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Eine Hundegeschichte.
»Vadder Jürn regiert,« raunt man sich zu, und wirklich, daß er heute so scharf regiert auf seinem Hof und »seinen bösen Kopf auf« hat, Jürgen Prielop, der große Vollmeier und Kirchenvorsteher, daran ist sein kleiner Pollo schuld, ein unschuldig Hündlein, kaum sechs Wochen alt. Und das schon seines bloßen Daseins halber! Denn, ach, der alte Pollo, Pollo der Große, der nie Besiegte, der Einzige, Unvergleichliche – ach Gott, an der Räude mußte er in der Nacht elendiglich verrecken.
Einen solchen Hund sieht die Welt nicht wieder! Echte Schäferhundrasse, langhaarig, graubraun, mit einer prachtvollen wahren Fuchsrute hinten, buschig und schön, mit aufrechten Ohren wie ein Wolf, mit einer Löwenmähne; ah und seine treuen, klugen, tiefen und stolzen Augen, sein verständiger Blick, sein unvergeßlicher Blick! Wie soll man sich Vater Jürgen nun ohne seinen alten Pollo denken? Allein muß er nun schmöken und im Kalender lesen, allein sich im Lehnstuhl bedenken, und frühstücken und vespern, in den Krug und Nachbarn besuchen gehen, allein zu Felde und nach dem Land sehen, allein sich högen und allein sich gnitten. Und die verlassenen Schafe! Hin ist hin. Pah, der 157 Thronfolger, jeder andere Köter auf der Welt, sie sind keinen Schuß Pulver wert, alle miteinander.
Mittags ist's, und die Kohlsuppe wird aufgetragen. Jetzt endlich setzt sich Vater Jürgens Schmerz, und er faßt einen verwegenen Plan. Pollo erhält heimlicherweise ein ehrenvolles Begräbnis. Ganz nach Verdienst und Würdigkeit. In geweihter Erde, hinter einem feierlichen Wacholderbusch, wenn auch bescheiden abseits am Zaun. Niemand im Dorfe hat eine Ahnung davon, und der schlaue, alte Bauer, der lacht sich 'was in die hohle Hand: das sollten sie man wissen, der Küster und der Pastor.
O weh, der geprellte Küster aber kommt bald dahinter, er rennt spornstreichs zur Pfarre und lamentiert: »Sünde und Schande, Herr Pastohr, kein Christentum mehr in der Gemeinde – auf 'm Hund das, buch–stäb–lich! Herr Pastohr, och und so einer will Kirchenvorsteher sein, so einer will Beispiel geben!«
Stracks wird Vater Jürgen gerufen.
»Aber Prielop, mit Ihrem Pollo – was soll das heißen? Nein, das kann nicht sein! Freilich, so gern man ja auch einen guten Hund haben kann, ich habe selber zwei, Sie wissen –«
»Och, Herr P'stohr, sei verstaht da ja wat van: dat was Sei kein gewöhnlichen Hund, min Pollo! Hei 158 was so klauk, liek as 'n Avkat. Wohrhaftigen Gott, hei harr mehr Grips in'n Kopp, as alle Buren hier tausam, wi beide utgenamen. Mit minen ollen Pollo, Herr P'stohr, harrn Sei up Latinsch snaken könnt. De Hund verstünn de Kunst (»der Hund versteht die Kunst«: er kann Schafe hüten), hei was 'n ganzen staatschösen Schaperhund! Bautz ümmer rann: un rum de Schape, un anfaten dä hei nich, un nich rut ut de Foor (Grenzfurche), un hier ümmer up un dahl, un ›hachel, hachel‹ – de Tunge hüng öm lang ut'n Hals rut, nich: ›sett dick mal‹ un nich: ›kiek mal weg‹, keinen Ogenblick. Allens mak hei richtig. Ganz alleene könn ick'n bi de Schape laten. Wenn ick öm morgens de Koppel wiesen dä un tau öm sä: ›Kiek, Pollo, düsse Koppel da haste vandag afftauhäuen, bet Vespertied, Klock söß. Nu paß up, dat se ornlich wat in de Knaken kriegt, de ollen Schape. Man nich tau hilde (eilig), lat sei nich tau rasch de Koppel rup, nahst sünd se dunn quälfretsch (wählerisch) un du hast man blot dinen Gnitt dabi.‹ Tweemal: ›Blaff! Blaff!‹ antwurt hei mick dunn un ick könn ruhig nah Hus gahn. Nee, min Pollo!«
»Der Pollo! hab' ihn gekannt, freilich!« nickt Hochwürden, und Vater Jürgen schwögt weiter: »Och un dabi was hei ok'u wachsamen Hoffhund, Herr P'stohr, 159 wo sick man wat rögen dä bi Dag un bi Nacht, hei güng daup los, as Paulus up de Korinther! Pottsdeuker un Appel harr hei, un wenn ick sä: ›Pollo, such, Apport!‹ – allens finn hei wedder. Ja un ok bi de Jagd was hei tau bruken. Nahwer Drenkmanns Karo äwerst, Herr P'stohr, de fleutjet un högt sick sicher wat, dat hei nu dod is. Jeja, nich ruken könn'n de beiden sick, liek heil und deil äwerslucken woll ümmer furns de eine den annern; Pollo äwerst kreeg den Karo regelmäßig dahl. Ja un irst lange de besten Frünn, un woher mit ein Mal de Wut up'anner? 'n oll Hamelbein was da schuld an.«
Hochwürden wird ungeduldig, Vater Jürgen aber läßt ihn nicht zu Worte kommen: »Blot ein Laster harr hei, un da was hei nich van aff tau bringen. Buten, bi Föster Schrager, da harr hei 'ne Brut sitten, Föster Schragers Minka, un wenn hei an de denken dä, was't vörbi: furns (sofort) rönn hei henn, da gaww't kein Stüren un Holen, Herr P'stohr, och, da könn'n Sei 'n liek um dod wammsen. Klöternatt kamm hei mannchmal wedder trügg nah Hus, un Haue gaww't dunn, och un ganz melankolschen was hei nahst oft, ne ganze Tied, äwerst –«
»Schon gut, Prielop –«
»Och un Musche (Monsieur) Karo – Herr P'stohr, 160 dat mudd ick Sei noch vertellen: de harr denn würklich mal gegenbuhlerische Affsichten, an Kinners, nee!«
»Schon gut, Prielop, schon gut!« Hochwürdens Geduld ist nun erschöpft. »Ein Hund, Prielop, bleibt ein Hund. Mit Unterschied, gewiß, freilich. Der brave Pollo, aber's hilft nichts, heraus muß er wieder.«
»Och, Herr P'stohr, hei liggt da ja nu mal un slöppt in Frieden, un'n nu wedder utkuhlen, minen Pollo, nee, dat bring ick nich äwer't Hart! Herr P'stohr, Sei widd mick doch ok nich vör dat ganze Dörp blamieren, dat ick dat daun sall?«
Der Pastor zuckt die Achseln.
»Ja so, Herr P'stohr,« – Vater Jürgen tritt darauf näher an ihn heran, vertraulich, wichtig –: »ja so, dat harr ick bienah vergeten. Pollo hat de Karke ok wat vermakt, twintig Daler, jawoll, un teihn Daler för 'n Armenblock.«
Hochwürdens Lippen kräuseln sich gutmütig, und schleunig verschwindet der Alte: »Adjüs ok, Herr P'stohr, ick bedank mick ok veelmals!«
Tage vergehen, jedoch Pollos Grab bleibt, wie's ist. Endlich aber reißt dem Küster die Geduld: »Herr Pastohr,« sagt er, als er am Sonnabend den Kirchenzettel zu holen kommt, »Herr Pastohr, der Köter liegt ja 161 da ümmer noch auf'm Gottesacker? Und nu gar noch mit 'nem Kranz daauf.«
»So. Hm. Was Sie sagen, mein Lieber. Da muß ich Prielop doch fragen, was das bedeuten soll. Wie, aber den Pollo jetzt noch ausgraben, pfui, in der Verwesung, das gute Tier? Hm, will Ihnen 'was sagen: mag in Gottes Namen Gras darüber wachsen, freilich, das wird das beste sein. Hören Sie, der Alte will sich's auch 'was kosten lassen, für die Gemeinde. Na, so drücken wir denn mal ein Auge zu, Pollo hat's verdient, freilich, gönnen wir ihm den stillen Wächterplatz am Zaun.« –
Nach langen Wochen begegnet Hochwürden dem Alten. Man klöhnt über das gute Heuwetter und wie die Saaten schön stehen, und als man sich endlich unter den Ulmen vorm Pfarrgarten trennen und der Bauer die Mütze lüften und »inklappen« will in die ihm freundlich dargebotene Hand, da fragt Hochwürden: »Nun, Prielop, Sie lassen ja gar nichts wieder darüber verlauten, wie steht es denn eigentlich mit Pollos Testament?«
Und nun der Alte, er tut ganz unschuldig und überrascht: »Wo? Wat? Dat Testament, Herr P'stohr? Jeja, dat verflixte Testament! Herr P'stohr, wer harr dat van den ollen Bengel dacht – nu is't lutwöhrig 162 worr'n: dat was Sei 'n Lork, jawoll, de harr Kneep (Kniffe) in 'n Kopp! Wat daht hei? Drei Dage vör sinen Tod, da hat hei sick anners besunnen, da hat hei de dörtig Daler sine Brut vermakt, Föster Schragers Minka, un weg sünd se. Adjüs ok, Herr P'stohr!« 163