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Hochzeit.

Die Sonne hat ihre größten, ihre hellsten Johannisfeuer angezündet! Sie strahlt und funkelt zwischen allen Zweigen im Walde und liegt in feurigem Glanz auf der Wiese, wo alle Hochzeitsblumen in voller Blüte stehen.

Auf dem Mäuerchen stehen die Rosen, die roten! Sie haben sich mit ihren blühenden Ranken so in einander verschlungen, daß keiner der Büsche mehr weiß, welches seine eigenen Rosen sind. Aber das tut nichts, denn sie sind alle gleich schön, alle gleich rosenrot.

Wie ein kleiner matter Abglanz davon ziehen sich die Brombeerranken mit ihren bescheidenen, weniger leuchtenden Blütenbüscheln am Rain hin, aber auch sie tun ihr Bestes.

Und unten auf der Wiese lachen alle Margueriten in der Sonne – blendend weiß, bräutlich weiß geschmückt zwischen schwankenden Zittergräsern.

Auf dem kleinen blauen See glitzern und flimmern die lichten Punkte; es ist, als ob eine Reihe kleiner Tränenperlen, die auf dem Grunde gelegen hatten, plötzlich in den Sonnenschein heraufgekommen wären und sich in sorglosem Spiel über die glänzende Fläche ausgebreitet hätten.

Die Lerchen zwitschern, daß es eine Lust ist; man fühlt, sie sind von ihrem eigenen Gesang ganz berauscht; keine kann ihre eigenen Triller mehr von denen der anderen unterscheiden bei all dem sonnenhellen Jubel, der auf der Wiese wogt und schallt.

Dann mischt die Kirchenglocke ihre tiefen Töne darein. Sie kann es nicht aushalten, allein so still und stumm dort oben zu hängen, sie muß ein wenig schwingen und singen, gerade wie alle die andern, und allzu ernst darf sie heute ihre Stimme auch nicht ertönen lassen. Sie läutet zur Hochzeit …

Der ganze Winter ist so sonderbar an Else vorbeigeglitten. Vielleicht weil sie selbst ihrem Ziel so unverrückbar zusteuert, sieht sie alles andere nur wie im Vorüberfahren.

Pauls Besuch – wo Vater so wohlwollend ruhig war, daß Paul etwas unsicher wurde, weil die Haltung, die er sich selbst vorgenommen hatte, gar nicht recht paßte.

Es ist beinahe gut, daß es so schnell vorüberglitt – in die Heimat hier kann Paul nicht hineingeschoben werden.

Die zwei Monate im Frühling, die sie in Kopenhagen zubrachte, wo sie so viel mit Paul zusammen war, und bei Vaters alter Tante Bodil wohnte, die immer »mein Mädchen« sagt und so recht nach der alten Mode praktisch und tüchtig ist; sie hat ihr bei der Aussteuer und bei der Einrichtung der neuen Wohnung geholfen, der hübschen kleinen Wohnung oben in einer Villa, wo zwar zwei Zimmer schräg, die andern zwei aber ganz gerade sind, die einen Altan nach dem Gärtchen hinaus hat, und wo ein Himmel ist, der nicht so beschnipfelt und zerhackt ist, wie sonst in der Stadt.

Ihre Rückreise – mit einem kurzen Aufenthalt bei Onkels. Es ist sonderbar, daß der Onkel Rektor jetzt der Schwiegervater sein soll, aber sie sagt es auch nur, wenn sie daran denkt, und das tut sie nie. Er ist sehr vergnügt, daß Paul so ein liebes Frauchen bekommt – lieb und still – das tut ihm not.

Tante Lulle hat ja Else herzlich lieb – aber Herta hätte doch besser gepaßt. Diese hätte keinen Kinderglauben zu verlieren – und sie ist die Tochter des Amtmanns.

Henny ist sanft bekümmert um Else, deren schwankender Standpunkt jetzt an den Tag gekommen ist. Armer Onkel Jakob! Er hat die Seinigen nicht ganz nachgezogen. Tante Elsbeth war zwar als Mensch außerordentlich süß, aber nicht so recht bekehrt, und jetzt sieht man, wie viel Else noch fehlt. Mit Julius ging es ja auf die Dauer auch nicht. Für Paul ist es bedauerlich, er hatte eben angefangen, sich etwas beeinflussen zu lassen. Aber Elses bißchen Christentum wird er bloß abstreifen, wenn sie glaubt, sie müsse damit herausrücken.

Julius ist gut – wenn er auch bei dem Gedanken, in welche Hände Else kommt, den Kopf schüttelt.

All dies sagen sie natürlich nicht zu Else selbst; sie sind eigentlich ganz besonders lieb gegen sie, nur Mathilde teilt ihr mit, was sie denken.

Mathilde hat den größten Teil des Winters auf dem Sofa verbracht. Die Gemütsbewegungen in Paris kamen für sie sehr ungelegen; aber sie ist geduldig und will nicht darüber gelobt werden.

»Das ist keine Kunst, Else. Alles andere auf der Welt ist doch nur plump und dumm und unwirklich im Vergleich zu diesem. Das nenne ich erleben. Nein, du kannst es nicht verstehen – und es ist auch merkwürdig! Und dann, Liebe, dann liebt man auf eine Weise, wie man es früher gar nicht gewußt hat. Es ist ja etwas Unklares und Eigenliebiges bei all den Gefühlen – aber wenn man die kleine lebendige Bewegung da drinnen fühlt, möchte man vor lauter Zärtlichkeit vergehen. Selbst wird man zu gar nichts, und fühlt sich doch stark wie eine Löwin, weil man ein anderes Leben zu verteidigen hat.«

Nein – was Else nicht versteht, ist nur, daß Mathilde für ihren Mann nicht so gefühlt hat.

»Alles andere mögen sie meinetwegen nehmen – ja, du sollst deshalb doch nicht mit Fritz davonlaufen. Nun, dazu hättest du jetzt wohl gar keine Lust mehr. Höre, ich bereue, was ich an jenem Abend zu dir gesagt habe, es wird mir ganz heiß, wenn ich nur daran denke – –«

»Du hast in einer Glasglocke gesessen und nach einer reinen, feinen Welt ausgeschaut, die in Wirklichkeit gar nicht existiert. Nun sollst du hinaus und dich mit dem Leben herumschlagen – und es ist eben doch grob. Wie wirst du erschrecken, du Kleinchen! Alle Männer sind selbstsüchtig – als Männer an und für sich – aber Paul ist es doppelt, auch noch als er selbst. Und er faßt gewiß hart zu!«

Fritz sagt: »Wenn der Kirchenstürmer jetzt nur die kleine Liebste nicht über den Haufen rennt. Ich müßte eigentlich für sie ein kleineres Klein-Trianon bauen und sie als Nummer zwei haben.«

Ach, was wissen sie alle mit einander!

In der Umgegend erweckt es ziemlich viel Ärgernis und Betrübnis, unter den besser Gesinnten wenigstens, und das macht Vater etwas Kummer. Auch will er nur ungern die Trauung übernehmen.

Aber Hansines Art, die ärgert Else. »Na, du nimmst ihn also doch? Ja, mir ist die Gnade zu teil geworden, nein sagen zu können. Was hat der Gläubige mit dem Ungläubigen zu tun?«

Hansine nahm einen andern, was hat das also zu sagen?

Paul hat nichts gegen eine kirchliche Trauung, um ihretwillen nicht. Aber er würde sich nur ungern von Julius trauen lassen. Deshalb hat Else an den Propst geschrieben.

 

20. Mai.

Lieber Herr Propst!

Würden Sie so gut sein und mich trauen? So ungefähr an Johannis – Mutter zu liebe!

Ich will es Ihnen gerade heraus sagen, ich heirate einen recht bekannten von den sogenannten Freidenkern, deshalb meint Vater, er könne es nicht tun. Und das ist ja von ihm auch ganz richtig.

Aber wollen Sie?

Mutters kleines Elsenkind.

 

Söndersted, 21. Mai.

Ja, ich will so gut sein und der lieben Mutter liebes kleines Elsenkind trauen – sobald es will.

So weit kann der Apfel doch nicht vom Stamm gefallen sein, daß nicht etwas Gutes dabei herauskommen könnte. Mischen wir uns nur ein wenig unter sie – Herz für Herz! Vielleicht ist es gerade das, was ihnen not tut.

Ich denke, so hätte Mutter gesagt; und sie selbst hätte eigentlich den allerkrassesten von ihnen heiraten müssen, sie hätte ihn zum Herrn hingeliebt.

Mutters alter Freund.

P. S. Es freut mich zu sehen, daß Vater keinen Rechtsfall daraus macht. Der oberste Gerichtshof hätte ihm doch wohl kaum recht gegeben.


Alles ist an ihr vorbeigeglitten, sie sitzt am letzten Abend mit Vater im Gartenzimmer, und die Wehmut der hellen Nacht schleicht leise zur Tür herein. Mutter sagte, Südländer kennten die Wehmut nicht, weil sie keine hellen Nächte hätten … Ach Mutter!

»Else, paß wohl auf, daß du die Stunden im Kämmerlein nicht aufgibst. Und auch den Kirchenbesuch nicht, das Leben braucht Nahrung. Schreib, so oft du Lust hast, und komme, so oft du kannst.«

»Wenn nur jemand bei dir wäre, Vater! Jemand, der viel besser für dich paßt als ich. Ich habe dir nie so recht etwas sein können.«

Vater streicht ihr übers Haar. »Nein – denn das kann niemand; der Fehler liegt an mir. Ich lebe zu wenig in der Wirklichkeit. Diese ist eben für mich verpflanzt worden. Sie hat sie mitgenommen – ich kann ja wohl meine Arbeit hier tun, aber ins Leben hinaus kann ich nicht mehr … Und ich möchte es auch nicht. – Aber ich werde dich vermissen, Else. Man ist mehr an die äußeren Kleinigkeiten gebunden, als man ahnt.« Er hält inne, und ein Lächeln spielt um seinen Mund. »Du freilich bist keine Kleinigkeit.«

»Nicht viel mehr, Vater.«

»Aber mein Kind selbst behalte ich ja. Nur ihr stilles Walten soll ich missen. Gib acht, daß du nicht feig wirst mit deinem Christentum. Schweigen tötet nicht, das kann oft ganz gut sein, aber Feigheit, und vergiß nicht –«

»Ach Vater, ich soll so vieles, es könnte mir ganz angst werden, wenn ich nicht –«

»Wenn du nicht –«

»Wenn ich nicht wüßte, daß mir einer hilft.«

Vater küßt sie auf die Stirn. »Liebe Else … Ja, nur einer weiß, ob du recht tust. Aber ich verspreche dir, daß ich nie urteilen will, selbst wenn die guten Resultate sich nicht zeigen sollten.«

Ach nein, nein, denn das werden sie sich ja nie! Im tiefsten Innern – verborgen und spurlos ist ihr Weg. Den Grund bereiten, sonst nichts, für das, was nicht von ihr kommen wird, was nie ihr zugeschrieben werden soll – –

– Die Sonne ersteht in all ihrer Pracht am dreiundzwanzigsten Juni. Überall ist Hochzeitsseite bis ans Ende der Welt. Den ganzen Vormittag ist Else draußen gewesen – auf der Wiese, im Haselnußgang, auf dem Hügel – um alles noch einmal recht in ihr Herz zu schließen. Aber sie hat dasselbe Gefühl wie den ganzen Winter hindurch, daß alles an ihr vorbeigleitet.

Nicht das Grab. Nein, da steht alles still. Sie hat es ganz bedeckt mit Margueriten; sie will die andern noch daran erinnern, daß sie sie morgen früh alle wegnehmen, heute aber soll es weiß sein wie sie selbst.

Aber wie kann man trauern, wenn man so glücklich ist! So grenzenlos trauern – gerade wenn man am allerglücklichsten ist?

Es ist gut, daß es heute so still ist, ganz still. Nur Vater und Onkel Rektor gehen mit in die Kirche, Tante Lulle kommt vielleicht zum Essen. Sie ist bei Mathilde, die vor zwei Tagen ein winzig kleines Mädchen bekommen hat und sehr schwach, aber strahlend glücklich ist.

Else hätte das Brautkleid am liebsten allein angezogen – denn das hätte ja Mutter tun sollen – aber Fräulein Mörk hat sich dazu angeboten, als sei es ihr eine besondere Freude. Und es ist wirklich auch ganz gut, wenn man es nicht ganz allein tun muß.

Fräulein Mörk hat in den Häusern, wo sie war, schon viele Bräute geschmückt – die Ärmste! – es überkommt sie eine etwas wehmütige Stimmung, die gut zu Elses paßt.

Der lange weiße Rock ist neu, aber die Taille ist nur umgenäht worden – Mütterchens Hochzeitsblumen müssen an dem Tag dabei sein – um den Hals trägt sie das Perlenhalsband und an ihrem schlanken Finger Pauls Ring. Es ist nur eine Perle darauf, rund und weiß wie die andern. »Die ganze Welt kann ich dir nicht bieten,« schrieb er, »aber in dieser ist mein Herz.«

Ach Paul – ihre ganze Welt hienieden, das ist ja sein Herz!

Der Schleier rieselt weich herab und hüllt sie ein wie in einen leichten Nebel, der Kranz sitzt schön, wie es sein soll. Aber wie ungeschickt, daß Fräulein Mörk plötzlich sagt: »Nun sollte Mutter ihr weißes Mädchen sehen können.« Else fürchtet sich so sehr vor den Tränen, die nicht wieder versiegen würden – wie an Mutters Begräbnis.

Wie an jenem Tag gleitet alles an ihr vorüber – wogend – zurückweichend.

Vater tritt im Ornat ein, Else zu holen. Die andern sind zum Gabelfrühstück gekommen – aber sie hat niemand gesehen – und sie sind schon in der Kirche. Am Arm des Vaters tritt Else hinaus in den von Sonnenschein überfluteten Garten, wo die Vögel zwitschern. Sie gehen durch die Kirchhofpforte und verweilen einen Augenblick an dem weißen Grab – – – Ach Vater!

Goldener Sonnenschein auch in der Kirche, die mit Margueriten geschmückt ist. Paul erwartet Else am Altar. »Es winket der Weg, wie die Wiese im Mai,« scheint es um sie her zu singen. Sie erlebt es alles noch einmal. Es ist nicht neu und fremd – sondern lieb und vertraut.

Der Propst steht am Altar mit seinem schönen, von Güte strahlenden Gesicht, und er spricht: »Isaak geht hinaus in die Abendkühle, um zu beten, und Rebekka kommt herbei … Er führt sie in das Zelt seiner Mutter – und wird über seiner Mutter getröstet …

Ein Zelt, wo der Trost wohnt, wo das Geheimnis und die Heilkraft des Lebens wohnen – da kann die rechte Ehe gedeihen! Und das Glück hängt davon ab, daß man den Weg dahin findet.«

Er hofft, sie werden das Beste erfahren, was die Ehe hat, denn etwas gibt es trotzdem, was sie nicht hat, und darnach sehnt man sich vielleicht um so tiefer, wenn man alles, was sie zu geben vermag, gekostet hat.

Ein größeres, ein weißeres Zelt ist errichtet, mit einem heiligeren Geheimnis, einer stärkeren Heilkraft, mit Trost für den Verlust, der uns allen bevorsteht, für den Tod. Und das Leben hängt davon ab, daß man den Weg dahin finde.

Wie sonderbar, daß sie auf die Frage, ob sie Paul zum Mann haben wolle, antworten soll!

Er kniet mit ihr auf das Altarkissen nieder. Ach, das ist etwas, was in der Wirklichkeit eigentlich noch gar nicht geschieht, etwas, was weit, weit in der Zukunft liegt, etwas, was nur in ihren heimlichsten Gebeten stattfindet, aber was sie in einem einzigen ahnungsvollen Augenblick hervorschimmern sehen darf!

Der Propst segnet sie: »Vater unser« – die vielen Hände fassen an und ergreifen die ihrige –

Sie darf – sie darf bei Paul nicht unterbrochen werden, die große Kette. Nein, das darf nicht geschehen. Unter dem Schleier gleitet ihre Hand in die seinige hinein … Er wird sie nicht zurückstoßen … Nein, er faßt sie, mit starkem, festem Druck – denn er liebt sie … aber seine andere Hand – – Da, in demselben Augenblick ist es ihr, als werde diese von Mutter ergriffen – von Mutter, mit jenem Ausdruck in ihrem Antlitz, dem niemand widerstehen konnte, mit dem Antlitz, in dem das menschlichste Lächeln strahlt. Und die Kette schließt sich um die ganze Welt herum – über sie hinauf – und die Kette hält – sie hält –

Ist sie verheiratet? Ist etwas verändert gegen vorher – als Paul jetzt ihren Arm nimmt und sich neben sie setzt?

O nein – an jenem Tag im Haselnußgang, da haben ihre Herzen Hochzeit gehalten – in ihren zusammengelegten Händen. Oder vielleicht noch mehr an jenem Abend, wo sie die Hochzeitsblumen trug und sein Arm sie umfing! Oder vielleicht einmal, noch viel früher, woran sie sich gar nicht mehr erinnern kann. Mit Paul verheiratet – es ist ihr, als sei sie das immer gewesen. Es ist nichts anders geworden.

Wie viele Gesichter sind da, als sie mit Paul durch die Kirche geht – sie sah sie vorher nicht – gerührte, freundliche, bedenkliche Gesichter, aber lauter gleich wohlmeinende.

Sie gleiten vorbei – und die Heimat ist wieder da, festlich still. Marie vergißt nicht, sogleich »gnädige Frau« zu sagen. Es ist gerade, als spiele man »auf Besuch kommen«. Dorthe aber sagt »Else« wie gewöhnlich.

Den Tisch hat Else selbst mit Margueriten geschmückt. Paul unterhält sich gern mit dem Propst, dessen helles frisches Lachen so fröhlich klingt. Aber Tante Lulle möchte ihn ganz für sich haben. »Ja, die milde Verkündigung,« sagt sie, »sie muß es tun, besonders in unsern Tagen.«

Else hat die Speisenfolge ausgewählt: Suppe, Spargelpudding, gebratene Hahnen und Erdbeeren mit Vanilleeis; Dorthe hat alles ausgezeichnet gemacht.

Ist es nicht merkwürdig. Onkel Rektor hat für seine Rede das Wort aus dem Buch Sirach gewählt: »Ein Weib, das schweigen kann, ist eine Gabe Gottes.« Er meint es ja als einen Trost für Else, die so still ist – natürlich – aber trotzdem – –

Auch der Propst hält sich an den alten Sirach, der gesagt hat: »Ein schön Weib, das fromm bleibt, ist wie die helle Lampe auf dem heiligen Leuchter.«

Daß Else hübsch sei, sähen auch andere als Paul, er glaube aber auch – mit einem freundlichen Lächeln zu Else hin – sie werde sicher stets als eine helle Lampe auf einem heiligen Leuchter brennen.

Paul spricht ein wenig trocken und knapp; es ist fast peinlich anzuhören, aber er hat nun einmal diese Gabe nicht.

Vater spricht nur mit ihr, so ernst, daß die Worte fast wie Tränen von seinen Lippen fallen: »Halte, was du hast – –«

– Hinter den Bäumen des Pfarrgartens geht die Sonne unter – die Abendkühle streicht herein – es wird so unaussprechlich – aber der Wagen hält vor der Tür, um das junge Paar nach dem Bahnhof zu führen.

Else hängt an Vaters Hals, sie kann nicht sprechen. Ach, daß Mutter nicht mehr bei ihm ist! Dorthe schleppt immer noch Tücher und dergleichen herbei, die Else gar nicht umnehmen will in dem geschlossenen Wagen.

Dann gleiten die lieben heimatlichen Orte vorbei – vorbei –

Eine einsame Gestalt steht noch da – dunkel hebt sie sich von dem goldenen Abendhimmel ab – die Gestalt dessen, von dem jetzt der letzte Schimmer von Hochzeit wegreist, dem nur die Kirchhofseite geblieben ist. –

Aber das Grab ist für ihn eine lebendig gegenwärtige Hoffnung.

Und die Glocken läuten den Tag zur Ruhe.


Es ist merkwürdig, wenn man die Altantüren öffnet, um die späte Abendkühle hereinzulassen, schlägt einem eine ganze Woge von Lärm entgegen.

»Wie fremd dieser Lärm ist! Daheim – draußen im Pfarrhaus schloß man für die Stille auf.«

Sie stehen mit einander unter der Tür. Die ganze wunderschöne Eisenbahnfahrt, wo Pauls Arm sie umschlungen hielt, während da und dort die Johannisfeuer flammten, war wie eine Fahrt ins Märchenland gewesen.

Er sieht sie von der Seite an. »Kommt es dir nicht noch fremder vor, daß ich hier bin?«

Doch, sie hat eben auch daran gedacht. Wie merkwürdig ist es!

Sie tritt an den Tisch, wo Pakete, Telegramme und Briefe liegen. Sie nimmt ein paar Briefe in die Hand, läßt sie aber wieder fallen. »Wir lesen sie heute abend nicht mehr, nicht wahr? Sie machen Geräusch.«

In der einen Ecke neben dem Altan steht Mutters Schreibtisch mit den Bildern darüber, die dazu gehörten, auch das von dem guten Hirten, sowie das große von Mutter, das Vater Else geschenkt hat. Dies ist ein kleiner Winkel von der Heimat draußen.

Sie tritt an den Schreibtisch hin und riecht an den Rosen. »Hier sollen immer Blumen stehen – oder grüne Zweige. Kann man hier in Kopenhagen leicht Blumen bekommen?«

»Ja – ich glaube, auf dem Markt. Und du findest gewiß auch eine Frau an einer Straßenecke.«

»Glaubst du?«

Sie geht umher und berührt mit leichten, frohen Bewegungen dies und jenes im Zimmer. Sie hätte alles küssen mögen!

»Eine Frau an einer Straßenecke – das sagst du so komisch.« Er folgt ihr von seinem Platz aus mit den Augen und denkt mehr und mehr, wie unverantwortlich es doch sei –

»Ein großes Bild von dir, Paul, fehlt mir noch.«

»Else, setz dich hier ein wenig zu mir. Ich möchte dir etwas sagen.«

Einen Augenblick zögert sie und sieht nur zu ihm hinüber, sie kommt auch nicht gleich, nein. O man sollte es noch ein wenig fern halten, es noch ein wenig mit sich herumtragen, ehe man in sein Herz hineingreift, tief hinein, und es dem andern mit beiden Händen darreicht und sagt: »Hier – hier –«

Dann schwebt sie leicht wie ein Vögelchen zu ihm hin und setzt sich auf die Armlehne neben ihm.

»Was ist es?« fragt sie, ihre Hand auf sein Haar legend.

Er sieht sie an. »Ich weiß nicht – nein, nichts. Ich wollte dich nur ganz nahe haben, du warst so weit weg.«

Ihre Hand umschlingt seinen Hals. »Was ist es, Paul?«

Er legt seine Hand auf die ihrige. »Jungfrau Else!«

»Ach ja – was tun wir nur mit ihr?«

»Mit wem?«

»Mit der Jungfrau Else. Jetzt ist sie verheiratet und heimgeführt und eine Frau geworden; aber du hast ja nur sie geliebt, meinst du da nicht, Paul, wir sollten sie noch ein Weilchen bei uns weilen lassen?«

Sie glaubt zu bemerken, daß die Falte auf seiner Stirn sich zu zeigen droht – wie schon mehrere Male am Tage.

Er schaut zu Boden, als wisse er nicht recht, wie anfangen. Dann kommt es – etwas kurz und stoßweise. »Du glaubst freilich, du liebest mich …. Ich aber habe es eigentlich nie geglaubt. Es ist etwas spät, daß ich es sage – allerdings. Aber ich wollte dich erst haben.«

Er hält noch immer ihre Hand an seinem Hals fest und fühlt, daß sie unter dem heftigen Klopfen seiner Schlagadern bebt.

»Ja gewiß bist du lieb gegen mich gewesen – unaussprechlich lieb. Aber du hast keinen Begriff von Frauenliebe, du ahnst gar nicht, daß es eine solche gibt. Du hängst einem am Hals wie ein Kind, das in einem Atem weint und lacht. Du gibst dich hin wie ein Kind – was anderes kennst du nicht.

Ich habe immer gesagt, daß es verkehrt, feig und gemein sei – – eine Frau zu heiraten, die sich nicht ganz selbst bewußt sei – klar über ihr Gefühl, ganz wissend über das, was sie zu geben habe – und geben wolle …. Und jetzt habe ich es doch selbst getan.«

Sie sitzt unbeweglich. Er hält ihre Hand, als habe er Angst, diese werde von seinem Hals weggleiten.

»Und ich kann mich nicht einmal damit entschuldigen, daß ich die plumpe Auffassung der andern teile, daß da, wo eine Frau einmal hingesetzt worden ist, da werde sie sich schon zurechtfinden. Ich fürchte im Gegenteil, daß sich deine Frauenliebe – im selben Augenblick, wo sie geweckt wird – von mir abwenden wird.«

Er zieht ihre Hand ein wenig vor und legt sie an seine Lippen.

»Ist es dir immer so gewesen, Paul?«

Er schaut sie an. »Wie?«

»So, daß du dachtest, niemand könne dich lieb haben? Denn daher allein kommt das!«

»Ja, gewissermaßen, im Grunde ja. Schon als Knabe ist es mir so gegangen. Ich dachte immer, niemand könne mich von Herzen lieb haben – nicht weil ich schlimmer gewesen wäre als andere, sondern nur weil ich es war. Meiner Mutter ist es gerade so gegangen. Großmutter hat es mir erzählt. Als sie heiratete, sagte sie: ›Das hält nicht, es kann nicht vorhalten!‹ Und als sie am Sterben war, sagte sie: ›Das ist besser, als in den Herzen der andern zu sterben, und das wäre doch geschehen.‹ Sie hatte eine unglückliche Liebe gehabt – viel früher –«

»Die Ärmste!« Else denkt daran, wie ganz anders es bei Mutter gewesen war. Wie glücklich sicher war sie doch immer gewesen, daß andere sie lieb hatten!

»Ich habe mir keine Mühe gegeben, mich den andern angenehm zu machen, sie zu gewinnen, ja ich war eher rücksichtsloser gegen sie, als ich es von Natur bin, oft viel härter und kürzer angebunden, als ich es selbst wollte, denn –«

»Denn wenn andere dich nicht lieb hatten, dachtest du: Nach dem, was sie bei mir sehen, ist es ganz begreiflich, aber in Wirklichkeit bin ich gar nicht so. Und das war dir eigentlich ein Trost, nicht wahr, Paul?«

»Ja, aber ein recht schlechter. Denn ich war fest überzeugt, wenn ich mich so gezeigt hätte, wie ich wirklich bin, dann hätten sie mich noch weniger leiden können. Ich habe etwas an mir, was die andern zurückstößt, oder was sie nicht anzieht. Einmal hatte ich eine Art Freund – ihn nahm mir die Mission. Sonst wäre er wohl selbst gegangen. Daß man als Mann Leidenschaften erregen kann, das rechne ich nicht. Das hat im Grunde sehr wenig mit dem Gefühl zu tun – wenn es einen auch dazu verführen kann, sich Hals über Kopf hineinzustürzen – weil es die stärkste Illusion von Liebe hervorruft.«

»Und darnach hast du dich gesehnt?«

»Ja. Es war wie ein Durst – ein Durst, der das ganze Herz verbrannte. Ich habe mich nach einer grenzenlosen Liebe gesehnt – nach einer von der innigsten Hingabe und dem tiefsten Verständnis beseelten Liebe. Ich bin ja wohl unvernünftig in meinen Forderungen, aber ich habe auch nie jemand gefunden, der sie hätte befriedigen wollen.«

Wieder zieht er ihre Hand an seine Lippen. »Im Haselnußgang – auf der Wiese, damals war mir, als hätte ich das gefunden, wonach ich gedürstet hatte, natürlich unbewußt und tastend, wie es bei einem ganz unerfahrenen kleinen Mädchen sein mußte. Aber es war trotzdem ein Wollen in dem Gefühl, etwas von dem Willen, der im Feuer gehärtet ist.

Dann kam deine Absage, und da wußte ich gleich, daß nicht dein Glaube zu stark war, wohl aber dein Gefühl zu schwach. Ich konnte dich eben auch nicht an mich fesseln. Und dann, dann wolltest du den, für den du nun einmal in all deiner Kindlichkeit schwärmtest und dem du gut gesinnt warst, doch wohl eigentlich bekehren oder auch nur heiraten. Aber eine richtige Liebe ist das nicht, oder es braucht es jedenfalls nicht zu sein. Verlobung ist ja wie ein Spiel außerhalb, das geht schon noch. Aber wenn du nun das Leben in seiner ganzen Wirklichkeit kennen lernen sollst, wenn du mein richtiges Gesicht zu sehen bekommst, dann wird dir angst werden und du entfliehst – das weiß ich – in dich selbst hinein. Und da wirst du bleiben mit allem, was du weißt, und nur Widerwillen gegen mich empfinden. Es mißlingt mir, so oft ich einen Menschen an mein Herz nehmen will. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber es mißlingt mir.«

Er legt plötzlich die Arme um sie und läßt den Kopf in ihren Schoß sinken. »Es mißlingt mir, Jungfrau Else!«

Ganz sanft löst sie sich aus seinen Armen, hebt mit behutsamen Händen seinen Kopf und steht auf. Weiß und schlank steht sie vor ihm.

»Jetzt will ich dir Antwort geben, Paul.«

Im tiefsten Innern ist es ihm, als ob bei dem Klang ihrer Stimme etwas Dunkles, Gequältes, Scheues zu lächeln beginne!

»Alles, was du mir da sagst, ist nichts Neues für mich. – Ich habe es mir selbst gedacht. Und das, was ich nicht dachte, wußte ich doch. Aber du hast nicht viel Begriff von dem, was ich fühle. Ich habe meine Gefühle nicht so in Fächer eingeteilt; aber wenn ich dich durchaus in einer bestimmten Weise lieben soll, dann tue ich es jedenfalls nicht in der eines Kindes, und durchaus nicht tastend, sondern viel eher so wie eine Mutter.«

Wie eine Mutter. Das Lächeln in seinem Innern ist am Hervorbrechen. Sie sagt es mit unerschütterlichem Ernst.

»Aber wie gesagt, ich liebe nicht so oder so. Ich liebe dich mit allem, was ich an Gefühl in mir trage. Erklären kann ich es nicht – du mußt es versuchen. Versuch es, Paul – dann wirst du etwas mehr davon erfahren, wie ich dich liebe.«

Er macht eine Bewegung auf sie zu. »Nein, laß mich ausreden. Dann sagst du wie Mathilde, es werde schrecklich für mich sein, denn das Leben sei so grob.«

»Mathilde! Was hat sie sich da hineinzumischen?«

»Sie meinte, ich kenne nur eine hübsche kleine Welt – die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sei. Mir scheint, du denkst ebenso. Aber die Welt, von der ich am meisten weiß, die ist in mir selbst. Diese ist wirklich da, und sie ist weder klein noch hübsch. Die Welt aber, mit der ich es jetzt zu tun bekomme, die ist das Leben mit dir zusammen, ist die Heimat hier, und diese kann mich wirklich nicht erschrecken.«

Sie beugt sich zu ihm. »Doch da ist noch etwas, das von deinem wahren Gesicht, das du mir hättest zeigen müssen, und wie schlimm es ist, daß du mich bekommen hast, ohne das getan zu haben. Du kannst ganz ruhig sein, niemand kann mich weiter bringen, als ich selbst will. Das habe ich von Mutter. Von außen lassen wir uns nicht zwingen. Ich bin hier – nicht weil du willst, sondern weil ich selbst will.«

Er sieht sie unverwandt an. Weiß und jungfräulich und wehrlos, und doch vollkommen sicher.

Dann umschlingen plötzlich ihre beiden Arme seinen Kopf und drücken ihn an ihre Brust.

»Paul, ach Paul! Meinst du, ich kenne dein wahres Gesicht nicht! O ich kenne es, kenne es durch und durch. Ich kenne es viel besser als du, denn du kannst es nicht so lieb haben wie ich. Und wie man liebt, so kennt man auch. Ach, was ist denn all das Dumme und Häßliche, von dem du sprichst? Nein, nein, es ist alles nur herzensgut, nur so lieb. – Ach, aber es ist töricht, Paul –«

Seine Hände umschlingen ihre schlanke Gestalt. »Ja ja!« – Er preßt sein Gesicht auf das ihrige, – »Aber verstehst du nicht – ich liebe dich so grenzenlos, so hilflos abhängig – ich sehne mich so glühend nach deiner Liebe. Und doch ergreift es mich fast wie Todesangst, wenn ich denke, es könnte auch nur ein Schatten von Abneigung zwischen uns treten –«

Sie lächelt ganz schwach.

»Ja, vor etwas habe ich Angst, Paul, vor etwas fürchte ich mich.«

»Was ist es, Jungfrau Else? Sag es, sage mir's!«

Dicht an seinem Herzen hört er sie flüstern – er weiß nicht, hört er oder fühlt er nur.

»Ich habe mich gesehnt – o – gerade wie du, Paul! Aber nicht darnach, daß jemand mich lieb haben sollte, nein, sondern darnach, jemand selbst so recht grenzenlos lieb haben zu dürfen. Mutter gab immer und immer, Vater brauchte auch so wenig; ich aber ging umher mit einer Masse Liebe, für die ich keine Verwendung hatte. Und ich sehnte mich – sehnte mich unsäglich – nach jemand, der zu mir käme mit einem endlosen Drang, einem unersättlichen Durst, einer gähnenden Leere, in die hinein ich immerfort alle meine Liebe werfen könnte. Und dieser Jemand warst du, Paul, nicht wahr?«

Seine Lippen ruhen auf ihrer Stirn. Sie fühlt, daß er sie bewegt – aber er spricht nicht.

»Ach Paul! Daß du kamst, dafür kann ich dir niemals so danken, wie ich es gerne möchte. Aber jetzt fürchte ich … Du bist ja so rücksichtsvoll, so gut – ja wohl, das bist du, Paul – so besorgt um mich, daß du wohl auf den Gedanken kommen könntest, gleichsam etwas von deinem großen Drang von mir fern zu halten, weil du denkst: Nein, damit kann ich ihr nicht kommen, dahin kann ich sie nicht mitnehmen, das soll sie nicht sehen – oder dergleichen. Und das wäre am schlimmsten, nicht für dich, sondern für mich. Deshalb sage ich: Mir gegenüber, Paul, sollst du immer nur an dich selbst denken und auf nichts anderes Rücksicht nehmen als auf das, wonach du dich sehnst, oder was du brauchst. – Nein, höre mich an! Denn dann nimmst du gerade die allergrößte Rücksicht auf mich. Ich will alles wissen, alles teilen, alles sein, was ein Mensch nur kann. Und dann, dann wird es doch immer noch nicht genug sein für mein Verlangen. Ich werde dann noch immer sagen: Sonst nichts, sonst nichts? … Denk daran, Paul, niemals genug – – niemals, niemals genug, das ist mein Wort für dich.«

Der Griff seiner Hände um ihren Kopf, der Druck seiner Lippen auf ihrer Stirn sind heftig wie im Schmerz, aber er sagt kein Wort.

»Woher hast du das alles?« flüstern seine Lippen auf den ihrigen. »Woher hast du das? Ich habe nie gewußt, daß das möglich wäre – so viel konnte ich nicht erwarten! Wer hat dich gelehrt, so auf meine Gedanken einzugehen, so meinen armen, einsamen brennenden Durst zu verstehen? – Dies ist wie Quellwasser – wie Quellwasser.«

Sie wendet den Kopf und sieht ihn an – Tränen stehen in seinen Augen.

Und da – weil sie ihn viel mehr liebt als sich selbst, ihn liebt mit der starken bewußten Hingabe, mit der großen opferwilligen Freude, da erkennt sie mit jäh aufsteigendem Schmerz, daß sie ihm in seinem tiefsten Innern, auf dem tiefsten dunkelsten Grunde seiner Seele, wo er schuldig, zum Tode verurteilt ist, nicht nahe sein kann.

Da kann sie ihn nicht loskaufen, nicht schuldlos, nicht lebendig machen, nicht mit all ihrem roten Herzblut, das ihm gehört bis zum letzten warmen Tropfen!

An seinem Herzen bricht sie in Tränen aus. Ach, wie betrübt kann man sein, wenn man glücklich ist – so bis zum Tode betrübt, gerade weil man seine eigene Freude nicht zu fassen vermag!

»Weinst du – weinst du, Else? Geliebte, Geliebte, was hast du?«

»Nichts, als daß ich dich liebe – o, ich liebe dich!«


In dem weißen Schlafzimmer ist sie einen Augenblick allein beim matten Ampelschein.

Die meisten Sachen aus ihrem eigenen Mädchenstübchen im Pfarrhaus sind hierhergeschafft und hinter dem weißen Bettschirm auf ihrer Seite des Zimmers aufgestellt worden. Auch das Kruzifix von Mutters Reise nach Rom hängt da.

Das Brautkleid und den wallenden Schleier hat sie abgelegt. Den Kranz ließ sie sich von Paul abnehmen, und sie sagte dabei, er solle ihn für »Jungfrau Else« aufbewahren, damit er ihn immer für sie bereit habe.

Ihr langes, weiches Haar hat sie für die Nacht eingeflochten, und jetzt sitzt sie ganz still da, den Blick auf ihre gefalteten Hände gerichtet.

Beten – ach, wie sehnt sie sich darnach!

Ja – aber wie soll sie es in Worten ausdrücken? Sie weiß so wenig – sie fühlt so grenzenlos.

Es war ja immer geheim gewesen, ihr eigenes Gebet – heute abend ist es ganz unaussprechlich geworden.

Beten – daß es gelinge! Daß all das, was ihre Frauenhände aus der Tiefe ihrer Liebe ihm reichen können, von seinem Herzen angenommen und dadurch nur eine, eine einzige Ahnung von etwas Höherem erweckt werden könnte!

Nein, sie kann es nicht in Worte kleiden. Nicht, wie sie es meint, nicht, wie sie es fühlt! Ihr Gebet für ihn – das muß ohne Worte bleiben.

Sein Name – von der tiefsten bebenden Innigkeit ihres klopfenden Herzens dargebracht – das ist wie ein einziges Hingeben ihres Lebens für ihn –

– – Schmal und still, zwischen schwarzen, sonnverbrannten Ebenen gleitet der Fluß durch die Nacht dahin – –

Die blanke Fläche kräuselt sich schwach wie von unbewußter Sehnsucht.

Ein Rauschen wie von großen Schwingen geht durch die Dunkelheit.

Ist es ein Vogel, der über den Fluß hinstreicht?

Oder ist es – –


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