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15. Gleich und Gleich

Es war einmal ein Jüngling. Der war tadellos gewachsen, nur fehlte ihm ein Arm. Er hatte gar zu gern geheiratet, doch kein Mädchen wollte ihn zum Manne; denn sie wußten, daß der eine Ärmel leer an seiner Seite herunterhing.

Da zog er in eine Gegend, wo er nicht bekannt war. Niemand merkte, daß er einarmig war; denn es war Winter, und er hatte stets einen Mantel umhängen. Er hielt nun Umschau unter den Schönen und gewahrte bald ein sehr hübsches Mädchen, das ihm von einem Fenster aus, an dem sie täglich zu nähen pflegte, freundliche Blicke zusandte. Er verschaffte sich Zutritt im Hause, wurde von den Eltern liebenswürdig empfangen, und bald erfolgte die gewünschte Verlobung. Er war überglücklich, nun doch eine Braut gefunden zu haben und obendrein eine so schöne. Daß er sie immer nur sitzend antraf und sie niemals aufstand oder umherging, fiel ihm weiter nicht auf. Er sah daraus doch nur ihren Fleiß. – Und sie bewunderte bloß den stattlichen Mantel, dessen Träger ja wohlhabend sein mußte.

Als er sie jedoch am Tage der Hochzeit umarmen sollte, sagte er verlegen zur Braut: »Ich muß dir leider bekennen, daß mir ein Arm fehlt!«

»Dann sind wir ja quitt,« rief sie lachend; »denn mir fehlt ein Bein!«

Und da sie sich sonst weiter nichts vorzuwerfen hatten, wurden sie ein glückliches Paar.


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