Rainer Maria Rilke
Die Erzählungen
Rainer Maria Rilke

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Masken

Eine Farbenskizze

(1898)

Das war eine seltsame Zeit, als der blasse Kaiser Rudolf, mit jedem Tag Jahre alternd, auf dem Hradschin saß und Reiche verlor und Sterne gewann. Damals geschahs, daß ein schlichter Mann, in enger Gasse irgendwo, seine Arbeit ließ und hinaus in den Alltag horchte, oder daß ein Greis lange in seinem Garten, nahe dem Stadttor, saß und dem Abend entgegenspähte, oder daß ein Hund um Mitternacht wach wurde und ohne Grund und Gefahr heulte bis in den nächsten matten Morgen hinein. Über den dumpfen Massen aber wuchsen da und dort Menschen empor, überlebensgroß, gleichsam gekleidet in den Feuerschein der bangen nahenden Tage. Und ihr Schatten lag schwer über ihrer Zeit.

So war des Kaisers heimlicher Sohn: Julius Caesar. Als müßte er alle Träume, die sein Vater unter dem strengen Gewand des spanischen Hofes nur verborgen hatte träumen dürfen, – leben: so war er.

Das war auf der Feste Krummau, welche die Habsburger von den Rosenbergen übernahmen. Heute noch besteht der Maskensaal, und seine Wände leben von hohen, bunten Freskogestalten. Hinter jedem Paar scheint eines und noch eines sich zu rühren, Pagen und Narren drängen sich schmeichelnd und schäkernd durch die Reihen, und die Grenadiere an den Türpfosten sind ein mächtiger Schrecken, heute noch. So begreift mans: die Leute loben den alten, unbekannten Maler sehr. Ich aber weiß, obwohl ich den Toten nicht kränken will, daß das Bewegliche in den Figuren nicht ihm zu Verdienst gehört, sondern es liegt daran, daß die Gestalten nie recht erstarren. Sie müssen alle immer wieder erwachen, um die eine Nacht zu feiern. Diese aber hub an:

 

Ritter und Damen erfüllen den strahlenden Saal mit ihrem schimmernden Gewimmel. Bis die riesigen Grenadiere an der Tür die Hellebarden hart auf den Boden stellen. Da ordnen sich die Reihen. Ein Donner rollt über sie hin. Mit seinem wilden, schwarzen Sechsgespann ist Julius Caesar an der ragenden Rampe vorgefahren und kaum einen Atemzug später steht er, schlank und schwarz, mitten unter den Gästen. Wie eine Zypresse im wehenden Ährenfeld. Dann mischt die Musik die Menge; eine fremde Musik, welche beim Aneinanderstreifen der köstlichen Kleider zu entstehen scheint und wachsend, breit und brausend aus den Massen sich erhebt, wie die Melodie eines Meeres. Da und dort teilt der schwarze Prinz mit einem Wink die willigen Wellen, verschwindet in ihnen, taucht an einem anderen Platz, schwarz, aus den glänzenden Gästen empor – läßt sein leuchtendes Lächeln wie einen verlorenen Sonnenstrahl über sie hingleiten – und schleudert, an eine Säule gelehnt, ein helles, königliches Wort, wie ein Juwel, mitten ins Gewoge. Alle haschen danach. Und unter dem wühlenden und immer wilderen Hin und Wieder geht leise die heimliche Lust auf. An des silbernen Ritters Seite erkennt der Prinz ein blasses, blaues Fräulein und fühlt zugleich: Liebe für die Blaue, Haß für den Silbernen. Und beides in ihm ist rasch und rot. Er neigt sich dem Paar. Schau, hat er den Ritter zum König gemacht? Denn dem fließt über den blanken Panzer ein Purpur nieder, immer breiter und blutender, bis er stumm zusammenbricht unter den Falten des fürstlichen Mantels. »Es geht manchem König so«, lacht ihm der Schwarze in die sterbenden Augen. Da erstarren die festlichen Gäste vor Grauen, und ehe sie noch ihr Lächeln vergessen, blassen sie langsam in die verlöschenden Wände zurück, und kahl wie Felsland steigt der verlassene Saal aus ihren letzten leuchtenden Wellen.

Nur Julius Caesar bleibt und das gierige Glühen seiner trotzigen Augen versengt dem zitternden Fräulein die Sinne. Allein wie er sie greifen will, entwindet sie sich seinen zwingenden Blicken und flieht in den schwarzen, hallenden Saal; ihr dünnes, blaues Seidenkleid bleibt zerfetzt, wie ein Stück Mondlicht, in den gierigen Fingern des Prinzen, und er windet es sich um den Hals und würgt sich damit. Dann tastet er ihr nach in die Nacht hinein und jubelt jetzt auf. Er hört: sie hat die kleine Tapetentür entdeckt, und er weiß: nun ist sie sein. Denn von da gibt es nur einen Weg – die schmale Turmtreppe, die in das kleine duftende Rundgemach mündet, hoch im Moldauturm. In sicherer und übermütiger Hast ist er hinter ihr, immer hinter ihr, und er vernimmt nicht ihren verscheuchten Schritt, aber wie einen Glanz ahnt er sie vor sich bei jeder Biegung der Treppe. Da faßt er sie wieder und jetzt hält er das zarte, angstwarme Hemdchen in der Hand, nur das Hemdchen, und seinen Lippen und Wangen scheint es kühl. Es schwindelt ihn, und wie er seine Beute küßt, lehnt er zögernd an der Wand. Dann, mit drei, vier Tigersprüngen taucht er hinauf in die Tür des Turmgemachs und – erstarrt: hoch vor der Nacht ragt, nackt, der reine weiße Leib, wie am Fensterrande aufgeblüht. Und reglos bleiben beide. Aber dann, ehe er's noch denkt, heben sich zwei helle, kinderzage Arme aus der Gestalt in die Sterne hinein, als wollten sie Flügel werden, es erlischt etwas vor ihm, und vor dem hohen Fensterbogen ist nichts mehr als hohle, heulende Nacht und ein Schrei . . .


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