alles kommt von dir, das Brot und alles, was uns der liebe Vater und die liebe Mutter geben. Alles gibst du ihnen, und sie geben es uns gern. Sie freuen sich über alles, was sie uns tun und geben können, und sagen uns, wir sollen es dir danken, daß sie so gut mit uns sind. Sie sagen uns, wenn sie dich nicht kennten, und du ihnen nicht lieb wärest, so wären auch wir ihnen nicht so lieb; und sie würden, wenn sie dich nicht kennten und liebten, uns gar viel weniger Gutes tun können. Sie sagen uns ferner, daß wir es dem Heiland der Menschen danken sollen, daß sie dich, himmlischer Vater, erkennen und lieben, und daß alle Menschen, welche diesen lieben Heiland nicht kennen und lieben, und nicht allem guten Rat folgen, den er den Menschen auf Erden gegeben hat, auch dich, himmlischer Vater, nicht so lieben, und ihre Kinder nicht so fromm und sorgfältig erziehen als die, so dem Heiland der Welt glauben. Unser lieber Vater und die liebe Mutter erzählen uns immer viel von diesem lieben Jesus, wie er es so gut mit den Menschen auf Erden gemeint; wie er, damit er alles tue, was er könne, die Menschen zeitlich und ewig glücklich zu machen, sein Leben in tausendfachem Elend zugebracht habe, und wie er endlich am Kreuze gestorben sei; wie ihn Gott wieder vom Tode auferweckt habe, und wie er jetzt in der Herrlichkeit des Himmels zur Rechten auf dem Throne Gottes, seines Vaters, lebe, und noch jetzt alle Menschen auf Erden gleich liebe, und suche, sie glücklich und selig zu machen. Es geht uns allemal ans Herz, wenn wir von diesem lieben Jesus hören. Wenn wir nur auch lernen, so zu leben, daß wir ihm lieb werden, und daß wir einst zu ihm kommen in den Himmel! Lieber Vater im Himmel, wir arme Kinder, die wir hier beisammen sitzen und beten, sind Brüder und Schwestern; darum wollen wir immer recht gut miteinander sein, und einander nie etwas zuleide tun, sondern alles Gute, was wir können und vermögen. Zu den Kleinen wollen wir Sorge tragen mit aller Treue und mit allem Fleiß, daß der liebe Vater und die liebe Mutter ohne Sorgen ihrer Arbeit und ihrem Brote nachgehen können. Das ist das einzige, so wir ihnen tun können für alle Mühe und Sorgen und Ausgaben, die sie für uns haben. Vergilt ihnen, du Vater im Himmel, alles, was sie an uns tun; und laß uns ihnen in allem, was sie wollen, folgen, daß wir ihnen lieb bleiben bis ans Ende ihres Lebens, da du sie von uns nehmen und belohnen wirst für ihre Treue, die sie uns erwiesen haben. Lieber himmlischer Vater, laß uns an dem morgenden heiligen Tag deiner Güte und der Liebe Jesu Christi und auch alles dessen, was uns unser Vater und unsere Mutter und alle Menschen Gutes tun, recht eingedenk sein, damit wir gegen Gott und Menschen dankbar werden und gehorsam, und damit wir in der Liebe wandeln vor deinen Augen unser Lebenlang!

Hier mußte Niklas innehalten. Dann sprach Gertrud allemal, nach den Vorfällen der Woche, das weitere vor. Heute sagte sie zu ihnen: Wir danken dir, himmlischer Vater, daß du unsern lieben Eltern in dieser Woche die schweren Sorgen für ihr Brot und für ihre Haushaltung erleichtert, und dem Vater einen guten, einträglichen Verdienst gezeigt hast. Wir danken dir, daß unsere Obrigkeit mit wahrem Vaterherzen unser Schutz, unser Trost und unsere Hilfe in allem Elend und in aller Not ist. Wir danken dir für die Guttat unsers gnädigen Herrn. Wir wollen, will's Gott, aufwachsen, wie zu deiner Ehre also auch zu seinem Dienst und Wohlgefallen; denn er ist uns wie ein treuer Vater.

Hierauf sprach sie der Lise vor: Verzeihe mir, o mein Gott, meine alte Unart, und lehre mich, meine Zunge im Zaume halten, schweigen, wo ich nicht reden soll, und behutsam und bedächtlich antworten, wo man mich fragt.

Sodann sprach sie dem Niklas vor: Bewahre mich, Vater im Himmel, doch in Zukunft vor meinem hastigen Wesen und lehre mich, besser acht zu geben auf das, was ich mache, und wer um mich und neben mir ist.

Dann dem Anneli: Es ist mir leid, mein lieber Gott, daß ich mein Brüderlein so leichtsinnig verlassen, und damit die liebe Mutter so in Schrecken gesetzt habe. Ich will es in meinem Leben nicht mehr tun, mein lieber Gott.

Und nachdem die Mutter allen Kindern vorgesprochen hatte, betete sie ferner: Herr, erhöre uns! Vater, verzeihe uns! Jesus, erbarme dich unser! – Dann betete Niklas das heilige Unser Vater, und dann Enne: Behüte mir, Gott, den lieben Vater und die liebe Mutter und die lieben Geschwister, auch unsern lieben, gnädigen Herrn von Arnheim, und alle guten, lieben Menschen auf Erden! – Dann betete die Lise: Das walt' Gott der Vater, der Sohn und der heilige Geist! – Dann die Mutter: Nun, Gott sei mit euch! Gott erhalte euch! Der Herr lasse sein heiliges Angesicht über euch leuchten, und sei euch gnädig!

Eine Weile noch saßen die Kinder und die Mutter in der ernsten Stille, die ein wahres Gebet allen Menschen einflößen muß.


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