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Die Blätter unserer Laubbäume sind von leichten Nachtfrösten roth oder gelb gefärbt, noch einige grüne zwischen ihnen geben das bunte Durcheinander, welches der herbstlichen Landschaft den ihr eigenthümlichen Stempel aufprägt. Als wollte die Natur, nachdem sie das Auge durch die Länge der Zeit an das ihm dadurch eintönig gewordene Grün gewöhnt hatte, vor ihrem Winterschlummer noch einmal zeigen, wie schön sie sein könne, schmückt sie ihre stattlichsten Kinder mit den bunten Farben. Und denkt man eben nicht an die kommenden Tage, von denen es heißt »sie gefallen mir nicht«, so bietet es einen eigenthümlichen Reiz, zu solcher Zeit zwischen den Bäumen hin zu wandeln und ein Blättchen nach dem andern, dem Gesetze der Schwere folgend, leise herabgleiten zu sehen, um da zu liegen, wo so viele tausende sich schon gesammelt haben, um zu werden, was diese gewesen sind, Staub und Erde, ein Tröpflein der unendlichen Quelle, aus der immer und immer wieder neues Leben hervorquillt. Diese Zeit ist jedoch eine kurze, eine bloße Uebergangsperiode, einige Regentage, nächtliche Reife, oder ein einziger Herbststurm beschleunigen das Abstreifen jener köstlichen Gewänder und lassen die eben noch Geschmückten in ihrer ganzen Nacktheit erscheinen, nur die Eichen halten es fest, ihr jetzt häßlich verschrumpftes und rauschendes Laub. Die einsamen Feldblümchen fühlen sich noch mehr vereinsamt und das thierische Leben scheint ganz aufgehört zu haben; denn die kurzen Novembertage werden immer kürzer und die Sonne schämt sich ihrer schwächlich gewordenen, sonst Leben spendenden Wärmekraft, sie kommt lieber gar nicht hinter den grauen Wolken hervor.
Trotzdem wird in der Thierwelt selbst zu dieser Zeit das Leben noch sichtbar, ja es beginnt erst bei einem zarten Wesen, welches wir jetzt nicht mehr suchen, da wir gewöhnt sind, seine Brüder und Schwestern in schöneren Tagen zu finden. Jetzt erst, trotz Frost und Schnee, trotz Mangel an Sonnenschein und lieblichen Blumen, beginnt für einen Spanner, deshalb » Frostschmetterling, Spätling, Winterspanner, ( Cheimatobia brumata« genannt, – bruma bezeichnet nämlich den kürzesten Tag – das Leben und die – – Liebe, wenn letzteres Wort einmal zu mißbrauchen erlaubt ist; denn was wäre auch für einen Schmetterling ein Leben ohne Liebe?
An einem für die eben näher bezeichnete Zeit leidlichen Abende in der letzten Hälfte des Novembers, ja auch im December bis gegen die heilige Weihnachtszeit hin, können wir ihn sehen, wie er in unsicherem Fluge mit seinen zarten Flügeln die feuchte Luft durchschneidet, und würden bis in die Nacht hinein seine Thätigkeit verfolgen können, wenn anders die Dunkelheit es gestattete. Bäume müssen in der Nähe sein, wo er fliegen soll, und ohne gerade wählerisch zu sein, sind ihm Obstbäume ganz recht. Solltest Du ihn in Deinem Obstgarten einmal häufig bemerken, so sei ja auf Deiner Hut! Ein krankes Aussehen der Bäume im nächsten Frühjahre und ein gänzliches Fehlschlagen der Ernte könnte sonst die unausbleibliche Folge sein. Beides steht im genauesten Zusammenhange mit dem damals reichlich vorhandenen »Spätlinge«, ohne daß auch nur einer von denen, die wir fliegen sahen, unmittelbar die geringste Schuld daran hat. Verfolgen wir einen einmal weiter und sehen zu, wie er aussieht, wo er bleibt und wie er es treibt. Die stark gerundeten Flügel sind, wie der ganze Körper, staubgrau und ziemlich dünn beschuppt, die vorderen werden von mehreren dunkleren Querbinden durchzogen, welche hier deutlich, dort wie verwischt auftreten; die lichteren Hinterflügel sind zeichnungslos und die Fühler borstenförmig.
An den Stämmen der Bäume sucht und findet er das Weib (Fig. d). Dieses, ebenfalls von staubgrauer Farbe und stark weiß beschuppt, möchte man für einen eben ausgekrochenen Schmetterling halten, dem die Flügel erst noch wachsen sollen, so kurz und unentwickelt sind sie. Darauf könnte man aber lange warten. Sie haben ihre wirkliche Größe, und verurtheilen die armen Thiere zu der Rolle des »Abwartens«. Dieselben können nicht ausfliegen und dem beschwingten Manne auf halbem oder ganzem Wege entgegenkommen, sie müssen in aller Weiblichkeit abwarten »bis einer kommt.« Indeß können sie sich mit manchen andern ihres Gleichen trösten; es finden sich unter den Spannern, Spinnern und Motten Leidensgefährtinnen, und in den Sackträgern haben wir früher eine entschieden noch niedrigere Entwicklungsstufe kennen gelernt. Einigen Ersatz für die Flügel bieten ihnen die langen dünnen Beine, mit deren Hilfe sie zu guten Läufern werden.
Mit anbrechender Nacht marschiren nun die so stiefmütterlich bedachten Weiber am Stamme aufwärts, der Vereinigung mit den suchenden Männern gewärtig. Diese kommen und werden nach derselben, wie sich ein schwedischer Graf aus dem vorigen Jahrhunderte, der das Leben dieser Wesen sorgfältig beobachtet hat, auszudrücken beliebte, von den Weibern wie Klötze hinterdrein geschleppt. In der Krone angelangt, setzen letztere ihre blaßgrünen, durch Punktirung an ein Mohnkörnchen erinnernden Eier einzeln, oder in Häuflein bis zu 20 Stück an die Knospen oder in deren nächster Nähe ab, und zwar birgt jedes einen Vorrath von etwa 200 in seinem Eierstocke.
Je nach der Witterung kriechen im April oder erst Anfangs Mai des nächsten Jahres die kaum zwirnfadendicken Räupchen aus und verzehren die feinen Spitzen der Knospen. Nur bei genauer Besichtigung dieser bemerkt man ein feines Gespinst zwischen den Blättern oder, wenn es Obstbäume waren, zwischen den sich entwickelnden Blüten und deren Büscheln, in welchen sie sich versteckt halten und ungestört werden. Auf den Obstbäumen findet man in Gesellschaft der Spannraupen häufig noch zwei andere, Blattwicklern ( Tortrix pruniana H. und ocellana W. V.) angehörige Raupen, welche das Zerstörungswerk nach Kräften unterstützen. Haben sie keine Blätter mehr, so müssen sie zu den zerfressenen, schon verdorrten Gerippen derselben schreiten. Diese kleben sie ebenfalls zusammen wie einen Knäuel und verbergen sich in demselben. Indem sie hier die letzten Ueberbleibsel der Knospen aufzehren, zerstören sie zum Theil schon den Trieb für das nächste Jahr. Diese Knäule und Klümpchen geben dem Baume das Ansehen, als wären seine Blätter und Schößlinge verbrannt; denn alle grüne Färbung ist spurlos von ihm verschwunden. Jetzt erst lassen die Raupen sich an Fäden herab und suchen einen benachbarten Baum. Finden sie auch auf dem nichts mehr, so graben sie sich, wenn sie nur einigermaßen ausgewachsen sind, zur Verpuppung in die Erde, oder sie verhungern, wie es auch schon beobachtet worden ist (1827). Nach der letzten (fünften?) Häutung hört bei einer durchschnittlichen Länge von 16 mm. das Wachsthum der Raupe auf. Abgesehen von einigen abweichenden Farbentönen ist sie gelblich grün, hat einen schwarzen Kopf, braune Ringe um die Luftlöcher, eine dunklere Rückenlinie und von dieser jederseits drei weißliche Längsstreifen, deren beide untere öfter mehrfach unterbrochen erscheinen; durchaus ist sie mit kurzen Härchen besetzt, und als Spannraupe kommen ihr nur zehn Füße zu. Ende Mai oder Mitte Juni, je nach der wärmeren oder rauheren Witterung, geht sie 5-6 cm, tief am Fuße des Baumstammes in die Erde, wo sie in gerundeter Höhle zu einer fast 9 mm. langen, gelbbraunen Puppe wird (Fig. b.). Dieselbe ist gedrungen und endet hinten stumpf und mit zwei Häkchen.
Man hat beobachtet, daß die Raupen in trocknen Jahren am besten gedeihen; in kalten Frühjahren werden sie aber deshalb am schädlichsten, weil sie die jungen Triebe, die durch die Witterung sehr in ihrer Entwicklung aufgehalten werden, um so gründlicher ausfressen können, während in warmen und feuchten Frühlingen ihnen die Blüten und Blätter, so zu sagen, über den Kopf wachsen. Die Spanne, wie man in manchen Gegenden die Raupe schlechtweg nennt, findet sich fast an allen inländischen Laubbäumen unserer Wälder und Parkanlagen, wird an ihnen darum aber weniger empfindlich, weil von diesen keine Früchte geerntet werden. Anders steht es mit den Obstbäumen. Die Ernte an Kern- und Steinobst wird durch sie vorübergehend oder Jahre hintereinander ganz oder größtenteils in Frage gestellt und da, wo ihnen nicht Einhalt geboten wird, leiden die Bäume derartig unter dem wiederholten Fraße seitens der Spanne, daß sie zu kränkeln beginnen und absterben. Darum hat man seit langem schon auf Mittel gesonnen, durch welche man jenen bösen Feind mit Erfolg bekämpfe.
Das eine greift die Puppe an und besteht darin, daß man in der Zeit vom Juni bis September die Erde um die Bäume herum etwa 30 cm. tief umgräbt und dann fest stampft. Hierdurch kommen die Puppen zu tief, um die Schmetterlinge herauszulassen. Die zweite Vorkehrung greift das Uebel an der Wurzel an und sorgt durch angelegte » Theerringe oder Schutzgürtel« dafür, daß die Eier gar nicht, oder wenigstens nicht an den rechten Platz gelegt werden können. Diese Ringe werden im Oktober ungefähr in Brusthöhe um die Stämme gelegt und bestehen in einem Streifen steifen Papieres, welcher mit seinem unteren und oberen Rande der Rinde dicht aufliegen muß, damit nirgends ein Weg unter demselben hin nach oben führen kann. Sollte die Rinde sehr rissig sein und durch Abschneiden der Hervorragungen nicht geglättet werden können, so muß man die an den Papierrändern etwa klaffenden Stellen mit Lehm verstreichen. Der Ring wird am besten am obern und untern Rande festgebunden (das Annageln ist weniger zu empfehlen). Es kommt nun alles darauf an, diesen Gürtel mit einem Klebstoffe zu überziehen, welcher möglichst lange seine klebende Eigenschaft bewahrt. Man wählte früher hierzu den aus Kienharz nach ganz bestimmten Vorschriften gewonnenen Theer. Da aber die Zubereitung desselben besondere Aufmerksamkeit erfordert, welche man nicht mehr darauf verwendet, und sonstige Fälschungen vorkommen, so wurden von verschiedenen Seiten Klebstoffe hergerichtet, unter denen der unter dem Namen Brumata-Leim in den Handel gebrachte, vom Lehrer Becker in Jüterbog angefertigte sich nach meinen Erfahrungen sehr gut bewährt.
Es leuchtet nun ein, daß die von unten nach den Knospen wandernden Weiber über diese Hindernisse nicht hinwegkommen, und, wenn festgeklebt, sterben oder abgelesen und getödtet werden müssen. Auf diese Weise hat der oben erwähnte schwedische Graf ( Cronstedt) in einem Jahre vom 23. September bis 24. October – rücksichtlich der mit unsern obigen Angaben nicht stimmenden frühern Zeit bedenke man, daß in Schweden der Winter eher beginnt, als bei uns – 22,716 gezählte Weiber gefangen, und veranschlagt die im Theere steckengebliebenen, ungezählten auf ungefähr noch 6000 Stück!
In unsern Laubhölzern kommen noch einige andere Spanner in der spätern Jahreszeit vor, deren Weibchen gleichfalls flügellos sind. Unter ihnen ist einer, der in südlicheren Gegenden Deutschlands wie in der Schweiz manchmal auch den Obstbäumen schädlich wird und daher allgemeinere Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hat. Es ist der Blatträuber, Entblätterer oder große Frostspanner ( Hibernia defoliaria). Das Männchen ist größer als das oben beschriebene des kleinen Frostspanners, hat mehr dreieckige Vorderflügel von gelber Farbe, welche durch rothbraune Stäubchen gesprenkelt erscheint. Zwei rothbraune Querbinden theilen ihre Fläche in ein Wurzel-, Mittel- und Saumfeld, welches letztere in seiner Innenhälfte durch die zweite Querbinde ausgefüllt wird. Das Mittelfeld trägt einen rothbraunen Fleck nahe dem Vorderrande und springt in gleicher Höhe winkelig nach dem Saume hin aus, wo hinter der Querbinde ein mehr verwischter entsprechender Fleck angedeutet ist. Die Franzen sind gelb und rothbraun gefleckt, die Hinterflügel gleichen den Vorderflügeln ohne die Binden. Fühler doppelt gekämmt. Das Weibchen ist gelb und reichlich rothbraun gesprenkelt, fast flügellos, aber sehr langbeinig. Der große Frostspanner fliegt durchschnittlich vier Wochen früher als der kleine, und seine Raupe lebt, nachdem sie ihre halbe Wachsthumsgröße überschritten hat, freier auf der Futterpflanze, nicht wie in der Jugend und wie jene während ihrer ganzen Lebensdauer zwischen zusammengezogenen Blättern. Sie führt die Farben des Schmetterlings, indem das Braun eine an den Rändern wellig und noch dunkler eingefaßte Rückenstrieme bildet, welche sich vorn meist bis zu der Wurzel der Brust süße erweitert. Bisweilen ist die dunkle Rückenstrieme verwischt und nur ihre Einfassung übriggeblieben. Außerdem stehen die weißen Luftlöcher in braunen Wischen. Sie treibt ihr Wesen von Mitte April bis Mitte Juli und frißt auf Kirschbäumen die unreifen Früchte meist einseitig aus, weshalb man sie in der Züricher Gegend den »Kellenmacher« nennt. Ausgewachsen erlangt sie eine Größe von durchschnittlich 28 mm. und verpuppt sich, wie vorige, in der Erde.