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Zweites Kapitel. Von Rom ins Dorf.

Ist es nur ein Traum? Und doch steht alles so klar und fest vor der Erinnerung. –

Es war eine milde Frühlingsnacht in Rom. Reinhard war auf der Villa der berühmten Sängerin Angela, um deren Gunst er viel beneidet wurde. Er stand mit ihr an der offenen Thür des Balkons und schaute über die blühenden Orangen hinweg hinaus in die Siebenhügelstadt, er hörte die Glocke vom Petersturm, aber ihm war's, als läutete die Glocke vom Dorf im Schwarzwaldthale und als säße er im Wirtshaus zur Linde und hielte still die Hand Lorles; denn er hatte eben zum erstenmal erzählt, welche namenlose Glückseligkeiten er in der Liebe zu Lorle empfunden und welche unergründliche Schmerzen ihm dann und jetzt noch die Seele zermarterten.

Angela hatte still zugehört, endlich aber sagte sie:

»Du übertreibst die Tragik deines Schicksals. Ein Modell geheiratet! Kostüm-Illusion! Sie hatte gewiß ein bezaubernd naives Gesichtchen, aber rote Hände und breite Füße. War tausendmal und wird noch tausendmal sein. Wir Künstler spielen mit dem Leben und das Leben spielt mit uns.«

Angela hatte das alles scherzhaft, aber auch mit einer gewissen graziösen Innigkeit gesagt, und doch fühlte sich Reinhard im Innersten abgestoßen. Er verließ Angela, und erst am dritten Abend, als die Dämmerung bereits eintrat, zog er wieder nach der Villa.

Da hörte er vor einer Osteria deutsche Laute, er hielt an und vernahm aus einer Gruppe heraus im heimischen Dialekt: »Ich kann in Weißenbach noch genug schlafen, in Rom will ich wach sein, so lang es geht.«

»Der Kaspar will für sein Geld eine große Portion Rom haben!« rief ein junger Geistlicher, und alles lachte.

»Heut darf man nicht lachen,« nahm Kaspar wieder auf; »morgen lasse ich für das Lorle eine Totenmesse lesen. Vor drei Tagen ist sie gestorben. Die Malva ist also doch nicht Erbin geworden. Der Schullehrer schreibt, das Lorle ist so sanft eingeschlafen und in seinem Testament hat es zwei Plätze als Erbbegräbnis bestellt; der Reinhard soll neben ihm begraben sein, wenn er wiederkommt. Still! habt ihr's nicht gehört? Ich mein', es hat jemand gejammert, vielleicht ist's die Seele von Lorle.«

Es war ihre Seele, die in den Gedanken des Lauschenden aufjammerte. Reinhard hatte das Gespräch vernommen und er sank fast in die Kniee. Im Schatten der Häuser huschte er dahin, von droben tönte der Gesang Angelas. –

Es erregte großes Aufsehen, als in der Zeitung L'Artista angekündigt wurde, die sämtlichen Gemälde Reinhards, seine Skizzen, Studien, Vasen und Teppiche würden durch einen öffentlichen Notar versteigert.

Reinhard hatte Rom verlassen, ohne jemand das Ziel seiner Reise anzugeben.

»Büßen, Sühnen,« das waren die Worte, die er auf der langen Reise oft vor sich hinsprach.

Jetzt war er da, wie wenn ein fremder Wille, wie wenn ein Zauber ihn herversetzt hätte. Er sah in die Wiesen, wo die Menschen Heu zusammenrechten und aufluden, und dort schnitt die Sense ins Gras; alles erschien ihm wie unwirklich.

Ein mächtiger Peitschenknall weckte ihn. »Aufgepaßt! Es kommt ein Heuwagen!« rief ein Bursch in roter Weste, der die Pferde an einer Fuhre Heu lenkte; oben auf dem Wagen saß ein junges Mädchen, es hatte wilde Rosen in der Hand und warf sie auf den Aufgeschreckten nieder.

Reinhard trat beiseite und stürzte fast in den Weggraben. Wie ein Blitz im Aufblicken war's: das ist ja der Hirtenknabe Wendelin mit dem gekrausten kupferroten Haar, den du damals am Tage nach der Verlobung mit Lorle gezeichnet. Er kann's nicht selber sein, aber sein Kind ist's sicher. Reinhard that seinen Hut ab, eine wilde Rose lag noch drauf; der Wagen fuhr weiter und das Mädchen oben sang das Lied mit der wundersamen Weise:

Schön Schätzichen, wach' auf –

Das tönte fort und fort, bis es verklang. Reinhard richtete sich straff auf und ging hinein ins Dorf, geradenwegs zur Linde; in all sein schweres Denken und Sinnen hinein tönte es:

Schön Schätzichen, wach' auf
Und laß mich zu dir ein.

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