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Eine niedersächsische Legende.
»Jüh! Hotteweg! Verflixt noch mal, ick hau dick den Brägen (Gehirn) in! – Nee, so'n Slöks, wudde woll, aeha, ole Spaddelfritze! Höllenküken, segg ick, nich so hippelig! – Nanu, wat denn: nöhlig nu as 'ne olle Üze (Kröte)? Olle Kracke, olle Zicke, dat du de Krenke kriegst, ick mak dick dod: is't tau glöwen, still staht dat Schinneraas, ganz van sülwen, wohrhaftigen Gott, hei is obsternatsch. hei will nich mehr!«
Wittsnut denkt: »i, schimpf du man,« bleibt stehen und ruht sich die Füße aus, bedächtig einen nach dem andern, er schwänzelt, prustet, schnuppert am Boden herum und rupft sich ein paar Hälmchen. Wittsnut weiß: 's ist lange nicht so schlimm gemeint, das Geschimpfe, als es klingt, und ja auch noch kein Haar ist ihm bis jetzt gekrümmt worden.
Sein gottlästerlich Fluchen hält den alten Knecht mit der Weltordnung im Gleichgewicht. Das ist nun einmal so. Wittsnut weiß das, zwischendurch aber sich mal ein bißchen verjappen beim Pflügen, das kann seiner Meinung nach ihnen beiden nichts schaden, weder Pferd noch Knecht. 39
Und Jürnhinnerk kommt denn auch immer bald zur Einsicht; er hockt sich nieder auf die Pflugschar, reibt sich den Buckel und die müden Beine, und er klopft aus, stopft und pinkert sich den Piepenbrösel in Brand. Aber nur ein paar Züge – gleich rasselt er wieder los.
Man kennt den wunderlichen Fluchebold, und selten nur bleibt noch mal einer vom Dorfe am Raine kopfschüttelnd stehen und hört dem Jürnhinnerk eine Weile zu. –
Die Sonne ist im Versinken. Glanzübergossen das frischgepflügte Land, jede Scholle, jedes Steinchen blinkt wie eitel güldenes Geschmeide. Und die Brust labt der würzige Erddunst. Leise senkt der Herbstabend sich hernieder. Still ist's geworden in Feld und Moor und feierlich, wie beim Segen in der Kirche. Kein Laut. Nur ein Rebhahn schrillt in der Ferne seinen Lockruf.
Jürnhinnerk hat ausgeschmökt und rappelt sich wieder empor: »Jüh, Wittsnut, Herrgottseindunner –«
Da tut's einen Ruck, daß ihm die Beine einknicken. Ein erhabener Greis steht vor Jürnhinnerk. Sehr ehrwürdig anzuschauen. Schön gepflegtes Silberhaar ringelt sich ihm in eins vom Scheitel, von Wangen und Kinn bis tief herab auf die Brust. Für einen hochwürdigen Herrn Superintendenten könnte man ihn halten.
»Da bin ich, Jürnhinnerk, siehe, du hast gerufen!« 40
Das Knechtlein aber ist ein pfiffig Lork und sehr mißtrauisch, und es läßt sich nicht verblüffen. Schnell faßt sich's darum, räuspert sich und spricht: »Wat, du unse Herrgott? I wo, wer't glöwt! Trau einer einen hüttaudage. Dat is nu man nich mehr so as in de Bibel, as in olen Tieden: gah 'rum un griep tau un plück aff un sett dick dahl un hal 'ne Predigt. Jeja, jeja, dat is hüt anners. Ick kenn de Welt, ick bün up't Bremer Freimark west.«
»So habe denn, du Kleingläubiger, ein Zeichen meiner Allmacht,« antwortet ihm der himmlische Vater, und ein Blitz zuckt, indem er nur eben die Hand rührt. Wittsnut schlägt darob vor Schreck hinten aus, er springt vor und zurück und will durchgehen.
Als das ungebärdige Tier endlich mit Mühe wieder zur Vernunft gebracht ist, rückt Jürnhinnerk die Pudelmütze etwas tiefer, überschattet die Augen und sieht sich den Fremden genauer an, von oben bis unten.
Der aber faßt sich in den Bart und spricht: »Du bist getauft, bist, Jürnhinnerk, konfirmiert, du nennst dich einen Christen. Der du hoffest, dermaleinst selig zu werden und heraufzukommen in den Himmel, stehe mir Rede und Antwort: wie lautet das zweite Gebot? Du sollst beim Namen des Herrn deines Gottes nicht 41 fluchen! Darum, Knecht der Sünde, gehe in dich und handle danach, beim Heil deiner ewigen Seele. Lasse dir's also gesagt sein, noch ist es Zeit.«
Doch verstockt bleibt der alte Knecht: »Min beste Herr, wenn de Deubel kamen dä, süh dat wör all eher glöwen, de Minschheit döggt ja all lange nix mehr. Aewerst du de würkliche un richtige leiwe Gott? Nee, in'n Himmel baben da sitt hei wiß up sinen Thron, süh un wat de Engels sünd, de lütjen, nüdlichen Prallörschens, de singt öm da wat vör in de Wulken un slaht sich mit de Flüttjen den Takt datau. Wat de leiwe Gott is, ick mein, de hat't da baben all gaud, un dat will den ok infallen, hier unnen rumtaustrunzen un sick dabei noch groot wat tau argern aewer unse Sünnen un Missedaten. Min beste Herr, nee, dat will mick nich inlüchten. Ick mein' man, da hat hei ok gar keine Tied nich tau. De hat mehr tau daun, de leiwe Gott. Mit de Weltregierung. Jeja, jeja, man dat all alleene mit de olen grooten Lichters, Sünne un Mahn un dabi nachts de veelen lütjen Lichters noch alle, dat sei richtig up un wedder unnergaht un ok ümmer richtig in de Trajen (Traje = Wagenspur) bliewt. Ja un Wind un Regen un Snei, jeja, jeja, dat ümmer allens in Ordnung tau hollen, och, un dat groote Hagelfatt. Din beten Blitzfüer eben, min beste Herr, so wat könnt sei up'n Bremer 42 Freimark ok. Noch veel mehr. Süh, ick hew dat belewt. As ick noch jung was, da harr ick Freimark mal'n Fäuer Katüffeln hentaufäuern nah Bremen, süh un da heww ick einen seihn, up de Domsheide, de könn noch veel mehr as du, de Muscheblix, de könn dat Füer slangweg freten, jawoll, un labennige Karnickels, up einen Happ, dat ok noch. Min beste Herr, dat sünd so Zauberkünsten, gah du man'n Hus wieter, gah du man henn, wo Johrmark is. Wat, ick sall nu ümmer stumm un dröge achter Wittsnuten de Koppel up un dahl rönnen, ha, un mick sülwen de Munn verbinnen? Nee, min beste Herr, Fluchen un Stöhnen is de halwe Arbeit. Un nu Adjüs ok, mudd nu wedder bi, ick mudd noch söß Mal den Kamp rup.«
Spricht's, wirft die Leite (Zügel) um den Nacken, setzt an, richtet, und: »Komm, Wittsnut, jüh, heiliges Pottskrüzhimmelhagel –« knirscht der Pflug dahin seinen Strich.
Der liebe Gott blickt ihm nach: »Hm, ein bißchen stark, wahrhaftig.« Doch gutmütig über sich selber lächeln muß er nach einer Weile: »Da steh ich nun und bin der Herrgott selber! Aber fange einer was an mit so einem alten störrischen Pferdeknecht. Komische Welt.« Und so wendet er sich, und er verschwindet langsam auf der Landstraße, hinter den Birken. 43
Ein halbunterdrücktes Kichern schallt vom Moore hinter ihm drein. Der Herrgott hört's noch: »Aha, dachte mir's schon.«
Es ist währenddem beträchtlich dunkler geworden. Mit einem Male geht ein unheimlich Flimmern und Schwirren durch die Luft. Die Birkenblätter fangen leise an zu zittern, und an den Fuhren- und Wacholderzweigen sträuben sich die Nadeln. Der Himmel, wo die Sonne gesunken ist, schwelt gelb und grün und blau, wie eitel Schwefel und Phosphor. Und übers Moor kommt's gesaust, in riesigen Froschsprüngen. Nun in einen großen Flachsdöpel plumpst sich's. Taucht alsbald wieder auf ein haarig Scheusal, mit einem Bündel in den Krallen, pallscht im Sumpf herum wie ein Walroß, pruscht und nießt darauf, reckt den Hals, lugt und wittert, bläkt die Zähne und spitzt die abstehenden Ohren. Endlich paddelt's ans Ufer, schraubt sich eins, zwei, drei die Hörner ab und den räudigen Knotenschwanz, die es sorgfältig unter den Rüschen (Binsen) verbirgt. Das Bündel nun geöffnet, behend wie ein Affe, den Höllensegen geflüstert, sich mit Katzenbrägen (Katzengehirn = Hexensalbe) eingerieben und mit Handspiegel, Bürste und Kamm eiligst Putz gemacht. Ganz wie ein Mensch ist es danach zu schauen. Und endlich im Nu hin auf die Koppel, wo Jürnhinnerk pflügt. 44
Als Jürnhinnerk wieder herauf ist und gerade wenden und abfurchen will, plötzlich flätzt sich neben ihm ein Kerl, hager, etwas windschief in den Schultern, mit gradschirmiger Mütze schief auf dem Kopfe, in Krempstiefeln und manchesterner Hose. Weit vor stehen ihm Unterkiefer und Kinn, eine große Happeklappe klafft von einem Ohr zum andern, halbiert von einem wahren Rüssel, haarig und etwas verbogen und dabei in allen Regenbogenfarben schimmernd. In Figur und Gesicht ähnelt er, flüchtig betrachtet, dem Schweinekäufer vom benachbarten Flecken, Wismer mit Namen. Und an den denkt Jürnhinnerk auch, er stößt den Stecken vor und hält an: »Na, Wismer, wat makst du denn hier buten noch so lad (spät)?«
»Ick – i, ick snapp frische Luft.« Und mit dem Daumen über die Schulter deutend, gegenfragt das verkleidete Scheusal: »Segg mal, du, Jürnhinnerk, du, de Ole da baben ehrsten, du, wat woll de van dick?«
»So neischierig, Wismer, wat gaht dat dick an?«
»Hm, ick mein' man –.«
»Hei woll, dat ick mick de Munn verbinnen sall bi't Pläugen, ick käm süß nich in'n Himmel.«
»Döskopp, da wudde dick doch nich an kehren? Haha, da lach du man aewer, du. Nu erst recht! Du weißt alleene Bescheid, 'n Kirl as du, de de Welt kennt! Bliew 45 du man ja ganz de Ole, Jürnhinnerk, et dick satt und holl dick glatt, dat is de Hauptsak. Un man ja nich erst noch groot anfangen tau simmelieren, du, dat hat keinen Daeg nich.« Damit spuckt es aus, zur Bestätigung, ganz wie Wismer, und macht sich davon.
Jürnhinnerk aber ist stutzig geworden; er nimmt das Kinn in die Hand und kratzt sich in die Bartstoppeln: »Nanu, wat gaht denn Wismer dat eigentlich an, wat makt de sick för'n Gewerbe dabi? – Was't Wismer ok würklich? De sleppt dat eine Bein doch süß nich so? Igitt un wo dat stünk, as hei affspeikte, gradut in't Moor rinn? Un sin Spucken – ganz gleunig! Un de böse Blick! Herr du meines Lebens, nu gaht mick'n Lucht up! Nee, hei was't nich, Wismer: dat was hei sülwen! Hei sülwen! Alle guten Geister, un mick hat hei mit up de Liste un paßt up, dat ick bibliew un dat hei mine Seel upletzt ok richtig tau faten kriegt. Un de frame ole Herr ehrsten, süh, de is nu ok ganz sicher de leiwe Gott west. Wo de eine is, da is ja ümmer de anner ok nich wiet, as de Kraug bi de Karke.«
Ganz tiefsinnig im Kopf, ist Jürnhinnerk darauf auf Wittsnuten nach Hause geritten. Ist kein Fluch jemals wieder über seine Lippen gekommen, vielmehr im Beten und in frommen Werken hat er sich geübt, und ein 46 fleißiger Kirchgänger ist er noch geworden. Und Wittsnut hat es gut gehabt und hat Fett angesetzt. Und die Leute im Dorfe haben sich gewundert, und sie sind zum Jürnhinnerk gegangen und haben gefragt, was mit ihm denn passiert wäre. Man hat aber nichts aus ihm herausbekommen. Und da hat ein jeder still bei sich gedacht: »Jürnhinnerk flucht nicht mehr, nun kratzt er sicher bald ab.«
So ist's auch gekommen; ein Jahr danach haben sie den Alten eines Abends gefunden, entseelt, doch mit einem friedlichen Lächeln um den Mund unter den Bartstoppeln. Auf seiner Pflugschar hat er noch mit einem Beine gehockt, und Wittsnut hat neben ihm gestanden, ihn beschnuppernd von Zeit zu Zeit und leise wiehernd. Genau auf dem Fleck inmitten der Moorkoppel haben sie ihn gefunden, allwo der liebe Gott selber ihn seines Fluchens verwiesen hatte.
Und der Flachsdöpel hat von dem bewußten Abend ab ganz schändlich gestunken, und mit jedem Tage schlimmer; man hat ihn schließlich auf Gemeindekosten zuwerfen müssen. Das Moor aber wird seitdem das Teufelsmoor genannt. 47