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Die Kohlschnake, eine der Riesenschnaken.

( Tipula oleracea)
siehe Bildunterschrift

Etwas vergrößerte Larve und Puppe der Tipula nubeculosa.

So sehr wir uns, und dies mit Recht, vor den Verwundungen seitens der kleinen, unbedeutenden Stechmücken fürchten, so harmlos sind die viel gefährlicher aussehenden, stelzbeinigen und doch schwerfälligen Schnaken, Kerfe aus der nächsten Verwandtschaft jener. Glieder dieser artenreichen Gattung ( Tipula)treffen wir, allerdings mehr vereinzelt, schon im ersten Frühjahre an Baumstämmen, später immer zahlreicher allerwärts mit halb offenen Flügeln und weit ausgespreizten Beinen, die sie, wie es scheint, nicht recht unterzubringen wissen. Sie haben alle dreizehngliedrige Fühler, die nicht, wie bei den Stechmücken in den Geschlechtern verschieden gebildet, sondern bei beiden einfach sind, einen in eine kurze Schnauze verlängerten Kopf und eine gebogene Quernaht über die Mitte des Rückens. Der Hinterleib der Männchen verdickt sich kolbig nach hinten, wogegen der des Weibchens zweiklappig sich zuspitzt, wie beides unsere Abbildungen zur Anschauung bringen. Sie stellen eine der gemeinsten Arten, die Kohlschnake dar, welche an folgenden Merkmalen zu erkennen ist: Der graue Rücken des Bruststücks ist braunstriemig, der Hinterleib rothbraun, die lanzettförmigen blaßbräunlichen Flügel sind mit ziegelrothem Vorderrande versehen; die Hinterbeine fast dreimal so lang, wie der neungliedrige Hinterleib; die Augen grün, purpurroth schillernd. Recht deutlich bemerken wir hier die kleinen gestielten Knöpfchen hinter den Flügeln, welche bei allen Mücken frei sind und nicht von einem Schüppchen bedeckt werden. Man hat sie Schwinger oder Schwingkolben genannt, weil sie sich beim Fliegen in immerwährend zitternder Bewegung befinden und dasselbe gewiß unterstützen, wahrscheinlich mehr noch den dabei gesteigerten Athmungsvorgang. Dieselben als Geruchsorgane deuten zu wollen, was in neuern Zeiten geschehen, dürfte nach den bisherigen Beobachtungen gewagt und unbegründet erscheinen.

Gehen wir im September über eine Wiese, so fallen uns die Schnaken ganz besonders in die Augen, jedoch dürfen wir uns nicht wundern, wenn der eben erlassene Steckbrief nicht auf alle paßt, da mehrere Arten ihr Wesen in gleicher Weise treiben, wie die nur als Beispiel hier genannte Kohlschnake. Ueberall arbeiten sie mit ihren Spinnenbeinen im Grase, und auf Schritt und Tritt jagen wir eine auf, die mit etwas schnarrendem Geräusche ihrer langen Flügel, zum Theil durch das Flattern im grünen Haine hervorgebracht, eine kleine Strecke nahe dem Boden hinzieht, um alsbald wieder in ihr niedriges Buschwerk einzufallen. Man weiß so eigentlich nicht recht, was dieses Treiben bedeuten soll. Ist's Spiel? Dazu scheinen die unbeholfenen, mehr trägen Thiers nie aufgelegt; oder gehen sie der Nahrung nach? Das kann auch nicht sein; denn längst sind die Thautröpfchen, welche am Morgen schwer auf den schmalen Blättern lasteten, als unsichtbare Nebel in die klare Herbstluft zurückgekehrt. Eher möchte man meinen, sie suchten, lebensmüde, ein ruhiges Plätzchen, um zu – sterben.

Gemach! Da sitzt eine oder steht vielmehr aufrecht, gestemmt auf die hintersten Beine und die Leibesspitze; nähern wir uns vorsichtig, um sie nicht aufzuscheuchen, vielleicht verräth sie uns, was jene fast hüpfenden Bewegungen mit immer gesenktem Leibe zu bedeuten haben. Sie drückt diesen in den weichen Boden ein, verweilt ein wenig in der eben beschriebenen Stellung und rückt, dieselbe sogleich wieder einnehmend, dieselbe Ruhe behauptend, ein Stück weiter vorwärts. Wir vermuthen, daß sie Eier lege; denn die Gestalt ihres Hinterleibes, sein Umfang, die Spitze an demselben lassen uns in ihr ein Weibchen erkennen. Wir merkten uns genau den ersten Punkt, wo sie feststand, untersuchen die krümelige Erde und finden ein bis zwei längliche, etwas gebogene Körnchen von bleicher Farbe und müssen nun schon der Aussage derer Glauben schenken, die sich um die Aufklärung der Lebensweise der kleinen Thierwelt verdient gemacht und aus solchen Körnchen, die später die Farbe des Schießpulvers annehmen, wirklich unsere Schnake erzogen haben.

Nach etwa acht Tagen kommt zunächst eine Made aus den Eiern, die man, wenn sie erst etwas größer geworden ist, in Wiesenboden, klarem Gartenlande, an humusreichen, etwas feuchten Stellen unserer Wälder u. dergl. in den obern Erdschichten leicht finden kann. Als Schnakenlarve kennzeichnet sie sich durch ihre wurmförmige, walzige Gestalt, durch zahlreiche feine Querfalten über den erdfarbenen, auf dem Rücken einzeln kurz beborsteten Körper, durch den Mangel jeglicher Bewegungswerkzeuge, durch einen schwarzen, zurückziehbaren und hornigen Kopf, welcher mit Kinnbacken und sehr kurzen Fühlerchen ausgerüstet ist, so wie endlich durch die eigentümliche Bildung ihres stumpfen, mehr weniger gerade abgestutzten Leibesendes. Dieser trägt an seinem Rückenrande vier Dörnchen, am entgegengesetzten Rande den vielfach gerunzelten After, über demselben zwei benachbarte, mehr fleischige Zäpfchen inmitten der ganzen Fläche und über diesen als je zwei tiefe Mondfleckchen von schwarzer Farbe zwei Luftlöcher. Ob eine Larve von der eben beschriebenen Beschaffenheit gerade unsere Kohlschnake liefern werde, wenn man sie an einer jener Oertlichkeiten im Frühjahre erwachsen ausgefunden hat, ist sehr fraglich; denn was von den Schnaken gesagt worden, gilt in noch weit höherem Grade von den Larven und Puppen, sie sehen sich alle außerordentlich ähnlich und unterscheiden sich nur für den Kenner durch geringfügige Merkmale. Da ich alle Bilder nach der Natur habe zeichnen lassen, von der Kohlschnake aber weder Larve noch Puppe bei der Hand hatte, so ist die Abbildung der Larve nach einer in Weingeist aufbewahrten Larve einer etwas größern Art, der Tibula nubeculosa und die Puppe nach einer Hülse derselben Art entworfen worden.

Der Umstand, daß man diese Larven in Gefäßen mit bloßer Dammerde erziehen kann, sie auch in pulverigem, von Wurzeln vollkommen entblößtem Gartenlande in Menge gesunden hat, beweist, daß sie jener zu ihrer Nahrung nicht bedürfen. Man hat gemeint, sie zerstörten auf den Krautländern die Wurzeln der Kohlarten, sorgfältig angestellte Beobachtungen haben aber gelehrt, daß sie sich nur zufällig da finden und besonders an solchen, welche schon von andern Fliegenmaden heimgesucht worden und in Fäulniß übergegangen sind. Wenn man ihnen das Absterben ganzer Rasenflecke Schuld giebt, so beruht das also auf vollständigem Irrthume oder könnte, wenn sie einmal in sehr großen Mengen bei einander leben, mittelbar durch sie nur, dadurch entstanden sein, daß sie die feinen Wurzelfasern bloßgelegt und so zum Austrocknen gebracht hätten.

Während ihres Wachsthumes häuten sich die Larven nicht, sondern erst dann, wenn sie im nächsten Frühjahre, je nach der Witterung und Eigenartigkeit eher oder später an ihren Weideplätzen zu schmutzigbraunen, ziemlich walzigen Puppen werden, ausgerüstet mit Spießen und Stacheln, mit deren Hilfe sie sich aus größern Tiefen hervorarbeiten könnten, als sie nöthig haben. Zwei stehen wie ein Paar Hörner vorn am Kopfe in die Höhe, einige andere an der Brust, und außerdem umgiebt den Hinterrand jedes Leibesringes ein Kranz kräftiger Dornen. Nach wenigen Wochen spaltet sich ihre Rückenhaut und die Schnake beginnt nun ihr oberirdisches Leben.

Wenn ich in der ersten Ausgabe dieser Insektenbilder von wenigstens zwei Bruten im Jahre gesprochen habe, so möchte ich diese Annahme doch für einen Irrthum halten, der aus dem Vorhandensein der Schnaken vom Frühjahre bis zu dem Herbste hervorgegangen ist. Erwägt man jedoch, daß diese aus zahlreichen Arten bestehen, welche verschiedenzeitig ausschlüpfen, und daß das Wachsthum der stattlichen Larven bei einer so magern Kost, mit welcher sie im allgemeinen vorlieb nehmen, nicht allzu rasch von Statten gehen dürfte, so scheint mir die Annahme von nur einer Brut im Jahre die richtigere zu sein.


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