Rainer Maria Rilke
Die Erzählungen
Rainer Maria Rilke

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Reflexe

(1899)

Bald nach der französischen Revolution erschien plötzlich die Herzogin von Villerose in Böhmen. Man erzählte, der Herzog von Friedland habe ihr eines seiner Schlösser angeboten. Und wirklich fuhren bald darauf drei große Reisewagen in Demin ein. Mehr Gefolge hatte ja niemand in dieser zitternden Zeit. Aber es blieb trotzdem nicht einsam im Schlosse. Es ergab sich ganz unerwarteter Weise, daß eine Menge Adel in dieser Gegend lebte, Emigranten und andere. Besonders viele Polen fanden sich ein.

Die ersten Empfänge der Herzogin brachten allerdings einige Verlegenheit mit sich. Unter dem hohen strahlenden Portal, vor welchem Wagen um Wagen vorfuhr, fanden sich Männer, welche einander erstaunt und fragend anblickten, mit dunklen Erinnerungen in den Augen, und Frauen, die einander mit ironischem Lächeln begrüßten. Sehr laut und sehr schnell wurden dann die Namen genannt: die Gräfin Polonska, die Frau Fürstin von Liegnitz und viele glänzendere. Manche besannen sich erst im Vorsaal, während sie die Handschuhe zuknöpften, ihres Namens und Ranges.

Aber die Herzogin von Villerose, in ihrer natürlichen Art, verstand allen diesen kleinen Verlegenheiten zu begegnen. Wen sie empfing, wer ihre feine, kühle Hand mit den Lippen nur eben beschatten durfte, der war, was er schien. Und die Herzogin merkte sich alle die vielen seltsamen Namen und gebrauchte sie mit soviel Laune und Leichtigkeit, wie Perlen, welche man in die Luft wirft: und alle Anwesenden lernten auffangen.

Außer der Herzogin selbst, einer blonden zarten Frau in jenem unsagbar feinen Alter, welches die Schönheit aller Altersstufen zu beherrschen scheint, fanden die Gäste auf Demin noch vor: die Fürstin von Sylva-Valtara, verwitwet, eine Schwester der Herzogin, obwohl sie dieser in gar nichts glich. Den Grafen Alma, einen Ungläubigen der Frauen, die ihn alle heimlich bewunderten, Kammerherr in Schwarz und, wie es hieß, Schüler Swedenborgs. Außerdem, immer in einer Fensternische, den Abbé Luc, schweigsam, beschattet, ein totes Lächeln über den schmalen Lippen. Auch ein junges Mädchen ging in der glänzenden Gesellschaft umher, lautlos und einsam wie im Wald: Helene, eine Tochter der Herzogin, immer in Weiß. Die Herzogin schien sie sehr zu lieben. Sobald die junge Fürstin im Saal erschien, ging die Hausherrin von allen Gesprächen fort auf das Mädchen zu und küßte es auf die Stirn. Alle waren entzückt von dieser Zärtlichkeit. Der dicke Graf Ballin sagte etwas zu laut: »Welch eine Frau!« Und eine hagere ältliche Dame, welche immer nur verlobt gewesen war, verbesserte ihn: »Eine Mutter, ach, was für eine Mutter, lieber Graf!« Aber angesichts dieser Szene kamen auch einem jungen Menschen seine ersten Verse. Er las sie noch an demselben Abend, beständig errötend, in einer Ecke des Saales vor und wurde auf einmal der Liebling vieler Damen. Aber es wurden auch wirkliche Dichter in Demin wach. Man sah manchmal in den tiefsten Alleen des Parkes stille Gestalten auf- und niedergehen und, wenn man näher kam, hob sich eine einsame verklärte Stirne und zwei Augen von fremden Fernsichten erfüllt.

Zu den Festen in Demin fanden sich Leute ein, die in stilleren Nebenzimmern eine Melodie erfanden, welche noch in derselben Nacht getanzt wurde. Unversehens war ein kleines Drama fertig, und man spielte es in seltsamen bunten Kostümen zwei Stunden später. Die Manuskripte loderten längst in den Kaminen: wozu sparen? Es gab ja täglich einen neuen Tanz und ein neues Spiel, sooft man dessen bedurfte. Etwas wie ein Hof entstand. Hier irgendwo schien das Reich der Herzogin zu sein, und Demin war der Mittelpunkt.

In demselben Maße wie die Gäste, vermehrte sich auch die Dienerschaft des Hauses. Von allen Seiten drängten sich Leute herzu, und die meisten wurden aufgenommen. Es gab für alle zu leben. Mit einem Male war ein Haushofmeister da, der über hundert Diener und Dienerinnen befahl. Dieses war ein Mann mit einem kühnen hoffährtigen Gesicht, welches in seltsamem Widerspruch stand mit seinen demütigen kriechenden Händen.

Der Graf Alma sagte einmal zur Herzogin: »Entlassen Sie diesen Haushofmeister.« – »Weshalb?« staunte die Herzogin, »ich bin mit ihm zufrieden.« Der Graf zuckte die Achseln. Der Haushofmeister blieb. Er verstand es auch prächtig, alles zusammenzuhalten; bei jeder Tafel, bei jedem Feste war sein Einfluß bemerkbar. Und sogar die Künstler hörten gelegentlich auf seinen Rat. Eine Dame sagte einmal von ihm: »Er hat Geschmack.«

Der Haushofmeister stand zufällig in der Nähe und verneigte sich stumm, mit so vornehmer Bescheidenheit, daß die Dame unwillkürlich lächeln mußte.

Um diese Zeit wurden die Feste immer reicher und rauschender. Zumal, als unerwartet ein Gast aus königlichem Blut erschien, ein junger, glänzender Prinz, ein Bruder jenes Herzogs von Enghien, der später auf so grausame Art sterben sollte. Er war wie ein Goldstück, mitten ins Volk geworfen: Alles langte nach ihm; und er war geistreich genug, die Zuneigung der Gesellschaft als ein großes Recht über sie zu gebrauchen. Wie aus Marmorblöcken löste er die Gestalten in seiner Umgebung los, je nach dem Material: schöne und verschwenderische und solche, die sich nach Schönheit sehnen: rührende. Das war eine reiche Tätigkeit; denn er erfand die meisten kaum noch begonnen. Ein einziges Wesen begegnete ihm in Vollendung: Helene, die mit den großen traurigen Augen. Bei ihr ruhte er aus von seinem beständigen Schöpfersein. Er sprach dann wenig zu ihr und nur von seiner Heimat, von dem weiten Land an einem ernsten Meer. Und er liebte es, so zu reden, als ob er ein Fischersohn oder irgend eines namenlosen Mannes Kind wäre. Nie war ein Schloß oder ein Park Hintergrund diesen Gesprächen. Nichts Lautes kam darin vor und kein Name, der sie an einen Ort oder an eine Zeit hätte binden können. Immer, wenn er die Gesellschaft in Bewegung gebracht hatte, wenn sie alle von seinem Leben lebten, wenn die Wellen seines Blutes in tausend Gebärden sich groß und sichtbar wiederholten, zog sich der Prinz unmerklich zurück und fand das fremde stille Mädchen bereit zu solchen dämmernden Gesprächen.

Einmal stand sie an der hohen Tür des Saales, welche auf die breite Terrasse führte. Er trat zu ihr und blickte neben ihr hinaus: Über vielen schwingenden Wipfeln war hohe, jagende Nacht. Und sie, die Schweigsame, sagte, da sie ihn neben sich fühlte, wie auf eine Frage hin: »Ich denke: diese Wolken, wie sich das formt und formt, willig jeder Gestalt und in jeder Gestalt flüchtig. Man sollte meinen, jede müßte erst ein Leben dauern in jeder Form. Wozu sonst die Form?« – Und auf einmal schauten sich die beiden jungen Menschen an und dachten dasselbe. Dann blieben sie noch eine Weile neben einander und angesichts der Nacht. Aber unter dem Einfluß irgend eines Zwanges wandte sich der Prinz plötzlich um und fand, daß er unter den Blicken des Abbé war, gleichsam umnachtet von ihnen. Er mischte sich unter die Gruppen und sah sehr sorglos aus, strebte aber doch nach der nahen Fensternische hin, und indem er ein Lächeln versuchte: »Und Sie, Herr Abbé, was soll man tun?« Der Prinz zögerte; er verbarg nur schwer seine Verwirrung und fand erst langsam seinen gewohnten Ton: »Giebt es kein Fest, so groß, daß es auch Ihre Sinne erreichte? Die bleiben immer außerhalb von jeder Freude, so scheint es.«

Der Abbé verbeugte sich leicht: »Sie irren, mein Prinz, meine Sinne sind mitten drin, eine Insel, wenn Sie wollen, eine schattige Insel in diesem Meer, über welches Sie Glanz streuen wie der Morgen selbst.«

»An Ihrer Sprache, Herr Abbé, merk ich den Grund Ihrer Einsamkeit. Sie sind ein Dichter, irr ich, – oder ein Denker.«

»Nichts dergleichen, mein Prinz, wenn ich schon Etwas sein soll, hier, wo jeder Etwas ist, dann nennen Sie mich einfach einen Zuschauer. Das ist nicht viel, meinen Sie? Nun, je nachdem. Der Zuschauer wächst, sozusagen, mit der Szene. Leute, die eine Schlacht gesehen haben, unterscheiden sich wesentlich von solchen, die vor eine Rauferei geraten.« –

»Und nach dieser Szene zu schließen . . .«

»Ganz recht, mein Prinz, Sie sehen, ich habe mir selbst geschmeichelt. Ich wollte sagen: mit diesem Bild von Reichtum, Schönheit und Macht in Augen, bin ich ein ganz vorzüglicher Mensch, – verzeihen Sie, ein ganz vorzüglicher – Zuschauer geworden. – Aber nun bitte ich Sie: denken Sie mal, was geschieht, wenn ein Zuschauer sich plötzlich in die Handlung mengt? Eine Verwirrung, nichtwahr? Das Spiel hört auf – plötzlich. Unter der Schminke andere Gesichter, unter den Kleidern andere Kleider, unter den Stimmen – andere Stimmen . . .« und nun sprach der Abbé weiter, mit ganz anderen, kurzen Worten, ohne Betonung, wie mit stählernen Stimmbändern: »Diese Herzogin, sehen Sie, ist noch die Beste unter uns. Sie ist die Tochter eines Barons. Allerdings, leider, keines französischen, eines lothringischen, aber immerhin: eines Barons. Das hat nicht jeder aufzuweisen! Ihre Mutter war – war, – verzeihen Sie, mein Gedächtnis verläßt mich vor dieser Menge von Möglichkeiten – war – ja – eine Tänzerin.

Sehen Sie, sie lächelt jetzt mit ihrem immer gleichen, entzückenden Lächeln; nur weil sie es nicht auf der Bühne gebraucht und nicht kurze Kleider trägt, sieht es so ganz anders aus, als ob es nicht ihrer Mutter Erbteil wäre! Aber trotz allem: sie hat Talent zur Herzogin. Sehen Sie daneben diese Sylva-Valtara. Eine Spanierin – im Traum. Ich glaube, sie war Kammerjungfer, als sie noch fein und zierlich war; jetzt, da sie dick wird, hat sie es vorgezogen, Witwe eines nieverstorbenen Fürsten zu sein. Das sind unsere Damen. Wünschen Sie auch unsere Herren kennen zu lernen?«

Der Prinz hatte die Hand auf dem Degengriff. Sie zitterte so, daß die Ringe daran klingend an den Knauf schlugen.

Der Abbé veränderte nicht seine nachlässige Stellung. »Sie sehen, mein Prinz, ich habe eine eigentümliche Fröhlichkeit. Wollen Sie mir noch vorwerfen, daß ich an diesen Festen nicht teilnehme? Gerade sie haben mich so gestimmt – zum Scherzen . . .«

Der Prinz wandte sich kurz von dem Geistlichen ab.

Fast gleichzeitig erhob sich am anderen Ende des Saales ein Tumult. Der Haushofmeister hatte, etwas trunken wahrscheinlich, den Grafen Ballin beim Arm gefaßt und ihm irgend eine Frechheit gesagt. Das hätte sich noch bemänteln lassen. Man war schon im Begriff, den Haushofmeister hinauszudrängen, als der Graf wütend sich über ihn warf, und so war unversehens im Saal, in Anwesenheit der Damen, eine richtige Rauferei entstanden. Der Haushofmeister wurde nüchtern und erwies sich als stark. Er warf den Grafen in eine Ecke, sprang zerfetzt und blutig, wie er war, mitten in den Saal und schrie mit riesiger Stimme:

»Hunde seid ihr, Hunde! Sollens alle hören: Diese Herzogin ist keine Herzogin! Ihr alle seid – Alle – Alle . . .«

Es entstand eine wahnsinnige Verwirrung. Einige Degen blitzten. Die Damen flüchteten mit zerrissenen Schleppen. Plötzlich trat in dem allgemeinen Geschrei eine Stille ein. Die Herzogin stand mit ihrer Tochter hart vor dem Haushofmeister. Über den ganzen Saal hin waren ihre sicheren, nur am Anfang zitternden Worte vernehmbar:

»Simeon, wagst du vor diesem Kind, vor der Fürstin, zu wiederholen, was du eben gesagt hast?«

Helenens Auge lag ruhig und traurig auf der verworrenen Stirn des Mannes. Alles schwieg. Dann hörte man Helenens Stimme, die leise die Herzogin beschwor: »Heißen Sie ihn fortgehn!« Und stumm und gehorsam verließ der Haushofmeister den Saal.

Am nächsten Tage hatte er Demin verlassen.

Auch die Herzogin sprach den Wunsch aus, nach Polen zu gehen auf ein anderes befreundetes Schloß. Alle stimmten ihr bei. – Die Pässe, die man aus Wien verlangt hatte, blieben lange aus, und Graf Alma wurde unruhig. Solange er an der Tafel anwesend war, wagte sich kein heiteres Gespräch heraus, so schwarz war seine Gestalt, so ernst seine Stirne. Die Herzogin machte ihm deshalb Vorwürfe. Er antwortete:

»Ich bitte Sie, lassen Sie heute aufbrechen, heute noch.«

Die Herzogin lächelte: »Aber, Alma, wie sollen wir ohne Pässe reisen?«

»Nur wenigstens von hier fort, an die Grenze.«

»Und ich, – soll ich auf dem Felde schlafen, Alma? Haben Sie wieder böse Ahnungen, Träume?«

Der Graf sagte ausweichend: »Ich schlafe schlecht, deshalb sind meine Träume kurz und heftig.«

Am anderen Tag kamen die Pässe, und nun begann man rasch aufzubrechen. Der Graf drängte, und niemand widersprach ihm. Die Dienerschaft riß alles von den Wänden und aus den Schränken, und Koffer und Truhen füllten sich wie Regentonnen im Gewitter.

Alle Zimmer standen offen, und der Wind ging durch die leeren Türen. In den Sälen drängte sich neugierig das viele fremde Gesinde. Es war wie eine Plünderung. Man sah Knechte, die auf den Samtstühlen, welche sie hinuntertragen sollten, schliefen, und Mägde hielten schwere klare Spiegel, beugten ihr rotes sommersprossiges Gesicht darüber und trugen es, dumm lachend, im Spiegel, wie in einer Schüssel, hin und her.

Niemand von diesen Leuten maß seine Stimme, jeder lärmte und lachte wie in Trunkenheit. Am lautesten war ein Frauenzimmer von einer kecken schamlosen Schönheit. Man rief sie Aurora, und sie schien die Geliebte von allen Männern zu sein. Aber nur der Abbé Luc hatte erfahren, daß sie eigentlich das Weib Simeons, des früheren Haushofmeisters, sei, und daß dieser sie zu einer gewissen Mission unter dem Gesinde zurückgelassen habe. Aurora erzählte den Leuten nicht etwa, daß die Herzogin und die anderen im Schlosse ihre Titel zu Unrecht führten, im Gegenteil, sie suchte in allen das Bewußtsein zu wecken, wie lächerlich der Zufall der Geburt die einen vor den anderen auszeichne. Und die Männer alle – die es ja wissen mußten – glaubten gerne, daß nur die edlen Steine und die seidenen Kleider der Herzogin an Auroras Hals und Hüften fehlten, um diese ebenso fürstlich und stolz erscheinen zu lassen. Indessen erkannte der Abbé, der unablässig betrachtete, an der wachsenden Kühnheit Auroras, daß sich irgend etwas vorbereite. Es ging auch das Gerücht, Simeon sei neulich nachts im Schlosse aufgetaucht und vor Morgen wieder verschwunden.

Am Abend vor der Abreise saß Helene mit dem Prinzen in einem kleinen Salon, den man noch nicht zerstört hatte. Fernher hörte man dann und wann die Geräusche des Aufbruchs. Aber der Herbststurm in den alten Bäumen draußen war stärker, und es ging alles in ihm verloren. Ein kleines Feuer zuckte im offenen Kamin, konnte aber nicht recht froh werden. Die Schatten der Dämmerung schienen es von außen her zu ängstigen, und die beiden Menschen waren ein Teil dieser Schatten.

Der Prinz fragte: »Sie lieben Ihre Mutter?«

Pause.

»Ich liebe sie, – weil sie nicht meine Mutter ist . . .«, sagte die junge Fürstin einfach; und es war etwas sehr Rührendes in diesem Vertrauen.

»Ihre Mutter ist tot?«

Helene senkte den Kopf.

Pause.

Plötzlich sagte der junge Mann: »Können Sie mir verzeihen, Helene?«

Helene nickte langsam, nachdenklich.

»Sie sagen ja? Wissen Sie denn, was Sie mir verzeihen sollen?«

»Nein. Aber ich antworte auf Ihre Frage. Ich kann Ihnen Alles verzeihen.«

Der junge Mann erhob sich sehr rasch und machte eine ungeduldige, heftige Bewegung mit der Hand nach dem Halse hin und indem er den Kopf zurückwarf: ». . . kein Prinz . . . ich . . . bin kein . . . kein . . . kein Edelmann, . . . ich bin . . . ich . . . ich bin arm, . . . sehr arm . . .« schloß er rasch, hart, unfähig seinen Namen zu nennen.

Die Fürstin schien nicht erstaunt oder erschrocken. Sie wandte sich wie zu einem Kinde: »Warum beunruhigen Sie sich? Setzen Sie sich. Sprechen Sie mir von Ihrer Heimat, die gehört Ihnen doch; Ihnen gehört ja so viel

Da berührte er ihre Hand, die sie ihm eine Weile ließ, leicht mit den noch vom Geständnis zitternden Lippen und empfand, wie diese Berührung ihm einen neuen Adel verlieh.

Als die Herzogin bei den beiden jungen Menschen eintrat, geschahs mit den Worten: »Nun wird es Ernst. Morgen, mit dem ersten Licht, sind wir unterwegs. Wir müssen Abschied nehmen. Wohin gehen Sie, Prinz?«

Der Prinz erhob sich: »Ich habe die Fürstin Helene eben gebeten, mir zu gewähren, mit Ihnen zu reisen . . .«

»Und ich sehe, du hast es erlaubt –«, lächelte die Herzogin und küßte ihrer Tochter die Stirne.

Später trat auch die Fürstin Sylva-Valtara ein. Sie fürchtete sich überall und lief aus einem Zimmer ins andere. Auch in dem kleinen Salon fand sie es unheimlich; man rief nach Licht. Aber man mußte warten.

Alle erschraken, als Graf Alma plötzlich unter ihnen stand, ganz in Waffen. Als jemand darüber lachte, sagte er heiser: »Ich bin schon zur Reise bereit.«

Endlich hörte man nebenan Schritte. Der Prinz ging auf die Türe zu, um die Diener mit den Lampen hereinzulassen; es waren viele Schritte zu unterscheiden: man hatte viel Licht befohlen. Die Tür sprang auf, wildes Licht aus offenen Fackeln blendete den Prinzen, und er fühlte einen Stoß und Schmerz an der linken Schulter. Er taumelte. Aber im nächsten Augenblick stand er mit dem Degen den Hereinstürmenden entgegen. Graf Alma neben ihm. Eine ungeheure Wachheit war in ihnen. Ihre Namen und ihre Kleider rissen sie mit. Sie fochten furchtbar. Der Adel eines alten Königreichs hätte nicht stolzer fallen können. Die Übermacht bewältigte sie. Der Graf starb zuerst. Aus sieben Wunden strömte das Leben des Prinzen. Sterbend suchte sein Auge Helenen. Sie war nicht mehr im Salon; auch die anderen Frauen waren geflohen, so schien es. Die Horde drang johlend vor. Jetzt erschien Simeon an der Spitze; er meinte keinen Widerstand mehr befürchten zu müssen. In einem engen dunklen Gang stieß er auf ein Bündel Kleider. Das war die Frau Fürstin von Sylva-Valtara. Er erwürgte sie im Vorübergehen.

Indessen suchte die Herzogin Helenen im großen Saal, als man dort eindrang. Simeon sprang auf sie zu, aber er zögerte.

»Gebt die Fürstin Helene heraus!« schrie sie und streckte ihm eine Klinge, ganz aus Mondlicht, entgegen, die ihn an der Hand verwundete.

Simeon brüllte auf: »Bist du ein Mann?« und erschlug sie mit einem Gewehrkolben. Dann hob er sie auf – sie war leicht wie ein Kind – und warf sie aus dem breiten Bogenfenster ins Schwarze, in den Hof.

Gleich darauf fuhr der große Reisewagen vor. Die Horde im Schloß hatte sich auf die Kisten gestürzt und plünderte. Jemand hatte auch noch Wein im Keller entdeckt: darauf hatte Simeon gerechnet. Er trug einen großen Mantel, darunter das schwarze Kammerherrnkleid des Grafen Alma. Die Pässe staken darin. Vor ihm stieg Aurora ein, stark verhüllt, aber mit Ringen an den unbehandschuhten Händen. Auf den Sitz gegenüber hob ein Diener eine weiße, verschleierte, schlafende oder bewußtlose Person.

Als der Wagen sich schon in Bewegung setzte, sprang noch jemand hinzu und schmiegte sich in den Rücksitz. Simeon erkannte ihn nicht gleich. Aber da schob sich das Gesicht vor und eine Stimme sagte kalt und klar: »Frau Herzogin –«. Es war der Abbé.

Man schwieg. Es war kalt und unheimlich im Wagen. Von irgendwo fielen Lichter herein und glitten wie irre Gedanken über die Gesichter. Aurora zitterte. Plötzlich fragte sie flüsternd: »Wer ist das?« Sie zeigte mit dem Finger auf die weiße, verhüllte Gestalt. Simeon lachte: »Deine Tochter künftig, Frau Herzogin.«

Da nahm der Abbé den Schleier fort, und wie mit eigenem bleichen Licht hob sich aus dem Hintergrund Helenens schwer schlafendes Gesicht. Und gleich darauf erwachte sie aus der Betäubung, nach kurzem Kampf gingen die Lider auf, und die Augen, die nicht mehr staunen konnten, ergossen fremde Hoheit und Traurigkeit.

Simeon aber und sein Weib krochen zusammen wie abgestrafte Hunde und wußten auf einmal: Diese hier ist doch eine Fürstin.


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