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Benjamin!
Ich schreibe Deinen lieben Namen hin, der Dein Name im Taufbuch nicht war, den Dir die Familie gab und das Schicksal bestätigte. Und indem ich ihn hinschreibe Deinen Namen, blüht meine Jugend leuchtend vor mir auf.
Ich bin Dir vorangeschritten im Leben, immer um zehn Jahre, die sich nicht einholen ließen. Du bist mir vorangeschritten im Tode; und eines Tages wird kein Unterschied mehr sein zwischen Dir und mir. Dann steht die Zeit für uns stille, für den einen wie den andern, und langsam verhallen auf deutschem Boden unsere Schritte; und unsere Namen verblassen im Gedächtnis der Lebenden, die uns noch kannten.
Benjamin! Du warst die jüngste Jugend in unserem Hause; warst das frischeste Reislein am alten Hugenottenstamm, der Gütigste unter den Trotzigen, denen der Ahnen Kampf um Recht und Glauben noch im Blute spukte. Du hast das Leben in seiner Blüte geliebt, und es hat Dir mit Blüten vergolten. Für den Kampf unserer dunklen Tage, für den splitternden Bruch mit so vielem, in dem Du erzogen warst und Dich lächelnd wohlgefühlt, wärst Du wohl nicht gemacht, nicht gerüstet gewesen. Und wie Dir gar die verzichtende Weisheit des Alters zu Gesicht gestanden hätte, wer will's sagen, da Du Dein Antlitz, den beseelten Spiegel der Lebensfreude, längst verhüllt und verborgen hast.
Benjamin! Wenn wir, allen Zweifeln zum Trotz, uns doch da drüben wiederfinden sollten, wirst Du, der lebend nicht zu zürnen vermochte, als Verklärter hadern mit mir, daß ich aufschrieb, was ich nun sorgsam schreiben will: Dein Leben?
Ich wag's. Fehler mögen sich in diesen Blättern finden, Irrtümer, Ungenauigkeiten – keine bewußte Entstellung. Weit zurückschweifen mußte mein Blick – wie gern hat er's getan! Denn wie viel Sonne lag auf diesem verlassenen Land! Dann wurden mir Deine Tagebücher Führer, diese ehrlichen Bekenntnisse in ihrer sauberen, fast pedantischen Schrift; und die meinen, knapper, leidenschaftlicher oft im Ton und parteiischer in der Stellung zu Welt und Menschen, ergänzten. Mit alten Leuten sprach ich von Dir, die Dich noch gekannt hatten. Und in ihren Augen war ein warmes Leuchten bei Deinem Namen, und ihre lebendige Liebe grüßte Deinen Schatten.
»Ein unnütz Leben« nanntest Du beim Abschied für immer das Deine. Ist ein Leben wirklich unnütz, aus dem Freude und Frohsinn blüht? Schlägt ein Herz wirklich umsonst, das keine Falschheit kennt? Wir können nicht alle Entdecker sein, Eroberer, Glaubenshelden und Heroen. Auch die Stillen, Gütigen, Frohen, die den Sturm meiden, das Volksgewühl und die Barrikaden, haben ihr Recht. Und wissen vielleicht, nach einem Leben fern allen Schrecken der Schlacht, heldischer zu sterben, als mancher verblutende Held.
Wir haben oft zusammen gelacht, mein Bruder Benjamin; öfter, Aug' in Auge, gelächelt. Und lächelnd gehst Du heute noch neben mir, sorgfältig gekleidet, rotbäckig und mit großen, blauen Augen die wunderreiche Welt betrachtend. Und meine Seele wird froh und feierlich, wenn sie Deiner gedenkt und all der Pläne, Hoffnungen, Irrungen eines Herzens, das nicht zu altern geboren war. Laß sehen, ob etwas, und wenn nur ein weniges, von all dem Glanz und der Fröhlichkeit, die Dein kurzes Leben ausstrahlte, auch diesen Blättern der Erinnerung beschieden ist.
Gibt's ein Jenseits, und bist Du dort – wissender, als ich, Anteil nehmend vielleicht noch aus Sternenferne an dem, was wir Gebrechlichen hier unten so wichtig und so nutzlos planen, fügen und bauen –, so lächle meinem bescheidenen Beginnen mit dem unverlernten Lächeln Deines jungen Erdengangs.
Der Du Blut warst meines Blutes, Träumer meiner Träume, der Du wuchsest in denselben lieben Mauern mit mir, betreut von denselben gütigen Menschen, belehrt von denselben Büchern, gezüchtigt von demselben Schmerz, entzündet von denselben Freuden, erhoben von denselben Liedern, die unsere Mutter, von der Arbeit ruhend, in die Dämmerung des stillen Hauses sang; Du, mir auf ewig verknüpft durch das Köstlichste, Unverlierbare einer schönen, reinen gemeinsamen Jugend, sei mir gegrüßt, mein Bruder Benjamin!