Karl Söhle
Schummerstunde
Karl Söhle

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Heideostern.

Die Aprilsonne blinzelt verschmitzt mit verkniffenem halben Auge durch drängende Wolken. Mutter Erde reckt sich und atmet auf: überstanden ist der Winter, es war ein gesunder Schlaf. Und der Föhn hat seinen Besen geschwungen, die Bahn ist frei, so mag der Lenz denn kommen.

In der Kirche haben sie Gott dafür gedankt, daß er's gnädig wiederum hat Ostern werden lassen. Der weißhaarige Pastor hatte ausnahmsweise mal nicht aus den bewußten, vergilbten Blättern unterm Kanzelpult – abgelesen, sondern er hatte zu extra auf heute eine frische Predigt gemacht. Und vollständig im Kopfe hatte er sie sogar, die neue Osterpredigt. Was war das für eine Predigt gewesen, der Apostel Paulus selber hätte sie nicht besser machen und predigen können! Und sie wirkte denn auch entsprechend. Bei den besonderen rührenden Stellen von Frühling und Osterhoffnung, von Auferstehen und seligem Wiedersehen dermaleinst in Glanz und Herrlichkeit – viele Frauen hatten da immerfort geschluchzt, und sogar einzelne alte eichenholzene Bauernväter hatten sich dann und wann verstohlen in die harten Gesichter gewischt. Mit den Rockärmeln, 148 denn Taschentücher, – pah, der Heidjer schnäuzt sich freihändig!

Die Dorfkinder draußen, auf den Grashöfen, die freilich danken dem Herrgott auf ihre Weise, sie singen fröhlich zum osterlichen Klappballspiel das recht weltliche Osterlied:

»Wenn't Ostern is, wenn't Ostern is,
Da slacht unse Vader 'n Bock.
Da danzt unse Mudder, da danzt unse Mudder,
Da flüggt de rode Rock.«

Zu Ende ist nun der Gottesdienst. Aus der Kirchentür kommt's nur so geströmt. Gehören doch anderthalb Dutzend Dörfer, meilenweit herum in der Heide verstreut, nach Hankensbüttel zur Kirche, und Ostersonntag bleibt so leicht keiner weg. Da sind die Maseler, Bokeler und Behrener, die Aller- und Weddersehler: die zähen Welfen und gar frommen Christen. Und die Örreler, die Ling- und Langwedeler großen Heidefürsten mit über 1000 Morgen Heidebesitz, Heiloh und Moor, als Schnucken und Immenweide und Torfstich, und mit vielem Anflugwald, und sie freuen sich dessen, jawohl, denn:

»Heid un Holt
Sünd'n Bur'n sin Stolt!« 149

Der Größte unter ihnen – jetzt tritt er gerade aus der Kirchtür heraus: Christoph, Hinrich Käter-Neischult-Hössermann von Örrel, der ist mit seinen 6000 Morgen der Heideherzog, der kommt gleich nach dem großen Heidkönig, Michaelis in Weyhausen. Der Heideherzog! Die schmalrückige und gebogene Nase, die hellgrauen Augen, frei, stolz in die Welt schauend, die dünnen Lippen und das ausrasierte, trotzige Kinn – Heinrich der Löwe mag so ähnlich ausgesehen haben.

Da sind ferner die Steimker, Schweimker und Wiersdorfer mächtig hintersetzten Butterbauern! Alle stecken sie in den gleichen langschößigen, schwarzlakenschen (schwarztuchenen) Gottestischröcken, wie in dem gleichen, bis oben mißtrauisch geschlossenen Westengehäuse, und so viele Köpfe, so viele gleiche schwarze Schirmmützen darauf. Nur die Wendendörfer nach der Ise zu kleiden sich anders, die halten an den kurzen Jacken und breitkrempigen Filzhüten ihrer Ur-Urahnen fest.

Zur alten Tingstätte der Gemeinde – zum Spritzenhause, am nördlichen Rande des Kirchhofes steuert allmählich alles. Hier hängt der Gemeindekasten mit seinen obrigkeitlichen Bekanntmachungen. Einen großen Teil des Dorfes kann man hier prächtig überblicken, bis hinauf an die Windmühle, auf dem Prachelberg. Gleich rechterhand fläzt sich der massive Ziegelbau des alten 150 Stammgasthauses, mit seinem riesigen Dache, wie eine umgekehrte Krippe. Jedoch Geduld, man läßt sich Zeit, denn wahrhaftig, heute gibt's bannig viel zu fragen und zu wunderwerken. Vierzehn Taufen waren gewesen, siebzehn Aufgebote, eine Menge Danksagungen von der Kanzel herunter und darunter auch eine für einen Taler im heutigen Klingelbeutel. Na, und wohl ein halbes Schock Osterurlauber waren in der Kirche, schon hier konnte man sich nicht satt an ihnen sehen, und die Mädchen drehten sich fast die Hälse aus den Angeln. Jetzt aber kann man sie in nächster Nähe aufs genaueste betrachten, bewundern, den prachtvollen Königsulan und die drei flinken Lüneburger Dragoner, ferner die sechs baumlangen Berliner Franzergrenadiere, den Goslarer grünen Jäger, die leichten und schweren Artilleristen! Jeder Urlauber hat eine Zigarre mang den Zähnen, jeder hat Heldentaten vollbracht beim Kommiß, große Heldentaten. –

Pannemann (Gemeindediener) Stöhr kommt und ruft aus – pst, was wird's denn geben? –: »Hö–ö–rt zu! De Gemeinden Masel, Bokel un Örrel werr'n hiedurch aufgefoddert, sich zu hau'n un zu fahr'n geliefertes Holt in'n Örreler Balken einzufinnen!«

Es macht keine sonderliche Wirkung. Man hört nur mit halbem Ohr zu. Keiner wünscht heute nähere Erklärungen. Die Gedanken weilen ganz wo anders. – 151

Hui, ein Windstoß plötzlich, und es graupelt einen Husch. – Ein Riß nun ins graue Gewölk und o Freude: blauer Himmel, und die Sonne wirft einen volläugigen, fröhlichen Blick ins Hankensbütteler Kirchspiel. Der April macht seine Scherze.

Stiller wird's darauf, die Versammlung fängt an sich auf die Wirtshäuser hin zu verkrümeln.

Christoph, Hinrich Käter-Neischult-Hössermann von Örrel, der Heideherzog, der aber besieht sich die Urlauber noch einmal, und er nickt befriedigt: »Na, Jungs, nu kamt mit rinn, ick gew einen ut! Pottsdeuker, unse Heidjer bi 'n Kommiß, de könnt sick seihen laten, de hewwt Knaken, de staht wiß, de fat an, wenn gelt, de wammst tau, Kreuzdunner un Deubel, da stah ick vör in!« 152

 


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