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Dreiundvierzigstes Kapitel. Die Schwalben ziehen fort.

Lautlos war's im Hause zur Linde, als hätte der auf ewig verstummte Mund Reinhards jede Lippe verschlossen. Malva lag auf dem Boden, nur das Zittern ihres Körpers zeigte, daß noch Leben in ihr. Der Kollaborator stand starren Blickes, er preßte den Mund zusammen, und auf einen Stuhl niedersinkend bedeckte er die Augen mit beiden Händen. Wendelin verließ das Zimmer, man hörte seinen Schritt nicht.

Der Sänger und der fremde Arzt kamen nach einer Weile. Sie waren zur Reise gerüstet, der Arzt sagte kaum hörbar, daß er zur Hauptstadt zurückkehre, der Sänger fügte hinzu, daß er zum Begräbnis wiederkehre; es lag ein schmerzlicher Ausdruck in seinem Gesichte, da er hinzufügte, er müsse morgen abend singen, werde aber, da er im letzten Akte nicht mehr beschäftigt sei, noch in der Nacht hierher reisen.

Malva erhob sich und fragte, ob Reinhard nicht Verwandte habe, denen man es anzeigen müsse. Der Kollaborator bat, daß sie alle mit ihm in die Nebenstube gehen sollten, Malva folgte zögernd, und zurückgewendet sagte sie: »O du Guter, ich muß dich allein lassen.«

In der andern Stube erklärte der Kollaborator, daß Reinhard schon in der ersten Kindheit verwaist war, und daß alle seine Verwandten nach Amerika ausgewandert seien. Mit gefaßter Stimme gab er dem Sänger und dem Arzt verschiedene Aufträge, und als diese fortgegangen waren, sagte er zu Malva:

»Sei getrost. Du hast ihm seine letzten Lebenstage neu belebt, und wenn wir's recht überlegen, so ist ihm geworden, was er eigentlich wünschte; er war ja nur gekommen, um neben seiner Frau begraben zu werden. In dir liegen die Kräfte zu Edlem und Tüchtigem. Ich hoffe, du wirst sie zu gebrauchen verstehen. Wenn ich wiederkomme, soll es mein erstes sein, nach dir zu schauen.«

Malva hatte die heiße Stirn an die Fensterscheibe gedrückt und schaute hinaus. Da stehen noch die Bäume, wie früher, da scheint noch die Sonne, die Schwalben ziehen in Scharen hell zwitschernd durch die Luft, und sitzen dann gedrängt auf der Dachfirste des Nachbarhauses; sie sammeln sich und rüsten sich zum Fluge übers Meer, dabei sind wohl auch jene, die damals beim Brautkusse den ersten Flug unternommen hatten.

»Die Schwalben ziehen fort,« sagte Malva leise vor sich hin, und plötzlich sich umwendend, sagte sie:

»O, Herr Reihenmeyer, wenn ich nur auch fort könnte. Ich weiß nicht wohin. Ich will nichts von all den Sachen da. Aber ich möchte mit dem sein, der ihm der liebste war auf der ganzen Welt, und möcht' alle Tage von ihm reden können. Sind auf Eurem Schiff denn nicht auch Mägde? Könnt Ihr mich nicht auch mitnehmen?«

»Nein, wir sind nur Männer. Halte dich still und gut hier. Du trägst eine Ehrenkrone.«

»Aber ich vergehe vor Jammer.«

»Du wirst dich aufrichten lernen.«

Vroni kam, sie umhalste Malva weinend und sagte, sie solle an ihr einen Beistand haben, sie könne sich ja getrösten, daß sie den beiden – sie nannte die Namen Lorle und Reinhard nicht – nur Gutes gethan.

»Wie trägt es Stephan?« fragte der Kollaborator.

»Er hat doppelt schwer zu tragen. Mein Vater und der Herr Reinhard. Aber er ist an beiden eigentlich unschuldig und unser armes Kind versteht ja gar nichts von allem.«

Gemeinderat: und Gerichtsbote kamen, sie wollten alles versiegeln, aber Wendelin legte das Testament vor, und Malva weinte laut, als sie hörte, daß außer dem Vermächtnis für Reihenmeyer und Fabian ihr alles vererbt war.

»Es ist eine Kiste angekommen,« sagte der eintretende Ohm Bahnwärter. »Der selige Herr Reinhard hat mir gesagt, ich soll immer alles aufmachen. Es sind noch mehr Kleider für dich drin und ein Brautkranz. Schau,« unterbrach er sich, »da sitzt der Fabian auf dem Nußbaum und stiehlt Nüsse.«

Die Männer eilten ans Fenster und sahen, wie schwer es dem Ohm gelang, den fletschenden Trottl herab zu bringen.

Während noch der Gemeinderat da war, kam Stephan und sagte: »Ich trete vor den Toten hin und schwöre, ich hab' ihm kein Leid anthun wollen. Ich bin freilich wild gewesen und das Unglück ist ja leider von dem armen Kind geschehen.«

Niemand antwortete ihm, bis endlich der Gemeindeschreiber ihm das Vermächtnis für Fabian verkündete.

Vroni bat, daß man sie mit Malva allein lasse. Alle gingen fort, nur Reihenmeyer und Wendelin blieben in der Nebenstube.

Es ward Nacht und ward wieder Tag. Malva stand wieder am Fenster. Da sind noch die Häuser, da sind noch die Bäume, und die Sonne scheint so hell, aber in der Luft regt sich nichts, die Schwalben sind in der Nacht fortgezogen.

»Die Schwalben sind fort,« sagte Malva. Niemand achtete darauf.

Reihenmeyer hatte das Album vor sich, das ihm Reinhard vererbt hatte. Es war ein Tagebuch seines Lebens mit Lorle. Besonders lustig waren die Zeichnungen von der damaligen gemeinsamen Wanderung mit dem Freunde bergaus und bergein. Auf dem letzten Bilde stand geschrieben: »An meinem Grabe,« und darunter das Datum von Reinhards letzter Ankunft im Dorfe.

Die Blumen, die im Garten erblüht waren, bedeckten den Sarg Reinhards. Die Baronin Arven, die Tochter der Gräfin Felseneck, hatte einen Lorbeerkranz geschickt, der Künstlerverein aus der Hauptstadt einen Tannenkranz.

Die Glocken läuteten, vor dem Hause stand die ganze Bewohnerschaft: des Dorfes.

»Malva, ich sage dir jetzt lebewohl,« sagte Reihenmeyer mit heiserer Stimme, »ich muß vom Kirchhof aus fort. Halte dich tapfer und unsres Freundes würdig.«

Neben Lorle wurde Reinhard begraben.

Als Reihenmeyer die erste Scholle auf den Sarg warf, küßte er die Scholle, und seine Thränen fielen darauf.

Vom Liederkranz begleitet sang der Sänger Ulrich mit bewegter Stimme:

». . . Schmückte dich am Tiberstrande
Reichen Lorbeers Ruhmesglanz,
Krönt dich nun im Heimatlande
Unsrer Tannen schlichter Kranz.«

Nelken und Rosmarin blühen auf dem Grabe von Lorle und Reinhard.


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