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Die Rüben- oder Kohl- Blattwespe.

( Athalia spinarum F., A. centifoliae Pz)
siehe Bildunterschrift

Weibliche Wespe. Larven. (Alles vergrößert).

Beinahe das ganze Jahr hindurch, so weit es der Insektenlebendigkeit günstig ist, am auffallendsten im Mai und dann wieder im August, in trocknen Jahren schon im Juli, trifft man auf allen Wiesen und freien Grasplätzen in Wald und Gebüsch, sowie in Gärten kleine gelbleibige Thierchen an, welche bei Sonnenschein ziemlich geschäftig mit mäßiger Flugfertigkeit an allerlei Blumen naschen und sich lustig umhertummeln. Bei bedecktem Himmel sitzen sie träge und lassen sich wohl auch von ihren Plätzen herabfallen, wenn man sich ihrer bemächtigen will. Es gehört kein tieferer Blick in die Insektennatur dazu, um sie sogleich als Glieder der so artenreichen Familie zu erkennen, welche den gemeinsamen Namen der »Blattwespen« führen. Zwar giebt es unter diesen eine nicht geringe Menge mit gelbem, stellenweise schwarzem Kleide, trotzdem ist unsere Art nicht schwer aus allen diesen herauszufinden, wenn man das Flügelgeäder nach Anleitung obenstehender Figur etwas genauer ins Auge fassen und noch Folgendes sich merken will. Die kurzen, aus zehn (elf) Gliedern zusammengesetzten Fühler, deren drittes merklich länger als alle übrigen ist, verdicken sich nach vorn etwas keulenförmig und sind schwarz gefärbt, auf ihrer Unterseite bisweilen gelb angeflogen. Der kurze Kopf – wenn man von vorn nach hinten mißt – erreicht auch in seiner Breitenausdehnung nicht das Maß des Bruststücks, ist glänzend schwarz und nur an seinem Schildchen, dem die Freßwerkzeuge bedeckenden Theile, weißlich. Der übrige Körper trägt eine dottergelbe Hautfarbe außer zwei glänzend schwarzen, breiten Seitenflecken des Rückens an den Flügelwurzeln, den schwarzen Kanten des dünnen Halses und außer den äußersten Spitzen der Klappen, welche die Legröhre einschließen. Die ebenso gefärbten Beine sind von der Schienenspitze an abwärts zierlich schwarzgeringelt. Die sonst glashellen Flügel schimmern an ihrer größern Wurzelhälfte gelb, die vordern haben außerdem bis zum Flügelmale einen schwarzen Vorderrand, zwei Rand- und vier Unterrandzellen, in deren zweite und dritte die rücklaufenden Adern münden. In der Mitte der Hinterflügel sind zwei geschlossene Zellen vorhanden. Die Namen, welche die Entomologen dieser Blattwespe beigelegt haben, sind wie so viele, welche man von den Oertlichkeiten, wo man die Thiere fing, oder von der Nahrungspflanze ihrer Larven entlehnt hat, unpassend und nichtssagend, indem gar häufig mit demselben Rechte zehn und zwanzig andere hätten gewählt werden können. Unsere Art sitzt zufällig in den Gärten nicht selten auf Rosen, ihre Raupe findet sich aber niemals (oder wenigstens selten) an denselben, sondern in der Regel und bisweilen in Schrecken erregenden Massen auf Weißrüben, Rapsfeldern und überhaupt den verwandten Pflanzen mit Kreuzblüten und Schotenfrüchten, daher der deutsche Name, unter welchem wir sie aufführen, welcher dem lateinischen nicht entspricht, bezeichnender sein dürfte als dieser.

So harmlos dieses gemeine und weit verbreitete Wespchen, welches man auch schon auf den Alpen in einer Höhe gefangen hat, welche die Grenze aller Pflanzenkultur überschreitet, für seine Person selbst ist, so bedenklich sind die Verwüstungen, welche das gefräßige Volk seiner Larven zeitweise auf Rüben- und Rapsfeldern angerichtet hat. Aus England klagte man m den Jahren 1836 und den beiden darauf folgenden über die bedeutenden Verheerungen dieses Raupenfraßes, 1842 zeigte er sich in der Umgebung von Zürich und 1853 breitete er sich vom Bodensee bis gen Stuttgart aus und war für viele Gegenden eine völlig neue Erscheinung. Mir ist nicht erinnerlich, daß in unsern Gauen jene Raupe durch ihren Schaden die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, gezogen hätte, auf kleineren Räumlichkeiten hat sie aber jedenfalls schon arg gehaust. Unser Bild stellt sie vergrößert im erwachsenen Alter dar. Ihr Körper ist kahl und durch viele Querrunzeln ausgezeichnet. Infolge der Verdickung nach vorn erscheint der schwarze Kopf klein und scharf abgesetzt. Sie hat 22 Beine und eine graugrüne Grundfarbe, die durch drei mehr oder weniger deutliche dunklere Längsstreifen unterbrochen wird. Unter den beiden äußeren befinden sich hervortretende Wülste, an jedem Leibesringe zwei, deren vorderer größer ist und tiefer herabgeht; unter ihnen ein dritter, welcher die ganze Länge des Ringes einnimmt. Ueber den großen Vorderwülsten stehen die schwarzen, von einem grauen Walle umgebenen Luftlöcher.

Während ihres Wachsthums häutet sich die Raupe mehrmals und mit der Zeit wird die Farbe des ganzen Rückens bei vielen Stücken fast eintönig schwarzgrün, so daß die drei dunkleren Längsstreifen verschmelzen. Auch die Gegend der doppelten Seitenwülste färbt sich dunkler und bildet durch Zusammenfließen zwei dunkle Seitenstreifen, die von dem dunklen Rücken durch einen grauen Längsstreifen scharf gesondert sind. Diese dunkle Zeichnung hat ihnen in England den Namen » nigger« (Neger) verschafft. Wie die meisten Afterraupen pflegt sich auch diese in der Ruhe schneckenförmig zusammenzulegen und zwar auf der untern Blattfläche. Beim Fressen fängt sie vom Rande an, arbeitet aber auch von der Blattfläche aus Löcher in dieselbe und läßt schließlich nur die Rippen übrig. In den beiden letztgenannten Jahren zeigten sich die Raupen im September. Schon oben wurde angedeutet, daß die Wespe jährlich zweimal erscheine, zwei Schwärmzeiten habe, Mai und August; sie wird in diesen nur dann bemerkbar, wenn sie in sehr großen Mengen vorhanden und etwa, wie einmal im August in Hohenheim, in Rapsfelder massenhaft einfällt. Die in der Zwischenzeit fliegenden sind Spätlinge der ersten oder schnell gezeitigte Vorläufer der zweiten Brut, welche natürlicherweise in viel kürzerer Zeit ihre Entwicklung vollendet als jene. Mit Anfang Oktobers waren die Raupen fast alle verschwunden, d. h. sie hatten sich eingesponnen in aus Erde gefertigten Tönnchen, welche mit seidner Tapete ausgelegt werden, wie ja solche Thierchen allermeist verstehen, sich weich zu betten. Hierin überwintert die Raupe, die, wie wir schon bei der Kiefern-Blattwespe gesehen haben, zusammengekrochen und wenigstens ihrer Körperausdehnung nach puppenartig geworden ist.

Im nächsten Jahre, je nach der Witterung etwas früher oder später, gewiß aber nur wenige Wochen vor der Zeit, wo nach ungestörtem Gange der Natur die Wespe zu erscheinen hat, streift sie zum letzten Male ihr Gewand ab und wird zu einer Puppe, einem Wesen, welches bis auf die bleichere Farbe und die unentwickelten Flügel dem vollkommenen Insekt sehr ähnlich ist. Fühler, Beine, Flügel, jedes in ein zartes, nur dann erst als solches erkennbares Häutchen eingeschlossen, wenn der Insasse heraus ist, liegen frei und offenkundig am Leibe. Die Maisonne belebt, das Belebte sprengt das Häutchen auf dem Rücken, zieht die andern Theile aus ihren Scheiden heraus, durchnagt das Gehäuse, arbeitet sich aus der etwa einen Zoll hohen Erdschicht empor und – das Frühlingskind ist da, um zu leben und zu genießen. Daß eine ungünstige, mehr schattige Lage der Puppe, plötzlich eintretende und andauernd rauhe Witterung einzelne zurückhält, während die Mehrzahl schon den Frühling begrüßte, ist hier nicht anders, wie in allen andern Fällen, wo er abgewartet werden muß, um dem vollkommenen Insekte den Puppenkerker zu öffnen und es seiner höchsten Freiheit zuzuführen. Solche Spätlinge mögen es zum Theil auch sein, welche sich eines absolut längeren Daseins erfreuen, da sich die Geschlechter länger einander suchen müssen, ihnen die Erfüllung ihrer Lebensaufgabe erschwert wird, worauf Mutter Natur billige Rücksichten nimmt.

Was thut nun das um die Nachkommenschaft besorgte Weibchen? Wie alle Insektenmütter sucht es den geeigneten Ort aus. Rübsen findet es zwar in ganzen Feldern, der will aber blühen oder blüht schon, verwendet seine ganze Lebenskraft auf Entwickelung dieser Theile und der Früchte, die Blätter werden ihm entbehrlicher und vertrocknen gar bald, sie können wohl von den Weibern der zweiten Brut aufgesucht werden, den jetzigen sind sie nichts mehr nütze; andere Kohlarten, die ihnen anständen, finden sie noch nicht. Darum rühren die Schäden des Rapsfraßes nur von der zweiten Generation her: die Raupen der ersteren werden weniger von uns beachtet, weil sie wild wachsende Pflanzen angehen und sich mehr zerstreuen. Entschieden sind es dem Kohlgeschlechte verwandte Gewächse, welche die Weibchen der Frühjahrsbrut aufsuchen, der unsern Feldern oft so lästige, mit seinen Blüten sie über und über gelb färbende Hederich ( Sinapis arvensis), die Winterkresse ( Barbarea), der Läuchel ( Alliaria), die Rauke ( Sisymbrium) u. a., deren Arten meist einen feuchten Standort lieben, daher an Wassergräben, Bachufern und ähnlichen Stellen, die im allgemeinen, unbeachtet bleiben, gern wachsen. Ich möchte daher auch bezweifeln, daß die Raupe Rosenblätter frißt, wie von andern Seiten behauptet wird, es sei denn, daß sie, gleich so manchen Schmetterlingsraupen, zu den sogenannten omnivoren gehöre, die nicht auf eine oder zwei Futterpflanzen angewiesen sind, sondern womöglich Alles verzehren, was sich Blatt nennt. Mutter Blattwespe hat also ihr Plätzchen gefunden, wenn wir es auch nicht immer zu finden wissen, und vertraut ihm die Eier, die Keime ihrer Nachkommen, an. Dabei scheint sie ein anderes Verfahren zu beobachten wie viele ihres Gleichen. Gruppen- oder linienweise bohrt sie in das Blattfleisch je ein Ei ein, wenigstens zeigen Rübsenblätter, auf denen Raupen werden, längliche weiße, durchsichtige Punkte, bald auf der Ober-, bald auf der Unterseite des Blattes offen und mit einem aufgeworfenen Rande versehen, unfehlbar die von den Räupchen verlassenen Eierstellen. Vom Mai bis zu Anfang des August geht die Entwickelung vor sich, dann erscheinen die Wespen zum zweiten Male, unter allerlei begünstigenden Umständen bisweilen massenhaft, und die von ihnen stammenden Raupen machen sich, besonders dem Landmanne, bemerklicher als ihm lieb ist.


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