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Weil die Entwickelung des Hornissenstaates in nichts verschieden ist von dem anderer Arten aus der Gattung Vespa, sollte hier derselbe Gegenstand in der Auffassungsweise eines J. Michelet (»das Insekt«. Braunschweig 1858) vorgeführt werden. Um noch einige entomologische Bemerkungen hinzuzufügen, sei erwähnt, daß alles das Geziefer aus der Gattung Vespa, welche unsere heimischen Gefilde im Sommer und Herbst belebt und die Schätze unserer Obstgärten und Weinberge mit einernten hilft, dem ungeübten Auge des Laien unterschiedlos als Wespe gilt. Der schärfer prüfende Systematiker unterscheidet mehrere Arten. Die Zeichnung, bei ein und derselben nicht beständig, dient weniger als Erkennungszeichen, vielmehr muß die Lebensweise und der Raum zwischen der Kinnbackenwurzel und dem untern Augenrande Anhaltepunkte bieten; letzterer ist hier deutlich, dort verschwindend klein. Die gemeine Wespe z. B. baut ihr Nest immer in Erdlöchern, während die andern es an Zweigen, Balken oder anderen oberirdischen Gegenständen aufhängen. Die 3 Arten V. vulgaris, germanica, media sind in ihrem Charakter übereinstimmend, bilden volkreichere Staaten und auf jede kann das angewendet werden, was von der »gemeinen Wespe« gesagt worden ist. Die rothe Wespe ( V. rufa) mit rother Hinterleibswurzel fertigt nur kleine Nester, ist mehr scheu als zudringlich und fällt wenig auf. Wir haben noch eine Menge anderer Namen, die entschieden noch nicht alle richtig gedeutet worden sind. Außer der Gattung Vespa kommt bei uns noch eine zweite Gattung, Polistes, in Staaten lebender Wespen vor, dagegen ungemein zahlreiche in heißen Erdstrichen, deren Baustyl mannigfaltiger ist, als bei den heimischen. Man hat die in Staaten lebenden Wespen wegen des Baumaterials der meisten auch unter dem Namen » Papierwespen« zusammengefaßt.]
Wenn die Wespe an einem Sommertage mit ihrem lauten, angreifenden und drohenden »Tsu! Tsu! Tsu!« zum Fenster hereindringt, ist jeder auf seiner Hut, Das Kind fürchtet sich, die Frau unterbricht ihre Arbeit, selbst der Mann erhebt seine Augen und sagt: »Freches, unverschämtes Thier!« und bewaffnet sich mit einem Taschentuche. Wenn indeß das stolze Thier in allen Ecken umhergeflogen ist und auf das ganze Zimmer einen geringschätzenden Blick geworfen hat, entfernt es sich schnell wieder mit lautem Geräusch, ohne den schlechten Empfang einer Beachtung zu würdigen. Alles, was es denkt, ist: »Erbärmliches Haus! Nicht eine einzige Frucht, keine Spinne, keine Fliege, nicht das kleinste Stückchen Fleisch ist darin zu finden!« Dann macht sie einen Besuch in der benachbarten Fleischbank. »Fleischer, du hast meine Kundschaft. Bei dir will ich mich versorgen. Zögere nicht, einfältiger Geizhals. Schneide mir ein hübsches Stückchen ab, und ich leiste dir dafür einen Dienst. Ich werde deine Fleischfliegen tödten. Laß uns einen Vertrag schließen und Freunde sein. Wir sind beide dazu geboren, zu tödten.«
Die schwerfälligen und langsamen Thiere, von der Art des Menschen, sind alle empört über das Verfahren der Wespe. Sie handelt, aber spricht nicht. Doch wenn sie sprechen wollte, würde ihre Rechtfertigung einfach sein. Ein Wort genügt dazu. Sie ist das Wesen, dem die Natur das furchtbare Geschick auferlegt, die Zeit aufzuheben. Sie muß während eines kurzen Sommers von sechs Monaten, welche sich auf nur vier der Thätigkeit beschränken, nicht nur den Kreislauf des individuellen Lebens vollenden, geboren werden, fressen, lieben, sterben, sondern außerdem auch noch, was viel mehr sagen will, den Kreislauf eines langen gesellschaftlichen Lebens, den zusammengesetztesten, den das Insekt hat, vollenden. Was die Biene weitläufig binnen mehrerer Jahre ausarbeitet, muß die Wespe im Nu vollbringen. Ja noch viel mehr als die Biene. Denn diese baut ihre Zellen in einer vorbereiteten Wohnung; die Wespe dagegen muß das Aeußere wie das Innere improvisiren, die Wälle der Stadt mit der Stadt selbst erschaffen. Vier Monate, um ein Volk zu begründen und aufzulösen – ein sehr organisirtes Volk! Lernet, ihr trägen Geschlechter, die Ihr sagt, daß man in achtzig Jahren nicht Zeit genug habe, lernet die Zeit in diesem Sinne verachten! Alles ist relativ. Die glattbäuchige Erdschnecke hat nie genug Zeit, sollte sie sich auch Jahrhunderte lang hinschleppen. Die heldenmüthige Thätigkeit, der feste Wille, die Entschlossenheit haben immer hinreichende Zeit.
Die Wespe stirbt. Ihre Stadt von 20,000 Einwohnern, welche auf revolutionäre Weise, wie durch einen Blitzschlag des Genies oder des Muthes, improvisirt wurde, ihre Stadt besteht und zeugt für sie. Fest ist sie gebaut, außerordentlich fest, gewissenhaft und wie für ewige Zeiten.
Betrachten wir den Ausgangspunkt. Ein elendes Insekt, welches während des Winters die Vernichtung seines Volkes überlebte, kriecht ganz bestäubt aus seinem Verstecke hervor. Es ist, Gott sei Dank, Frühling. Geht es, sich an der Sonne zu wärmen? Nein, nicht einen Tag der Ruhe gönnt es sich. Worin besteht seine erste und einzige Pflicht? Es soll Mutter sein, Mutter eines Volkes. Allein und in wilder Hast, von ihren Gedanken, ihrer Hoffnung erfüllt, erschafft diese Mutter des zukünftigen Vaterlandes zunächst die Bürger, einige Tausend Arbeiter. Man weiß bereits, daß bei den Insekten jeder Arbeiter weiblichen Geschlechts ist. Diese Bürger sind also Arbeiterinnen, aber das glühende Bedürfniß zur Arbeit unterdrückt bei ihnen das Geschlecht. Sie lieben mit der allgemeinen, umfassenden Liebe. Als strenge Jungfrauen werden sie keinen andern Gatten haben als die Stadt. Der Strom der eifrigen Arbeit geht von der Mutter auf die Tochter über. Die Arbeit jener bestand darin, zu gebären, die Arbeit dieser ist, zu bauen. Dieselbe Wuth der Improvisation herrscht bei beiden. Hier bauen die Wespen in die Erde das Loch, in welches das Gebäude gelegt werden soll, doch isolirt von ihr. Dort hängen andere es über der Erde an einem Balken oder in einem hohlen Baume auf, in beiden Fällen umgeben mit einer starken und festen Pappe, welche es gegen die Nässe schützt. Um diese Pappe zu machen, stürmen die Wespen nach dem Walde, oder suchen anderswo irgend ein Stück Holz, welches längere Zeit durchnäßt und mürbe geworden, ihren Zwecken entspricht. In dieses Holz beißen sie mit scharfem, spitzem Zahne tief hinein, reißen Stückchen davon ab, lösen sie los, nagen unermüdlich au den widerspenstigen bis sie dieselben gleichsam durchgesägt haben, zerrupfen sie, wie wir die Leinwand, und durchkneten diese Stückchen mit scharfen Zähnen. Den Teig, welcher mit einem klebrigen Speichel gemischt wird, breiten sie dann in dünnen Blättchen aus. Die fast geschlossenen Zähne vollbringen diese Arbeit. Das Element der Pappe ist damit vorbereitet. Nun beginnt die zweite Kunst. Die Papparbeiterin wird Maurerin, je nach den Arten in diesem oder jenem Baustiele bewandert. Unsere bauen ein Haus im Hause, in Stockwerken übereinander liegende Waben, welche von der schützenden Ueberdeckung isolirt sind, in derselben Weise wie die Hornissen, welche ihren Bau an einen Balken ankleben. Die Stadt der Wespen hat ein Thor wie die der Bienen und Hornissen, trotzdem findet kein Stocken des Verkehrs, der Bewegung statt. So jedes Volk, welches mit der Zeit geizt, in seinen Geschäften schnell vorwärts will. In London macht man es wie die Wespen; hier geht man her, dort hin; Alle halten eine Seite, diese ein Trottoir, jene das andere. Auf der Dresdner Brücke ist es auch so. Wo man mehr Zeit übrig hat, verrennt man sich immer den Weg und geräth in ewige Verlegenheit, wie man weiter kommen soll; wo die Gewalt der Straßenpolizei in dem Maße gering, als die Unverschämtheit der wasserholenden Dienstmädchen und lasttragenden Eckensteher bedeutend ist, welche schmale Trottoirs für sich allein beanspruchen – exempla sunt odiosa –, wird die Sache erst recht kritisch.
Doch zurück zu unserem Gegenstande. Wozu sind diese Bauten bestimmt? Hat denn dies kräftige, bepanzerte Wesen, dessen Leben so intensiv ist, mehr Furcht vor der Luft, als so viele zartere Insekten, als die nervenschwache Spinne in ihrem Hause aus Seidenfädchen? Die Liebe zu den Kindern erheischt diese Sorgfalt. Das Kind und die Zukunft lieben, in Berücksichtigung der Zeit und dessen, was noch nicht ist, arbeiten, sich durch die Arbeit aufreiben, daran sterben, damit die Nachkommenschaft weniger zu thun habe und lebe! Fürwahr, das ist ein edles Ideal der Gesellschaft, welcher Art sie auch sei. Man begreift das wohl bei denen, welche Zeit vor sich haben, ein Leben zu verwenden, wie die Menschen und die Bienen. Aber daß die Wespe, welche keine Zeit hat, welche noch heute Abend stirbt, die Zeit liebt, welche nicht die ihrige ist, daß sie ihre wenige Lebenszeit dem nach ihr kommenden Leben opfere, dem morgenden Kinde ihren einen einzigen Lebenstag widme, das ist ihre, das ist mancher ihrer Verwandten besondere Eigentümlichkeit, das ist originell und erhaben.
Es ist keine Minute zu verlieren. Die Mutter fährt fort und gebiert außer den Arbeiterinnen auch noch ihres Gleichen und die Männchen, deren unbedeutendes, sehr kurzes Geschäft ihnen kaum Gnade für ihre Untätigkeit gewinnt. Bei diesem ernsten, tragischen Volke der Insekten hat die Natur, als wollte sie sich einen Augenblick durch eine komische Zerstreuung erheitern, die armen kleinen Männchen gewöhnlich gebrechlich und dickbäuchig geschaffen, als unschuldige kleine Falstaffs, welche man als ein Serail unbedeutender Diener behält. Die Karrikatur ist vollständig bei den Männern der Bienen, welche weder auswärts zu ernten, noch im Innern zu bauen vermögen und ihre Zeit damit hinbringen, gut zu essen und vor dem Bienenkorbe zu schwatzen. Bei den Wespen ist das Leben so gespannt, so erregt und geizend mit der Zeit, daß selbst die Männchen, so große Müßiggänger sie auch sind, es nicht wagen, müßig zu bleiben. Die Damen, welche nicht scherzen und einen Stachel führen, mit dem die Männchen nicht versehen sind, könnten das übel nehmen und sie mit Dolchstößen antreiben. Die Männchen sind deshalb darauf verfallen, zu arbeiten ohne zu arbeiten; sie geben sich das Ansehen, als thäten sie etwas, als verrichteten sie einige häusliche Arbeit der Reinlichkeit, des Kehrens. Wenn jemand stirbt, so dient die Beerdigung ihnen zum Vorwande; bei der Fortschaffung einer leichten Last schwitzen sie und ihrer mehrere machen sich an dies schwere Geschäft. Kurz, die Männchen sind sehr lächerlich und ihre fürchterlichen Gefährtinnen lachen vielleicht selbst über sie. Was die Macht der Wespen besonders begründet, das ist ihre edle Dreistigkeit, die stolze Geringschätzung, welche sie gegen alle andern Geschöpfe zeigen, und ihre innige Ueberzeugung, daß all dieses Gethier ihnen gehört. Die unbegrenzte Liebe für ihre Stadt steigert sich bis zum Verbrechen. Sie brauchen Futter, Honig für ihre Kinder. Sie fallen über die Bienen her und ergreifen sie; mit ihrem schlanken Hinterleibe, dessen Verbindung ein bloser Faden, umschlingen sie die Gefangene so, daß ihr der Stachel von unten eingebohrt wird. Mit einigen Bissen durchschneidet die Barbarin nun die auf solche Weise erdolchte Beute, läßt den Kopf mit der Brust und seinen Anhängseln noch lange zuckend liegen und trägt den mit Honig angefüllten Bauch mit sich fort, um den Inhalt desselben wenigstens ihren Kleinen zu bringen. Sie empfindet keine Reue. Der Tod der Anderen kümmert die nicht, welche weiß, daß sie morgen selbst sterben muß. Die Grausamkeit geht weiter, das Verbrechen wird größer und tritt in schneidenden Gegensatz zu der gepriesenen Tugend der Liebe. Die Stadt endet durch ein Gemetzel. Die Kinder, welche einst so theuer waren, werden – – getödtet, bevor der Winter seine schwere Hand auf sie legt. Diesen Spätlingskindern, welche das Elend, die Kälte morgen tödten würde, gewähren ihren Schwestern und Tanten und sorgsamen Pflegerinnen wenigstens den Vortheil, durch die zu sterben, von denen sie geliebt wurden. Das letzte Geschenk, ein kurzer Tod, wird freigebig einer großen Menge Unglücklicher verliehen, welche nicht daran dachten, es zu verlangen, kleinen, nutzlosen Männchen, selbst Arbeiterinnen, welche spät geboren wurden und nicht durch eine kräftige Constitution dafür Bürgschaft leisten, den Winter zu überdauern. Es werde nicht gesagt, man sah das heldenmüthige Geschlecht eine demüthigende Gastfreundschaft unter dem Dache der Menschen suchen und, um etwas länger zu leben, die kärgliche Nahrung eines Spinnennetzes annehmen! »Nein Kinder! Nein, Schwestern! Sterbet. Einige von uns können alles wieder gut machen, wenn sie durch das jährlich sich wiederholende Wunder der Natur begünstigt und zu neuem Leben erwacht sind.«