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Vorausgesetzt, daß die Spanne oder dieser und jener Rüsselkäfer uns nicht um die Obsternte gebracht haben und Aepfel und Birnen in hinreichenden Mengen vorhanden sind, unseren Appetit zu stillen: so sind wir vor weiterem Ungeziefer noch lange nicht gesichert. Wer wüßte nicht, wie unangenehm in manchen Jahren das sogenannte »wurmstichige« Obst ganz besonders die Feinschmecker berührt – die Erfahrung hat gelehrt, daß gerade das edlere Kernobst am meisten an diesem Krebsschaden leidet. – Jene Bezeichnung ist, genau genommen, unrichtig; denn nicht ein Wurm oder eine Made, die stets fußlos sind, sondern eine sechszehnfüßige Raupe, rosenroth oder gelbröthlich von Farbe, über und über mit ziemlich langhaarigen Warzen besetzt, bohrt sich in die genannten Obstarten ein, nicht, wie wir, Geschmack am Fleische findend, sondern nur der Kerne wegen. Zu der Zeit, wo das Obst schon angesetzt hat, auch wohl noch etwas später, erscheinen die Schmetterlinge und legen ihre Eier einzeln an die Fruchtstiele oder oben in die vom Kelche zurückgebliebene Vertiefung. Nicht lange nachher kriegt das Räupchen aus und dringt in das Innere der Frucht hinein. Merkwürdig genug, nie wird man zwei Raupen in einer Frucht finden. Wenn auch ein und dasselbe Weibchen nur ein Ei an jene gelegt hat, woher weiß ein nachher ankommendes, daß diese schon besetzt ist? Entschieden kennt es die Eier seiner Art; langt es nun an den oben bezeichneten Stellen an, um sich eines derselben zu entledigen, so wird es weiter suchen, wenn es ein solches schon vorfindet. Wie aber, wenn die Raupe schon eingedrungen ist? Jedenfalls hat es ein äußeres Merkmal, das mit der Zeit verschwindet, oder von uns nicht erkannt wird.
Sind die Kerne verspeist, so bohrt sich die Raupe wieder heraus und sucht sich eine andere noch unbesetzte Wohnung. Ein schwarz umsäumtes, rundes Loch und meist einige Kothklümpchen, welche durch Seidenfädchen an seiner Mündung festgehalten werden, zeigen uns an, daß sich hier ein ungebetener Gast eingemiethet hat. Schneiden wir eine angebohrte Birne durch, so finden wir eine Raupe in ihr, in den meisten Fällen jedoch nicht; wir wissen aber sicher, daß sie da gewesen ist. Gar häufig kommt es auch vor, daß keine Spur einer äußern Verletzung wahrgenommen und die Raupe dennoch angetroffen wird. Wie reimt sich nun das alles zusammen?
Wenn wir ein wenig uns besinnen, werden sich die Räthsel bald lösen. Welche Sorten waren es denn, in denen wir wider alles Erwarten eine Raupe mit der Frucht zugleich halbirten? Muskatellerbirnen, Augustäpfel, kurz frühzeitiges Obst. Eine etwas spät entwickelte Raupe ist in die halbwüchsige Frucht hineingegangen. Die sehr kleine Oeffnung, durch die es geschah, ist nicht zu sehen, oder besser gesagt, die Wunde ist vollkommen verharscht. Das Kernhaus bot ihr bei seiner bereits vorgerückten Entwicklung auf längere Zeit Nahrung, die Birne wurde mittlerweile natürlich, oder durch den Wurm im Herzen verfrüht reif; dieser aber war noch nicht genöthigt, dieselbe zu verlassen, weil sie ihm die hinreichende Nahrung darbot. Die Nachbarbirne hat ein schwarz umrandetes Loch, weil eine etwas ältere Raupe in ihr wohnte, die alles aufgezehrt hatte und sich deshalb herausfressen und eine andere Frucht aufsuchen mußte, wobei ihr das Spinnvermögen gut zu Statten kommt, oder wir finden sie noch vor; in diesem Falle wohnte sie aber schon wo anders und ist durch die Oeffnung in die neue Behausung eingezogen. Endlich kommt uns ein drittes Stück in die Hände, welches zwei Löcher und keine Bewohnerin aufzuweisen hat. Diese pflegt nämlich auf einem andern Wege herauszugehen, als da, wo sie ihren Einzug gehalten hat. Raupen, welche frühzeitig dem Eie entschlüpft sind und in später erst ausgewachsenen, langsamer reifenden Obstarten Hausen, bedürfen einer großen Anzahl von Früchten, ehe sie ausgefüttert sind, und da sie dieselben in deren Jugendalter bewohnen, wo sie noch weit empfindlicher sind als später, so bringen sie ihnen den Tod; daher die vielen grünen, noch gänzlich unreifen Aepfel und Birnen unter den Bäumen.
Im Spätsommer oder Herbst sind die Raupen erwachsen und verlassen die Früchte. Befinden diese sich noch auf den Bäumen, so suchen sie zwischen den Rissen der Rinde ein Versteck, spinnen ein weißes, zähes Gewebe, welches sie durch einige abgenagte Spänchen dem Untergrunde möglichst ähnlich darzustellen wissen, so daß nur Spechte und Baumläufer dasselbe ausfindig zu machen vermögen. Fällt die Frucht mit der Raupe vom Baume, so sucht diese sich im Grase oder am Fuße des Stammes ein sicheres Plätzchen. Nicht minder häufig werden die Raupen mit dem etwas früh abgenommenen Obste in die Räume verschleppt, in denen man es aufbewahrt. Hier kann man die Gespinste allenthalben, aber immer möglichst verborgen, in den Ritzen der Dielen oder des Balkenwerks antreffen. Erst etwa drei Wochen vor dem Erscheinen des Schmetterlings wird die so versponnene Raupe zu einer ziemlich gestreckten, hellbraunen Puppe, welche einen halben Dornenkranz an ihrem stumpfen Ende und einzelne Haarborsten zwischen den Dornen trägt.
Der zierliche Falter sieht am Vorderleibe und all den entsprechenden Flügeln bläulichgrau aus und führt auf diesen dunkelbraune, mehr oder weniger bindenartig gehäufte Quersprenkel. Am meisten charakterisirt dieselben ein ovaler, sammetschwarzer Fleck im hintern Winkel, mit bronzeglänzender, öfter nicht ganz geschlossener augenförmiger Zeichnung. Man hat diese Stelle, welche bei vielen Wicklern charakteristisch ist, den »Spiegel« genannt, wie jene Querlinien infolge ihrer häufig vorkommenden Färbung die »Bleilinien«. Die Hinterflügel sind röthlichbraun, wie mit Kupferglanz angeflogen, und fein heller gesäumt. Wegen dieser Färbung und ihres ruhigen Verhaltens bei Tage fallen die kleinen Thierchen wenig auf, so daß man sie im Freien nur selten, ja sehr selten bemerkt im Vergleiche zu den vielen »wurmstichigen« Früchten. Daß aber immer welche vorhanden waren, beweisen die alljährlich zu findenden angestochenen Kernfrüchte. Man muß indeß nicht meinen, daß in obstarmen Jahren, wie es der Erfahrung nach den Anschein hat, die Raupe häufiger sei, vielmehr fehlt es dann an Wohnungen und es bleiben daher weniger leer stehen.
Bekanntlich lebt in den Pflaumen eine ganz ähnliche, etwas kleinere Raupe, die einem ähnlichen Schmetterlinge ( Penthina pruniana) ihr Dasein verdankt. In ihrer Lebensweise ist sie von jener kaum verschieden, nur dadurch, daß sie das Fleisch der Frucht verzehrt; sie darf aber nicht mit der früher (S. 142) erwähnten Afterraupe der Blattwespe verwechselt werden. Um die Raupen nicht zu sehr überhandnehmen zu lassen, wird, wenn sie einmal sehr häufig sind, vorgeschlagen, die durch ihr Verschulden früher abgefallenen Zwetschen nebst den durch leichtes Schütteln weiter zu Falle zu bringenden sorgfältig zu sammeln und zum Branntweinbrennen zu verwenden, wenn man sie an die Schweine nicht verfüttern will. Dieselben zu welken, wäre eine unsaubere Verwendung und der Handel mit dergleichen ein betrügerischer.