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Capri, die liebliche Zauberinsel der Sirenen, wie sie seit Homer ungezählte Dichter und Schriftsteller, griechische, lateinische und neuere, besonders auch deutsche, gefeiert haben; Capri, das mit seiner wunderbaren blauen Grotte, seinem mild ausgeglichenen Klima und seiner kristallreinen Luft jährlich Tausende und aber Tausende von begeisterten Naturfreunden, Künstlern und Erholungsbedürftigen aus aller Welt zu seinen malerischen Felsgestaden herbeilockt, hatte, zumal es der Sammelpunkt der deutschen Italienfahrer war, es auch mir angetan.
Gleich mein erster Aufenthalt, es war 1901, Ende Oktober bis über Neujahr, ward für mich zum märchenhaften Erlebnis. Zauberhaft war vor allem der gewaltige Schauplatz, den die Natur bot: die weißen orientalischen Häuser, deren helle Lichter aus der Gärten dunkelgrüner Nacht wie Sterne hervorstrahlten und die finsteren engen Gassen und Gäßchen der inneren Stadt nur ahnen ließen, die hochragenden Felswände des Solaro, Castiglone und Tiberio, und das fast in taglichtem Mondschein weit hinausschimmernde Meer, umsäumt vom prächtigen Lichterkranz des Golfs von Neapel: keine Märchenlandschaft könnte man sich großartiger denken! Die Wirklichkeit war wie verschwunden.
Zum eigentlichen Märcheneiland wurde mir aber Capri erst bei meinem zweiten längeren Verweilen (Februar bis Mai 1910) durch die kluge Scheherezade, die den meisten Capribesuchern bekannte Tarantellatänzerin Carmelina, der ich die Mehrzahl der von mir gesammelten italienischen Volksdichtungen verdanke, wozu freilich auch noch andere Einheimische manchen wertvollen Beitrag, namentlich vertrauliche Offenbarungen aus der Geisterwelt, lieferten. Hinsichtlich des Sprichwörterschatzes bin ich dem Wirt vom gemütlichen »Lauro« in Anacapri, Francesco Tommaso, und seiner Tochter zu Dank verpflichtet.
Den so entstandenen Grundstock zum vorliegenden Märchenbuch möglichst zu vervollständigen, war der Zweck meiner dritten Caprifahrt, war Ende April bis Mitte Juli 1913 meine tägliche, nicht immer mühelose Arbeit, die ich aber trotz der mitunter recht fühlbaren, südlichen Sommersonne mit stets wachsender Freude fortsetzte. Eine erfreuliche Fülle von Märchen, Legenden, Schwänken und Sagen, die ich hiermit nebst einem Anhang anmutiger Tarantellalieder und Sprichwörter allen Freunden volkstümlicher Dichtung zu wohlwollender Aufnahme empfehle, war das Ergebnis.
Die deutsche Einkleidung der Märchen habe ich, so gut ich vermochte, bei sorgfältiger Wahrung des ursprünglichen Gehalts, auf den volkstümlich Grimmschen Hausmärchenton zu stimmen versucht, wobei die dichterisch-freie Wiedergabe vor der allzu wörtlichen Übertragung den Vorrang erhielt. Und so hoffe ich, der deutschen Lesewelt mit dem welschen Geschenk zugleich ein echt deutsch anmutendes, willkommenes Märchenbuch zu überreichen.