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Der gelbe Keulenkäfer.

( Claviger testaceus oder foveolatus)
siehe Bildunterschrift

Käfer zwischen zwei gelben Ameisen (alles stark vergrößert).

Das Kleine und Kleinste in der Natur ist so voll des Wunderbaren, daß wir bei seiner Betrachtung reichen Stoff zum Nachdenken finden und schließlich nicht begreifen, sondern nur staunen können über die Zweckmäßigkeit in dem Organismus der Natur. Die Wahrheit dieser Behauptung findet sich abermals bestätigt bei Betrachtung eines kleinen Käferchens, welches in den Nestern der gelben Ameisen so lebt, als wenn es ein Glied der unter Steinen verborgenen Kolonien dieser durch ihren Biß so gefürchteten kleinen Finsterlinge selbst wäre. Der Bau des Thierchens ist uns hier mehr Nebensache, wichtiger sein Leben unter und sein Verhalten zu den Ameisen, und wir halten uns hierbei im Wesentlichen an die Mittheilungen des Mannes, P. W. J. Müller, Prediger zu Wasserleben bei Wernigerode, Beiträge zur Naturgesch. der Gattung Claviger in Germar's und Zinken's Magazin der Entomologie III. S. 19. (1818). Hier wird zugleich noch die zweite, seltnere Art dieser Gattung ( C. longicornis) beschrieben, welche sich hauptsächlich durch die Fühlerbildung von unserer unterscheidet, aber in der Lebensart vollkommen mit ihr übereinstimmt. dem wir die folgenden interessanten Entdeckungen verdanken. Ueber die Persönlichkeit des kleinen Wesens in der Kürze Folgendes:

Der glänzende, röthlich gelbbraune Körper scheint, von oben gesehen, aus vier Abschnitten zu bestehen, dessen schmälster der verhältnißmäßig lange, nach vorn schwach verdickte Kopf ist; er trägt die keulenförmigen, sechsgliedrigen Fühler, deren abgestutztes Endglied beinahe so lang ist wie die drei vorhergehenden, unter sich gleich langen zusammengenommen, während die beiden Wurzelglieder sehr klein und kugelförmig sind. Außerdem finden sich an ihm keine Augen, wie bei den verschiedenen Arten der sogenannten »Höhlenkäfer«. Hierauf folgt das etwas breitere, gerundete Halsschild, sodann die immer breiter werdenden Flügeldecken, welche an ihren hinteren Außenecken durch je einen anliegenden Haarbüschel wie ein paar Leisten hervortreten, indem sie am übrigen Theile ihres gerade abgestutzten Hinterrandes sich tief einsenken und so die vordere Hälfte einer kleinen Grube bilden, welche sich auf dem vierten Körpertheile, dem beinahe kugeligen Hinterleibe in Form eines Hufeisens wieder erhebt. Die Flügeldecken sind zusammengewachsen, haben eine Längsfurche in ihrer Mitte und bedecken keine Flügel. Der Hinterleib mit seiner schon erwähnten Grube vorn verläuft als einzige, glänzende Fläche nach hinten, wo er sich stark nach unten biegt und zwei Quereinschnitte zeigt, so wie an den Seiten je eine feine Randleiste. Am Bauche sind fünf Gelenkeinschnitte bemerkbar. Jedes der sechs Beine trägt drei Fußglieder, deren beide ersten ihrer Kürze wegen lange übersehen worden sind, und endet in nur eine Kralle. Ueberdies steht am Innenrande von Schenkel und Schienen der männlichen Mittelbeine je ein Zähnchen. Kopf, Halsschild, Flügeldecken, Fühler, Beine und Spitze des Hinterleibes sind mit kurzen, anliegenden Härchen besetzt. Von der Larve weiß ich nichts zu berichten und von der Puppe nur, daß sie schon Ende März den Käfer entläßt, der jedoch im Mai am zahlreichsten angetroffen wird.

In Rücksicht auf die höchst merkwürdige Lebensweise dieser Thierchen erzählt uns nun unser oben erwähnter Gewährsmann, was ich bestätigt gefunden, daß die beim Umwenden des Steines, der das Ameisennest deckt, in das Innere flüchtenden Bewohner außer ihrer Brut vielfach auch Käfer mit hinwegtragen, ein Umstand, der auf ein inniges Verhältniß beider Kerfarten zu einander schließen läßt. Um dieses nun näher kennen zu lernen, nahm er Käfer, Ameisen, Brut derselben von verschiedenem Alter, Erde aus dem Neste und Moosstengelchen in geräumigen Fläschchen mit nach Hause. Schon am andern Tage hatten sich die Gefangenen häuslich eingerichtet und wurden nun mit Hilfe einer Lupe eifrig und so gründlich beobachtet, daß alles, was weiter erzählt werden soll, zu oft gesehen worden ist, um auf Irrthum und Täuschung beruhen zu können. Wir lassen den Beobachter selbst sprechen: »Die Ameisen verrichteten unbesorgt ihre gewohnten Geschäfte: einige ordneten und beleckten die Brut, andere besserten am Neste und trugen Erde hin und her; andere ruheten aus, indem sie ohne alle Bewegung still und gleichsam stundenlang auf einer Stelle verweilten; andere suchten sich zu reinigen und zu putzen. Dies letztere Geschäft verrichtete jede Ameise an sich selbst, soweit es ihr möglich war, dann aber ließ sie sich – gerade wie es von den Bienen in ihren Stöcken zu geschehen pflegt – von einer andern an denjenigen Körpertheilen reinigen, die sie mit Mund oder Füßen selbst nicht zu erreichen und zu säubern vermochte. Die Keulenkäfer liefen indeß entweder zutraulich und unbesorgt unter den Ameisen umher, oder sie saßen in den Gängen, die meistens an der Wand des Glases angebaut waren, ruhig und still, und ihr ganzes Verhalten gab zu erkennen, daß sie sich vollkommen wieder in ihren gewohnten Verhältnissen befanden. Indem ich nun so den Bewegungen meiner Gefangenen einige Zeit hindurch unverrückt mit den Augen gefolgt war, bemerkte ich auf einmal zu meiner größten Verwunderung, daß, so oft eine Ameise einem Keulenkäfer begegnete, sie ihn mit den Fühlern sanft betastete und liebkoste und ihn, während er dies mit seinen Fühlern erwiederte, mit sichtlicher Begierde auf dem Rücken beleckte. Die Stellen, wo dies geschah, waren jedesmal zuerst die am äußeren Hinterwinkel der Flügeldecken emporstehenden gelben Haarbüschel. Die Ameise öffnete ihre großen Freßzangen sehr weit und sog alsdann vermittelst der übrigen Mundtheile den ganz davon umschlossenen Haarbüschel mehrere Male mit großer Heftigkeit aus, beleckte dann auch noch die ganze Vorderfläche des Rückens, besonders die Grube in demselben. Diese Behandlungsweise wurde ungefähr aller acht bis zehn Minuten, bald von dieser, bald von jener Ameise wiederholt, ja oft mehrmals hinter einander an dem nämlichen Käfer, vorausgesetzt, daß er mehreren Ameisen begegnete; doch ward er im letzteren Falle nach kurzer Untersuchung sogleich freigelassen.« Wie auf den Zweigen der Bäume die Blattläuse andern Ameisen ihren Honigsaft reichen und darum von ihnen so eifrig aufgesucht und im höchsten Grade freundschaftlich behandelt werden, so bieten die Keulenkäfer dieser, Buschwerk nicht ersteigenden Art einen Leckerbissen in einer an den Haaren ausgeschwitzten Feuchtigkeit; aber jene sind dafür auch erkenntlich. Es kommt noch besser. Hören wir weiter: »Um meine Gefangenen nicht verhungern zu lassen und möglichst lange beobachten zu kennen, mußte ich natürlich darauf denken, ihnen irgend ein angemessenes Futter zu reichen. In dieser Absicht befeuchtete ich die Wände des Glases nahe dem Boden, sowie einige Moosstengel mittels eines Haarpinsels mit reinem Wasser, durch Wasser verdünnten Honig und legte außerdem noch einige Zuckerkrümchen und Stückchen zeitiger Kirschen an andere Stellen, damit jeder nach Belieben das ihm Dienlichste wählen könne. Eine Ameise nach der andern, wie sie in ihrem Laufe an eine befeuchtete Stelle kam, hielt an und sog begierig, und bald waren ihrer mehrere versammelt. Mehrere Keulenkäfer kamen zu eben den Stellen, gingen aber über dieselben hinweg, ohne sie auch nur im Geringsten zu beachten. Jetzt brachen einige gesättigte Ameisen auf, standen auf ihrem Wege still, wenn ihnen eine und die andere Ameise begegnete, welche die Speise noch nicht gefunden hatte, fütterten die Hungrigen und gingen weiter, um dasselbe mit der unten im Glase befindlichen Brut zu thun. Ich dachte schon darauf, eine andere Nahrung für die Keulenkäfer zu ersinnen, weil sie die vorhandene nicht berührten, als ich einen derselben einer vollgesogenen Ameise begegnen und hierauf beide still stehen sah. Ich verdoppelte meine Aufmerksamkeit und nun bot sich meinen Blicken ein ebenso seltsames als unerwartetes, auch nicht im Mindesten geahntes Schauspiel dar. Ich nahm deutlich wahr, wie der Keulenkäfer aus dem Munde der Ameise gefüttert wurde. Kaum konnte ich mich von der Wirklichkeit des Geschehenen überzeugen und fing schon wieder an zu zweifeln, ob ich auch recht gesehen haben möchte, als ich unmittelbar an drei, vier und mehr Stellen dieselbe Beobachtung bestätigt fand. Einige dieser Fütterungen wurden ganz nahe an der Wand des Fläschchens vorgenommen, so daß ich durch eine viel stärker vergrößernde Linse den ganzen Hergang auf das Deutlichste beobachten konnte. Jedesmal, wenn eine gesättigte Ameise einem noch hungernden Käfer begegnete, lenkte dieser, gerade als wenn er, die Speise witternd, Futter von ihr begehrte, Kopf und Fühler aufwärts nach dem Munde jener hin, und nun blieben sie beide still stehen. Nach vorhergegangenem, gegenseitigem Berühren und Streicheln mit den Fühlern, Kopf gegen Kopf gewendet, öffnete der Käfer den Mund, ein Gleiches that die Ameise und gab aus ihren weit hervorgestreckten innern Mundtheilen jenem von der so eben genossenen Nahrung, welche er gierig einsog. Beide reinigten alsdann ihre innern Mundtheile durch wiederholtes Ausstrecken und Einziehen derselben und setzten ihren begonnenen Weg weiter fort. Eine solche Fütterung dauerte gewöhnlich acht bis zwölf Sekunden, nach welcher Zeit die Ameise in der Regel die Haarbüschel des Käfers auf die oben angegebene Weise abzulecken pflegte. Auf diese Art wurden alle in meinem Gläschen befindlichen Keulenträger jeden Tag mehrere Male, und so oft ich ihnen frisches Futter und Wasser gab, welches letztere den Ameisen eins der wichtigsten Bedürfnisse ist, regelmäßig gefüttert, und nie sah ich einen Käfer etwas von der in dem Fläschchen befindlichen Nahrung: Honig, Zucker und Obst anrühren, ausgenommen, daß sie zu Zeiten die an der innern Wand des Glases niedergeschlagenen Wasserdünste ableckten.

So groß auch immer die Liebe und Fürsorge der Ameisen gegen ihre Brut ist, gegen die Keulenkäfer scheint ihre Zärtlichkeit nicht minder groß zu sein. Es ist in der That rührend zu sehen, wie sie dieselben auch dann, wenn keine Nahrung in ihren Haarbüscheln vorhanden ist, öfters im Vorbeilaufen mit den Fühlern streicheln und liebkosen; wie sie mit immer gleicher Zärtlichkeit und Bereitwilligkeit jeden ihnen begegnenden, hungrigen füttern, noch ehe sie ihre Brut versorgt haben; wie sie dieselben geduldig über sich hinlaufen lassen, manchmal sogar mit ihnen spielen, indem sie den einen oder andern, der ihnen begegnet, mit ihren Zangen auf dem Rücken fassen, eine gute Strecke forttragen und dann niedersetzen. Andererseits ist das zutrauliche Wesen der Käfer gegen die Ameisen nicht minder bewundernswürdig. Man glaubt nicht ganz verschiedene Insektengattungen, sondern Glieder ein und derselben Familie vor sich zu sehen, oder eigentlich in den Keulenträgern die Kinder zu erblicken, die sorglos und zutraulich in den Wohnungen der Aeltern leben, von ihnen Nahrung und Pflege erhalten und sie ohne Umstände dann allemal darum ansprechen, wenn das Bedürfniß sie dazu treibt, auch ihnen dagegen gefällige Dienste zu leisten suchen, wo sie es vermögen. So sah ich z. B., daß ein Keulenkäfer eine stillsitzende, ruhende, gleichsam schlafende Ameise reinigte, indem er bald von den Seiten her, bald auf ihr sitzend, mit seinem Munde ihr den Rücken und Hinterleib abbürstete und beinahe eine halbe Viertelstunde bei diesem Geschäfte zubrachte.« Interessant ist auch noch die Beobachtung, daß eine zweite Art derselben Käfergattung, welche bei einer andern Ameisenart genau in derselben Weise lebt, von den gelben Ameisen ebenso behandelt wird, wie die ihnen eigentümliche Art, obgleich die Ameisen selbst sich bekriegen. Beim Einsammeln beider Arten wurden nämlich aus Versehen Käfer und sechs bis acht dazu gehörige Ameisen jener Art zu den hier beschriebenen gethan. Sofort fielen diese Ameisen über die andern her, tödteten sie nach und nach, verschonten aber ihre Keulenträger und fütterten sie, wie die ihrigen. Mehrere später absichtlich vorgenommene Versetzungen der beiden Arten aus einem Fläschchen in ein anderes zu fremden Ameisen bestätigten dieselbe Beobachtung.

Wunderbar! die Keulenkäfer sind einzig und allein auf gewisse Ameisenarten angewiesen, welche letztere sie aus ihnen angebornem Triebe, und weil die Anwesenheit derselben ihnen zugleich einen angenehmen Genuß darbietet, als ihre Pfleglinge lieben, schützen, ernähren; sie, durch den Mangel der Augen und Flügel hilfloser als andere, können nirgends anders als in Ameisennestern leben, woselbst sie sich fortpflanzen und sterben, ohne sie je verlassen zu haben. Wer hätte solche Proben aufopfernder Freundschaft und Liebe verborgen unter Steinen gesucht? Die Keulenkäfer sind nicht die einzigen Käfer, welche in so innigem Verhältnisse zu den Ameisen stehen, verschiedene Arten dieser haben kleine Käferchen, so z. B. mehrere Kurzflüglerarten, wie Lomechusa strumosa, einen Stutzkäfer ( Hister quadratus) u. a. zu Freunden und Hausgenossen. Diese werden in den Nestern der betreffenden Ameisen geboren, leben mit diesen, werden von ihnen beleckt, flüchten mit ihnen in das Innere der Gänge, wenn man den schützenden Stein vom Neste hebt, halten ihren Winterschlaf darin u. s. w. Sie mögen sich zum Theil selbst ernähren, da sie durch das Vorhandensein von Augen und Flügeln eine größere Selbständigkeit an den Tag legen. Indessen ist bei dem oben genannten Kurzflügler auch Fütterung seitens der Ameisen beobachtet worden. Jenes friedliche Zusammensein ist um so merkwürdiger, als die Ameisen, welche in abgesonderten Familien leben, die sich sogar gegenseitig bekriegen, den meisten andern Insekten, welche ihnen begegnen oder gelegentlich ihren Wohnungen zu nahe kommen, entschieden feindlich entgegentreten.


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