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Als Aloys in der Frühe erwachte, hieß es, der alte Landolin sei schon lange da und warte auf ihn. Aloys ging hinab, aber der Alte bat, mit ihm auf sein Zimmer gehen zu dürfen und, als ob er's bis dahin verhalten habe, fing er plötzlich an, heftig zu weinen. Aloys suchte ihn zu beruhigen, und der Alte sagte:
»Ja, ja, du hast das linde Herz von deinem Vater und es ist Gottes Fügung, daß ich von allen im Dorfe zuerst dich angesprochen habe. Ich habe dich nun was zu fragen. Wie lange bleibst du bei uns?«
»Mindestens zwei bis drei Wochen.«
»Das macht sich gut. Von heut über acht Tagen hast's wieder auf Heller und Pfennig.«
Der Alte brachte nun unter sehr vielen Wendungen und Beteuerungen vor, daß sein Sohn, bei dem er im Leibgeding lebte, nichts davon wisse, aber wenn Aloys helfe, werde der Alte bis an sein Lebensende die besten Tage dadurch haben.
Aloys mußte sich erst unterrichten lassen, daß es in Deutschland Sitte sei, daß ein Vater sein Besitztum abgehe und sich in Abhängigkeit von einem Kinde versetze.
Der Alte brachte endlich den Wunsch um ein Darleihen für seinen Sohn vor, der in acht Tagen durch Heuverkauf wieder zu Geld käme.
»Ich habe kein Geld zum Verleihen.«
»Der Adlerwirt gibt dir, was du verlangst.«
»Da kann er's ja selber Euch geben und ich glaub', daß Ihr's zur Zeit heimzahlt, aber wenn's nicht wär', ich könnt' Euch nicht verklagen. Das schickt sich nicht für mich.«
Aloys brachte das nicht in mildem Tone vor, er hatte geringes Mitleid mit der Armut; sie erschien ihm fast als Laster. Er war wieder ganz Amerikaner. Dem Alten blieb wieder der Mund offen vor Erstaunen und jetzt kam die Magd und sagte Aloys, es warte jemand draußen, der ihn notwendig sprechen müsse. Draußen stand der Adlerwirt und warnte Aloys, dem Alten Geld zu geben; er sei ein Ehrenmann, aber sein Sohn mißbrauche ihn, dieser warte schon hinterm Garten, bis der Vater wieder was für ihn geborgt habe, und es sei eine Schande fürs Dorf, daß Aloys gleich am ersten Tag so überlaufen werde.
Aloys fragte, ob er dem Alten was schenken dürfe; es wurde verneint und als Aloys wieder in sein Zimmer kam, merkte er, daß der Alte gehorcht hatte, der nun auf den Adlerwirt schimpfend bald davonging.
Sonntäglich geputzt kam die Muhme. Aloys konnte nicht umhin, auf ihr andringendes Fragen zu gestehen, daß er ein Mädchen aus rechtschaffener Familie, dem er gefalle, als Frau heimbringen wolle.
Die Muhme war überaus heiter bei dieser Mitteilung, aber plötzlich unterbrach sie sich:
»Hab' schon gehört,« sagte sie, »des Jörglis Marannele hat dir gestern noch einen Gruß sagen lassen. Laß dich nur mit der falschen Schlange nicht ein. Am besten ist, du gehst ihr gar nicht ins Haus.«
»Das werde ich doch müssen.«
»Aber andere Leut' und rechte Leut' kommen zuerst dran. Ich bin deines Großvaters Schwester. Nicht wahr, ich darf alles sagen?«
Aloys bezwang seine Ungeduld über die umständliche Weise, die wohl hier zu Lande üblich ist, und er sagte:
»Ja wohl. Ich folg' Euch gern, wo ich's einseh'.«
»So ist's recht. Dein' Mutter hat mir auch immer gefolgt und du siehst, wie gut es gangen ist. Ich hab' sie und deinen Vater zusammengebracht. Jetzt bei dir ist's freilich anders.«
Die Muhme erzählte, daß es sich ganz geschickt füge, wenn er ein Mädchen aus dem Ort haben wolle. Am nächsten Sonntag sei Hochzeit, freilich nur eine kleine von einer Witfrau und einem Schneider; der junge Krappenzacher, der habe das Heiratgeschäft von seinem Vater ererbt und habe die beiden zusammenbracht. Wenn man wolle, sage der Krappenzacher den ersten Bauerntöchtern aus der Gegend Bescheid, die seien auch gerne bereit, wenn sie einen reichen Amerikaner bekommen könnten.
»Und noch dazu einen aus so einer Familie wie die unsere,« setzte sie in neuem Adelsstolze hinzu. »Aber weißt, was das Gescheiteste wär'? Hast's ja gestern gesehen. Wenn man die Immenkönigin fangen will, muß man eine Immenkappe aufsetzen. Ich will aussprengen, du seiest schon verheiratet, dann bist du wie der Mann, der eine Nebelkappe hat überziehen können. Kennst du die Geschicht' vom hörnenen Siegfried? Es ist einmal ein Mann gewesen –«
Aloys dankte; das war doch zuviel, daß sich ein Amerikaner am hellen Morgen ein deutsches Märchen erzählen läßt, und als Amerikaner fühlte sich jetzt Aloys wieder. In der Nacht hatte ihn etwas von deutscher Traumsucht angefaßt, das ist verflogen. Aloys verabschiedete sich bei der Muhme und sagte, er müsse zum Buchmaier.
»Ist recht,« bestätigte die Muhme, »das ist der beste Mann und das beste Haus. Wärst du nur ein halb Jahr früher kommen, da hat er noch eine ledige Tochter gehabt . . .«
Wenn man die Leute kennt und den Weg weiß, geht man nicht irre, sagt man bei uns daheim. Jung Aloys schien diese unwiderlegliche Wahrheit aufs neue zu beweisen. Er war gut unterwiesen, von Vater und Mutter und noch dazu vom Großvater. Dieser hatte ihm besonders die Namen der besten Sänger angegeben, die meisten waren aber bereits in den himmlischen Liederkranz abberufen. Vater Aloys dagegen hatte viel Rühmens gemacht vom Buchmaier, dem »ersten Freibürger«, so nannte er ihn stets.
Beim ersten Ausgang am Morgen sah Aloys eine Gruppe von Menschen bei der Schmiede, sie umstanden ein Pferd und drin in der Werkstatt brannte das Feuer.
Vom Vater her wußte Aloys, daß bei der Schmiede sich stets die beste trockene, das heißt trunklose Unterhaltung ergibt.
Er gesellte sich zu den Männern, als eben der Schmied das Eisen anprobierte. Er musterte das Pferd und sagte:
»Bei uns in Amerika thät' man sagen, das kann Wähler sein.«
»Was soll das heißen?«
»Das Pferd ist gut zwanzig Jahre alt.«
»Hat's erraten.«
Stolz und lächelnd fügte Aloys hinzu, daß in Amerika niemand dem Pferd den Fuß aufhebe, das thue der Schmied selber und beschlage es dabei ohne fremde Beihilfe.
Die Leute nickten einander zu, sich bedeutend, das sei amerikanische Prahlerei.
»Ist es denn wahr, was der Ohlreit sagt,« fragte der Knecht, der den Fuß des Pferdes hochhielt, »ist's wahr, daß die Ochsen in Amerika so gescheit sind, daß sie ohne Peitsche sich aufs Wort regieren lassen?«
Aloys bestätigte und erzählte Näheres wahrheitsgemäß; aber wenig erbaut von der Wahrnehmung, daß man den Amerikanern nicht recht glaube, ging er davon. Er nahm sich vor, den Leuten nichts Auffälliges mehr zu erzählen, so wahr es auch sei.
Während er nun nach dem Hause des Buchmaiers wanderte, rief er sich jene Geschichte zurück, wie der Buchmaier eine gesetzwidrige Verordnung des Oberamtmanns Rellings mit seiner Art durchhieb.
Als er an den abgeschlossenen einzeln stehenden Hof kam, rannte ihm aus dem offenen Thor ein schönes Fohlen entgegen, das den Kopf hoch hob, einen Augenblick still stand und den Fremdling mit seinen großen Augen ansah, dann aber ausschlagend in die Wiese rannte und ruhig graste. Im Hofe begegnete ihm der Pfarrer mit dem Ministranten, die Kreuz und Weihrauchkessel trugen, sie kamen aus dem Hause. Als sie vorüber waren, fragte Aloys die Knechte, die vor der Stallthüre standen, wie es mit dem alten Buchmaier sei, ob er noch lebe. Er erhielt zur Antwort, daß er noch bei voller Besinnung sei, nur eben am Auslöschen.
»Da kommt der junge Bauer,« hieß es. Der junge Buchmaier fragte Aloys etwas unwillig, wer er sei und was er begehre. Während Aloys seinen Wunsch erklärte, war eine hochschwangere Frau hinzugekommen und sie sagte: »Ich mein', du solltest das dem Vater doch berichten. Nehmen Sie's nicht übel,« wendete sie sich zu Aloys, »mein Mann ist jetzt natürlich verstört und nicht aufgelegt.«
Der junge Bauer ging hinauf, und bald wurde Aloys gerufen.