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Sprichwörter und Redensarten

Wie die lehrhafte Kunstpoesie im Streben nach gehaltvoller Kürze den Spruch geprägt hat, so die Volksdichtung als gedrungenste Zusammenfassung der Volksanschauung und Erfahrung, als bündigste Satzung der Volksweisheit und Sittenlehre das Sprichwort, das sich bekanntlich schon bei den Kulturvölkern des Altertums, den Chinesen, Indern, Persern, Hebräern, Griechen, Römern und Arabern großer Beliebtheit und Verbreitung erfreute. Namentlich als Erziehungsmittel der Jugend wurden diese volkstümlichen Denkworte heilig gehalten gleich den (wohl vielfach aus ihnen hervorgegangenen?) Sprüchen der Dichter und Denker, die ihrerseits durch häufigen Gebrauch oft zu volkstümlichen Sprichwörtern wurden wie die berühmten Sprüche Khungfutses, Salomos, der sieben griechischen Weisen u. a.

Auf Bildern und Vergleichen beruhen, abgesehen von Wortspielen, die meisten Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten, wovon die Italiener, dank ihrer schon erwähnten lebhaften Einbildungskraft, ihrem kräftigen Witz und Humor einen ganz erstaunlichen Schatz aufzuweisen haben. Freilich zum großen Teil nur noch in Sammlungen und Wörterbüchern. Denn die Zeit ihrer Beliebtheit, wo man sie gern im täglichen Leben anwandte, ist auch im modernen Italien vorüber. Immerhin sind ihrer noch viele bekannt, wenigstens in Capri.

Die meisten lehren uns, gleich allen Sprichwörtern, allgemeine Erfahrungen und Wahrheiten, oder sie sind gegen häufige Laster, wie Trägheit, Trunksucht, Verschwendung, Neid, Habsucht usw. gerichtet, bald mit Warnungen, Ermahnungen, Drohungen und Verheißungen verknüpft, bald von Spott und Verachtung durchsäuert, »um die Menschen zu bessern und zu bekehren«, oder, wie bereits Salomo ermahnt, »zu lernen Weisheit, Zucht, Verstand, Klugheit, Gerechtigkeit, Recht und Schlecht«. – Vielfach ist jedoch jedwede erzieherische Absicht ausgeschlossen: sie sind nur glücklich geprägte, leicht im Gedächtnis haftende und als Verkehrsmünze gebrauchte Ausdrücke und Redensarten, besonders wenn vom geschäftlichen Tun und Treiben oder vom Befinden die Rede ist.

Wenn ich zum Beispiel eine alte Korallenfrau nach dem Geschäftsgange fragte, antwortete sie oft mit entsprechender Handbewegung nur: » Acqua a pipa!« oder » Passa la vacca!« (Wasser in der Tabakspfeife! Nichts zu machen mit der Kuh!), auch » Acqua nella gola!« oder » Acqua alla gola!« (Wasserschlucken! oder Das Wasser an der Kehle haben!).

Jägern wünscht man beim Aufbruch: » Alla gola del lupo!« (In den Wolfsrachen! wie bei uns: Hals- und Beinbruch!). – Nach einem Festgelage physischen und moralischen »Kater« haben:

» Dopo la festa,
vuoto le tasche e piena
         la testa.
«

Nach dem Feste, das toll,
die Taschen leer, der Kopf voll Reimsprüche habe ich nach Möglichkeit auch in Reimen wiedergegeben.

» La lingua batte, dove il dente duole«,

Die Zunge stößt an, wo der Zahn schmerzt.

wie schon bei Plautus: ubi dolet, ibi linguam.

Eine wichtige Rolle spielt natürlich das Wetter und die damit zusammenhängenden Lufterscheinungen, sowie die Bedeutung gewisser Tage und Zeitpunkte, die zu zahlreichen Kalendersprüchen und Wetterregeln Anlaß gaben:

Febbraio:
Mezzo dolce, mezzoamaro.«

Marzo è pazzo:
Piove, piove.

Aprile:
Gentile,
dolce dormire,
uccelli a cantare
ed alberi a fiorire.

Aprile fa il fiore,
e maggio ne ha l'onore.

Maggio:
Maggiore di tutti!
Anche l'asino mio
sta allegramente e raglia,
perchè viene la nuova
paglia.

Acqua di Giugno
consuma u munno (il
mondo).

Agosto:
Chi Agosto non si è
vestuto,
che malinverno è venuto
.

Trockner Jänner,
reiche Männer.

Der Februar ist ein Zwitter,
halb ist er süß, halb ist er bitter.

Der März
treibt Scherz.
Es regnet allwärts.

Wohl will
der April:
Liebliche Träume,
singende Vögel
und blühende Bäume.

April die Blumen beschert,
und Mai wird dafür geehrt.

Der Mai
ist der größte von allen!
Auch mein Esel schreit froh:
Denn bald kommt ja das neue
Stroh.

Ach, bliebe die Welt nur verschont
vom Wasser im Junimond!

Wer im August noch nicht gekleidet,
im Winter großen Mangel leidet.

Settembre (mundartlich):

Come è bella la campagna,
quann è tiemp'ra vellegna;
sient' oddore ra rammegna,
siente l'asino raglia.

Rosso di mattina
apre la tina.

Rosso di sera
buon temp ammena.

Wie die Fluren schön doch sind,
wenn die Weinleszeit beginnt;
Süßgrasduft die Luft erfüllt,
und vor Lust der Esel brüllt.

Morgenrot
bringt Wind oder Kot (wörtlich:
öffnet die Wasserbütte).

Abendrot
Gut-Wetter-Bot'.

Beim Regenwetter heißt es ein Obdach suchen; denn

Sotto la mano non ci piove.

Dove non entra il sole,
entra il medico.

Unter der Hand regnet es nicht.

Die Sonne tut Wunder:
Wohin die Sonne nicht kommt,
kommt der Arzt.

Manche Wochentage bringen kein Glück, da darf man nichts unternehmen:

Nè di Venere e nè di
Marte,
non si sposa e non si
parte;
e non si mettono figli
all' arte.

Am Freitag und am Dienstag
nicht
heiratet man, noch zur Reise aufbricht,
noch gibt man Söhne dem Lehrherrn in Pflicht.

Überhaupt sind die Italiener sehr vorsichtig und übereilen sich nicht gern, nach ihrem Lieblingswort:

Chi va piano,
va sano,
e lontano
;

presto bene,
mai viene
.

Geh nur sacht,
sicher bedacht!
Nimm dir Zeit!
Kommst schon weit.

denn

Wer nur hetzt,
lahmt zuletzt.

Zur Bequemlichkeit gehört aber auch Wohlhabenheit; darum:

È meglio nascere senza naso che senza fortuna!

Acqua passata non macina più.

Es ist besser, ohne Nase geboren zu werden, als ohne Vermögen.

Abgelaufenes Wasser mahlt (treibt die Mühle) nicht mehr.

Chi dal banco vuol soccorso,
perde il pelo come un orso
.

È inutile campana che tu suona,
chi non è divoto, non ci viene
.

Wer zur Bank nach Hilfe schaut,
verliert dem Bär gleich Haar und Haut.

Unnütz ist der Glocken Läuten,
wo es fehlt an frommen Leuten.

In van si pesca,
se l'amo non ha esca
.

Star a letto e non dormire,
star a tavola e non mangiare
,
aspettare e non venire,
son' tre cose di morire
.

Niemand jemals Fische fängt,
wenn am Haken kein Köder hängt.

Im weichen Bett nicht schlafen können,
am reichen Tisch nicht essen können,
warten und nicht kommen sehen,
sind drei Dinge, nicht auszustehen.

Chi non ha nulla da fare,
prende i cania pettinare
.

Impara l'arte,
e mettila da parte!

Wer nichts zu tun hat im Grunde,
fängt an und kämmt die Hunde.

Lerne die Kunst,
und überlaß sie der Gunst!

Vor zwecklosem Reden und leerem Geschwätz wird gewarnt:

Prima di aprire la bocca,
conterai fin' a 10!

Parla poco ed ascolta
assai!

Chiacchiere e tabbacchiere di legno, il banco non le cambia.

Bevor du den Mund auftust, zähle bis 10!

Rede wenig und höre viel!

Geschwätz und hölzerne Tabaksdosen wechselt die Bank nicht.

Hierzu ein echtes Capriwort:

Crape è cumo 'na tina,
Quello che si fa a sera,
si sape a mattina
,

Im kleinen Capri bleibt nichts verborgen,
was am Abend geschieht,
weiß jeder am Morgen.

Darum soll man seine Zeit stets nützlich verbringen:

Fin' alla bara
sempr' imparare!

Stets bis zur Bahre
lernen ist's Wahre. –

Vor allem schon die Kinder nicht verwöhnen, sondern streng halten!

Leider nur zu wahr, wenn auch ziemlich derb, ist das bäurische Wort:

Chi ha un sol' porco, lo fa grasso,
chi tiene un sol' figlio, lo fa pazzo
.

Wer ein einzig Schwein hat, macht fett es zum Schmaus,
wer nur einen Sohn hat, macht einen Narren daraus.

Und wahr ist leider auch oft:

Chi di 20 non sa,
di 30 non ha
.

Wer mit 20 nichts weiß und kann,
ist mit 30 ein armer Mann.

Wichtige Geschäfte verrichtet man selbst:

Chi vuole, vada; e chi non vuole, manda.

Wer ernstlich will, geht; und wer nicht will, schickt.

Genau so im Englischen:

If you would have your business done, go; if not, send!

Es mögen noch allgemeine Lebensregeln, Bemerkungen und Erfahrungen in freier Folge erwähnt sein:

Chi ben commincia, è alla meta dell òpra.

L'uomo per la parola, ed il bue per le corna!

Piccola casa e grande terra!

Chi ha terra – ha guerra.

Sulla barca che sta il capitano, non comanda il marinaio.

Dove c'è luce, non ci vuole lanterne.

Wer gut beginnt, hat schon die Hälfte des Werkes getan.

Den Mann nimmt man beim Wort und den Ochsen bei den Hörnern!

Kleines Haus und großer Besitz!

Eigne Erde – bringt Beschwerde.

Auf der Barke, wo der Kapitän weilt, befiehlt kein Matrose.

Wo Tageslicht ist, braucht man keine Laterne.

Bandiera vecchia, onore di capitano.

Da una della scarpa ne viene sempre un bel scarpone

La gallina vecchia fa
buon brodo
.

Sopra il nero non entra il bianco.

Alte Fahne, Ehre des Kapitäns.

Aus einem schönen Schuh wird immer noch ein schöner Pantoffel.

Die alte Henne gibt gute Brühe.

Auf Schwarz läßt sich nicht Weiß malen.

Mundartlich:

A gatta pe nghiei presse, facette i figlie cicati.

(pe nghiei presse = facette = it, fece; cicati = it ciechi.)

Die Katze brachte in der Eile die Jungen blind zur Welt.

wörtlich: schnell gehen.

Chi disprezza, vuol comprare.

Le parole dell asino non vanno al cielo.

Wer tadelt, will kaufen.

Die Worte des Esels dringen nicht zum Himmel.

Chi ode, vede e tacia,
se vuol vivere in pace

Dal detto al fatto
v'è un gran tratto
.

Wer hört, sieht und schweigt,
ist zum Frieden geneigt.

Vom Gesagt zum Getan
ist weit oft die Bahn.

Mundartlich:

È finuto u tiempo che Bertola filava.

Prima il dovere,
poi il piacere!

Die Zeit ist vorbei, wo Berta spann.

Erst die Pflicht,
und dann das Vergnügen.

Vorsicht ist namentlich im Umgang mit Menschen und bei der Wahl von Freunden geboten:

Persone senza colore
Son false e traditore.

Veleno in cuore e zucchero in bocca.

Dimmi, con chi tu vai,
che io sapro, quel che tu fai.

Leute, deren Farbe nicht frisch,
sind falsch und verräterisch.

Gift im Herzen und Zucker im Munde.

Sage mir, bei wem du bleibst,
damit ich wisse, was du treibst.

Chi va collo zoppo, dopo l'anno impara a zoppicare.

Liberatevi di tre C: cognati, compari e cugini!

I migliore amici sono quelli che stanno in tasca.

Wer mit dem Lahmen geht, lahmt bald selbst.

Befreie dich von drei »ern«: Schwägern, Gevattern und Vettern!

Die besten Freunde sind, die sich in der Tasche befinden.

Aber auch:

Vale meglio un amico che cento ducati.

Besser ein Freund als hundert Dukaten!

Unnütze oder undankbare Mühe bedeutet:

Tirare l'acqua colla paniere.

Lavare la testa all' asino, ci si perde il ranno ed il sapone.

Alla bocca non c'è gabella.

Wasser im Korbe heben (im Siebe tragen).

Einem Esel den Kopf waschen, heißt Lauge und Seife vergeuden.

Am Mund ist kein Zollamt.

Chi va al molino, s'infarina.

Una sola noce nel sacco non fa rumore.

Chi dorme, non piglia pesce.

Chi vive di speranza, muore disperato.

Meglio un uovo oggi che domani una gallina.

Meglio fringuello in mano che tordo in frasca.

Dove va un cardillo, vanno tutti.

Col tempo e colla paglia si maturano le nespole.

Molto fumo e poco arrosto.

L'arrosto a me, il fumo a te.

Wer in die Mühle geht, macht sich weiß.

Eine einzige Nuß im Sacke macht kein Geräusch.

Wer schläft, fängt keine Fische.

Wer von Hoffnung lebt, stirbt hoffnungslos.

Besser heute ein Ei, als morgen eine Henne.

Besser ein Fink in der Hand als ein Krammetsvogel auf dem Zweige.

Wohin ein Distelfink fliegt, fliegen alle.

Mit der Zeit und auf Stroh reifen die Mispeln.

Viel Rauch und wenig Braten.

Mir den Braten, dir den Rauch!

O mangiar' sta minestra,
o saltar sta finestra!

Se in cucina son più cuochi, la minestra sa di fumo.

Chi dalle serpe è punto,
ha paura della lucertola.

Buon vino fa buon
sangue.

Vino in vetro, ed acqua in creta!

Il buon vino si vende in cantina.

Chi va in cantina e non beve,
è un asino, chi lo crede,

Entweder die Suppe aus,
oder zum Fenster hinaus!

Wenn mehrere Köche in der Küche sind, schmeckt die Suppe nach Rauch.

Wer von der Schlange gebissen,
hat Angst vor der Eidechse.

Guter Wein schafft gutes Blut.

Den Wein trinkt man aus Gläsern, das Wasser aus Krügen!

Der gute Wein wird im Keller verkauft.

In den Keller gehen und nicht trinken – wer das glaubt, ist ein Esel.

Uomo di vino –
cento al carrino.
Carrino – alte neapolitanische Münze von 8 ½ Soldi.

Weintrinker sind, wie's Leben lehrt,
hundert nicht vier Groschen wert.

L'acqua rovina i ponti, il vino i cervelli.

La donna bella
non è poverella.

Una bella senza dote è un uccello senza piume.

Meglio prendere una
donna che vale e non
che tiene.

Vale più una donna grassa che 7 donne magre.

Das Wasser zerstört Brücken, der Wein den Verstand.

Die schöne Frau ist immerdar
nicht so gänzlich arm fürwahr.

Eine Schöne ohne Mitgift ist ein Vogel ohne Federn.

Besser eine Frau nehmen, die viel
gilt und nicht, die viel hat!

Eine dicke Frau ist mehr wert als sieben dünne.

Nè donne e nè tele
a lume di candele!

Quando si vedono, 3 donne a parlare, o parlano male del prossimo o dei mariti.

Tre donne ed una oca fan mercato.

La donna è come la castagna:
Bella di fuori e dentro ha
la magagna

Tre cose al rnondo son belle a vedère:
donna che balla, nave a vela, campo fiorito!

Frauen und Leinwand nicht
nimmt man bei Kerzenlicht.

Wenn man drei Frauen redend beisammen sicht, verklatschen sie andere oder ihre Männer.

Drei Frauen und eine Gans machen einen Jahrmarktslärm.

Die Frau ist der Kastanie gleich:
von außen schön und inwendig an Fehlern reich.

Drei Dinge zu schauen sind schön auf der Welt:
Die tanzende Frau, das segelnde Schiff, das blühende Feld.


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