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Zu den sonderbarsten Geschöpfen unserer stehenden und langsam fließenden Gewässer gehören die sogenannten Hülsenwürmer, Sprocke, Kärder, Wasserraupen. Hat einer und der andere meiner geehrten Leser einst die Liebhaberei der meisten Kinder besessen, an Teichen, Tümpeln, Wassergräben etc. umherzukrebsen und naturwissenschaftliche Beobachtungen vom kindlichen Standpunkte aus anzustellen, so erinnert er sich gewiß noch der kleinen, auf dem Grunde hin- und herkriechenden Röhren, die aus den verschiedensten Stoffen angefertigt sind, je nachdem dieselben von der natürlichen Beschaffenheit der Oertlichkeit dargeboten werden. Diese Röhren bestehen aus den feinsten Sandkörnchen, welche so fest zusammengekittet sind, daß es kaum möglich sein dürfte, ein Steinchen aus der Mosaikarbeit auszubrechen, ohne das ganze Kunstwerk zu zerstören. Andere dagegen bilden eine Zusammenfügung der zierlichsten Schneckenhäuserchen und nehmen darum einen größeren Umfang in Anspruch als die ersteren. Wieder andere sind aus allerlei Holzsplittern, Grashälmchen, Blütenabfällen von Bäumen und wer weiß welchen Pflanzentheilchen aufgebaut, die in ihren Hauptrichtungen entweder quer oder der Länge nach zusammengefügt erscheinen, oder wohl auch in solchem Wirrwarr, daß sich kein bestimmter Bauplan herausfinden läßt. Manche von ihnen zeigen Einheit in den Größenverhältnissen der Stückchen, andere dagegen gewaltige Unterschiede. Die ersteren bestehen aus grünen, den lebenden Wasserpflanzen entnommenen und offenbar zu diesem Zwecke bearbeiteten Stückchen, die andere vorherrschend aus zusammengelesenen Abfällen benachbarter Bäume und Sträucher, welche in das Wasser gelangt sind. Sie alle, welcher Beschaffenheit sie auch sein mögen, bewegen sich auf dem Boden der Gewässer oder an den untergetauchten Stengeln der Wasserpflanzen, welche niemals fehlen dürfen, wenn man jene Röhren antreffen will, gleichmäßig, aber langsam fort, müssen also belebt sein.
Sehen wir genauer nach, so entdecken wir das Bewegende in ihnen und lernen zugleich den kleinen Baumeister kennen. Ein brauner horniger Kopf, hinter ihm einige ähnlich aussehende Körperglieder mit sechs Beinen, deren vorderste die kürzesten sind, ragen aus der Röhre hervor und nehmen sie beim Fortkriechen, wie die Schnecke ihr Haus, mit sich. Bewegen wir das Wasser, kommen ihnen zu nahe oder fischen sie gar heraus, so scheint das Leben verschwunden, rasch ziehen sich die Beine und der Kopf zurück, und die Röhre liegt bewegungslos da. Wir müssen sie aber schon einmal in ihrer Ruhe stören, um sie genauer kennen zu lernen.
Die Röhre zeigt an jedem ihrer Enden eine Oeffnung, ist inwendig mit Seide ausgekleidet, welches Gewebe zugleich die fremden Körperchen auf der Außenseite festhält. Der wurmförmige Bewohner (Fig. a) dieses Futterals trägt einen kleinen, fühlerlosen, aber mit zwei Augen und kurzen Mundtheilen ausgerüsteten Kopf. Von den Leibesringen ist der nächste nach dem Kopfe kleiner als die andern und wie dieser mit Chitin bedeckt, während alle folgenden auf ihrer Oberfläche nur häutiger Natur sind. Die sechs mittleren Hinterleibsringe schicken als Athmungswerkzeuge lange, fadenförmige, auf dem Leibe liegende, hohle Kiemenfortsätze aus, und der letzte ist mit Borsten und seitlichen Häkchen besetzt, damit er sich an das Futteral festhängen könne. Die Mitte der Unterlippe stellt ein feines Rohr dar und bildet das Spinnwerkzeug zur Anfertigung der Wohnung. In der häuslichen Einrichtung dieser kleinen Wesen, die wir jedenfalls für Larven eines noch unentwickelten Insekts halten müssen, werden wir unwillkürlich an die oben (S. 319) erwähnten Sackträger erinnert, und sie nehmen für die Wasserbewohner genau dieselbe Stelle ein, wie jene für die außer dem Wasser sich vorbildenden Schmetterlinge. Im weiteren Verlaufe der Entwickelungsgeschichte werden wir ohne besondere Hindeutung die Aehnlichkeit zwischen beiden leicht weiter verfolgen können.
Die Hülsenwürmer leben größtenteils von Pflanzentheilen, oder vielleicht besser gesagt, von verwesenden organischen Ueberresten, das Räuberhandwerk so vieler, ja der meisten ihrer Nachbarn bleibt ihnen gänzlich fremd.
Bei der Verpuppung, die selbstverständlich in der Hülse erfolgt, verspinnt die Larve die Oeffnungen derselben in höchst eigenthümlicher Weise. Gitterthüren versagen feindlichen Wesen und ermöglichen zugleich dem Wasser den Zutritt. De Geer beschreibt ein solches Gitter; es besteht aus kleinen ziemlich dicken Blättchen von brauner Seide, so hart wie Gummi, paßt genau auf die Oeffnung des Futterals und ist ein wenig innerhalb des Randes an demselben befestigt. Es ist über und über von Löchern durchbohrt, welche in sich einschließenden Kreisen stehen und durch Leisten von der Mitte gegen den Umfang hin getrennt werden; diese sind jedoch nicht immer so regelmäßig wie die Speichen im Rade. Durch diese Leisten laufen quer andere und folgen der Richtung der Löcherkreise, so daß diese zwei Arten von sich kreuzenden Leisten Fächer bilden, in deren jedem sich ein Loch befindet. Sind nun solche oder ähnliche Vorsichtsmaßregeln getroffen, manche spinnen sich einfach an einen Stein, eine Wasserpflanze fest, wieder andere legen einen Pflanzenrest vor die Mündung, so wird die Larve zu einer Puppe (Fig. b), welche, wie sich nach dem Gesagten von selbst ergiebt, ruht und keine Nahrung zu sich nimmt. Ihre Beine, Fühler und Flügel liegen, in besondern Scheiden eingeschlossen, frei am Körper, eine schon öfter erwähnte Einrichtung, welche hier großen Werth hat. Denn wenn die Zeit des Ausschlüpfens herankommt, drängt und stößt die Puppe gegen den vordern Deckel ihres Futterals und zerstört ihn mittels hakiger Borsten am Kopfe zuletzt so weit, daß sie aus demselben hervorkriechen kann. Sie verläßt nun ihre bisherige, schützende Behausung, kriecht mittels ihrer vier vordersten Beine, welche noch in ihrer Scheide stecken – die hintersten werden durch die Flügel zu sehr bedeckt – an einer Pflanze bis zu der Oberfläche des Wassers empor, hält sich hier fest, und alsbald läßt das vollendete Insekt, des elenden Lebens im Pfuhle müde, die zarte Haut an jenem Stengel sitzen und flieht in flatterndem, unsicherem Fluge das gefährliche Element, in dessen Nähe es zwar zu verweilen pflegt, aber immer nur insoweit, als es festen Grund unter seinen Füßen weiß.
War bisher von den Frühlingsfliegen im allgemeinen die Rede – die bestimmten Arten dürften nach dem dermaligen Stande der Wissenschaft schwerlich von jemandem nach ihren Larven und deren Futteralen, sowie nach den Puppen allseitig unterschieden werden können – so müssen wir nun eine Art besonders in's Auge fassen und sie näher charakterisiren. Dem Leser wird es gewiß dann nicht schwer fallen, die zahlreichen andern Arten, welche ihm besonders des Abends bei seinen Spaziergängen an geeigneten Stellen um den Kopf schwirren, als frei gewordene Sprockwürmer zu erkennen, die sich ihm nun in Gestalt der » Wassermotten« vorzustellen die Ehre geben. Wir haben, wenn auch nicht die gemeinste, so doch die größte unserer deutschen Maifliegen gewählt und in Fig. d in natürlicher Größe dargestellt. Die große Wassermotte von ungefähr 26 mm Körperlänge, zeichnet sich durch die gelblichgraue Grundfarbe aus, welche durch dichte kurze Behaarung auf den Vorderflügeln von unbestimmten, dunkleren, beinahe schwarzen Flecken mit dazwischen liegenden weißlichen Punkten verdeckt wird. Die ebenfalls, jedoch einfarbig und minder dicht behaarten Hinterflügel bleiben durchsichtig und zeigen sich nur auf ihrem gelbbraunen Geäder und der gerundeten Spitze getrübt; sie sind breiter als die vorderen und wie diese mit zarten Haarwimpern besetzt. In der Ruhe werden die Flügel dachartig getragen. Die borstigen, reichlich bis zu ¾ am Vorderrande der Vorderflügel sich erstreckenden Fühler erscheinen grau und schwarz geringelt und zwar ebenfalls durch filzige Behaarung, wie man durch die Lupe wahrnimmt. Längere, gleichfalls graue und schwarze Haare sitzen am Kopfe und am Vorderbruststücke, die beide gleich breit sind, nur daß ersterer darum vollkommener erscheint, weil die zwei schwarzen Augen wie ein paar Halbkugeln an seinen Seiten hervorquellen. Bei genauer Betrachtung bemerkt man zwischen letzteren auf dem Scheitel, von seinem Haarkleide zum Theil verdeckt, drei glashelle einfache Augen, deren vorderstes genau zwischen die Fühlerwurzeln zu stehen kommt.
Eigenthümlich sind die Mundtheile gebildet. Wie ein Schnabel ragt in der Mitte ein schmaler, sich verengernder Körper nach unten, es ist die Oberlippe, an deren Grunde rechts und links je ein kurzes Zipfelchen, die verkümmerten Kinnbacken sitzen; unter diesen neben der Spitze der Oberlippe ragt der häutige Endlappen der Unterkiefern hervor, an welchem, ziemlich in der Mitte der ganzen Mundtheile, der beim Männchen aus vier, beim Weibchen aus fünf Gliedern bestehende Kiefertaster sitzt. Den Hauptheil des ganzen Mundes bildet die am meisten hervorragende muldenförmig ausgehöhlte Unterlippe, welche auf ihrer hintern Wand mit den, bei beiden Geschlechtern dreigliedrigen Tastern besetzt ist. Die eben beschriebene Bildung der Mundtheile erinnert einigermaßen an die der Schmetterlinge – und weist ihren Inhabern auch ähnliche Kost zu. Da man die Wassermotten, auch Schmetterlingshafte genannt, aber nie auf Blumen saugend gefunden hat wie die Schmetterlinge, so müssen sie mit den feuchten Niederschlägen aus der Luft vorlieb nehmen, welche ihnen zur Nachtzeit gereicht werden. Die langen Beine haben fünf Glieder an jeglichem Fuße, an den Schienen der vordersten zwei, an denen der übrigen je vier Spornen, d. h. paarig stehende Stachelborsten, welche sich vor den übrigen, an denen es nicht fehlt, durch Größe (Farbe) und Stellung auszeichnen.
Im Juni kann man in der Nähe des Wassers Die Frühlingsfliegen bilden eine außerordentlich reichhaltige Familie ( Phriganeidae), welche man darum neuerdings (die europäischen) in zahlreiche Unterfamilien mit noch zahlreicheren Gattungen eingetheilt hat. Die vier verhältnismäßig mit wenigen Adern durchzogenen Flügel, deren Hintere ebenso breit oder breiter als die vordem und dann längsfaltig sind, die langen borstigen Fühler und fünfgliedrigen Füße, sowie die theilweise verwachsenen, besonders verkümmerten Oberkiefer sind ihnen allen gemeinsam und zeichnen sie vor den Verwandten aus. Bei der Bestimmung der einzelnen Gattungen geben besonders die Spornenzahl an ihren Beinen, die Fühler- und Flügelbildung die nöthigen Unterscheidungsmerkmale ab. Unter den kleineren Arten besonders finden sich außerordentlich zierliche Thierchen, oft mit lebhaft bunter Färbung ihrer Vorderflügel, so daß man sie für Motten oder andere kleine Schmetterlinge halten möchte. Jene Färbung rührt aber nie, wie bei diesen, von staubigen Schuppen, sondern von Härchen her und ist deshalb weniger vergänglich, wenngleich auch wegen der Zartheit dieser abreibbar. Die Eier werden von den Weibchen an untergetauchte Wasserpflanzen oder an feuchten Uferstellen in Gallertklumpen abgesetzt. Die Larven leben in der beschriebenen Weise, müssen unter Umständen aber auch mit bloser Feuchtigkeit fürlieb nehmen; denn man findet von den vollkommenen Infekten einzelne Arten in Hölzern und Gebüsch mehr fern vom Wasser, als in dessen nächster Nähe, und daß sie sehr weit von ihren Geburtsstätten wegfliegen sollten, ist nicht anzunehmen. Auch darf man aus den Namen » Mai- oder Frühlingsfliegen« nicht auf ihr Vorkommen nur in dieser Zeit schließen, vielmehr trifft man sehr viele Arten bis in den Herbst hinein an, und nur der Umstand, daß sie in jener Jahreszeit in auffallenderen Mengen als andere Insekten herumfliegen, mag jene Benennungen einigermaßen rechtfertigen. Wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit und mancherlei Verwandtschaft mit gewissen Schmetterlingen dürfte übrigens der Name » Wassermotte« den Vorzug verdienen. an Baumstämmen, Wänden, Brückengemäuer diese Thiere antreffen, die, aufgescheucht, mit einigem Geräusche und gradlinig fortfliegen, wie erschreckt und auf unangenehme Weise berührt. Gelangen sie auf die Erde, so wissen sie mit Hilfe der langen Hinterbeine und deren Sporne sich in rutschenden Bewegungen etwas fortzuschnellen und sich im Grase oder unter andern Gegenständen auf dem Boden zu verstecken. Nachlässiger und weniger gezwungen erscheint ihr Flug des Abends, wenn sie, von Sehnsucht getrieben, einander aufsuchen.
Ueber die Entwicklungszeiten und namentlich über die Ueberwinterung bin ich noch nicht ins Klare gekommen. Für die verschiedenen Arten gestalten sich diese Verhältnisse wohl auch verschiedenartig. Viele unserer auffälligsten Arten mögen im Larvenstande überwintern; denn nach dem sich zurückgezogenen Frühjahrswasser findet man die ziemlich erwachsenen Sprockwürmer massenhaft an tieferen Stellen, wo das Wasser zurückgeblieben ist. Von den im Herbste auftretenden möchte eine Ueberwinterung im Eistande am wahrscheinlichsten sein.